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3 Zehn der Schwerter

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Nachdem sie an der Mühle angekommen waren, brachten Herr und Frau Wagner die Kinder ins Häusl und verlangten von ihnen, umgehend ins Bett zu gehen. Sie selbst setzten sich noch mit dem Vogel und seiner Frau auf ein Glas Wein in den Wintergarten.

„Gehen wir wirklich gleich ins Bett?“

Kai warf einen Blick auf die Uhr. Es war kurz vor elf.

„Spinnst du? Vor Mitternacht kommen die doch nicht!“

Michael warf seinem Freund einen entrüsteten Blick zu.

„Oder was meinst du, Sophie?“

Sophie streifte sich gerade die Jeansjacke ab. Dabei fiel etwas zu Boden.

„Was ist denn das...?“

Fast gleichzeitig bückten sich die Kinder. Sophie war die schnellste. Sie hob ein Stück Karton auf.

„Eine Spielkarte... Wo kommt die denn her...?“

„Lass mal sehen!“

Michael nahm sie ihr aus der Hand und betrachtete sie näher. Auf der Rückseite sah man verschlungene Formen und Muster. Die Vorderseite zeigte ein Bild.

„Das ist ja grauenhaft...“

„Richtig schaurig...“

„Zehn der Schwerter steht da...“

Auf dem Bild waren einige Männer gezeichnet, von Schwertern durchbohrt, blutend und auf einem Haufen liegen. Im Hintergrund brannten drei Hütten.

„Habt ihr so was schon mal gesehen?“

Kai hielt die Karte unter eine Lampe und betrachtete das Bild eingehend.

„Schaut euch mal die Hütten an und die Kleidung der Männer... richtig altertümlich...“

Sophie nahm Kai die Karte aus der Hand und drehte sie um.

„Und dieses Muster hier auf der Rückseite mit den zwei Köpfen...“

„Wie zwei ineinander verschlungene Schlangen...“

Nun nahm Michael die Karte.

„Woher hast du die?“

„Ich hab keine Ahnung. Sie ist mir aus der Jacke gefallen...“

Einen Moment lang sagte keiner etwas. Dann brach es auf einmal aus Sophie heraus.

„Erinnert mich an die Geschichten über das alte Irland, die mir Ian erzählt hat. Von den Kelten und den Druiden und so...“

„Davon hast du ja gar nichts erzählt. Dann muss er dir die Karte zugesteckt haben!“

Michael war ganz aufgeregt.

„Ja, schon. Aber warum sollte er so etwas tun...?“

Sophie nahm die Karte zurück und betrachtete noch einmal eingehend das Bild.

„Wie nach einer Schlacht sieht es hier aus...“

„Oder nach dem Angriff auf ein Dorf“, schlug Kai vor. „Da haben irgendwelche Räuberbanden gemordet und geplündert!“

„Das beantwortet aber noch immer nicht unsere Frage“, kam Michael auf das Wesentliche zurück. „Warum hat Ian dir diese Karte zugesteckt?“

Darauf wusste keiner eine Antwort. Nachdem sie sich eine Weile ratlos angesehen hatten, schlug Michael vor, Mau-Mau zu spielen. Damit waren alle einverstanden, wenn auch Sophie die geheimnisvolle Karte nicht aus dem Kopf gehen wollte. Als es schon auf ein Uhr zuging, hörten sie, wie unten die Tür geöffnet wurde.

„Licht aus! Schnell in die Betten!“

Sie hörten, wie die Eltern das Haus betraten und nach einer kurzen Weile nach oben kamen. Die Kinder stellten sich schlafend. Michael und Kai schliefen bald darauf tatsächlich ein. Nur Sophie lag noch lange wach.

Zehn der Schwerter! Was bedeutet das? Es wird doch kein Zufall gewesen sein, dass Ian mir die Karte zugesteckt hat. Irgendetwas wollte er damit doch sicherlich erreichen? Nur was...?

Der Mond schien durch das kleine Fenster an der Stirnseite des Häusls und zeichnete eine silberne Brücke in die Luft. Staubfäden tanzten dort munter hin und her.

Der Mond...

Schwere Schritte dröhnten. Männer näherten sich. Schwerter wurden gezogen und Kommandos gerufen. Dann ging der Sturm los.

„Ian! Sie kommen. Was sollen wir tun?“

„Baut Barrikaden! Lasst sie nicht heran!“

Auch Ian hatte sein Schwert gezogen. Kalt glitzerte es im Mondlicht. Sein Gesicht war verhärtet. Er hatte keine Zeit mehr. Gleich würde der Kampf beginnen.

Ian! Nein...!

Schon stürmte der erste Gegner auf ihn ein und holte mit dem Schwert aus. Ian parierte den Schlag, doch da kam schon der nächste.

Ian! Ich muss dir helfen. Komm! Lauf weg! Komm zu mir...

Doch Ian hörte nicht. Immer neue Gegner tauchten auf. Immer wütender wurden ihre Attacken. Nur mit Müh und Not konnte sich der Tinker verteidigen.

„Nein!“

Sophie schreckte hoch und setzte sich im Bett auf. Ihr Herz pochte wie wild. Im Raum war es dämmrig.

Ich habe geträumt. Die anderen schlafen noch...

Unfähig sich zu rühren blieb Sophie im Bett sitzen.

Aber was für ein realistischer Traum, das kann doch gar nicht sein...

Ein Blick zum Fenster verriet ihr, dass es schon früh am Morgen sein musste. Sie überlegte, ob sie versuchen sollte noch einmal einzuschlafen, entschied sich dann aber dagegen. So leise wie möglich schälte sie sich aus dem Bett, klaubte ihre Kleidung zusammen und stahl sich die Treppe hinunter. Im Wohnraum zog sie sich langsam an.

Ich brauche frische Luft...

Sophie schlüpfte in ihre Schuhe und verließ das Haus. Eine frische Brise empfing sie.

Ganz schön kalt...

Sie knöpfte ihre Jeansjacke zu und lenkte ihre Schritte unbewusst zum nördlichen Gartentor. Während sie der Straße folgte, versuchte sie ihre Gedanken zu ordnen.

Fakt ist, dass Ian mir die Karte nicht zufällig zugesteckt hat. Also muss er etwas damit bezweckt haben. Vielleicht hat es etwas mit dem zu tun, was er mir gestern erzählt hat, über das keltische Irland...

Sie zog die Karte aus ihrer Jacke und betrachtete sie eingehend, während sie langsam weiterging.

Zehn der Schwerter. Ein Kampf, ja, ganz sicher. Aber warum zehn...?

So grübelnd kam Sophie immer weiter. Zu ihrer Rechten ragte eine grasbewachsene Erhebung in den bewölkten Himmel. Unwillkürlich blieb sie stehen und sah hinauf. Ein Stück weiter befand sich eine Wegkreuzung.

Wo will ich denn eigentlich hin?

Unschlüssig sah sie sich um, als auf einmal ein Hund auf sie zuschoss.

„Hank! Wo kommst du denn her?“

Freudig erregt sprang der Hund um das Mädchen herum. Sophie ließ sich auf die Knie und kraulte ihn hinter den Ohren.

„Wo ist denn dein Herrchen? Wo ist Ian?“

Sie stand wieder auf, denn Hank zeigte an, dass er sie verstanden hatte. Er lief ein kurzes Stück auf den Hügel zu, blieb wieder stehen, und als er sah, dass Sophie folgte, rannte er weiter. Er nahm einen schmalen, im dichten Gras kaum sichtbaren Pfad, der in einem langgezogenen Bogen zur abgeflachten Spitze des Hügels hinaufführte.

„Du möchtest wohl, dass ich dir folge...? Dann ist Ian da oben...?“

Also machte sich Sophie an den Aufstieg. Hank rannte ein Stück voraus, wartete, rannte weiter. Es dauerte nicht lange, da war Sophie auf der Kuppe angekommen.

Hm, keine Spur von Ian...

Doch ein Stück weiter vorne sah sie Hank. Schwanzwedelnd stand er vor einer kleinen Erhöhung. Als sie näher kam, erkannte Sophie, dass es sich um einen aus dem Gestein gehauenen Hochsitz handelte. Und auf ihm saß...

„Ian!“

„Guten Morgen, Sophie. Wie ich sehe, bist du schon früh auf den Beinen.“

Hank legte sich vor seinem Herrchen ins Gras. Sophie blieb unschlüssig stehen. Der Tinker wirkte nicht im Mindesten überrascht sie zu sehen.

Die Karte... Ich muss ihn fragen... Aber wie...?

„Dieser Sitz stammt noch aus keltischer Zeit. Es war ein Wachsitz. Von unten wird man nicht gesehen, kann aber selbst weit über Land blicken und seinen Stamm vor anrückenden Feinden warnen.“

Ach was. Ich versuch’s einfach!

Sophie zog die Karte aus ihrer Tasche und reichte sie Ian.

„Was ist das?“

„Das ist eine Tarot Karte. Zehn der Schwerter. Hm, keine leichte Kost...“

Sophie versuchte anhand von Ians Reaktion zu erkennen, ob wirklich er ihr die Karte zugesteckt hatte. Doch das Gesicht des Tinkers blieb ausdruckslos.

„Was bedeutet sie?“

„Das ist keine gute Karte. Sie deutet unmissverständlich auf eine drohende Niederlage hin. Eine Bedrohung von außen... Sie nimmt langsam Form an... Sie nähert sich unaufhaltsam... Nicht schön...“

Er gab Sophie die Karte zurück. Sein Blick ging dabei ins Leere.

Aber du hast mir die Karte doch gegeben...

Noch immer fühlte sich Sophie unfähig, den Gedanken auszusprechen.

Wer wird bedroht? Ich...? Oder du...?

„Schau mal! Die Sonne geht auf!“

Ian deutete nach vorne. Tatsächlich riss die Wolkendecke auf und ein breites Lichtband schien über sie hinweg in die tiefer liegende Ebene.

„Fällt dir was auf? Die Sonne steht hinter uns. Wir blicken hier also genau nach Westen...“

Sophie sah noch einen Moment auf die saftigen grünen Weiden, dann wandte sie sich um.

„Ian, diese Karte...“

Der Tinker war aufgestanden und machte sich eben auf den Weg.

„Wir müssen dann mal wieder los. Hat mich gefreut dich zu treffen, Prinzessin...“

Ehe sich Sophie versah, waren Ian und sein Hund schon um die erste Biegung verschwunden. Ratlos blieb sie zurück.

Das gibt’s doch nicht! Warum habe ich ihn jetzt nicht gefragt...?

Sie setzte sich auf den Hochsitz und ließ das kurze Gespräch noch einmal Revue passieren. Doch sie fand keinen Punkt, an dem sie anders hätte handeln können. Ruckartig stand sie auf.

Ich muss zurück! Jetzt müssen Michael und Kai ran!

***

Keltisches Kreuz

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