Читать книгу Die Tore der Atlanter 1. von 4 Folgen - Hermann Büsken - Страница 4
Kapitel 1 Kristian geht durch das Tor.
ОглавлениеIm Burghof angelangt, stellte er sich sogleich auf die Stelle, wo er gestern das Flimmern gesehen hatte. Ehe er es sich anders überlegen konnte, setzte er mit aller Kraft die Öffnungszeremonie in Gang. Das Flimmern zu seinen Füßen breitete sich aus, silbriges Licht erhellte die Stelle. Ein leichtes Frösteln stellte sich ein, es formte sich ein wabernder flimmernder pulsierender Ring. Um ihn tat sich eine Öffnung auf, die immer größer wurde. Auf der anderen Seite der Öffnung war es genau so dunkel wie vor der Öffnung. Abrupt wurde ihm klar, dass sich etwas verändert hatte, als er einen Schritt vortrat. Kristian blickte an sich herunter. Kein Flimmern, es war sehr dunkel, der Mond schien hinter einer Wolke verschwunden zu sein. Er sah das Tor nicht mehr und wollte schon zur Taschenlampe greifen, als er neben sich ein lautes Schnaufen vernahm. Erschrocken trat er einen Schritt zurück, stieß dabei gegen einen Holzeimer, der umkippte. Ein Pferd wieherte laut und schlug nach hinten aus gegen die Stallwand. Kristian war inzwischen klar, dass ihm der Übergang ins Mittelalter gelungen war. Das Geräusch eines zurückgleitenden Riegels erinnerte ihn, wo er war.
»He, ganz ruhig«, tönte es von vorne, mit einer hölzernen Lampe, in der eine Kerze brannte, schlurfte ein älterer Mann die Pferdeboxen entlang. Gerade noch rechtzeitig, ging Kristian sich bückend, hinter einen Heuhaufen in Deckung. Jetzt erst fiel ihm auf, dass der Dialekt des Mannes schon etwas merkwürdig klang. Die älteren Leute in seinem Dorf sprachen auch noch einen Dialekt, den er wohl verstand. Dieser hier klang wieder anders, aber doch irgendwie noch verständlich. Da die Pferde sich beruhigt hatten, schlurfte der, Kristian nahm mal an, dass es ein Wächter war, wieder heraus. Aufatmend erhob Kristian sich und ging auf die Tür zu. Ein Schiebebalken, der von beiden Seiten bewegt werden konnte, verschloss die Tür. Er schaute sich um. Um was sehen zu können, musste er seine Lampe einschalten. Wohlweislich hatte er eine Lampe aus Bundeswehrbeständen mitgenommen, weil man hier einen roten oder grünen Filter vor den Reflektor schieben konnte. Im grünen Licht zählte er acht Pferdeboxen. Eine Leiter führte nach oben auf den Dachboden. Er stieg hoch, und erkannte mehrere kleine Verschläge mit Türen. So leise wie möglich öffnete er eine Tür nach der anderen. Rechts und links der Kammern lagen Strohhaufen aufgeschichtet, teilweise mit einer Decke abgedeckt. An der Stirnwand, das musste die Burgmauer sein, war ein doppeltes Regal angebracht. Für einen Tisch war kein Platz mehr. Den letzten Verschlag wollte er sich schon ersparen, als er Atemzüge hörte. Vorsichtig machte er die Tür ganz auf und sah einen Jungen von vielleicht sechzehn Jahren. In ärmlicher Kleidung lag er auf seinem Strohlager. Leise schloss Kristian die Tür und stieg die Leiter wieder herunter. Da er ein sicheres Versteck brauchte, schaute er sich weiter um. Der linke hintere Teil war abgetrennt für Heu und Stroh. Da der Stall sonst kein Versteck zu bieten hatte, drückte er mit dem Rücken so lange das Stroh zur Seite, bis sich eine Höhle gebildet hatte. Durch die seitliche Bretterwand hatte er einen eingeschränkten Ausblick auf den Hof. Da Kristian wegen der Dunkelheit nichts Genaues sehen konnte, beschloss er, sich draußen umzusehen. Die Außentür war durch den hölzernen Holzriegel verschlossen. Leise schob er den Riegel zurück. Draußen herrschte absolute Stille, kein Feuerschein erhellte die Fensteröffnungen der Burg. Links von ihm musste das Burgtor sein, auf das er sich leise zubewegte. Die Stille wurde jäh durch laute Schnarchtöne unterbrochen. Ein Schatten draußen an der Wand verriet ihm die Stelle, an der ein Wächter hockte. Ein Schwert lag neben ihm. An dem Wächter vorbeiblickend, sah Kristian, dass das Fallgitter heruntergelassen war. Dass er durch das Fallgitter hindurchblicken konnte, sagte ihm, dass die Zugbrücke nicht hochgezogen war, was wiederum bedeutete, dass halbwegs friedliche Zeiten herrschen mussten. Es wäre ja zu einfach gewesen, wenn er einfach durch das Tor hätte gehen können. Erst beim Zurückgehen entdeckte er das zweiflügelige Burgtor, welches ebenfalls offen stand. Ein Flügel hatte auf der einen Seite noch einen kleinen mannshohen Durchgang, der mit einer Tür geschlossen werden konnte.
Eigentlich hätte er sich mit der ersten Erkundung zufriedengeben können und überlegte, ein zweiter Erkundungstag würde ihn auch nicht weiter bringen. Um die Burg verlassen zu können, brauchte er Hilfe von innen. Er konnte schließlich nicht einfach durch das geöffnete Tor spazieren, falls es geöffnet würde. Der schlafende Junge im Stall war seine einzige Möglichkeit, wenn er die Burg nicht über die Burgmauer verlassen wollte. Leise ging er wieder in den Stall und stieg die Leiter nach oben. Der Junge lag auf dem Rücken in tiefem Schlaf. Gleichzeitig drückte Kristian eine Hand auf seinem Mund, während die Andere seinen Brustkorb nach unten drückte. Erschreckt durch das wenig freundliche Aufwecken fuhr der Junge hoch. Kristians Lampe, die mit einem Clip an seine Brust geheftet war, verbreitete ein rötliches Licht. Erschreckte weit aufgerissene Augen blickten ihn an. Rotes Licht musste für ihn Feuer bedeuten, die Hand auf seinen Mund bedeutete sicher ein Überfall. Kristian musste seine ganze Kraft einsetzen, um den in Panik geratenen Jungen unten zu halten.
»Ruhig, ruhig«, sagte er mehrmals, nicht wissend, ob er ihn überhaupt verstand. Als der Junge merkte, dass langsam der Druck auf seine Brust nachließ, entspannte er sich merklich. Schließlich gab Kristian seine Brust frei und hielt einen Finger auf seinen Mund. Nickend gab der Junge zu verstehen, dass er ihn verstanden hatte. Langsam nahm Kristian seine Hand von seinem Mund.
Abwartend blickte der Junge ihn an. Um keine weitere Panik aufkommen zu lassen, wühlte Kristian in seine Taschen. Ein paar Kekse, noch verpackt, hielt er ihm hin. Sicherlich konnte er sich nicht im Entferntesten vorstellen, was Kristian ihm da hinhielt. Er entfernte also die Verpackung und biss in einen Keks. Der Bissen war noch nicht heruntergeschluckt, als ihm schon die Kekse aus der Hand gerissen wurden. Beide Hände zu Hilfe nehmend, verschwanden die Kekse nacheinander in den Mund des Jungen. Auf jeden Fall schien ihm Kristians Versöhnungsgeschenk zu schmecken.
»Ich heiße Kristian«, sagte er, und zeigte auf seine Brust. Mit seinem Finger auf sich deutend sagte der Junge nur: »Johannes.«
Froh über die schnelle Verständigung zog Kristian nochmals Kekse aus seiner Tasche und hielt sie ihm hin. Im Nu hatte er die Verpackung aufgerissen und den Inhalt in seinen Mund geschoben. Kristian hatte jetzt Gelegenheit, sich den Jungen näher anzuschauen. Er schien eher fünfzehn wie sechzehn Jahre alt zu sein und hungrig dazu. Geschichtlich hatte er sich nicht auf seinen Ausflug vorbereitet, deshalb wusste er eigentlich nichts über das Mittelalter.
»Wo kommst du her«? fragte ihn jetzt der Junge in einem eigentümlichen Dialekt. Kristian konnte ihn gut verstehen. Erfreut darüber, dass es keine großen Verständigungsprobleme geben würde, fiel ihm ein Stein vom Herzen und er wich seiner Frage aus.
»Kannst du mir helfen aus dem Burghof heraus zu kommen«? fragte er ihn stattdessen.
»Das geht jetzt nicht, das Fallgitter ist unten, vor morgen Früh kann keiner die Burg verlassen.« Kristian blickte ihn von oben bis unten an, und ihm wurde bewusst, dass er selber sofort auffallen würde. Johannes hatte ein mit Ärmel versehenes Oberteil an, welches vorne geschlossen war, mit einem Schlitz, der nur so groß war, dass das Oberteil über den Kopf gezogen werden konnte. Die Hose war eine Art Kniehose. Mehrfach geflickt, schien sie ihn durch die Hälfte seines Lebens begleitet zu haben. Zwei strumpfartige Teile hatte er bis über die Knie hochgezogen. Vor seinem Bett standen seine Schuhe. Sie waren aus einem Stück Leder geschnitten. Durch Löcher am Rand des Leders konnte das Leder mit Riemen um den Fuß geschnürt werden.
»Kannst du mir Sachen zum Anziehen besorgen, damit ich nicht auffalle? Du bekommst sie bestimmt wieder.« Die Stirn in Falten gelegt, schien der Junge zu überlegen. Johannes stand schließlich auf und ging zu einer Kiste, die neben seinem Bett stand. Er hob den Deckel und holte mehrere Teile heraus, die etwas besser aussahen als die, die er gerade anhatte.
»Pass auf die Sachen auf«, sagte er, »das sind meine Besten, ich will sie wiederhaben.«
»Johannes«, sagte Kristian, während er sich umzog, »vorerst darfst du keinem etwas von mir erzählen, ich bringe dir auch etwas zu essen mit.«
»Ist gut«, antwortete er. »Morgen früh werde ich dich aus der Burg bringen. Aber ich verstehe nicht, wie bist du überhaupt in die Burg gekommen, das wäre doch aufgefallen?«
»Das erzähle ich dir später, ich möchte mich draußen nur etwas umsehen, abends musst du mich wieder hierher zurückbringen. Sollte etwas dazwischen kommen oder ich bin nicht am Treffpunkt, dann musst du es am nächsten Tag noch mal versuchen.«
»Schon gut«, sagte er, »heute früh verstecke ich dich in meinem Karren, mit dem ich den Pferdemist nach unten bringe. Abends hole ich frisches Heu damit nach oben.
»Unter Mist begraben zu sein gefiel Kristian überhaupt nicht, eine andere Möglichkeit schien es aber wohl nicht zu geben. Da er zu nervös war, um noch etwas bis zum Morgengrauen zu schlafen, fragte er Johannes: »Wieso schläfst du hier alleine, es gibt doch noch mehr Kammern?«
»Die Ställe sind nicht alle belegt. Unten in der Vorburg gibt es noch einen größeren Stall. Hier stehen nur die Gebrauchspferde der Grafen. Im Winter, wenn hier mehr Pferde stehen, sind auch mehr Kammern belegt.«
»Wo wohnen deine Eltern«? fragte Kristian weiter.
»Meine Mutter ist letztes Jahr im Kindbett gestorben.«
»Und dein Vater?«
»Meine Mutter sagte mir, dass der Graf mein Vater ist. Sie hat als Magd auf der Burg gearbeitet, nach ihrem Tod hat der Burgvogt mich auf die Burg geholt.«
Mittlerweile wurde es draußen heller, als lautes Getöse einsetzte. Johannes sah sein erschrockenes Gesicht und lachte laut.
»Das Fallgitter wird gerade hochgezogen«, erklärte er. Dieses Geräusch schien eine ähnliche Funktion zu haben wie ein Wecker bei sich. Nach einiger Zeit war es mit der Stille im Burghof vorbei. Die Kette des Brunnens klirrte, als der Wassereimer runter gelassen wurde. Das Knarren der Kettentrommel hielt lange an, was darauf deutete, dass der Brunnen sehr tief sein musste. Nach etwa einer halben Stunde stand Johannes auf, stieg die Leiter herunter, schob den Riegel zur Seite und ging über den Hof. Nach einer Weile kam er mit einer Schüssel Brei und einem Stück Brot wieder. Sich auf die Futterkiste setzend, schlang er sein Essen hinunter. Seinem Gesicht nach zu urteilen, schien er davon nicht satt geworden zu sein. Mit dem letzten Stück Brot putzte er seine Schüssel sauber.
Als sich die Morgendämmerung verzogen hatte, schirrte Johannes das Arbeitspferd an und spannte es vor einen Karren. Zuerst der Mist, dann eine Lage sauberes Stroh, auf das Kristian sich legte. Dann wieder eine Lage sauberes Stroh über ihn, auf das dann zur Tarnung wieder etwas Mist verteilt wurde. Luft bekam er genug, durch einen Schlitz der Bretter hatte er freie Sicht nach vorne. Es rumpelte, als der Karren an der Wache vorbei über die Zugbrücke fuhr.
Es ging abwärts. Auf der rechten Seite sah er durch einen Schlitz auf halber Strecke große Stallungen. Auf einer Koppel davor standen etliche Pferde. Auch hier hatte es die Stalljungen aus ihren Betten getrieben. Johannes winkte ihnen zu. Links von Kristian gab es zwei Teiche, auf einem schwammen Enten und Gänse, wehrend der andere Teich durch einen Reisigzaun eingegrenzt war. Viele Gartenfelder, mit Natursteinen eingegrenzt, reihten sich aneinander. Jetzt erst wurde Kristian bewusst, dass alles von einer hohen Mauer mit einem hölzernen Wehrgang und einigen eingelassenen Wehrtürmen umgeben war. Das also war die Vorburg. Johannes hielt geradewegs auf den einzigen Durchlass in der Mauer zu. In das einflügelige aber große Tor, welches schon offen stand, war eine mannshohe Tür eingelassen. Dahinter das hochgezogene Fallgitter und die schon heruntergelassene Zugbrücke. Zwei Wachen grüßten, als der Wagen das Tor passierte.
Johannes setzte ihn hinter der ersten Abbiegung, vor den Blicken der Wachen geschützt, ab.
»Denke dran«, sagte Kristian, »heute Abend musst du mich hier wieder abholen, sollte ich nicht da sein, versuche es am nächsten oder übernächsten Abend.«
»Schon gut, ich vergesse dich schon nicht.« Kristian schulterte seinen Rucksack und ging den Weg zum Tal hinunter. Der Weg kam ihm vertraut vor, obwohl doch alles anders war. Zu seiner Zeit hätte er von hier aus ins nächste Tal sehen können. Wiesen und Kühe beherrschten dort jetzt das Bild. Hier war jetzt alles bewaldet und versperrte ihm die Sicht. Eins war sicher, dieser Weg führte auf jeden Fall ins Tal. Tiefe Furchen zeugten davon, dass hier schwere Wagen zur Versorgung der Burg entlang gefahren waren. Nach einer halben Stunde Marsch hatte er die Orientierung verloren. In der Annahme den Weg zu kennen, hatte er eine Abkürzung nehmen wollen und wusste jetzt nicht mehr, wo er sich befand. Beim Überspringen eines Baches rutschte er aus und versuchte mit den Armen rudernd, das Gleichgewicht wieder zu erlangen. Vergeblich, er sah den Waldboden auf sich zukommen. Dass sein Kopf auf einen vorstehenden Stein aufschlug, bekam er nicht mehr mit.
Würziger Duft des Waldbodens war das Erste, was er wahrnahm, als er wieder zu sich kam. Verwundert öffnete er die Augen. Was war passiert? Wieso lag er hier? Eine Eidechse huschte an seinem Gesicht vorbei, blickte ihn mit großen Augen an, und verschwand aus seinem Gesichtsfeld.
Lang ausgestreckt lag Kristian da. Sein Kopf war auf einem Polster aus Moos gebettet. Langsam kehrte die Erinnerung zurück. Er hatte sich noch nicht bewegt, als sich seitlich von ihm etwas regte. Erschrocken wollte er aufspringen. Der Schmerz in seinem linken Fuß zwang ihn wieder nieder.
Eine Frau, vielleicht vierzig Jahre alt oder weniger, saß gegen einen Baum gelehnt und blickte zu ihm herüber. Ihr langes rötliches Haar reichte ihr bis zu den Schultern. Eine Weile blickten sie sich an, bis sie lächelnd aufstand und zu ihm herüber kam. Sie kniete sich zu seinen Füßen nieder und öffnete seinen Schuh. Ihre Nähe und die zarten Berührungen ließen ihn fast den Schmerz vergessen. Sie war schön. Ihr Kleid war einfach, mit aufgenähten Borden verziert, zeugte es von besseren Tagen. Sie blickten sich an.
»Du bist nicht von hier«, sagte sie nur und musterte ihn weiter. Wie sie nur darauf kam, er hatte doch Johannes Sachen an. Ihre Hände tasteten seinen Fuß ab und bewegten ihn. Entspannt legte Kristian sich zurück und überlegte, ob das alles ein Traum war. Mit den Worten, »du kannst aufstehen«, riss sie ihn aus seinen Überlegungen.
»Du hast Glück gehabt, es ist nichts gebrochen.« „Schade, die Massage hätte ruhig noch etwas länger dauern können.“
Er versuchte, aufzustehen. Der erwartete Schmerz war zu ertragen.
»In deinen Händen steckt eine große Kraft«, sagte er. Als Antwort lächelte sie ihn nur an. Dann sagte sie: »Komm, du darfst mich begleiten, ich wohne nicht weit.«
„Warum nicht, dachte er, so lerne ich die Menschen hier schneller kennen.“ Es war wirklich nicht weit. Der Wald tat sich auf. Sie traten in eine große Lichtung. Ein Bach plätscherte über eine mit Steinen ausgelegte Vertiefung talabwärts. Steine, die sich dem Wasser entgegenstemmten, erzeugten gurgelnde Geräusche und Wirbel, in denen sich kreisende Blätter fingen.
Ein kleiner Steg zeugte davon, dass hier Wasser geschöpft wurde. Am Rande der Lichtung gab es mit Reisig eingezäunte Beete. Erst von der Mitte der Lichtung aus, sah er rechts ein kleines mit Schilf gedecktes Häuschen. In lehmverputzte Reisigwände waren zwei offene Fensteröffnungen eingelassen. Das Meckern einer Ziege lenkte seinen Blick auf einen Pferch, der am Haus angebaut war. Die Haustür war aus groben Brettern zusammengefügt und wurde durch breite Lederscharniere gehalten. Ein Holzschieber verschloss die Tür. Sie öffnete die Tür und ließ ihn eintreten. Das Innere bestand nur aus einem Raum, wenn man von einer mit einem Vorhang abgetrennten Ecke absah. Der Fußboden bestand aus festgestampftem Lehm. Links führte ein Durchbruch, der durch ein Weidengitter geschlossen war durch die Seitenwand nach draußen, der Boden dahinter war mit sauberem Laub bedeckt. Die Antwort auf seine noch nicht gestellte Frage bekam er, als eine Ziege meckernd vor dem Gitter stand und in den Raum schaute.
»Schon gut«, sagte die Frau, »ich habe einen Gast mitgebracht.« Als hätte sie es verstanden, trottete die Ziege wieder nach draußen. Sein Blick wanderte im Zimmer umher. An der Rückseite stand ein Bett aus faustdicken entrindeten Stämmen, zusammengehalten durch stramm gebundene Lederriemen. Die Liegefläche war dick mit Farnblätter gepolstert. Diese waren trotz einer Leinendecke, die darüber lag, zu sehen.
Die zwei schmalen Fensteröffnungen ließen genug Licht herein und im Winter sicher auch die Kälte. Unter jedem Fenster stand eine Holztruhe. In der Mitte des Raumes gab es eine offene Feuerstelle. Sein Blick nach oben lässt ihn erahnen, dass das Loch im Dach der Abzug sein musste. Ein Tisch und zwei Stühle machten das Zimmer komplett. Abwesend durch die neuen Eindrücke, merkte er nicht, wie ihn die Frau beobachtete.
»Du scheinst wirklich aus einer anderen Welt zu kommen«, sagte sie, »du schaust dir alles so genau an, als wenn du so etwas noch nicht gesehen hast?«
»Du hast recht«, antwortete er, »ich komme aus einer anderen Welt.«
»Ich heiße Hanna«, sagte sie, »man nennt mich die Heilerin.« »Mein Name ist Kristian.«
»Kristian lege dich auf das Bett und schone deinen Fuß.«
Mit einem Holzeimer ging sie nach draußen. Als sie wiederkam, hatte er es sich schon bequem gemacht. Sie füllte zwei Holzbecher mit Ziegenmilch aus dem Eimer.
»Ich habe nur noch ein Stück Brot, das ich gerne mit dir teile«, sagte sie und hielt ein Stück dunkles Brot in die Höhe. Rechtzeitig fiel Kristian ein, dass er noch zwei Brötchen in seinem Rucksack hatte und langte nach ihnen. Hanna schaute ihm zu, wie er die Brötchen auspackte. Sie waren großzügig mit Schinken belegt, der jetzt an den Seiten herunterhing.
»Dir muss es sehr gut gehen«, sagte sie, »wenn du dir so etwas kaufen kannst, solch helles Brot gibt es nur auf der Burg.«
»Ist das alles, was du im Haus hast, nur ein Stück Brot«? fragte er.
»Ich muss nicht hungern, wenn du das meinst, in meinem Erdkeller hinter dem Haus habe ich einige Vorräte gelagert.«
»Und was ist das?«
»Honig von wilden Bienen, eingepökelter Fisch und Fleisch. Mitunter bekomme ich von den Bauern für meine Geburtshilfe und Versorgung ihrer Wunden, auf einmal so viel zu essen, dass ich dagegen nicht ankomme. Den Honig tausche ich ein.«
»Warum ist der Honig so wertvoll«? fragte er.
»Man merkt, dass du keine Ahnung hast, mit Honig wird alles gesüßt.«
»Warum nehmt ihr keinen Zucker der süßt doch viel besser?« Er hatte es gerade ausgesprochen, da wurde ihm bewusst, wie blöd seine Frage war.
»Zucker, was ist das, wir haben nur Honig zum Süßen.«
»Wenn ich das nächste Mal komme, bringe ich dir Zucker mit, aber komm jetzt und iss dein Brot.«
Sie klappte das Brötchen auf und zog den Duft des Schinkens tief in sich hinein. Dann klappte sie es wieder zu, ein Blick zu ihm, dann ein herzhafter Biss. Obwohl das Brötchen nicht mehr knusperig war, schien es ihr sehr zu schmecken.
»So etwas Gutes habe ich schon lange nicht mehr gegessen«, meinte sie und leckte sich die Finger sauber.
»Du darfst mich ruhig öfter besuchen, wenn du mir solche Köstlichkeiten mitbringst.« Sie gab ihm einen Schubs, sodass er nach hinten auf ihr Bett fiel. Unter dem groben Leinen war das Bett weich gepolstert. Ein würziger Duft von Heu und Wiesenkräutern stieg ihm in die Nase. Ganz entspannt lag er da, als Hanna begann, seinen Fuß zu massieren. Sie fing bei den Zehen an und arbeitete sich stetig höher. Er genoss es und vergaß alles um sich herum. Nichts schien es ihm wert, aus diesem Zustand des Wohlbefindens geweckt zu werden.
Er richtete sich auf. »Hast du zwei saubere Schüsseln«? fragte er mit Blick auf die Ziegenmilch.
»Nein«, antwortete sie, »ich mache sie schnell sauber«, und lief nach draußen. Bald war sie wieder da und stellte die Schüsseln auf den Tisch. Er zog seine Flasche Cola aus dem Rucksack und füllte die Schüsseln damit. Hanna griff danach und erschrak, als ihr die Kohlensäure entgegen sprang.
»Hui, was ist denn das für ein Teufelszeug«, trank dann aber vorsichtig weiter, als sie sah, dass Kristian seine Schüssel fast geleert hatte.
»Hui«, sagte sie abermals, »das ist aber gut.« Dann hielt sie inne, blickte die fast leere Colaflasche an, und dann ihn. »Wer bist du?« Sie nahm die Flasche vorsichtig in die Hand und merkte, wie sie sich leicht verformte.
»So etwas gibt es nicht bei uns.
Jetzt sagst du mir zuerst, wer du bist, und woher du kommst.« Um sie nicht zu erschrecken, fing er vorsichtig an.
»Kannst du dir vorstellen, dass es vor einhundert oder mehr Jahren hier auch schon Leben gab?« Sie nickte und er fuhr fort. »Jetzt denke mal nicht zurück, sondern weiter, wie es hier in einhundert oder mehr Jahren aussehen könnte.« Wieder nickte sie.
»Wenn jetzt siebenhundertfünfzig weitere Jahre verstreichen würden, dann wärst du in der Zeit, wo ich gerade herkomme.« Ungläubig, die Zusammenhänge nicht begreifend, schaute Hanna ihn an.
»Heißt das, dass du ein Zauberer und mindestens siebenhundertfünfzig Jahre alt bist?«
»Nein, das heißt nur, dass es ein Tor gibt von meiner Welt zu deiner. Jeder der einen Schlüssel hat, kann durch das Tor gehen. Ich habe den Schlüssel für das Tor auch nur zufällig gefunden und jetzt bin ich hier. Das Problem ist, das Tor befindet sich auf der Burg und ich muss wieder dorthin zurück, wenn ich in meine Welt will. Johannes, der Pferdeknecht hat mir rausgeholfen und bringt mich heute Abend wieder in die Burg.«
»Du willst also wieder gehen«? stellte Hanna fest. Tröstend nahm er sie in den Arm.
»Ich wusste doch nicht, was mich hier erwartet.«
»Du hast eine Frau in deiner Welt«? fragte Hanna.
»Eine Frau nicht, aber jemand, der es werden könnte.« Vor seinen Augen tauchte das Bild von Jessika mit ihrem lustig wippenden Pferdeschwanz auf.
»Du liebst sie«, stellte Hanna fest, als sie seinen Gesichtsausdruck sah.
»Ja, ich liebe sie.«
»Kommst du wieder«? fragte Hanna.
»Sicher komme ich wieder, ich habe dir doch versprochen, Zucker mitzubringen.« Da verlor sich ihr trauriger Blick. Sie hatten sich viel zu erzählen. Hanna erzählte von sich, den Menschen, denen sie helfen konnte, und den Bewohnern der Burg. Die Zeit verging wie im Flug.
»Ich muss jetzt gehen, Johannes wartet auf mich, und falls es Schwierigkeiten gibt, möchte ich, dass du sagst, dass ich ein Verwandter von dir bin.« Hanna blickte ihn ernst an, dann lachte sie und versuchte ihn mit dem Rücken auf das Bett zu werfen.
»Und was ist, wenn ich dich gar nicht mehr gehen lasse?« Sie balgten noch eine Weile herum, ehe er aufstand und zur Tür ging.
»Bevor du dich wieder verläufst, erkläre ich dir lieber den Weg«, sagte Hanna. »Die letzten Tage hat es viel geregnet. Der Weg führt an einen Steilhang vorbei, der bei nassem Wetter leicht ins Tal abrutscht, pass also auf.«
Kristian schaute sich erst wieder um, als er den Rand der Lichtung erreicht hatte. Hanna stand noch vor der Tür und hob die Hand, als er sich umdrehte. Ein wenig traurig machte er sich auf den Rückweg. Nach ungefähr einer halben Stunde hatte er den Steilhang erreicht. Beängstigend steil ging es hier bergab.
Er ging zum Rand des Hangs. Entwurzelte Bäume zeugten von einem kürzlich erfolgten Erdrutsch. Vorsichtig ging er zum Weg zurück, als es anfing zu poltern. Dort wo er eben noch gestanden hatte, brach der Hang einen halben Meter ab und rutschte ins Tal. Ein lauter Schrei übertönte für eine kurze Zeit das ins Tal rutschende Geröll. Darauf hoffend, dass ein weiterer Schrei ihm den Standort des Schreienden verraten würde, horchte er, aber es blieb still. Ein paar Meter weiter schien der Hang noch gefestigt zu sein. Vorsichtig blickte er zu der vermeintlichen Stelle, von der aus der Schrei gekommen sein konnte. Der Erdrutsch war zur Ruhe gekommen, unter dem Hang sah es wüst aus. Bäume lagen kreuz und quer übereinander. Von einem Menschen keine Spur, was aber nicht besagte, dass dort keiner auf Hilfe angewiesen war. Vorsichtig kletterte er den Hang von der gefestigten Seite aus, herunter und sprang von Baumstamm zu Baumstamm. Wohl war ihm nicht, da jederzeit ein neuer Erdrutsch von oben herunterkommen konnte. Zum Glück war die Schneise der Verwüstung nicht sehr breit. Kristian arbeitete sich nach unten. Am Ende angekommen, schaute er nach oben