Читать книгу Insekten sterben, Menschen auch! - Herbert Wolf - Страница 6

Оглавление

2. Die Suchmeldung

Malte Thomas hatte es nicht eilig, wie noch am Vormittag, als er unbedingt pünktlich zu einem Termin in Hamburg erscheinen wollte. Doch jetzt war er gezwungen, sich Zeit zu nehmen.

Noch bis in die Nachmittagsstunden hinein hatte sich das Wetter an diesem Sommertag warm und trocken gezeigt. Nur am westlichen Horizont zeigten Zirruswolken eine Warmfront an. Etwas später verdichteten sich die Wolken am Himmel, und wer die beobachtet hatte, dem waren die Hinweise auf den heranziehenden Regen sicher nicht entgangen.

Inzwischen hatte sich der Niederschlag so verschärft, dass er wie eine Folie auf der Windschutzscheibe wirkte, der die Scheibenwischer nichts anhaben konnten.

Der böige Wind hatte Malte Thomas gezwungen, seine Geschwindigkeit zu reduzieren. Jetzt hinderten ihn auch noch die schlechte Sicht und die vielen LKWs vor ihm auf der Bundesstraße 4, schneller zu fahren. Die Reflexion der Scheinwerferlichter auf dem regennassen Asphalt irritierte ihn zusätzlich. Dunkelheit herrschte, obwohl es nicht einmal Abend war. Es regnete so heftig, wie vom Verkehrsfunk vorausgesagt, aber an diesem heißen Julitag war das für viele Menschen sogar eine Erfrischung. Malte prüfte kurz die geschätzte Ankunftszeit in der Navigationsanzeige, und die versprach heute einen beträchtlichen Zeitverlust.

Er war auf dem Weg zurück nach Hause von einem Termin in Hamburg. Er bereute in diesem Moment, dass er den Umweg über eine Landstraße hinein in die Lüneburger Heide genommen hatte, um dort Spuren eines bestimmten Laufkäfers, des Heidelaufkäfers, zu suchen. Das hatte nichts gebracht, aber viel Zeit gekostet, sonst wäre er sicher längst an seinem Ziel angekommen.

Er brauchte noch Fotos, die diese Käfer möglichst in ihrem natürlichen Lebensraum zeigten, so wie es seine Auftraggeber erbeten hatten. Da hatte die Sonne am Himmel noch geschienen, und die dunklen Kumuluswolken am Horizont hatten ihn nicht gekümmert.

Mit seinem Auftraggeber, eine noch junge IT-Firma in Hamburg, hatte er sich über seine Arbeit abstimmen müssen. Die entwickelte im Moment eine Applikation, für die er sein Wissen über Insekten beisteuern sollte. Mit diesen Tieren hatte er sich schon während seiner Tätigkeit als Professor für Biologie beschäftigt.

Die Firma hatte ihm eine Mitarbeit in ihrem neuen Projekt angeboten. Obwohl die Entwicklung einer App für ihn Neuland war, hatte er nur kurz gezögert und schließlich zugestimmt. Bisher war er immer nur Nutzer eines Smartphones oder Tablets gewesen. Technische Details dieser Geräte hatten ihn nie gekümmert. Jetzt war es eine Herausforderung für ihn, sich beim Sammeln des Materials stets der Beschränkungen dieser Geräte hinsichtlich Speicherplatz und Bildschirmgröße bewusst zu sein.

Das Treffen in Hamburg hatte ihn zusätzlich motiviert, weil er zum ersten Mal selbst einen Prototyp der App hatte testen können, in dem auch seine Beiträge präsentiert wurden. Das hatte ihm Spaß gemacht und seine anfängliche Skepsis gegen das ganze Projekt vergessen lassen. Die Entwickler hatten von ihm allerdings noch weitere Fotos und Beschreibungen von einigen heimischen Insekten gefordert, genannt hatten sie einen Laufkäfer, der in der Heide zu Hause war. An den hatte er nicht gedacht, weil er diesem kaum zwei Zentimeter messenden Käfer mit seinen golden glänzenden Flügeldecken keine große Bedeutung geschenkt hatte. Er vermutete jetzt, dass die zufällig in irgendeinem Internetartikel über dieses Tierchen gestolpert sein könnten, weil es auf der Roten Liste der speziell geschützten Insekten geführt wurde. Sicher schlossen die, dass eine Erwähnung in ihrer App wichtig wäre. Und vermutlich lagen sie mit ihrer Einschätzung richtig.

Auf der Rückfahrt hatte er sich spontan zu einem Umweg über die Lüneburger Heide entschieden. Den Zeitverlust hatte er ebenso verdrängt wie die geringe Wahrscheinlichkeit, einen solchen Käfer anzutreffen.

„Kann nur hoffen, dass ich diese jungen Leute nicht enttäusche.“

Er war fast eine Stunde lang in die Heidelandschaft hineingewandert, dorthin, wo er hoffte, das Insekt aufzuspüren. Mit der Kamera in der Hand war er auf dem Boden herumgekrochen. Sein Optimismus, fündig zu werden, war begrenzt, denn erst wenige Tage zuvor hatte er in einem Fachblatt lesen können, dass die Käferpopulation in der Heide erheblich zurückgegangen war. Der Klimawandel und der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft wirkten sich auf die Häufigkeit von Käfern in der Lüneburger Heide negativ aus. Als selbst eine intensive Suche erfolglos blieb, wollte er schließlich aufgeben und überlegte, notfalls auf eine Wikipedia-Abbildung zurückzugreifen. Nur: Das hatte ihm widerstrebt, zumindest mangelnden Einsatz wollte er sich selbst nicht erlauben. Es ärgerte ihn, aber er würde mit Sicherheit die Suche nach dem Tier wiederholen.

Als er seine Bemühungen spät abbrach, hatten sich die Wolken am Himmel schon bedenklich zusammengezogen und der Wind erheblich aufgefrischt. Es fielen bereits die ersten Tropfen. Nur deshalb war er in dieses Unwetter geraten.

Im Auto hatte ihn die Meldung des Verkehrsfunks vor dem durchziehenden Regen gewarnt, der er aber wenig Beachtung schenkte, er erlebte ja, was der Sender verkündete. Im Vordergrundprogramm wurde irgendeine Geschichte gesendet, der er ebenfalls nur mit halbem Ohr zuhörte.

Er fixierte die Rücklichter des vor ihm schleichenden Fahrzeugs, dem er sicher zu dicht folgte. Zum rechtzeitigen Bremsen würde es hoffentlich reichen, war er dennoch überzeugt.

Im Radio ertönte eine Meldung, die ihn aufhorchen ließ. Er konnte die überhaupt nicht mit dem augenblicklichen Straßenverkehr und dem Wetter in Verbindung setzen.

„Gesucht wird die fünfzehnjährige Michaela Daniel aus Melbeck, die seit gestern Morgen vermisst wird. Sie wurde zuletzt gestern Mittag in der Nähe ihres Gymnasiums in Lüneburg gesehen. Bekleidet war sie mit …“

Die Beschreibung der Kleidung gab für ihn wenig her, es war der Name der Ortschaft, der ihn aufmerken ließ.

„Da bin ich doch heute Morgen durchgefahren“, äußerte er sich laut, der Ort lag ja südlich von Lüneburg, direkt an der Bundesstraße 4.

Wieso suchen die eine fünfzehnjährige Gymnasiastin? Die wird doch hoffentlich keinem Sexualtäter in die Hände gefallen sein?, überlegte er. Ihm fielen seine Enkelinnen ein, die etwa im gleichen Alter waren. Die Meldung irritierte ihn, weil er sofort an sie dachte.

Welcher Zufall war es, dass er heute Morgen durch den angegebenen Ort durchgefahren war? Er hatte die Autobahn in der Annahme gemieden, dass die kürzere Distanz auf der Bundesstraße ihn schneller zu seinem Termin bringen würde. Leider hatte er sich wegen des dichten Verkehrs geirrt, viele langsam fahrende LKWs und kleinere Staus in Ortschaften hatten ihn immer wieder aufgehalten. Was Pünktlichkeit anbelangte, so war er doch weniger flexibel als die jungen Leute in der Firma. Er hatte sogar überlegt, ob er denen seine mögliche Verspätung telefonisch ankündigen sollte.

Da war ihm auf der geraden Strecke unvermittelt ein Auto entgegengekommen, das kurzzeitig ins Schlingern geraten zu sein schien. Erschrocken war er auf die Bremse getreten und dicht auf den Fahrbahnrand ausgewichen. Er hatte mitbekommen, wie der Fahrer des anderen Wagens mit seinem rechten Arm erkennbar nach hinten in den Fond schlug.

Er hatte nochmals die Geschwindigkeit weiter reduziert, als der andere Wagen dicht an ihm vorbeifuhr. Jetzt hatte er deutlich erkennen können, dass der Fahrer tatsächlich nach hinten auf eine Person einschlug. Wem diese Schläge galten, das hatte er leider nur undeutlich gesehen.

Erschrocken über das Herumschlagen des Fahrers, hatte er sein Fahrzeug am Straßenrand gestoppt, um im Rückspiegel gleich darauf zu beobachten, was wenig später passierte. Der andere Wagen war kaum hundert Meter weitergefahren, hatte dann ebenfalls angehalten. Malte Thomas hatte noch mitbekommen, wie der Fahrer aus dem Auto gesprungen war und eine Person aus dem Fond seines Fahrzeugs auf den Seitenstreifen gezerrt hatte. Leider hatte er nicht erkennen können, wen dieser Mann auf die Straße befördert hatte. Der selbst war gleich darauf wieder davongefahren. Sein Fahrgast aber hatte am Straßenrand verharrt und dem davonfahrenden Auto hinterhergeblickt. Ihm war diese Person unverletzt erschienen, und es war schwer für ihn, einzuschätzen, ob die eine Frau oder doch ein älteres Kind war.

Kurz hatte er überlegt, ob er Hilfe anbieten sollte, aber das wegen des vermeintlichen Zeitdrucks unterlassen. Er hatte nur an den für ihn wichtigen Termin gedacht, bei dem er, korrekt wie er war, sich nicht verspäten wollte. Ein kurzer Blick in den Rückspiegel, dann war er selbst weitergefahren.

Er hatte sich bei der Weiterfahrt damit beruhigt, dass diese Person scheinbar unverletzt am Fahrbahnrand gewartet hatte. So war er überzeugt, dass die nur ein Stück bis zum nahe gelegenen Ort laufen oder sich per Anhalter mitnehmen lassen müsste.

Warum bremst der vor mir plötzlich ab?, überlegte er. Dann zog der PKW vor ihm die Fahrt doch wieder an. Und gleich darauf reduzierte das Fahrzeug vor ihm deutlich seine Geschwindigkeit, der Wagen schien zu rucken. Er versuchte, angestrengt zu erkennen, was da weiter vorn los sein könnte. Aber voraus über das nächste Auto hinwegzublicken, war ihm nicht möglich.

Hat der vor mir ein Problem mit seinem Fahrzeug?, schoss es ihm in den Kopf, denn einen Grund für dessen auffälligen Fahrstil schien es nicht zu geben.

Der wird doch nicht besoffen sein?, fragte er sich irritiert, was ihn aber nicht daran hinderte, den als möglichen Fahranfänger zu verdächtigen. Und dabei fiel ihm der Vorfall am Morgen ein, bei dem ein entgegenkommendes Fahrzeug für Sekunden in Schlangenlinien gefahren war. Die Erinnerung wollte nicht verschwinden.

Der Regen ließ schon deutlich nach, die Scheibenwischer quietschten leicht, wenn kaum noch genügend Nässe auf der Scheibe lag.

Was immer den Fahrer vorn im Auto ablenkte und seine Aufmerksamkeit forderte, es verhinderte bei Malte, dass er die Geschichte von heute Morgen ausblenden konnte. Passten dazu nicht diese Vermisstenmeldung und die aus dem Auto gestoßene Person? Gab es nicht die Übereinstimmung mit dem Ort, den die Meldung im Radio genannt hatte?, überlegte er.

War es die vermisste Michaela Daniel gewesen, die der Grobian aus dem Auto gezerrt hatte? Das wollte ihm nicht aus dem Kopf gehen. Er erinnerte sich jetzt deutlich an seine Beobachtung, wie der Fahrer offenbar brutal nach hinten auf die dort sitzende Person eingeschlagen hatte. Eine schreckliche Ahnung wandelte sich in seinen Gedanken fast schon zur Gewissheit, dass ihm wahrscheinlich in diesem Kerl ein Sexualverbrecher begegnet war, der sich nach einem brutalen Vergehen des Opfers hatte entledigen wollen.

So blöd kann der doch nicht gewesen sein, das Mädchen einfach auszusetzen, es würde ihn doch sicherlich anzeigen, suchte er sich gleich wieder zu beruhigen.

Jetzt hatte er ja keinen Termin mehr, hatte Zeit, und es war das buchstäblich pochende Gewissen, was ihn nicht in Ruhe ließ. Er verzögerte seine Fahrt, suchte im Gegenverkehr nach einer genügend großen Lücke, um wenden zu können. Lüneburg lag schon etliche Kilometer hinter ihm, und wenn dieses Mädchen in einem nahe liegenden Ort vermisst wurde, dann sollte die Polizei dort am besten über diesen Fall Bescheid wissen.

Er dauerte lange, bis er eine ausreichend große Lücke im Strom der entgegenkommenden Fahrzeuge fand. Dann wendete er entschlossen und fuhr zurück nach Lüneburg.

Die Fahrt führte ihn fast durch die halbe Innenstadt, bis er dort das Schild eines Polizeireviers entdeckte. Er hatte sich da schon überlegt, was er aussagen oder besser übergehen sollte. Vor allem wollte er den Eindruck vermeiden, dass er wegen eines Termins nicht sofort geholfen hatte. Trotzdem zögerte er zunächst, bevor er sich wenig später äußerte.

„Im Radio kam gerade die Suchmeldung zu diesem fünfzehn Jahre alten Mädchen, das angeblich seit gestern Morgen vermisst wird“, wandte er sich an den Beamten, der ihm an der Theke gegenüberstand. „Ich muss eine Beobachtung von heute Morgen melden.“

Jetzt schauten alle Polizisten im Raum zu ihm hoch. Einer kam rüber zur Theke. Im offen stehenden Nebenraum lief ein Radio, und Malte Thomas erkannte den Sender, den er beim Fahren angehört hatte.

„Was für eine Suchmeldung?“ Die Beamten schauten abwechselnd sich und ihn fragend an.

„Na die, die gerade im Radio durchgegeben wurde. Hören Sie denn nicht die Meldungen im Radio?“, bemerkte Malte Thomas verständnislos und irritiert. „Ich höre doch, dass Sie gerade diesen Sender eingeschaltet haben.“

Sein Ton hatte sich verärgert angehört, was ihm unangenehm war. Er merkte selbst, dass er sich vor diesen Beamten besser zusammenreißen sollte. Die beiden Polizisten an der Theke schienen das ebenso zu sehen.

„Nun beruhigen Sie sich zunächst einmal, bevor Sie uns angreifen!“, mahnte einer der Männer und musterte ihn vorwurfsvoll. „Ich weiß von keinem vermissten Mädchen. Weißt du etwas, Bruno?“

Der schien sicher auch nichts davon zu wissen, denn der schüttelte den Kopf und grinste den Besucher spöttisch an.

In dem Moment kam ein weiterer Beamter aus dem Nebenraum herüber und hatte offenbar eine Idee.

„Sie reden doch nicht von Michaela Daniel?“, fragte er schmunzelnd, was Malte Thomas erst recht verunsicherte und dessen Kollegen zu verblüffen schien.

„Das haben Sie im Radio vorhin mitbekommen, nicht wahr?“, redete der Beamte weiter, musste aber jetzt ein Lachen unterdrücken. Thomas nickte nur verständnislos, weil ihm unklar war, woher der Mann diese Heiterkeit hernahm.

„Ich kann Sie da beruhigen, diese Vermisstenmeldung, die Sie im Radio gehört haben, war Teil eines Hörspiels“, erklärte endlich der Polizist. „Es gibt gar keinen Vermisstenfall!“

„Sie meinen, es wird gar kein Mädchen vermisst?“, fragte Malte Thomas ungläubig zurück.

„Nein! Es läuft nur dieses gut gemachte Hörspiel im Radio, das Sie offensichtlich nicht richtig verfolgt haben“, entgegnete der Beamte.

„Das ich nicht richtig verfolgt habe …“, stotterte Malte und empfand sich dabei wie ein Depp, was ihm peinlich war. Fast verblasste bei ihm der Gedanke an sein Verhalten am Morgen, wo er weitergefahren war. Die Beamten an der Besuchertheke vermieden es, offen zu zeigen, was ihnen in diesem Moment durch den Kopf ging. Eher zeigten sie ernste Gesichter, schienen darauf zu warten, dass er sich noch mal zu seinem Verhalten äußerte.

„Aber Sie haben eine Beobachtung melden wollen. Und die würden wir jetzt doch gerne hören“, erklärte dann endlich der Polizist, dem der Zusammenhang mit dem Hörspiel aufgefallen war.

Es dauert einen Moment, bis Malte sich die richtigen Worte überlegt hatte. Er müsste ja jetzt doch seine mangelnde Hilfsbereitschaft eingestehen. Es half nichts, er erzählte von dem Vorfall am Morgen und von seiner Eile, die ihn davon abgehalten hatte, der Person Hilfe zu leisten.

„Und jetzt haben Sie ein so schlechtes Gewissen, dass Sie sogar zurückgefahren sind, um uns unbedingt zu informieren.“ Der Beamte schaute ihn fast ungläubig an, und sein Ton hörte sich deutlich förmlicher an. „Auch wenn wahrscheinlich der Vorfall sich inzwischen geklärt haben wird, es ist gut, dass Sie sich trotzdem noch bei uns melden!“

Malte Thomas fiel es sichtbar schwer, sich zu erklären. Er verlagerte sein Gewicht mehrfach nervös von einem Bein auf das andere und hoffte, dass diese unangenehme Situation schnell endete. So hatte er sich diese Aussage bei den Beamten nicht gewünscht, selbst wenn er darüber ein wenig erleichtert schien.

„Es liegt uns zwar keine Vermisstenmeldung vor, aber ich denke, Sie führen uns doch nochmals zu dem Ort, wo Sie Ihre Beobachtungen gemacht haben.“

Es war jetzt schon spät, und wieder regnete es leicht. Es war deutlich kühler geworden. Der Beamte, der ihm beigesprungen war und einer seiner Kollegen saßen vorn, Malte saß rechts auf der Rücksitzbank.

Während der Fahrt im Polizeiauto redete niemand. Malte starrte nach vorn durch die Frontscheibe oder sah gelegentlich in den Rückspiegel, wo er mitbekam, dass ihn der Beamte am Lenker immer wieder mal prüfend anblickte. Aber dessen Miene verriet nichts, was irgendeine Emotion erraten ließ.

Malte fand dieses Schweigen belastend, rätselte, was diese beiden Beamten jetzt über ihn dachten. Möglicherweise fragten die sich, wen sie da im Fond sitzen hatten. Er war froh, als sie endlich die Stelle erreichten, wo dieser Autofahrer eine Person aus seinem Auto gezerrt hatte. Die Beamten und er schauten sich um. Da war niemand. Einer der Polizisten und Thomas liefen ein Stück in Richtung des nächsten Ortes. Fast schon nahe dem Ortsschild erkannten sie endlich eine Person, zunächst unklar, ob es ein Mann oder eine Frau war, die sie dort am Straßenrand hocken sahen.

„Da ist tatsächlich jemand“, stieß der Polizist aus, und gleich darauf sprach er mit der Person. Es war eine junge Frau, eher ein Mädchen, sicher kaum älter als sechzehn Jahre, und die verstand den Beamten nicht.

Ihre Kleidung schien Malte selbst für diesen Sommer, aber sicher für diesen jetzt recht kühlen und späten Abend dürftig. Mehr als ein dünnes Kleid, Leinensportschuhe und ein Kopftuch trug sie nicht.

Der Beamte mühte sich eine Weile vergeblich mit Fragen, die das Mädchen aber nicht zu verstehen schien, und erklärte endlich: „Möglicherweise stammt sie aus einer der Unterkünfte für Asylbewerber in Hamburg oder dort in der Nähe. Kann nur vermuten, wie die hier hergekommen ist oder was ihr passiert ist. Sollte mich nicht wundern, wenn sie als Anhalterin mitgenommen worden ist und der Fahrer sie dann nach einer Weile hatte loswerden wollen. Trotzdem unmöglich, dass der sie hier ausgesetzt hat.“

Nur kurz suchten die beiden Beamten die junge Frau zu befragen, was sie aber aufgaben, da die nur immer den Kopf schüttelte.

Auf der Rückfahrt zum Revier saß das Mädchen neben Malte. Es schien zu frieren, weil sein Kleid sicher vom Regen durchnässt sein musste. Er erinnerte sich an den heftigen Guss vom späten Nachmittag, dem es so hilflos, wie es erschien, ungeschützt ausgesetzt gewesen sein musste. Die mangelnden Orts- und Sprachkenntnisse der jungen Frau erklärten wohl, dass sie nicht zur nächsten Ortschaft gelaufen war. Da er selbst nur sommerlich gekleidet war, kein Jackett trug, fiel ihm nichts ein, was er ihr jetzt gegen das Frieren geben könnte. Bevor er die Beamten fragen konnte, ob sie eine Decke mitführten, da fing einer der beiden zu reden an.

„Es war also richtig, dass Sie sich entschlossen haben, sich bei der Polizei zu melden“, erklärte der Beamte und suchte im Rückspiegel seinen Blick.

„Und sage doch keiner etwas gegen Hörspiele, nicht wahr?“, ergänzte sein Kollege.

Die beiden Polizisten lachten laut auf. Nur Malte schloss sich dem Lachen nicht an.

Aber dann sah er, wie ihn das Mädchen spontan anlächelte und nach seiner Hand griff, um die etwas zu drücken. Was s in Worte nicht auszudrücken vermochte, aber durch seinen Blick und das Drücken seiner Hand zeigen wollte, konnte nur ein Dankeschön sein.

Insekten sterben, Menschen auch!

Подняться наверх