Читать книгу Die Tore der Atlanter Buch 3 von 4 - Hermann Büsken - Страница 4

Centurio Gaius Octavius

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»Nein, darf ich euch den Centurio Gaius Octavius vorstellen.« Der Tribun schaute einen Mann an. Dieser war Kristian schon aufgefallen. Er war von kräftiger Gestalt mit ausgeprägten Muskeln. Ihm möchte man als Gegner nicht gegenüberstehen. Sie reichten sich die Hand.

Octavius ließ sie nicht los und zog Kristian zum Ende des Raumes. »Ich habe schon viel über euch gehört.«

»Und was zum Beispiel?«

»Ihr sollt ein guter Kämpfer sein.«

»Ihr meint sicher die Geschichte mit Bibulus, er ist ein falscher Hund, der seine Macht an Schwächere austobt. Ich kann mit einem Schwert nicht umgehen.«

»Trotzdem habt ihr Bibulus besiegt.«

»Ja, mit einem Stock, er hat mir dieses noch nicht verziehen. Sein Schwert habe ich als Trophäe behalten.

Wie soll ich dich nennen?«

»Sag Octavius zu mir.«

»Octavius, was machst du hier?«

»Ich habe einen Konsul in Colonia abgeliefert, wir sind jetzt auf dem Rückweg.

»Da seid ihr aber noch eine Weile unterwegs.«

»Du sagst es. Wir könnten unser Ziel schneller erreichen, unsere Begleitfahrzeuge lassen das aber nicht zu. Diese waren Kristian schon aufgefallen, denn sie nahmen einen Großteil des Platzes vor dem Kastell in Anspruch. Nicht nur die Verpflegung für die Menschen, auch die Pferde brauchten ihr Futter. Dazu kamen die Zelte. Auch Händler nutzten den Schutz der Soldaten.

»Hast du Familie«? fragte Kristian.

»Ja, unser Gut liegt in Florenz. Unser Rückweg führt daran vorbei, wir machen dort Rast.«

»Ich würde dich gerne begleiten, aber so viel Zeit habe ich nicht.« Er gab Lena ein Zeichen.

»Lena würdest du ein Foto von Octavius und mir mit der Sofortbildkamera machen?« Lena nickte. Das Blitzlicht ließ alle erschreckt in ihre Richtung blicken. Staunend blickte Octavius auf das Foto, das aus der Kamera kam und zu einem Bild wurde. »Der Tribun hat mir von euren magischen Kräften erzählt, ich wollte es nicht glauben.« Dann nahm er das Foto von Lena entgegen. »Sehe ich so aus«? fragte er zweifelnd.

»Ja, ich kann keinen Unterschied erkennen. Oder sehe ich auf dem Bild anders aus«? fragte Kristian.

»Das ist ein mächtiger Zauber.« Jetzt kamen die anderen und wollten das Bild sehen. »Lena mache ein Foto von ihnen.« So abgelenkt, standen sie bald wieder alleine da.

»Octavius, was hältst du davon, wenn ich dich ein Stück begleite?«

»Das würde mich freuen.«

»Ich könnte, wenn du mir einen Führer mitgibst, vorausreiten und deiner Frau dieses Bild von uns bringen.«

»Das würde sie sicher erfreuen, aber meinst du, dass es etwas bringt, wenn du ein paar Tage vor mir dort bist?«

»Lass dich überraschen, gib mir einen Mann mit, der den Weg genau kennt und vor magischen Kräften, wie du es nennst, keine Angst hat.«

»Was hast du vor?« »Ich werde mir in Ruhe dein Land anschauen.« Jessika kam zu ihnen, um zu sagen, dass sie zu den Händlern vor dem Kastell wollten.

»Was ist mit dir Octavius, gehst du mit?«

»Ja, dann zeige ich dir den Mann, der dich begleiten wird.« Einer Prozession gleich, folgten die Männer den Frauen nach draußen. Der rote Rufus hatte die Führung übernommen. Die Prozession wurde immer länger. Alle wollten einen Blick auf die Frauen in ihren engen Reithosen werfen.

Unterwegs gab Octavius einem Mann ein Zeichen. Der bahnte sich einen Weg zu ihnen durch. »Decimus, ich habe einen Auftrag für dich.«

Decimus war auch keine halbe Portion und kein einfacher Soldat. »Decimus, mein Freund Kristian möchte morgen vor uns herreiten. Bringe ihn sicher zu meiner Frau. Du wartest dort auf uns.« Abschätzend musterte Decimus Kristian.

»Er hat nicht mal ein Schwert.«

»Ja, ich weiß, er wird einen Stock mitnehmen.«

»Einen Stock?«

»Ja, Kristian ist ein Stockkämpfer, lass dir die Geschichte von Bibulus erzählen. Du kannst dich auf ihn verlassen. So, jetzt lass uns zu den Händlern gehen.« Diese witterten ein großes Geschäft, nicht wissend, warum hier so ein großer Andrang herrschte. Lena war auf eine Karre geklettert, was von dem Händler mit Argwohn beobachtet wurde. Sie winkte ihnen zu und machte weiter ihre Aufnahmen mit einer anderen Kamera.

»Legst du dich mit allen Frauen auf dein Lager«? fragte Octavius.

»Nein, nur mit einer.« »Du bist ein Mann, möchtest du nicht mit allen dein Lager teilen?«

»Du hast recht, das Verlangen ist schon da, ich will aber nicht unsere Freundschaft auf Spiel setzen.«

»Ein weiser Spruch, auch ich vermeide es, mich zu anderen Frauen zu legen. Aber manchmal lässt es sich nicht vermeiden, du weißt schon, das Fleisch ist schwach.«

Es war nicht leicht, zu den Händlern durchzukommen. Lediglich Octavius Autorität verschaffte ihnen Platz. Am Stand des dritten Händlers fanden sie die Frauen. Jeanette versuchte, den Händler abzuwehren, der ihr eine Kette aufschwatzen wollte. Kristian sah schöne Weinkelche und verzierte Teller. Bei ihm waren diese unbezahlbar. Er wollte sie alle.

»Hast du deiner Frau schon ein Geschenk gekauft«? fragte er Octavius. »Ja, einen Ballen Stoff.«

»Und sonst?«

»Was und sonst?«

»Ein Schmuckstück zum Beispiel.«

»Du hast recht, vielleicht finde ich hier etwas Passendes.« Kristian sah Keramik und viele Teile aus Glas, Schreibmaterialien, Wachstafeln, Papyrus, Schmuck aus Bronze und Silber und römische Spiele. Gallus hatte es geschafft, sich zu ihm durchzuarbeiten.

»Gallus, ich habe eine Aufgabe für dich.« Er erzählte ihm, worauf es ihm ankam.

»Versuche die Ware für mich günstig einzukaufen, und lass sie gleich einpacken.« Er griff in seinen Geldbeutel und kam mit einer Hand voll Denare wieder heraus. »Öffne deinen Geldbeutel.« Ohne nachzuzählen, ließ Kristian das Geld in Gallus Beutel gleiten. »Wenn du nicht auskommst, melde dich bei mir.« Octavius hatte sie beobachtet.

»Du vertraust einem einfachen Legionär?«

»Wir kennen uns schon länger und ich habe festgestellt, dass man ihm vertrauen kann.«

Jessika hielt drei Bernsteine in der Hand. Der Händler nannte einen Preis. Jessika schüttelte den Kopf. Der Händler wollte vier Denare haben, Jessika aber nur zwei geben. Es war eine Freude, sie beim Feilschen zu beobachten. Schließlich einigten sie sich auf drei Denare und einen Sesterzen. Lena war noch nicht dem Kaufrausch verfallen. Jeanette zeigte Interesse an den Schmuck. Octavius kaufte eine Silberkette mit passenden Ohrringen. Kristian hörte, wie Gallus dem Händler fünfzig Denare für alle Glaswaren anbot. Der Händler lief vor Wut rot an. »Du unverschämter kleiner Legionär, du hast noch nicht einmal fünfzig Denare auf einen Haufen gesehen und erdreistest dich, mir so ein Angebot zu machen.«

»Was meinst du, was ich hier in meinen Beutel habe, wie Steine hört sich das nicht an«, sagte Gallus. Die Umherstehenden fanden Gefallen an dem Schauspiel.

»Sage mir deinen Preis«, forderte Gallus den Händler auf.

»Du meinst es wirklich ernst. Für einhundertfünfzig kannst du alles haben.«

»Ich sehe schon«, sagte Gallus, ich muss zu deinem Nachbar gehen, der lässt sicher mit sich handeln.« Er drehte sich um und wollte den Stand verlassen.

»Halt, wir werden uns schon noch einig.«

»Nenn einen vernünftigen Preis, wenn er mir nicht gefällt, gehe ich.« Nach einer Weile kamen zögernd einhundertfünfundzwanzig Denare über die Lippen des Händlers. Ohne ein Wort drehte sich Gallus um, als wollte er gehen. »Einhundertzehn«, schrie der Händler. Gallus schaute zu Kristian rüber, dieser nickte. »Abgemacht, und pack die Sachen ordentlich ein.«

In Kristian reifte ein Plan. Die Handelsware war hier so billig, bei ihm so teuer, warum nicht damit handeln? Nur schade, dass ihm nicht viel Zeit blieb, die Ware in aller Ruhe auszusuchen. Morgen würden sie weiterreisen. In Gedanken überlegte er schon, wo der Verkaufsraum sein sollte. Zu weit sollte er nicht entfernt sein, da er den Verkauf selber überwachen wollte. Als Käufer kamen Museen und Sammler infrage. Diese mussten sich bis jetzt mit Bodenfunde zufriedengeben. Entsprechend sahen sie aus.

»Hallo Kristian, kann es sein, dass du träumst?«

Erschrocken zuckte er zusammen.

Jessika lachte ihn an. »Über das Träumen bin ich schon hinaus, ich mache einen Laden auf.«

»Wo?«

»Bei uns, die Museen werden sich darum reißen.«

»Wenn du meinst.«

»Ich habe noch nicht mit dir darüber gesprochen, ich werde Octavius ein Stück begleiten.«

»Ich komme mit.«

»Das habe ich mir gedacht. Es geht aber nicht, weil es zu gefährlich ist. Ich reite mit bis zu Octavius Frau. Dort hole ich euch nach.« Man sah, dass ihr das nicht gefiel. Schließlich sah sie ein, dass er recht hatte.

»Was haltet ihr davon, wenn wir zurückgehen?«

»Wieso, wir sind doch gerade erst hier«, sagte sie. »Hast Recht, ich gehe und komme mit Tauschware wieder.« Gallus stand am Tor, vor sich die eingekauften Sachen. »Gallus, wie viel Denare sind übrig?«

»Zehn.«

»Ist gut, die darfst du behalten.«

Kristian brauchte einen Raum, von wo aus er die Sachen zu sich bringen konnte. Da kam eigentlich nur der Doktor infrage. Es hatten keine Kämpfe mehr stattgefunden, das Lazarett würde leer sein.

»Bringe die Sachen in die Krankenstation.« Er folgte ihm und half die Sachen zu tragen. Der Doktor war nicht da, was alles leichter machte.

»Gallus, ich danke dir, du darfst gehen.« Sobald er alleine war, brachte er seine Ware und sich nach Großvater. Schnell erklärte er ihm, was er vorhatte, und fuhr in die Stadt. Aus einem Verkauf von Schweinen und Rindern an die Römer im Kastell, hätte er genug Denare gehabt, um seine Ware von den Händlern kaufen zu können. Da die Denare hier bei ihm aber auch eine Handelsware darstellten, wollte er sie lieber behalten und mit Tauschware bezahlen.

Im Kaufhaus nahm er sich einen Einkaufswagen und füllte ihn mit Schreibblöcken, Bleistifte, Anspitzer, Radiergummi, Buntstifte, Küchenmesser, Kämme, Spiegel und alles, was ihm handelsfähig erschien z.B. Kugelschreiber und Feuerzeuge. Alles kistenweise. Zum Glück hatte er seine Geldkarte dabei. Erst einen, dann schob er den zweiten Wagen zu seinem Auto.

Für Octavius Frau hatte er sich mehr Mühe gegeben. Ein verzierter Spiegel, ein Nähkoffer, Stoff und Kleinkram. Er würde auf die Reise mit Decimus erst nur den Spiegel mitnehmen und den Rest holen, wenn er Jessika nachholen würde.

Auf dem Dachboden fand er einen großen Umzugskarton, in den er alles reinpackte und rüber brachte. In der Krankenstation war alles ruhig. Auf dem Weg zu den Händlern traf er Rufus den Roten.

»Rufus, ich brauche deine Hilfe. Ich möchte den Händlern ihre ganze Ware abkaufen.«

»Was hast du vor?«

»Ich werde auch Händler.« Die Zuschauer hatten sich verzogen. »Wo sind die Frauen?«

»Beim Tribun.« Auch gut, so hatten sie freie Bahn. Die Händler blickten misstrauisch, als er ihnen sagte, dass er alle ihre Ware kaufen wollte. Rufus übernahm das Handeln. Als der Verkaufspreis ausgehandelt war, bat Kristian die drei Händler, ihm zu folgen. In der Krankenstation packte er seine Ware aus und machte daraus drei Haufen. Die Augen der Händler leuchteten gierig auf. Da die Händler unterschiedliche Forderungen an ihn hatten, waren auch die Haufen unterschiedlich hoch, was dem, der den kleinsten Haufen hatte, gar nicht passte. Rufus musste schließlich ein Machtwort sprechen. Kristians Kiste war noch nicht leer. »Rufus nimmst du dir, was du möchtest.«

»Einen Feuerzauber hast du nicht mehr?« fragte er. Die Händler hatten je eine Kiste Feuerzeuge bekommen.

»Das haben wir gleich.« Aus jeder Kiste nahm Kristian ein Feuerzeug und gab sie ihm, was wieder zu Protesten führte. »Seid ruhig, schließlich brauche ich eine Vermittlungsgebühr«, erklärte Rufus.

»Rufus kannst du jemand schicken, der aufpasst, dass die Händler nichts von meiner Ware verschwinden lassen?«

»Warte einen Augenblick.« Er kam dann mit drei Legionären zurück, welche den Händlern halfen, ihre Ware zu tragen und Kristians gekaufte Waren herbringen sollten. Sie setzten sich auf ein Krankenlager. »Rufus, vom letzten Überfall der Germanen sind doch eine Menge Waffen übrig geblieben. Was ist damit geschehen?«

»Sie wurden zunächst in unsere Waffenkammer gebracht, damit sie nicht noch mal gegen uns gerichtet werden können.«

»Was habt ihr damit vor?«

»Nichts, wir haben keine Verwendung dafür.« Die Legionäre kamen zurück und brachten die Ware der Händler. Ein beachtlicher Haufen türmte sich auf. Den Männern gab er je einen Denar Lohn. Die Ware der Händler verschwand in den Umzugskarton.

»Rufus gehst du schon mal vor, ich komme gleich nach. Als er fort war, brachte Kristian die erste Ladung nach Großvater. Insgesamt waren es vier.

Dann ging er zu den Frauen. Wie erwartet, waren sie umlagert, und er nahm an, dass es ihnen gefiel. Der Tribun winkte ihn zu sich. »Ich habe gehört, dass du dich als Händler niederlassen willst?«

»Ja, aber nicht hier. Ich kaufe alles, was ich bekommen kann. Wenn ihr für mich etwas habt, dann sagt mir Bescheid.« Er beschloss, ihn direkt auf die Waffen der Germanen anzusprechen.

»Tribun, ich habe schon mit Rufus darüber gesprochen. Ihr habt die Waffen der Germanen in eurer Waffenkammer gelagert. Rufus sagt, es geht in erster Linie darum, dass die Waffen nicht mehr gegen euch gerichtet werden können. Wenn ihr sie mir gebt, seid ihr sie auf Dauer los. Sagt mir, was ihr dafür haben wollt?«

»Wenn du mich schon so fragst, es wäre schön, wenn wir für Octavius und seine Männer ein Abschiedsessen geben könnten. Du weißt, wie begrenzt unsere Vorräte sind.«

»Sprechen wir von einem Rind?«

»Ja, ich weiß, dass du einen mächtigen Zauber hast. Kannst du heute noch ein Rind besorgen?«

»Ich werde es versuchen und euch jetzt verlassen.« Kristian wusste die Frauen gut aufgehoben und sprang in einen unbeobachteten Augenblick nach Großvater.

»Großvater, ich brauche ein Rind.« Die letzten Rinder hatte er auf dem Viehmarkt gekauft.

»Weißt du, ob heute noch Markt ist?«

»Keine Ahnung.« Kristian sprang bei sich vorbei und nahm einige Geldscheine aus seinem getarnten Koffer. Dann veränderte er sein Äußeres in der Gestalt, die er das letzte Mal benutzt hatte, als er für den Tribun Vieh eingekauft hatte, und sprang zum Markt. Schnell hatte man ihn wiedererkannt. Edra ist wieder da. Viele hatten ihre Geschäfte schon gemacht und fuhren nach Hause. Kristian wandte sich an den Auktionator.

»Ich brauche ein schweres Rind.« Der Mann deutete zum Ende des Gatters. Kristian nickte. Der Händler nannte seinen Preis, den er ohne zu zögern zahlte. Dann ging er zu dem Rind und löste sich mit ihm vor allen Augen auf. Das Rind am Seil hinter sich herziehend, trat er aus dem Wald und ging auf das Kastell zu. Schnell hatte sich das herumgesprochen. Der Tribun wartete schon am Tor. »Euer Zauber hat euch nicht verlassen, wie ich sehe.«

»Unser Handel gilt«? fragte Kristian. Der Tribun nickte. Ein Legionär nahm Kristian das Rind ab. »Ich muss noch mal weg, habe im Wald was vergessen.« Vergessen hatte er wirklich etwas.

Vom Wald aus sprang er zum Bierhandel und erstand ein Einhundertliterfass Bier. Den Zapfhahn hatte er vorsichtshalber schon einschlagen lassen.

Im Wald ließ er es zurück, und sagte dem Tribun, wo er es abholen sollte. Das Fass wurde später beim Tribun auf den Tisch gewuchtet.

»Tribun darf ich«? Fragend schaute er Kristian an, bis ihm einfiel, was dieser wollte. Sein Blick ging durch die Runde und fiel auf Rufus. »Rufus, Kristian nimmt die Waffen der Germanen mit.« Rufus nickte, machte aber keine Anstalten darauf einzugehen. »Rufus, es wäre schön, wenn wir uns sofort darum kümmern könnten«, drängte Kristian.

»Oh, ich wusste nicht, dass du es so eilig hast. Dann komm.« Kristian hatte keine Ahnung, was ihn erwartete. Rufus schloss die Tür zur Waffenkammer auf. Zwei Räume lagen vor ihm. Im Ersten standen die Feldzeichen und römische Waffen. Im Hinteren, die Waffen der Germanen, aufgestapelt übereinander. Man hatte sich nicht die Mühe gemacht, sie zu sortieren. Getrocknetes Blut klebte noch an ihnen. Da sie einen kompakten Haufen bildeten, würde er sie in einmal nach Großvater bringen können. Er suchte sich einen Speer mit stabilem Schaft heraus, ähnlich dem, mit dem er gegen Bibulus gekämpft hatte, und stellte ihn zur Seite.

»Rufus, ich nehme meine Waffen mit, wir treffen uns beim Tribun.«

»Das geht nicht, ich darf dich hier nicht alleine lassen.« »Auch gut, dann warte hier.«

Ehe er erschreckt aufschreien konnte, waren Kristian und die Waffen weg. Oben in Jessikas Haus, gab es zwei leere Räume, in denen er die Waffen ablegte. Er wartete nicht ab, ob Großvater durch den Krach aufmerksam geworden war, sondern sprang sofort zurück. »Mensch Kristian, man muss sich vor dir fürchten«, sagte Rufus.«

»Dazu besteht kein Anlass. Komm, wir gehen zurück.«

»Ich bin froh, dass ich dich nicht zum Feind habe.«

»Soll ich dir etwas zeigen«? fragte Kristian.

»Und was?«

»Gib mir deine Hand.« In der anderen hielt er den Speer. Ehe Rufus Einwände vorbringen konnte, standen sie in der Hütte oben auf dem Hügel. »Du weißt nicht, wo wir sind?«

»Nein, woher sollte ich.«

»Dort unten ist Godwins Dorf.«

»Das ist eine halbe Tagesreise von uns entfernt«, stellte er fest.

»Ich weiß.«

»Langsam verstehe ich, woher du so schnell ein Rind besorgen konntest.«

»Komm, wir gehen zurück.« Keiner hatte sie vermisst. Im Kastell glühten zwei Feuer, über dem je ein halbes Rind gedreht wurde. Das Bierfass stand noch unberührt da.

»Ich habe nicht gewusst, dass du zaubern kannst«, sagte Octavius. »Erst ein Rind, dann dieses Fass.«

»Der Tribun hat es dir zum Abschied ausgegeben.«

»Ohne dich hätte er das wohl nicht machen können«, meinte er.

»Aber er hat dafür bezahlt. Das Rind wird noch eine Weile brauchen, was hältst du davon, wenn wir nachschauen, was in dem Fass ist?« Irgendwer hatte schon Becher bereitgestellt. Kristian füllte einen Becher und reichte ihn Octavius, der sogleich einen Schluck nahm. »Ein seltener Geschmack, aber trinkbar.«

»Ich muss dich warnen, trinke nicht zu viel davon, denk daran, dass du morgen reiten musst.« Jetzt kamen auch die anderen Männer und füllten sich die Becher. Nach zwei Stunden wurden Teller mit zurechtgeschnittenem Rinderbraten hereingebracht. Hungrig, dem Einerlei des Lageressens entronnen, wurde zugegriffen. Das Bier zeigte auch Wirkung.

Am späten Nachmittag blies Kristian zum Rückzug. Die Frauen waren guter Stimmung, was wohl dem Bier zuzuschreiben war. Kristian drängte zur Eile, da er noch für morgen Proviant einkaufen wollte. Seinen Speer stellte er in eine Ecke des Raumes. Sie verabschiedeten sich, was die Männer bedauerten. Draußen fanden sie jemand, der sie zu ihren Pferden führte.

Vom Wald aus, ging es nach Hause. Lena fuhr gleich in ihre Wohnung. Sie versorgten erst ihre Pferde.

Die Frage war, was er für die Reise an Proviant einkaufen sollte. Er hatte keine Ahnung, wie lange sie dauern würde. Eins wusste er genau, auf normalem Wege wollte er die Strecke nicht bewältigen. Zumindest die Überquerung der Alpen wollte er sich ersparen. Er konnte in der Regel nur dort hinspringen, wo er schon einmal gewesen war, oder es sich genau vorstellen konnte. Da er die Gedanken eines Menschen lesen konnte, wollte er mit der Hilfe seines Führers Decimus und dessen Vorstellungskraft, den Sprung bewältigen.

Zurück zum Proviant. Sicher würden sie durch bewohntes Gebiet kommen und dort um eine Unterkunft und Mahlzeit bitten können. Trotzdem wäre es gut, für alle Fälle etwas in Reserve zu haben. Er fuhr ins Dorf und kaufte eingeschweißten Räucherspeck, Wurst, Fisch in Dosen, Knäckebrot und Studentenfutter. Die Satteltaschen würden prall gefüllt sein. Seinen Schlafsack wollte er hinter den Sattel festbinden, darin eine Rolle Toilettenpapier. Im Natoshop kaufte er noch zwei Regenumhänge.

Am nächsten Morgen standen sie früh auf. Nach dem Frühstück packte er seine Sachen. »Kristian sei vorsichtig«, Jessika machte ein besorgtes Gesicht.

»Keine Angst, ich passe schon auf mich auf.«

Großvater und Maria standen abseits und warteten, bis er sprang. Das Kastell bot jetzt wieder einen normalen Anblick, keine Zelte, dafür in einer Reihe die Transportkarren. Er band sein Pferd an und ging zum Tribun. Auch hier herrschte Aufbruchsstimmung. Sein Speer stand noch an seinem Platz. »Hallo Octavius.«

»Kristian, wir sind abmarschbereit. Decimus wartet bei den Pferden auf dich.« Kristian hatte seine digitale Fotokamera dabei und machte schnell noch ein paar Fotos von Octavius. »Tribun, wir gehen jetzt.«

»Kristian, sieh dich vor, für zwei Reisende ist die Gegend nicht unbedingt sicher«, sagte Rufus zum Abschied. Kristian fand Decimus bei den Pferden. Andere Reiter führten ihre Pferde vor das Tor. »Decimus, ich möchte noch warten, bis sich alle in Bewegung setzen.« Auf beide Seiten von Decimus Pferd hingen Beutel herab, in denen Decimus seine persönliche Habe und Verpflegung hatte. Normalerweise wurde diese auf einer Karre mitgeführt. Kristian hatte ein Problem, seinen Speer unterzubringen. Es bot sich nur eine Möglichkeit an. Längs in kniehöhe, befestigte er ihn hinter dem Steigbügel. Sie gingen auch vor das Tor und sahen dem Treiben zu. Die Reiter formierten sich in Viererreihen und setzten sich in Bewegung. Acht Reiter scherten aus und bildeten die Nachhut hinter dem letzten Karren. Das alles hielt er mit seiner Kamera fest. »Wo werden sie heute ihr Lager aufschlagen«? fragte er. »Schaffen sie es bis zum nächsten Kastell?«

»Nein, aber es gibt unbemannte befestigte Lagerplätze.«

»Komm, wir folgen ihnen, bis wir außer Sichtweite des Kastells sind.« Sie ritten eine Weile still nebeneinander her.

»Decimus, deine Leute halten mich für einen Zauberer oder Schlimmeres?« Decimus nickte.

»Es stimmt, ich kann Sachen machen, die ein normaler Mensch nicht begreifen kann. Deshalb musst du dich aber nicht fürchten. Fürchtest du dich vor mir?«

»Bis jetzt gabst du mir noch keinen Grund.«

»Ich hoffe, dass du immer noch so denkst, nachdem, was ich mit dir jetzt vorhabe. Du kannst dir die Streckenabschnitte nach Octavius Haus vorstellen?« Decimus nickte.

»Ich möchte, dass du dir den Abschnitt hinter den Bergen (Alpen) vorstellst. Kannst du dass?«

»Ich bin dabei.«

Kristian sah in Decimus Gedanken ein Dorf auftauchen. »Verbleibe bei dem Dorf, lass es nicht los.« Er drängte sein Pferd gegen das von Decimus, und sie sprangen, das Dorf vor Augen, auf das Dorf zu. »Du darfst deine Augen öffnen.«

Erstaunt blickte Decimus sich um. »Wir sind in dem Dorf, an das ich gerade gedacht habe.«

»Du hast recht.«

»Du bist tatsächlich ein Zauberer.«

»Denk daran, aber ein Guter. Du wirst dich lange auf deine faule Haut legen können bis Octavius kommt.«

»Ich freue mich darauf.« Als wenn der Regen auf sie gewartet hatte, fing es an zu tröpfeln. »Wie schützt ihr euch vor Regen«, fragte Kristian. »Wir haben Regenumhänge.«

»Und woraus bestehen sie?«

»Aus gewachstem Leinen.«

»Wo ist dein Umhang?«

»Daran habe ich nicht gedacht.«

»Aber ich.« Er sprang vom Pferd, rollte den Schlafsack auf und entnahm ihm die zwei Regenumhänge. Decimus schaute verwundert zu, als Kristian sich seinen über den Kopf zog. »Hier, nimm, ehe du ganz nass bist.« Er saß wieder auf. Der Regenumhang war so lang und weit, dass auch die Beine geschützt waren. Probleme hatte Kristian mit der Kapuze. Sie war so groß, weil sie normalerweise über einen Stahlhelm passen musste. Jetzt rutschte sie ihm über die Augen, sodass er nichts mehr sah. Decimus hatte diese Schwierigkeiten nicht, da er einen Helm aufhatte. »Eine praktische Erfindung«, freute der sich. Sie ritten durch den Ort und wurden entsprechend bestaunt. Es war ein kleiner Ort. Mittags hörte es auf zu regnen, sie legten die Umhänge hinter sich. Langsam bekamen sie Hunger. Den nächsten Ort erreichten sie zwei Stunden später. Sie banden ihre Pferde vor ein Rasthaus an. Im Inneren selbst war nicht viel los. Mehrere Tische und Bänke waren leer. Der Wirt freute sich, sie als Gäste begrüßen zu können.

Decimus bestellte Wein, Fleisch und Brot.

»Wo sollen wir übernachten«, fragte Kristian.

»Wir könnten hier bleiben.« Das war Kristian recht. So hatten sie heute wenigstens ein Dach über den Kopf.

»Ich schau mich mal draußen um.«

»Nein, tu das nicht, ich begleite dich.«

»Warum, sind wir in ein Räubernest geraten?«

»Es sind schon viele Reisende verschwunden, du willst doch nicht dazugehören.«

»Du machst mir Angst.« „Ich hätte mir wohl besser ein Schwert umgebunden. Und wenn es nur als Abschreckung gedient hätte.“ »Decimus, wir haben viel Zeit gewonnen, du könntest mir zeigen, wie man mit einem Schwert umgeht.«

»Aber nicht hier, im nächsten Kastell besorge ich uns Übungsschwerter aus Holz.« Kristian bezahlte zwei Sesterze für ihr Essen. »Wirt, wir möchten hier übernachten, zeig uns die Kammer.« Sie folgten ihm. Die Kammer hatten zwei Liegen. Auf einem Schemel stand ein Krug Wasser und eine Schüssel. Die Tür hatte einen stabilen Riegel auf der Innenseite. Sie gingen in den Stall und überzeugten sich, dass die Pferde gut versorgt waren. Dann sahen sie sich im Dorf um. Nur die Hauptstraße war befestigt. Ein kleines Mädchen beobachtete sie neugierig. Kristian suchte in seine Gürteltasche, in der hauptsächlich Denare waren, fand einen As und gab ihn ihr. Die kleine Hand schloss sich um das Geldstück, ihre Augen strahlten Kristian dankbar an.

Ein As war der sechzehnte Teil eines Denars. Ein Denar hatte vier Sesterzen, ein Sesterz ergab vier As. Für einen As bekam man einen halben Liter Wein. Decimus sagte nichts. Sie gingen weiter. Die Häuser waren alle aus Holz. Womit die Bewohner ihren Lebensunterhalt verdienten, war schwer zu erahnen.

»Komm, wir gehen zurück.« Das Mädchen kam ihnen entgegengelaufen. In der ausgestreckten Hand hielt sie Kristian einen Apfel entgegen. Dieser ging in die Hocke. »Das wäre aber nicht nötig gewesen.«

»Meine Mutter möchte sich bedanken.«

»Wo ist deine Mutter?« Er nahm ihre Hand. Das Mädchen zog ihn zu einer windschiefen Hütte. Die Mutter kam heraus, in ihrem Arm ein kleines Kind.

»Dürfen wir eintreten?« Sie zögerte, nickte dann. Er musste sich bücken, um durch die Tür zu gelangen. Den Raum erhellte nur wenig Licht. Ein Schlafplatz, eine Kochstelle, ein Tisch und Stühle. In zwei Truhen war wohl ihre ganze Habe. Die Decke über ihn machte einen morschen Eindruck. »Regnet es durch«? fragte er. Die Frau nickte. Er fragte sie nicht, womit sie ihren Lebensunterhalt verdiente. Viel konnte es nicht sein. Er gab ihr fünf Denare. Sofort brach sie in Tränen aus, wollte ihm die Hände küssen. »Das Dach, wer könnte es herrichten?«

»Ich kann euch hinführen.« Das Kind auf den Arm lief sie vor ihnen her und blieb vor einem Haus stehen. Ein Mann trat heraus. Sein erster Blick fiel auf Decimus. Nichts Gutes ahnend, blickte er sie fragend an. »Du kennst diese Frau«? fragte Kristian. Der Mann nickte. »Ihr Dach ist undicht, was kostet es, wenn du es erneuerst?« Er zögerte mit der Antwort. Sein Blick ging zwischen Decimus, dessen eine Hand auf sein Schwert lag, und Kristian hin und her. »Sechs Denare«, sagte er schließlich.«

»Ich gebe dir die sechs Denare, auf dem Rückweg schauen wir uns deine Arbeit an, wenn sie uns nicht gefällt, verlange ich mein Geld zurück.« Decimus nickte zur Bestätigung.

»Ist das klar?«

»Ja Herr.« »Und du fängst sofort Morgen an?«

Er nickte. Gierig schloss sich seine Hand um das Geld. Sie gingen. Die Frau wusste nicht, was sie sagen sollte.

»Geht nur«, sagte Kristian.

»Du hast ein großes Herz«, meinte Decimus.

»Berührt dich so etwas nicht?«

»Ich bin Soldat«, antwortete er.

»Du meinst für Mitleid ist bei dir kein Platz?«

»So ungefähr.«

»Dann komm.« Sie nahmen ihre Sättel und Sachen mit in ihre Kammer. Den ganzen Tag auf den Hintern hin und her rutschen, hatte ihn müde gemacht. »Decimus, erschrick jetzt nicht, ich muss mal kurz weg.« Er war sich sicher, dass es ihn erschreckte und konnte ein Grinsen nicht unterdrücken.

Um Fragen aus dem Weg zu gehen, versuchte er möglichst leise, in Jessikas Haus zu gelangen. Er nahm das Schwert von Bibulus von der Wand und verschwand wieder.

»Bei uns werden Zauberer, die mit dem Teufel im Bund stehen, getötet. Bei dir werde ich eine Ausnahme machen«, sagte Decimus bei seiner Rückkehr. »Ich danke dir für deine Milde«, antwortete Kristian. Rufus betrachtete das Schwert.

»Ich kann Bibulus verstehen, dass er seinem Schwert nachtrauert«, meinte er. »Ich auch«, sagte Kristian lachend. Willst du dir noch einen Krug Wein holen«? fragte Kristian. »Nein, lass mal, ich schlafe auch so ganz gut.«

»Dann eine gute Nacht.« Morgens machten sie eine Katzenwäsche und nahmen ihr Gepäck gleich mit in den Gastraum. Kristian fehlte sein Kaffee und die knusperigen Brötchen. Der Wirt brachte ihnen statt dessen Suppe, in der sie das Brot tauchten. Kristian bezahlte, und sie sattelten ihre Pferde. Das Schwert baumelte an seiner Seite.

Sie kamen gut voran.

Die Gegend war hügelig, sodass sie nicht sehen konnten, was sie vorne erwartete. Rechts vor ihnen auf dem Hügel, tauchte ein Reiter auf, etwas später auf der linken Seite ein Zweiter. Zunächst standen sie bewegungslos da, dann gab ein Reiter ein Zeichen zu jemand hinter dem Hügel.

»Was hältst du davon«? fragte Kristian.

»Sie lauern uns auf. Wenn ich sicher wäre, dass sie keine Bogen dabei haben, würde ich gerne sehen, wie du mit deinem Stock kämpfst.«

»Warte«, sagte Kristian, »ich schaue nach, halte mein Pferd.« Ehe er etwas erwidern konnte, stand Kristian unsichtbar hinter dem Hügel. Zunächst sah er nichts Verdächtiges, keine Reiter mehr, dann eine Bewegung im Dickicht rechts der Straße. Ebenso auf der linken Seite. Unsichtbar ging er darauf zu. Zwei Männer knieten auf dem Boden, jeder hatte einen Bogen vor sich liegen. Kristian nahm einen Stein und warf ihn seitlich ins Gebüsch.

Erschrocken drehten sie sich in diese Richtung. Er nutzte diese Gelegenheit aus und schnitt die Bogensehnen durch. Sie würden es gleich bemerken, deshalb sprang er zur anderen Straßenseite. Hier ein ähnliches Bild. Drei Männer, einer mit Bogen, hockten auf dem Boden. Wieder durchschnitt er auch hier die Sehne. Die Männer waren alle mit Schwerter bewaffnet. Kristian sprang zurück und erklärte Decimus die Lage. Fünf gegen zwei. Sie ritten auf den Hügel zu. Oben angekommen deutete Kristian auf die Verstecke der Wegelagerer. Diese sahen sie kommen. Auf jede Seite huschte ein Mann ins Gebüsch und kam mit Pferden am Zügel, wieder hervor. Dann stellten sie sich ihnen in den Weg. »Decimus, ich wäre dir dankbar, wenn du dich um den Kräftigen kümmern würdest.« Kristian hielt jetzt seinen Speer wie eine Turnierlanze auf die Angreifer gerichtet. Die Männer versperrten ihnen auf der ganzen Breite den Weg. Rechts und links war Gebüsch. Decimus trieb sein Pferd an. Kristian beeilte sich, den Anschluss nicht zu verlieren, blieb auf der linken Seite und passte auf, dass sich keiner zwischen ihnen drängen konnte. Der Speer, der seine linke Seite schützen sollte, schien den Angreifern nicht zu gefallen. Ehe sie auf Schwertlänge an ihn heran waren, hätte er schon einen von ihnen aufgespießt. Um sie zu verunsichern, bewegte er die Speerspitze hin und her. Ehe ihre Pferde aufeinanderprallten, hatte sein Speer schon einen Angreifer durchbohrt und aus dem Sattel geschoben. Er fiel von seinem Pferd, sodass er den Speer gerade noch mit einem Ruck aus ihm herausziehen konnte.

Der Mann in der Mitte versuchte, sich zwischen ihnen zu drängen, was ihm aber nicht gelang. Sein Pferd wurde zurückgeschoben, knickte ein und warf seinen Reiter ab. Alles schien gleichzeitig zu passieren. Wehrend dessen teilte Decimus kräftige Hiebe aus. Kristian hatte nicht mitbekommen, dass Decimus schon einen Gegner getötet hatte. Seinen Zweiten erwischte er, als ein Mann die Stelle des Getöteten einnehmen wollte. Decimus trieb sein Pferd nach vorne und wendete es. Jetzt befanden sich die zwei Übrig gebliebenen zwischen ihnen. Der vom Pferd gefallene, hatte es geschafft, wieder auf sein Pferd zu steigen. Kristian hätte nichts dagegen gehabt, wenn beide jetzt geflüchtet wären. Decimus schien anderer Meinung zu sein. Kristians Speer schien den beiden mehr Respekt einzuflößen, als Decimus und sein Schwert.

Gemeinsam wollten sie an Decimus vorbei flüchten. Dieser nutzte ihre Unsicherheit aus, trieb sein Pferd zwischen ihnen und teilte plötzlich nach rechts und links kräftige Hiebe aus. Kristian stand als Zuschauer da und sah wie ein Schwert, noch mit der Hand dran, zu Boden fiel. Blut spritzte aus dem Armstumpf. Wehrend der Mann geschockt auf seinen Armstumpf starrte, stieß Decimus sein Schwert in dessen Brust. Das Schwert herausziehend, hieb er mit Schwung zur anderen Seite und traf den überraschten letzten Mann, der sich schon in Sicherheit wähnte. Völlig überrascht schaute er auf das Schwert, das in seine Brust steckte. Langsam kippte er aus dem Sattel. Decimus machte ein zufriedenes Gesicht, sprang von seinem Pferd herunter und wischte sein Schwert an einen Getöteten sauber. Dann durchsuchte er die Kleidung der getöteten nach Wertgegenständen. Viel fand er nicht.

»Hier, der Mann, den du aufgespießt hast, hat ein paar Denare bei sich.«

»Behalte sie, wenn du nichts dagegen hast, nehme ich mir ihre Waffen.«

»Ist mir recht.« Kristian ritt den Weg zurück, bis wo die Angreifer auf sie gewartet hatten und holte sich ihre Bögen und Pfeile. Als sie die Pferde einsammelten, stellten sie fest, dass ein Pferd das Weite gesucht hatte. Jeder führte jetzt zwei Pferde mit sich. An eines seiner Beutepferde befestigte Kristian die Waffen. Die Getöteten ließen sie liegen. Gegen Mittag erreichten sie den Ort, so wie Decimus es vorausgesagt hatte. Hier gab es Steinhäuser, einen Marktplatz mit einem Podest in der Mitte.

»Wofür wird das denn gebraucht«? fragte Kristian.

»Hier werden Sklaven versteigert.« Er war froh, dass er das nicht mit ansehen musste.

»Was meinst du, können wir unsere Pferde hier irgendwo anbinden?« Decimus schaute sich um.

»Da hinten.« Sie fanden eine freie Stange und banden ihre Pferde an. Decimus winkte einen Jungen zu sich.

»Du passt auf unsere Sachen auf, wenn wir zurückkommen, gebe ich dir zwei Sesterzen. Wir bleiben in der Nähe.« Das Angebot des Marktes war beachtlich. Kristian überlegte, hierher könnte er zum Einkaufen zurückkommen, falls ihm die Handelsware ausgehen sollte. Kristian kaufte für sich Weintrauben. Ihre Aufmerksamkeit wurde auf das Podest gelenkt. Ein Mann führte einen Sklaven hinauf. Dieser hatte ein Schild um den Hals, auf dem sein Alter und Geburtsort stand. Das Feilschen wollte nicht so recht in Gang kommen. Der Händler forderte dreihundert Denare, das höchste Gebot lag bei zweihundert Denaren. Der Sklavenhändler wurde wütend und fing an, die Qualitäten des Sklaven aufzuzählen. Möglichst unauffällig machte Kristian Fotos. Aus dem Verkauf wurde nichts, der Sklave wurde zurückgeführt. Von der anderen Seite wurde eine Frau mit ihrer Tochter heraufgeführt. Sofort wurde es still. Der Geburtsort auf ihrem Schild sagte ihm nichts. Sie war hochgewachsen, von erhabener Schönheit. Auf jeden Fall kam sie von weit her. Ihre Kleidung war verschmutzt und eingerissen. Stolz stand sie da, einen Arm um ihre Tochter gelegt. Diese hatte die Schönheit der Mutter geerbt. Das Mädchen war vielleicht zwölf Jahre alt.

Fünfhundert Dinare kam das erste Gebot von einem kleinen fetten Mann. Mit sechshundert Denaren wurde er überboten. Als kein höheres Angebot kam, sagte der Händler, sechshundert nur für die Frau. Gewaltsam wurden Mutter und Kind getrennt. »Decimus, stell jetzt keine Fragen, hole die Pferde und reite aus den Ort. Dort wartest du auf mich.« Er wollte was sagen, Kristian hob die Augenbrauen und schaute ihn an.

»Schon gut, ich gehe ja schon.« Kristian stellte sich in die hinterste Reihe. Der Händler zerrte an der Kleidung der Frau, bis jeder einen Blick auf ihre nackte Haut werfen konnte. Ein Raunen ging durch die Zuschauer. Das Mädchen weinte und streckte ihre Arme in Richtung der Mutter aus. Sechshundertfünfzig wurden von dem kleinen fetten Mann geboten. »Achthundert Denare«, alle drehten sich zu dem Mann um, dem man ansah, dass er reich war. Dem Händler sah man seine Freude an. Die Tochter konnte sich losreißen und rannte zu ihrer Mutter zurück. Jetzt wurde es Zeit einzugreifen. Einfach mit beiden Frauen verschwinden, wollte Kristian nicht. Er nahm die Gestalt eines alten Mannes mit langen weißen Haaren an. In der Hand hielt er einen Wanderstab. So schlurfte er auf das Podest zu.

»Hat die Gier eure Augen vernebelt«, rief Kristian, »seht ihr nicht, dass der Teufel in ihr steckt. Ihr würdet den ersten Beischlaf nicht überleben.« Der Händler wurde wütend. »Alter Mann verschwinde.« Der Frau schickte Kristian die Botschaft rüber, »erschrecke nicht, ich werde euch in Sicherheit bringen.« Als sie keine Reaktion zeigte, rief er, »seht ihr nicht das Feuer in ihr, es würde euch verbrennen.« Kristian ließ sie und das Kind fünfzig Zentimeter höher schweben. Die beiden Frauen waren genauso erschrocken wie die Menschenmenge. Einige Zuschauer rannten panikartig fort. Selbst der Händler mit seiner großen Klappe hatte Angst. Kristian stieg auf das Podest. Mit nach vorne gestreckten Armen machte er beschwörende Bewegungen.

»Weiche von uns, verschone uns, kehre in dein Reich zurück.« Er berührte sie und schrie, »oh, ich sehe sie in ihrem feurigen Heim, hört ihr nicht die Schreie der Verdammten? Sie versucht, mich in ihr Reich zu ziehen, rettet euch.« Jetzt gab es kein Halten mehr, die Menge stob schreiend auseinander.

Dann wurden sie unsichtbar, er sprang mit ihnen zum Rand des Dorfes, wo hoffentlich Decimus wartete. Dieser musterte sie. »Ich habe so etwas Ähnliches schon fast erwartet. Du musst mir erzählen, was du dort angestellt hast. Hast du für die Frau bezahlt?« Kristian grinste ihn an.

»Sie waren froh, dass sie sie los waren. Ich musste eingreifen, man wollte Mutter und Tochter getrennt verkaufen.«

Mutter und Tochter hatten noch keinen Ton gesagt. »Entschuldige das Theater, das ich gemacht habe«, sagte Kristian zu ihr.

»Du bist frei und kannst hingehen, wohin du willst.« Als sie nichts sagte, schlug er vor, »es ist wohl besser, du reitest mit uns zu Freunden, dann sehen wir weiter, einverstanden?« Beide nickten. »Ich heiße Kristian, der dort ist Decimus.«

»Mein Name ist Riga, meine Tochter heißt Elana.« Ihre Stimme klang gebildet. »Wir danken dir, obwohl wir nicht wissen, was eben passiert ist.« Decimus lachte.

»Daran Frau, wirst du dich gewöhnen müssen.«

»Wir sollten machen, dass wir von hier wegkommen. Wenn uns hier jemand sieht, werden sie uns folgen. Ihr könnt hoffentlich reiten?« Sie stiegen auf die Pferde. Gegen Abend erreichten sie das Kastell. Davor hatte sich ein Dorf gebildet. Es gab auch einen Markt. »Decimus suchst du für uns ein Nachtlager?«

»Ich war schon einmal hier, folge mir.« Hinter dem Dorf gab es eine Koppel und ein Gasthaus. Sie besichtigten zwei Schlafräume, gingen dann in den Gastraum und bestellten Essen. Jetzt zeigte sich, wie hungrig beide Frauen waren.

»Riga, wir wollen gleich ins Kastell, du brauchst doch bestimmt ein paar persönliche Sachen? Hier hast du ein paar Denare.« Zögernd hielt sie ihre Hand auf.

»Warum tust du das?« fragte sie.

»Du hast sicher festgestellt, dass ich kein Römer bin. Ich weis, dass die meisten Römer kein Mitleid mit ihren Sklaven haben.« Decimus grinste.

»Ich kann dich nicht in deine Heimat zurückbringen, aber ich kann dir helfen, dass du dich in deine neue Heimat zurechtfindest.«

»Können wir endlich«, drängte Decimus. »Vorher müssen wir unser Gepäck in die Zimmer bringen«, schlug Kristian vor. Decimus willst du nicht zwei Pferde verkaufen?«

»Du hast recht, sie behindern uns nur.« Sie fanden auch schnell einen Händler, der ihnen zwei Pferde für je zweihundertfünfzig Denare abkaufte.

»Hier nimm deine Hälfte«, sagte Decimus. »Wenn es dir recht ist, behalte ich dafür die zwei anderen Pferde?«

Decimus nickte. Die Frauen zurücklassend, gingen sie ins Kastell. Es war ähnlich gegliedert, wie das von Rufus. Legionäre wurden gedrillt. Wehrend Kristian zuschaute, ging Decimus zwei Holzschwerter holen. Sie hatten das gleiche Gewicht wie ein Echtes. Sie gingen zu einer freien Rasenfläche und tauschten die echten Schwerter gegen die Holzschwerter aus. Decimus war ein guter Lehrer. Mehrmals schlug er Kristian das Schwert aus der Hand, was nicht ohne Schmerzen und blaue Flecken abging. Kristian lernte schnell und stellte ihm ein Bein, sodass er stürzte. Kristians Schwertspitze zeigte auf seinen Hals. »Legionär, bitte um Gnade, deine Todesstunde ist nahe.«

Lachend rappelte Decimus sich auf. »Das reicht, ich bringe die Schwerter zurück. Mit etwas Glück kannst du gegen einen Wegelagerer bestehen.«

»Glück? Du lagst vor mir im Staub.«

»Ich hatte mich auf deine Tricks noch nicht eingestellt.«

»Faule Ausrede.«

»Was hast du mit den Frauen vor«? fragte er, als er zurück war. »Meinst du nicht, ich könnte sie bei Octavius als Freie unterbringen?«

»Vielleicht.« Sie kamen wieder am Markt an. Kristian kaufte zwei Halsketten aus Bernsteinperlen und musste sich zurückhalten, sonst hätte er den Markt leergekauft. Sie gingen zurück, Kristian wollte den Frauen die Ketten geben. Er klopfte an ihre Tür und trat ein. »Oh, entschuldige.« Riga stand mit nacktem Oberkörper, mit dem Rücken zu ihm, vor ihre Waschschüssel. »Tut mir leid, ich komme nachher wieder.«

»Kristian, warum entschuldigst du dich?« Sie drehte sich zu ihm um. Ihre Brüste waren klein und fest, so wie er sie vom Verkaufspodest in Erinnerung hatte.

»Ich bin gekommen, weil ich euch etwas mitgebracht habe.« Er legte die Ketten in Rigas Hand und vermied es, auf ihre Brüste zu schauen. Schnell verließ er die Beiden.

»Wir sind im Gastraum«, sagte er durch die geschlossene Tür. Der Gastraum füllte sich, sie hielten zwei Plätze frei. Die neuen Gäste murrten zwar, mit einem Legionär wollten sie sich aber nicht anlegen. Die Frauen traten schließlich in neuen Gewändern, seine Ketten um ihren Hals, in den Raum. Die Gäste verstummten und sahen zu, wie sich die Frauen zu Kristian setzten. Dieser konnte die Gäste verstehen, beide Frauen waren ein richtiger Hingucker.

»Ihr seht wirklich gut aus«, sagte er. Decimus nickte zur Bestätigung.

»Wir möchten uns bedanken für das, was du für uns getan hast«, sagte Riga. »Das habe ich gerne getan, sieh nur die Leute, wie sie uns um eure Gesellschaft beneiden.« Sie bestellten ihr Essen. Kristian hatte noch kein Wort mit Elana gesprochen.

»Elana, hast du noch einen Wunsch?« Stumm blickte diese ihre Mutter an.

»Unser Geld hat nicht für ein Paar Schuhe gereicht.« Kristian schaute unter den Tisch. Einige Riemchen ihrer Sandalen waren gerissen.

»Nach dem Essen gehen wir über den Markt und kaufen dir welche.« Dankbar schaute sie ihn an. Sie ließen sich das Essen schmecken. Der Wirt bestand auf eine sofortige Begleichung der Rechnung, was sie verstehen konnten. Elana war ganz aufgeregt, anscheinend hatte sie ihre Schuhe schon irgendwo gesehen, denn sie eilte zielstrebig voraus. »Elana, nicht so schnell«, rief Riga hinter ihr her. Plötzlich sahen sie Elana nicht mehr. Ihre lauten Hilferufe wiesen ihnen den Weg. Die Marktbesucher machten ihnen Platz, als sie angerannt kamen. Kristian sah, wie zwei Männer versuchten, Elana in eine Seitengasse zu ziehen. »Halt«, rief er, was einen der Männer veranlasste, stehenzubleiben, während der Andere weiter an Elana zerrte. Der Mann, der stehen geblieben war, zog sein Schwert, Kristian ebenfalls. Decimus hatte sich im Hintergrund gehalten und hielt Riga fest.

Kristian zeigte, was er gelernt hatte und konnte nur hoffen, dass der Mann nicht über mehr Erfahrung verfügte. Er versuchte den gleichen Trick, den er bei Decimus angewendet hatte. Plötzlich lag der Entführer vor ihm im Staub. Angstvoll waren seine Augen auf Kristian und sein Schwert gerichtet.

»Sage deinem Freund, er soll das Mädchen loslassen.«

Er schrie es hinaus. Der Mann ließ Elana los. Währenddessen hatte sich Decimus hinter den Rücken des Mannes geschlichen, drückte sein Schwert in dessen Rücken und schob ihn damit zu Kristian. Riga hielt glücklich ihre Tochter in den Arm. »Was sollen wir mit ihnen machen«? fragte Kristian.

»Stoße dem da dein Schwert in die Brust, diesem schlage ich den Kopf ab.« Die Zuschauer schienen damit einverstanden zu sein und feuerten sie an. Das war nicht nach Kristians Geschmack. »Legt eure Waffen ab«, befahl er. Einer der Männer hatte einen schönen verzierten Gürtel um mit einem verzierten kleinen Dolch. Er nahm den Gürtel und die Schwerter entgegen.

»Macht ihr mit ihnen, was ihr wollt«, sagte Kristian zu den Marktbesuchern. Augenblicklich entlud sich der Zorn der Leute.

Mit dem, was sie gerade in den Fingern bekommen konnten, schlugen sie auf die Entführer ein. Keiner hatte Mitleid. »Kommt, wir wollten doch Schuhe kaufen.«

»Wir hätten sie töten sollen«, brummelte Decimus vor sich hin.

»Ich kann so etwas nicht, nur wenn es um mein Leben geht«, sagte Kristian. Elana hatte ihren Schock überwunden, war vor einem Stand stehen geblieben und probierte einen Schuh an. »Riga willst du den Gürtel? Mit dem Dolch kannst du dich notfalls verteidigen.« Ihre Augen leuchteten auf.

Der Gürtel war verstellbar und hatte bestimmt vorher einer Frau gehört. Freiwillig hatte sie sich sicher nicht davon getrennt. Kristian legte Riga den Gürtel um. Elana hatte unterdessen passende Schuhe gefunden. Kristian bezahlte sie. Sie kauften noch Obst ein und machten sich auf den Rückweg. Ein Warnruf hinter ihnen ließ sie herumfahren. Einer der beiden Entführer zielte mit einem Bogen auf sie. Fast hätten sie ihn nicht wiedererkannt. Sein Gesicht war blutig und seine Kleidung zerfetzt. Wie es schien, wollte er sich wegen der erlittenen Schmach rächen. Kristian wusste nicht, ob man einem Pfeil ausweichen konnte, wenn man sah, wie er abgeschossen wurde.

Zu weiteren Überlegungen kam er nicht. Riga schnellte nach vorne und fing den Pfeil mit ihrem Körper auf. Nahe ihrem Herzen, drang er in ihren Körper ein. Ein leiser Schrei war alles, was sie von ihr hörten, dann sackte sie zusammen. Decimus war nicht mehr zu halten, er rannte los und stieß dem verblüfften Bogenschützen sein Schwert in die Brust. Grimmig suchte er nach dem zweiten Mann. Kristian hob Riga auf und brachte sie in ihr Gasthauszimmer.

»Decimus kümmere du dich um Elana, ich bringe Riga zu unserem Arzt. Es wird nicht lange dauern, ich komme ohne sie zurück.«

Auf Elana konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen und verschwand mit Riga vor ihren Augen. Mit verändertem Aussehen sprang er in das Krankenhaus, in dem Kristel arbeitete. Kristel, wo bist du? Das Geschrei, das einsetzte, als er mit einer Frau erschien, in der ein Pfeil steckte, trieb Patienten und Schwestern und auch Kristel in den Flur. Auch wenn sie ihn nicht erkannte, ahnte sie, dass es Kristian war.

»Was ist passiert?«

»Das siehst du doch.« Inzwischen kannte er sich in diesem Krankenhaus aus, ging gefolgt von Kristel direkt ins Operationszimmer und legte Riga auf den Tisch.

»Du weißt, was sie ist«? fragte er.

»Ist schwer zu übersehen, sie ist eine Römerin.«

»Falsch, sie ist oder war bis vor Kurzem noch eine Sklavin. Schirme sie ab. Sag Lena oder Jessika Bescheid, sie können als Dolmetscher fungieren. Die Frau heißt Riga und hat eine Tochter, um die ich mich jetzt kümmern muss.«

Elana schrie auf, als er ohne ihre Mutter zurückkam.

»Keine Angst, deine Mutter lebt und wird versorgt. In ein paar Tagen werden wir sie besuchen.«

»Decimus, ich werde in Rigas Zimmer schlafen, Elana möchte sicher nicht alleine schlafen.«

»Bleiben wir länger hier«? fragte Decimus.

»Nein, es bleibt alles beim Alten. Morgen Früh reiten wir weiter.« Elana weinte sich in den Schlaf.

Am nächsten Morgen frühstückten sie und sattelten danach ihre Pferde. Jetzt hingen schon sechs Schwerter am Sattel eines der Beutepferde. Gegen Mittag aßen sie Obst, das sie mitgenommen hatten. Abends erreichten sie keine Herberge mehr. Als es dunkel wurde, suchten sie sich ein Lager abseits des Weges. Es wurde fasst gemütlich, als das Lagerfeuer prasselte. Große Augen machten sie, als Kristian ihnen je eine Dose Fisch und Knäckebrot reichte. »Was sollen wir denn damit?« fragte Decimus. »Da ist euer Essen drin.«

Er öffnete die Dosen, nach anfänglichem Zögern waren sie begeistert. Mit dem Knäckebrot fischten sie den Fisch aus den Dosen.

Für das Nachtlager legte Kristian den Regenumhang auf die Erde und breitete den Schlafsack darüber aus. »Macht es dir was aus zusammen mit mir unter die Decke zu kriechen?«

»Meine Mutter sagt, du bist unser Freund, es macht mir nichts aus.« Gemeinsam sammelten sie noch Brennholz, die Schwerter benutzten sie als Sense und schnitten Gras für die Pferde. Dann legten sie sich schlafen. Niemand störte ihre Nachtruhe. Zum Frühstück gab es geräucherten Speck und Knäckebrot. Elana hatte die Fischdosen mit Sand ausgescheuert und aus einem nahen Wasserlauf Wasser darin gefüllt. Als Kristian Elanas besorgten Blick sah, beschloss er, sich nach Rigas Befinden zu erkundigen.

Seine Begleiter hatten mitbekommen, wie er einfach verschwinden konnte. Deshalb tat er genau das und sprang nach Jessika. Die Schwerter und Bogen nahm er mit. Jessika freute sich, ihn zu sehen.

»Noch alles dran«? fragte sie. »Ich glaube schon, ich habe noch nichts vermisst.«

»Wie geht es Riga?« »Die Operation ist gut verlaufen, gesprochen habe ich noch nicht mit ihr. Ich wollte nachher zu ihr. Was für eine Zimmernummer hat Riga?« Jessika nannte sie ihm.

»Ich muss zurück.« Ehe sie noch was sagen konnte, war er wieder bei Decimus und Elana. »Deiner Mutter geht es gut.«

»Wann nimmst du mich mal mit«? fragte Elana.«

»Bald.«

»Bekomme ich deine Welt auch mal zu sehen«? fragte Decimus. »Ich glaube nicht, dass sie dir gefallen würde.

Wir sollten zusammenpacken. Decimus, wie lange brauchen wir bis zur nächsten Herberge?«

»Genau weiß ich das nicht mehr, spätestens heute Abend sind wir da.«

Zum Glück dauerte es nicht so lange.

Am späten Nachmittag sahen sie die ersten Häuser. Es war ein Dorf mit bescheidenen Ausmaßen. Verstreut gab es einige Verkaufsstände. Elana machte einen müden Eindruck, weswegen sie sofort nach einem Gasthaus Ausschau hielten. Was sie schließlich fanden, sah ähnlich aus wie ihr Letztes. Der Wirt wischte sich die Hände an seine dreckige Schürze ab, als sie eintraten. »Wirt, wie stets mit einem Nachtlager?«

»Herr, ich führe nur ein bescheidenes Haus, ihr seid bestimmt Besseres gewohnt?«

»Soll das heißen, du hast für uns nichts?«

»Wie gesagt, sehr bescheiden.«

»Du hast doch nichts dagegen, wenn wir es uns ansehen?«

»Folgt mir bitte.« Der Wirt hatte nicht übertrieben. Alles wirkte unsauber. Ein großes Bett und eine schmale Liege. »Wenn du hier sauber machst und die Decken auswechseln lässt, bleiben wir.«

»Wird sofort erledigt Herr.« In der Wirtsstube ließen sie sich ihr Essen bringen. »Wirt, kümmerst du dich um unsere Pferde?« »Sofort Herr.« »Elana willst du dir noch Obst kaufen, bevor du schlafen gehst?«

»Ich möchte schon, aber nur wenn du mitgehst.«

»Dann komm.« Sie fanden auch bald einen Stand. Außer Obst bot er noch eine Menge Krimskrams an. Ein prall gefüllter Beutel erregte seine Aufmerksamkeit. Er schüttelte ihn, und er schien voller Münzen zu sein. Wer verkauft einen Beutel voll Geld? Der Händler erkannte sein Interesse.

»Herr, es ist griechisches Geld.«

»Woher habt ihr es?«

»Herr, ich bin Händler, ich tausche, was mir gefällt.«

»Die Münzen sind hier nichts wert«, dämpfte Kristian seine Erwartungen.

»Nein Herr, aber sie sind schön anzusehen.«

»Also, was willst du dafür?«

»Herr, was bist du bereit dafür zu bezahlen?« Kristian öffnete den Beutel und griff hinein. Für den Händler waren sie wertlos, für ihn dagegen nicht. »Ich gebe dir fünf Denare dafür.« Der Händler starrte ihn an.

»Was ist, zu viel oder zu wenig?«

»Herr, ich bin einverstanden.« Elana nahm sich Weintrauben. »Hier hast du sechs Denare.«

»Herr, ich danke dir.« Angeregt durch das gute Geschäft, besuchte Kristian den nächsten Händler. Er fragte sich, mit wem die Händler Geschäfte machten? Anscheinend waren es nur die Durchreisenden, die ihnen etwas Geld brachten.

»Hast du einen Gürtel für sie«? Er deutete auf Elana.

»Herr, die Schönheit deiner Tochter verbietet es mir, dir minderwertige Ware anzubieten.« Gleichzeitig griff er nach einem Kästchen unter seinen Stand. »Herr, dieses habe ich für Kunden wie ihr einer seid, aufbewahrt.«

In dem Kasten lag ein wirklich erlesenes Stück.

An Elenas Reaktion sah er, dass er ihr gefiel. Der Gürtel bestand aus Kettengliedern, dazwischen Plättchen aus Silber, in die bunte Steinchen eingefasst waren.

»Was willst du dafür haben?«

»Herr, ich glaube, dass du den wahren Wert erkannt hast.«

»Mach es kurz, sage was du haben willst.« »Zehn Denare Herr.« »Elana komme, der Mann ist verrückt.« Elanas Blick sagte ihm, dass sie anders darüber dachte. »Elena komm.« Der Händler kam hinter ihnen hergerannt, den Gürtel in der Hand. Sie blieben stehen. »Ich gebe dir fünf Denare dafür, nimm an oder verschwinde.«

»Herr, ich zahle drauf.«

»Dein Problem, Elana komm.«

»Herr, ihr macht mich zu einem armen Mann, aber ich bin einverstanden.« Kristian nahm den Gürtel entgegen und gab dem Händler sein Geld. Dieser nahm es murrend entgegen und ging zu seinem Stand zurück. Kristian legte Elana den Gürtel um. »Kristian, ich danke dir.« Stürmisch fiel sie ihm um den Hals. »Komm, sonst macht sich Decimus noch Sorgen und sucht uns.« Dieser saß noch in der Gaststube, einen Becher Wein vor sich. Sein Blick fiel auf Elanas Gürtel.

»Elana, dein Gürtel gefällt mir.« Elana strahlte.

»Decimus, wir legen uns schlafen.«

Im Zimmer fragte er Elana, »Was hältst du davon, wenn wir deine Mutter besuchen?« »Oh, ja.«

Zunächst unsichtbar wandelten sie durch den Krankenhausflur. Elanas Blicke huschten umher. Dann standen sie vor Rigas Zimmertür und sprangen hinein. Riga war alleine im Zimmer. Sie schrie auf, als sie sichtbar wurden. »Kristian, Elana.«

»Mutter geht es dir gut?«

»Du siehst doch, mir fehlt nichts, du hast aber einen schönen Gürtel.« Kristian nahm inzwischen Kontakt mit Lena auf. »Lena, wir sind hier bei Riga, willst du kommen?«

»Bin schon unterwegs.«

»Riga, wie geht es dir, wann darfst du hier raus?« Jessika deine Frau sagt, in ein paar Tagen.«

»Wie kommt ihr miteinander aus?«

»Schau, dieses Nachtgewand hat sie mir geschenkt.«

»Hast du auch Jeanette kennengelernt?«

»Ja, sie kommt immer mit Jessika.«

»Bist du mit dem Essen zufrieden?«

»Ja sicher, bekommen hier alle so viel zu essen?« Sie schloss Elana wieder in ihre Arme. »Kristian, deine Welt ist so sauber und friedlich.«

»Riga, Lena kommt gleich, um Bilder von dir und Elana zu machen.«

»Ich hab schon eins.« Stolz zog sie das Bild unter ihrem Kopfkissen hervor. Es zeigte Riga im Bett sitzend. Es klopfte. Es war Lena, die ihren Kopf durch die Tür steckte. »Hast du Rigas Geschichte aufgeschrieben«? fragte er sie. »Ja, und was ist dir so noch passiert?«

Er erzählte von den Zwischenfällen auf ihre Reise. Lena schrieb mit.

»Wann darf ich Rigas Schicksal veröffentlichen?«

»Wenn ich Riga abgeholt habe. Lena machte Sofortbilder und gab eines Elana. »Hat Jessika dir erzählt, was ich alles in ihr Haus geschafft habe?«

»Nein, ich weiß von nichts.«

»Du kannst es dir ja anschauen. Lena, du könntest mir einen Gefallen tun.« Sie schaute ihn erwartungsvoll an. Er überlegte. »Lass mal. Ich rufe Silke selber an. Halte hier die Stellung.« Er ging in den Flur, wo ein Münztelefon hing. »Hallo Silke, ich bin's, Kristian. Ich rufe vom Krankenhaus an.«

»Was ist passiert?«

»Du weist also von nichts?«

»Nein, ihr lasst euch ja nicht sehen.«

»Frage Jessika. Weswegen ich anrufe, bei Jessika stehen zwei Zimmer leer. Ich habe vor, mit römischen Waren zu handeln. Ich möchte, dass du mir Regale baust, so wie du es für richtig hältst. Zwei Wände lässt du frei, damit man was dranhängen kann.«

»Will ich gerne machen.«

»Gut, bis dann.« Er sah gerade noch, wie eine Schwester in Rigas Zimmer ging. Als kein Aufschrei erfolgte, ging er hinein. Kristel hatte wohl verstanden, Rigas Herkunft zu verschleiern. Nur der Direktor würde Bescheid wissen. Dem war es egal, wer die Rechnung bezahlte.

Dem Krankenhauspersonal kam es sicher komisch vor, dass Riga nur lateinisch sprach. Sicher gab es viele Spekulationen, mehr aber wohl nicht. Als die Schwester jetzt Elana im Römergewand am Bett der Frau sitzen sah, dachte sie nur, wieder so eine Ausländerin. Dass die Reporterin anwesend war, musste aber etwas bedeuten. Die Schwester verrichtete ihre Arbeit und lauschte darauf, was die beiden Frauen sich zu sagen hatten.

»Schwester Monika, möchten sie mit auf das Foto«? fragte Lena. Unschlüssig blickte sie auf die Frauen.

»Sagen sie mir, warum das Mädchen ein so ungewöhnliches Kleid anhat?«

»Wieso ungewöhnlich, die römischen Frauen sehen alle so aus.«

Ich habe noch keine Römerin gesehen, die so etwas anhat.«

»Was ist, wollen sie, oder nicht?«

»Wenn es sein muss.« Sie stellte sich hinter das Bett, Lena drückte auf den Auslöser. Anschließend gab sie der Schwester das Foto. Als die Schwester gegangen war, drängte Kristian auch zum Aufbruch. »Lena, wenn ich am Ziel bin, hole ich euch nach. Elana komm, das nächste Mal nehmen wir deine Mutter mit. Riga bis bald.«

Decimus war nicht in ihrem Quartier. Entweder suchte er sie oder er war in der Gaststube versackt.

»Elana, lass uns schlafen gehen.

Am nächsten Morgen wurden sie durch Schnarchtöne von Decimus geweckt. Er merkte nicht, dass sie aufgestanden waren und ihre Sachen packten. »Decimus aufstehen.« Er rührte sich nicht. »Alarm, Überfall«, schrie Kristian und schlug ihre Schwerter zusammen.

Die Wirkung trat augenblicklich ein. Schreiend sprang er auf und blickte in ihre lachenden Gesichter. Noch nicht völlig wach, starrte er sie an.

»Was ist passiert, ich dachte es hätte Alarm gegeben?«

»Musst wohl geträumt haben.«

»Und warum lacht ihr?«

»Nur so, ist wohl spät geworden?«

»Ja, so könnte man sagen.« Nach dem Frühstück übernahm Kristian wieder die Rechnung und sie sattelten die Pferde. Vom Wirt hatte er sich einen Stoffbeutel geben lassen, den er beim nächsten Stand mit Obst füllte. Von einem Händler erstand er ein Seil, machte Schlaufen daran und befestigte es an Elenas Sattel. Decimus schaute interessiert zu, wie Elana einen Fuß in die Schlaufe steckte, sich in den Sattel setzte und zufrieden grinste.

Sie waren eine Weile geritten als Decimus sein Pferd zügelte. »Kristian, darf ich mich mal auf deinen Sattel setzen?«

Kristian konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Sie wechselten ihre Pferde. Eine Weile waren sie unterwegs, Decimus rutschte im Sattel hin und her, stellte sich in die Steigbügel, zog sein Schwert und schlug auf einen unsichtbaren Gegner ein. Elana und Kristian hatten ihren Spaß daran.

»Kristian, daran könnt ich mich gewöhnen. Ich werde mir auch so etwas an den Sattel binden.«

Soviel Kristian wusste, gab es schon Völker, die Steigbügel benutzen, die Römer hatten sie aus welchen Gründen auch immer, jedenfalls noch nicht übernommen. Sie tauschten wieder ihre Pferde, übernachteten in freier Natur, und kamen am Mittag in ein Dorf. Decimus fragte nach einem Schmied. Kristian dämmerte, was er vorhatte. Decimus führte den Schmied zu Kristians Pferd und zeigte ihm die Steigbügel. Interessiert sahen sie zu, wie der Schmied später zwei Ringe formte, unten flach, oben eine Öse. Aus einer gegerbten Haut schnitt er zwei Riemen und befestigte alles an Decimus Sattel. Dieser war zufrieden, ebenso wie der Schmied. Kristian war sich sicher, dass damit der Anfang einer neuen Reittechnik begonnen hatte. Sie suchten ein Gasthaus und aßen zu Mittag. »Wir haben es nicht mehr weit«, gab Decimus von sich.

»Heute Abend sind wir bei Cornelia.« Das war Kristian recht, ihm reichte es, täglich im Sattel sitzen zu müssen. Jetzt hielt ihn nichts mehr und er drängte zum Aufbruch. Decimus grinste, als er mithilfe seines Steigbügels in den Sattel stieg. »Ist schon praktisch«, meinte er. Die Gegend wurde hügeliger und man sah, dass Wein angebaut wurde.

Sie ritten an mehreren Anwesen vorbei. Dann zeigte Decimus auf mehrere Gebäude vor ihnen. Gespannt ritten sie auf den Hof. Durch das geklapper der Pferdehufe kam Cornelia aus dem Haus. Als Erstes erkannte sie Decimus. »Decimus, wo ist mein Mann«? fragte sie Schlimmes ahnend.

»Keine Angst, es geht ihm gut, wir sind nur die Vorhut.« Er stellte seine Begleiter vor, und erklärte, was es mit Elana auf sich hatte. »Komm mein Kind«, sagte sie und führte sie ins Haus. Sie folgten ihnen. Das Zimmer war groß mit großen Fensteröffnungen. Setzt euch. Sie setzte ihnen Brot und Fleisch vor. Dazu gab es Wasser und Wein. Kristian hatte in der Zwischenzeit sein Geschenk und das Foto aus seiner Satteltasche geholt und legte es auf den Tisch.

»Das ist ja Octavius«, strahlte Cornelia, »als stände er vor mir. Jetzt habe ich ihn immer bei mir.«

»Der Spiegel ist von mir.«

»Kristian danke.« Vor dem Spiegel zog sie Grimassen, sie mussten lachen.

»Cornelia, morgen kommen meine Freunde, du hast doch nichts dagegen?« Ehe sie antwortete, fragte sie, »wieso ist Octavius nicht mit euch gekommen?«

»Das ist eine lange Geschichte.« Er erzählte sie so weit, wie Decimus Bescheid wusste. »Aber Elanas Mutter, du wirst lange unterwegs sein, wenn du sie holst.«

»Cornelia«, meldete sich Decimus, »Kristian ist ein Zauberer, Entfernungen halten ihn nicht auf.«

Abends saßen sie zusammen und Kristian erzählte vom Angriff der Germanen. »Erzähl uns, wie du an dein Schwert gekommen bist«, bat Decimus. Kristian tat ihm den Gefallen. Es wurde spät, Decimus wirkte angesäuselt. Cornelia zeigte ihnen ihr gemeinsames Zimmer.

Am anderen Morgen. Decimus schlief noch seinen Rausch aus.

Kristian sprang nach Jessika. Diese saß mit Großvater und Maria am Frühstückstisch. »Kristian«, rief Jessika stürmisch, sprang auf und umarmte ihn.

»Ich bin gekommen, weil ich ein anständiges Frühstück möchte. »Wieso, bist du noch unterwegs?«

»Wir sind angekommen.«

»Das heißt?«

»Wir sind bei Octavius Frau angekommen.«

»Du meinst, du nimmst uns jetzt mit?«

»Nur wenn ihr wollt.« »Komische Frage, sicher wollen wir.« »War Silke schon hier?«

»Du meinst wegen der Regale, sie hat Maß genommen. Wie stellst du dir das eigentlich vor? Haben wir täglich fremde Leute im Haus?«

»Entschuldige, ich hätte euch erst fragen sollen. Nicht täglich, vielleicht einmal die Woche und das nur für Museen und ernsthafte Sammler. Wie geht es Riga?«

»Mit jedem Tag besser.«

»Jessika rufst du Lena und Jeanette an und sagst ihnen, dass sie spätestens um elf Uhr hier sein sollen.«

»Junge«, meldete sich Großvater, »meinst du nicht, dass es an der Zeit ist, dass du uns erzählst, was du erlebt hast?«

»Was wollt ihr hören?«

»Alles.«

»Also gut.« Er erzählte, wie er auf Riga und Elana gestoßen war. Dann von den Wegelagerern. »Du hast wirklich einen aufgespießt?«

»Ja, musste ich, er oder ich.«

»Hat dir das nichts ausgemacht?«

»Nein, eigentlich nicht.«

»Jessika, wir werden den Schleier über uns fallen lassen müssen, wenn der Verkauf beginnt. Wenn Besucher kommen, werden sie wissen wollen, woher unsere Ware kommt und ob sie echt ist.

Wir können uns nicht weiter verstecken und sind einfach alle Edras Freunde. Er bringt uns zu den Römern und Germanen. Deshalb darf Lena uns auch ab jetzt fotografieren. Natürlich werden wir in der ersten Zeit für einiges Aufsehen sorgen. Wir werden das bald überstanden haben, so hoffe ich. Wie ihr mit der Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit klarkommt, weiß ich nicht. Zumindest hört dann die Geheimniskrämerei auf. Edra bleibt nach wie vor der „Außerirdische.“ Ich glaube, Jeanette wird es gefallen, wenn sie im Licht der Öffentlichkeit steht. Und wie ist es mit dir«? fragte er Jessika.

»Jeder Mensch ist eitel genug, als dass er nicht mal in der Zeitung stehen möchte. Wenn sie aber unser Haus belagern, finde ich das nicht mehr schön.«

»Wir dürfen Großvater und Maria nicht vergessen, auch von ihnen erwartet man eine Geschichte.«

»Lass sie nur kommen«, sagte Großvater, ich habe genug zu erzählen.«

»Ich könnte z.B. die Geschichte über meine Entführung im Mittelalter preisgeben und glaube, dass sie für jede Geschichte die wir zu erzählen haben, gerne bezahlen würden. Wir könnten endlich alles erzählen, was wir bisher verschweigen mussten. Ihr dürft nur nicht vergessen, das alles macht nur Edra möglich. Ich werde jetzt mit Lena reden, rufe du Jeanette an.« Wehrend Jessika in die Eingangshalle zum Telefon ging, rief Kristian Lena über ihre Direktverbindung an. Jessika hatte seinerzeit darüber gemeckert, weil sie nicht auch so ein Ding implantiert bekam. Damals war das auch nicht nötig gewesen, da man nur von Lena wusste. Vielleicht sollte er mal mit Eurone der Alienfrau darüber reden.

»Hallo Lena, wo bist du gerade?«

»Ich bin noch zu Hause, hast du was für mich?«

»Wie man's nimmt, ich bin am Ende meiner Reise angekommen. Wenn du willst, nehme ich dich mit?«

»Was für eine Frage, natürlich will ich mit.«

»Cornelia die Frau von Octavius ist auf so viel Besuch nicht eingerichtet. Wenn du kommst, kannst du zwanzig halbe Hähnchen und Stangenbrot mitbringen? Die Hähnchen sollten noch warm sein, wenn du um elf Uhr hier bist. Römische Kleidung ist Vorschrift.«

»Verstanden, bis bald.«

Jessika telefonierte noch mit Jeanette. »Römische Kleidung«, flüsterte er ihr zu.

»Kristian sagt, wir müssten römisch gekleidet sein.« Kristian ging in die Küche.

»Großvater, ich kann im Moment hier nicht viel machen, ich gehe nach Riga ins Krankenhaus.«

Ein Gutes hatte die Sache. Jetzt brauchte er nicht mehr in eine andere Haut schlüpfen. Bald würde sowieso jeder wissen, wer er war.

Deshalb ging er ganz normal auf Rigas Zimmer zu, klopfte an und ging hinein. »Hallo Riga.«

»Kristian, kommst du mich holen?«

»Ich glaube nicht, dass das der Frau Doktor recht wäre.«

»Tut es auch nicht«, meldete sich Kristel hinter ihm.«

»Hast du gewusst, dass ich komme«? fragte er.

»Nein, ich habe den Schwestern gesagt, dass sie mir Bescheid geben sollen, wenn fremde Personen in Rigas Zimmer gehen.« »Wir wollen um elf Uhr zu den Römern gehen, wenn du willst, darfst du mitgehen«, schlug er vor. Sie schien zu überlegen.

»Du meinst um elf Uhr?« Er nickte.

»Warte, ich komme gleich wieder.«

»Riga, wir sind an unserem Ziel angekommen. Es ist die Frau von Octavius einem römischen Soldaten. Die Frau heißt Cornelia und kümmert sich um deine Tochter.«

Kristel kam zurück. Sie strahlte.

»Ich habe eine Vertretung gefunden.«

»Römische Kleidung ist angesagt.«

»Macht nichts.«

»Also, um elf bei mir.«

»Riga bis bald.« Vom Treppenflur aus, sprang er nach Jessika. »Du warst bei Riga?«

»Ja, Kristel kommt auch mit. Ich suche mal meine Geschenke zusammen.«

»Müssen wir auch was mitbringen«? fragte Jessika.

»Nein, wir reisen übrigens ohne Pferde.«

Kurz vor elf trudelten alle ein. »Ihr seht wirklich zum Anbeißen aus«, konnte er sich nicht verkneifen zu sagen.

»Und was ist mit dir«? fragte Jeanette.

»Ich bin die Ausnahme, Cornelia hat mich schon so gesehen. Hört zu, die es noch nicht wissen, durch den bevorstehenden Handel mit römischem Gut ist eine Geheimhaltung eurer Personen nicht mehr nötig. Deshalb darf Lena uns in jede Situation fotografieren. Jeanette, wenn du das nicht willst, musst du das sagen.«

»Nein, schon gut, ist mir recht.«

»Gut denn, Großvater du hältst die Stellung und genießt die Ruhe hier, denn die ist bald vorbei.«

Sie stellten sich zusammen und kamen bei Cornelia an. Kristian hatte vorher einen Ort ausgespäht, der meist verlassen schien.

Lena stellte ihren Karton mit den Hähnchen ab und fotografierte drauf los. »Lena, damit später kein Verdacht aufkommt, musst du mich und Edra auf ein Bild bringen.«

»Wie soll ich das denn machen?«

»Mit deinem Fotoapparat ist doch eine Doppelbelichtung möglich. Du wirst erst mich fotografieren und dann stelle ich mich als Edra daneben, und du drückst noch mal auf den Auslöser.«

»Ja, das geht.«

»Das machen wir später.« Sie gingen alle auf das Wohnhaus zu.

Elana entdeckte sie als Erste. Sie rannte zurück und kam mit Cornelia zurück. Die Frauen schauten sich wortlos an.

»Also,« fing er an, »das ist Cornelia und Elana.« Dann stellte er seine Freunde vor. Einer fehlte.

»Wo ist Decimus?«

»Der ist weggeritten«, sagte Elana.

»Was riecht denn da so gut?« Cornelia sog tief den Duft der Hähnchen ein. »Wir gehen am Besten ins Haus«, erklärte Kristian. »Und dies sind Geschenke für dich.«

»Für mich?« Er nahm die Rolle Stoff von der Schulter und legte sie auf den Tisch. Dann folgten der Nähkoffer und diverse Kleinteile.

Lena stand dabei und fotografierte alles. Elana starrte auf den Nähkoffer, was da wohl drin war?

Kristian erlöste sie und öffnete den Koffer.

»Da ist alles drin, was man zum Nähen braucht.«

Fasziniert von den blanken Teilen, die der Koffer preisgab, machte Cornelia und Elana stumm. »Wie wäre es mit einem Gruppenfoto, kommt nach draußen, da ist besseres Licht.« Sie standen zusammen, als Decimus angeritten kam. Er würde eine gute Figur auf den Fotos abgeben. Decimus überließ einem Sklaven die Zügel seines Pferdes und stellte sich zu ihnen. »Sind das alles deine Frauen«? fragte er Kristian.

»Wenn du meinst, ob alle Frauen aus meiner Welt kommen, ja.« »Und wer ist deine Frau?« Jessika hob ihren Arm. »Das bin ich.«

»Hm, sie kann mich ja verstehen, sie würde einen guten Preis auf den Sklavenmarkt bringen.«

Er schaute Kristian an, der ihn ungläubig anschaute, dann lachte er lauthals los. »War nur ein Scherz.« Er lachte immer noch, als er sich in die Reihe stellte. Lena drückte auf den Auslöser. »Jetzt Decimus und ich«, sagte Kristian.

Das Foto mit Edra, wie würden sie darauf reagieren?

»Decimus, du bleibst hier stehen und rührst dich nicht, egal was passiert, verstanden?« »Hm«, brummelte er, Lena machte das erste Foto. »Nicht bewegen.« Kristian hatte im Boden eine Markierung angebracht, verwandelte sich in ein Alien und stellte sich neben die Markierung. Lena betätigte den Auslöser. »Schau nach ob das Bild, was geworden ist«, bat er Lena.

Auf dem Display erschien das Foto mit ihm, Decimus und Edra. Decimus hatte von Edra nichts gesehen, weil er sich nicht gerührt hatte. Elana umklammerte Cornelias Arm vor Schreck. »Ihr braucht keine Angst haben«, beruhigte Kristian sie.

»Was war das für ein Ding neben mir«? fragte Decimus.

»Ich habe gesehen, dass Elana und Cornelia Angst davor hatten?«

»Ich habe nur ein wenig gezaubert. Wir sollten reingehen und essen«, schlug er vor.«

»Hast du was zu Essen mitgebracht«? fragte Decimus.

»Ja, habe ich, Cornelia hat sicher nicht mit so vielen Leuten gerechnet. Immer der Nase nach.« Der Karton wurde geöffnet. Lena hatte auch an Pappteller gedacht. Die Stangenbrote lagen schon auf dem Tisch. »Greift zu.«

Das hätte er nicht zu sagen brauchen, sie alle waren hungrig. Kristian blickte sich um, ein paar Liegen waren um den Tisch gruppiert. Decimus ergriff sich einen Hahn, biss hinein, verdrehte verzückt seine Augen und legte sich auf eine Liege. Kristian verstand die Römer nicht, im Liegen kann man doch nicht vernünftig essen.

Sie griffen auch zu und setzten sich auf die Liegen. Es herrschte eine andächtige Stille, nur die Kaugeräusche waren zu hören.

»Mann tut das gut«, äußerte sich Decimus. Kristian reichte ein halber Hahn, seinen Freunden ebenfalls.

»Decimus greif zu, ehe alles kalt wird.«

»Hast recht, das wäre eine Schande.«

»Lena mache bitte ein paar Bilder mit der Sofortbildkamera. Eins nehmen wir mit für Riga.« Für Cornelia war das Zauberei, als sie die Fotos in den Händen hielt.

»Die kannst du Octavius zeigen, wenn er zurück ist. Lena schaust du dich draußen mal um, mach Fotos von den Gebäuden, Backstube, einfach alles.«

»Darf ich die kleine Frau mit dem Zauberkasten begleiten, ich kenn mich hier aus«? fragte Decimus.

»Ich glaube nicht, dass die kleine Frau etwas dagegen hat«, sagte Kristian. Alle lachten.

»Cornelia, du musst dir keine Arbeit machen, wir reisen heute Nachmittag wieder ab. Wenn die Mutter von Elana wieder gesund ist, bringe ich sie hierher. Siehst du eine Möglichkeit, für Riga hier ihren Lebensunterhalt zu verdienen?«

»Meinst du hier bei mir?«

»Überhaupt, wo ist egal.«

»In der Stadt könnte sie einen Laden führen.«

»Ist wohl besser, wir warten, bis sie hier ist. Die zwei Pferde darfst du verkaufen, und nehme dir davon, was du für den Unterhalt der Frauen brauchst. Cornelia, wie viele Sklaven gehören dir?«

»Acht.«

»Was bedeuten sie dir? Kennst du ihre Geschichten oder sind sie für dich eine Ware, etwa wie ein Pferd, das den Pflug zieht?«

«Du stellst aber komische Fragen, sicher sind sie eine Ware, wir haben sie ja gekauft. Es tut mir auch leid, was ihnen widerfahren ist. Ich behandle meine Sklaven gut und weiß, dass es Andere nicht so gut haben, es werden auch Sklaven von ihren Herren getötet, warum sollte ich so etwas tun?«

»Entschuldige, ich habe gesehen, wie Riga auf dem Markt angeboten wurde, wie ein Stück Vieh.«

»Hast du sie gekauft?«

»Nein, habe ich nicht, ich habe sie fortgezaubert.«

»Decimus sagt, du bist ein großer Zauberer.«

»Und was sagt er sonst noch?«

»Dass man sich vor dir nicht fürchten muss.«

»Und was ist mit dir?«

»Ich kenn dich noch nicht lange, aber du und deine Freunde gefallen mir. Octavius mag dich auch, sonst hätte er dich und Decimus nicht zu mir geschickt.«

Inzwischen waren sie alleine, die Anderen waren nach draußen gegangen. Sie folgten ihnen.

In ihm keimte ein Gedanke. Sie waren auf einem Weingut, was wäre, wenn er Cornelias Wein bei sich vermarkten würde. Ein Problem war, dass er nicht in Flaschen abgefüllt war, sondern in Krügen.

Er sah sich um, sah Lena, wie sie sich mit einem Sklaven unterhielt. Jeanette stand bei einem anderen Sklaven und versuchte ebenfalls ein Gespräch zu führen, ihr Schullatein reichte nicht ganz aus. Auf jeden Fall konnten beide über ihre Verständigungsprobleme ausgiebig lachen.

»Du weißt, das Octavius erst in ein paar Wochen hier ankommt?«

»Decimus sagt, ihr wäret zusammen aufgebrochen.«

»Ja, das stimmt, aber bei einem Zauberer geht alles eben schneller.« Cornelia schaute ihn an, sie wusste nicht, wie ernst er es meinte.

»Ich glaube, Decimus hat nichts dagegen, hier auf deinen Mann zu warten?«

»Das glaube ich dir gerne«, lachte sie.

Spät nachmittags drängte Kristian zum Aufbruch. Sie stellten sich zusammen, Decimus grinste, da er wusste, was jetzt folgte. Sie verschwanden.

Die Tore der Atlanter Buch 3 von 4

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