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Kapitel 3: Missstimmung

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Gugger stolperte über Geifer.

"Verdammt, hau ab hier", maulte er und schob ihn mit dem Fuß weg.

Geifer glotzte mit trüben Augen hoch. Eine vorwitzige Spinne hangelte von der Decke und baumelte vor seiner Schnauze. Er stierte sie müde an.

"So ist er schon die ganze Zeit", meinte Knack besorgt, "liegt nur rum und bläst Trübsal. Früher hätte er nach ihr geschnappt und genüsslich zerkaut. Selbst asthmatische Katzen, leichte Beute, sind ihm egal. Ich bin ihm egal."

"Sei still", bellte Geifer gehässig, "du bist jedem egal."

Knack zog den Schwanz ein und verdrückte sich in den hinteren Teil des Raumes. Vielleicht lag da noch etwas Essbares rum. In diesem Punkt war Guggers Werkstatt eine Schatzkammer, die jeden Goldgräber von Klondike in ekstatische Verzückung versetzt hätte.

Geifer hob den Kopf von den Pfoten und musterte Gugger. "Du warst auch schon besser drauf."

"Wen wundert's", fuhr Gugger auf, "hab gestern Fußball geguckt."

"Hat deine Mannschaft so schlecht gespielt", spottete Geifer ätzend, "du weißt doch, dass die Italiener..."

"Die haben gewonnen", unterbrach Gugger unwirsch, "aber da war was anderes, was mich rasend machte."

Knack kam neugierig kauend nach vorne. "Waf war da nog?"

Das Ding in seinem Maul war wie Gummi. Er spuckte es aus. Ein widerlich vollgesabbertes Holzwollknäuel rollte über die dreckigen Fliesen.

"Abstoßend", kommentierte Gugger mit verächtlicher Miene, machte aber keine Anstalten, die Sauerei wegzuräumen, "aber nicht so abstoßend wie das gestern Abend."

"Was jetzt?"

"Das Scheusal!"

Geifer und Knack schauten sich ratlos an. Für Gugger waren alle Scheusale. 'Scheusale' war die einzige Schublade in der Kommode, wo er seine Bekanntschaften einsortierte. Sie war riesig.

Vermutlich meinte er den Schiedsrichter. Geifer legte den Kopf zurück auf die Pfoten.

"Die Bestie feiert. Feiert im Ausland dekadente Partys."

Gespannt blickte er auf seine Genossen und wartete die missfällige Reaktion, die seiner Entdeckung angemessen war. Bei Knack zuckte das rechte Ohr. Aber das bedeutete nur, dass das rechte Ohr zuckte.

"Der Bär", schrie er irre, "der Bär, der euch verarscht hat, feiert im Ausland einen ab."

"DIE Bestie?"

"Genau die – die mit Übergewicht. Mit seiner Tanzaufführung…"

"Er hat getanzt?"

"… unterbrich nicht", schnaubte Gugger feurig, "tanzt also während der Pause und verhöhnt euch. Hat seine Pfoten am Kopf angelegt und Hunde- oder Fuchsohren imitiert. Und mit der rechten Pfote hat er gezuckt…" Gugger fixierte Knack: "Gezuckt – mit dem rechten Ohr… Verstehst du?"

"Ähhh..."

"Er verarscht euch – und dann hinkte er theatralisch und jaulte. Der macht sich auf EURE Kosten lustig. Feiert seinen verlogenen, hinterhältigen Sieg."

"Lass ihn doch", erklärte Geifer müde. Was kümmerte ihn das Monster. Ob es tanzte oder nicht, es verbesserte seine eigene Lage in keiner Weise.

Gugger war perplex, als Geifer den Kopf auf die Pfoten zurücklegte. Wenigstens Knack sprach an, denn jetzt zuckte auch das linke Ohr. Sorge um den Rottweiler ergriff Gugger. Das Lebenslicht des armen, vierbeinigen Freundes erlosch. Unbestreitbar! Ein Burn- oder Bärnout oder sonst was in der Art.

Wo war der ideenreiche Kerl abgeblieben? Wohin war das Alphatier verschwunden, das sonst die Marionetten tanzen ließ? Geifer war nur noch ein Schatten seiner selbst, ein Schoßhündchen, das sich nur noch an der rosaroten Leine nach draußen wagte und sein Geschäft verschämt selber in die Tüte packte.

"Du brauchst Hilfe", entschied Gugger mit ernstem Gesicht.

Sie blickten den kleiner werdenden Rücklichtern nach: "Wer hätte gedacht, dass wir so schnell in Istrien sind."

"Wer hätte gedacht, dass wir schon nach einem Tag nur knapp zwei Verhaftungen entgangen sind und nebenbei die internationale Zöllnergilde am Hals haben."

"Du bist ein Schwarzmaler." Buddlibär marschierte los. Erst durch feuchte Wiesen, dann einen steinigen Feldweg, der sich einen Hügel emporschlängelte, entlang. Im Halbdunkel der Nacht tauchte ein Baum auf, der seine Äste schützend ausbreitete.

"Hier penn ich", erklärte er knapp und legte sich hin.

Eichhörnchen nickte. Warum nicht hier – sie kannten sich in der Gegend nicht aus und dieser Platz war so gut oder so schlecht wie jeder andere. "Ok."

Das Wartezimmer war fast leer. Nur die alte Frau Winter und ihr Papagei hockten da. Die alte Winter sah kranker aus als der Vogel. Gugger rätselte, wer nun wen zum Arzt begleitete. Der Tierarzt rief die beiden ins Behandlungszimmer.

"Braves Hundi", brummte Gugger und kraulte Geifer.

"Lass das", mokierte Geifer, "was soll das hier? Ich bin nicht krank."

"Wir werden sehen…"

Nach einer Weile schlurfte Frau Winter in den Flur hinaus. Der Papagei flatterte besorgt um ihren Kopf und laberte dauernd 'wird schon gut werden'. Also war die Winter der Patient, dachte Gugger. Papageien sind doof…

"Der nächste bi..." Der Tierarzt stockte. Gugger und Hinke-Fuchs hätte er verstanden, aber nicht Gugger und den Rottweiler. Der Hund sah Klasse aus – von den gelben Zähnen, die nach Dentalhygieniker schrien, mal abgesehen. Vielleicht hatte sich Gugger doch noch für das Komplett-Rundum-Impfpaket entschieden. Das hätte ihm die Arbeit erspart, die Verfallsdatumetiketten auf den Packungen durch neue zu ersetzen. Obwohl er das gerne machte. War wie Meditation und befriedigte ihn. Zwei Fliegen mit einer Klappe: man tat etwas gegen die Abfallgesellschaft und es rechnete sich.

Gugger erhob sich und führte Geifer am Tierarzt vorbei schweigend ins Behandlungszimmer.

Der Tierarzt schloss die Tür und ging hinter seinen Schreibtisch. "Guten Morgen. Haben sie sich mein Angebot überlegt. Es ist wirklich fast schon ein Schnäppchen! Kein Wunder, wenn sie…"

"Der Hund ist krank", unterbrach Gugger.

"Blödsinn, ich bin nicht kr…"

"Du BIST krank!"

"Was hat er denn?"

"Bin ich der Tierarzt oder du?"

Der Tierarzt stand auf und umkreiste Geifer, dessen Augen ihm misstrauisch folgten.

"Dank meiner Erfahrung", flüsterte er wie zu sich selber, "werden wir sicher eine Krankheit finden…" Er entdeckte die gut verheilten Narben, die von der Keilerei mit den Wildschweinen stammten. Dieser Beo oder Bea oder wie sonst der Samariter-Hase im Koblerwald hieß, verstand sein Handwerk. Vielleicht sollte er ihn oder sie als Assistenten einstellen.

Er schob den Gedanken beiseite. Gesundung zu forcieren war ökonomischer Selbstmord. Gut Ding will Weile haben, wie er den Herrchen seiner Patienten stets zu sagen pflegte.

"Vielleicht etwas Inneres", vermutete er und zog eine Schublade auf. Er hob eine Spritze und einen Thermometer heraus.

"Das wird uns helfen, mehr über deinen Gesundheitszustand zu erfahren", erklärte er freudestrahlend und pumpte den Kolben der Spritze auf und ab.

"Wenn du meinst", knurrte Geifer mit scharfem Blick auf das Thermometer, "du kannst mir das Ding wo reinstecken, bist du tot! Wer weiß, in wie vielen Ärschen das Teil schon steckte. Und Blut kriegst du von mir auch keines."

"Muss ich aber, wenn du gesund werden willst."

"Ich bin nicht krank!"

Gugger mischte sich ein: "Körperlich fehlt ihm nichts außer Bewegung…", er schob die Hand des Tierarztes mit den Utensilien aus dem Blickfeld von Geifer, "es ist eher so, dass er antriebslos ist. Benimmt sich seit Tagen unnatürlich sozial. Eine Art emotionaler Leere. Die Bestie hat seine Abenteuerlust gekillt, vermute ich. Dagegen brauchen wir eine Pille."

"Wir? Hat sie der Hund angesteckt."

"Hör auf Schrott zu reden."

Der Tierarzt legte die Utensilien bedauernd in die Schublade zurück - am Thermometer klebten tatsächlich Kotreste, allerdings kaum der Rede Wert - und ließ sich in den Sessel fallen.

"Wenn das so ist", begann er langsam, "dann dürfte es sich um dasselbe handeln wie bei unserem überaus geschätzten Gemeindepräsidenten Koller…"

"Lass diesen Intriganten aus dem Spiel", warf Gugger verärgert ein, "der ist schuld, dass der Plan fehlschlug. Seine Geheimniskrämerei und sein Misstrauen!"

Der Tierarzt sprach unbeeindruckt weiter. "Koller kann nicht gut mit Niederlagen. Und die Sache mit dem Bären war eine echte Niederlage. Aber im Gegensatz zu deinem Hund hält er sich mit Racheplänen fit. Den Hund quält wohl dasselbe – nur reagiert er völlig anders. Er lässt sich von der Niederlage erdrücken, statt die Ungerechtigkeit zu kompensieren", er unterbrach sich und spielte nachdenklich mit dem Kugelschreiber, ein kleines Andenken an den letzten, vom führenden Räudeimpfstoff-Hersteller bezahlten Tierarztkongress im Fünfsterne-Ressort in Gstaad, "zum Beispiel mit gut geplanter Rache. Ja", bestätigte er sich selber, "es geht doch nichts über die reinigende Wirkung von Stressabbau, wenn man seinen ärgsten Widersacher den Fuß in den Nacken pressen kann."

Der Tierarzt plapperte weiter und erzählte, was man sich im 'zerzausten Löwen' so erzählte. Koller soll ein Terroristenabwehrkommando angefordert haben, um die Ordnung im Wald wiederherzustellen und das Monster zu stellen. Er vermutete ihn in Rabulans Atem. Er soll Widmer befohlen haben, den Wald in jener Ecke vorsorglich niederzubrennen. Er soll auch die Pfadfinderabteilung genötigt haben, den Wald umzukrempeln und eine Treibjagd zu organisieren. Er drohte ihnen mit der Streichung der Gemeindezuschüsse, falls sie sich weigerten. Dabei weiß jeder, dass die Pfadfinder seit Jahren leer ausgehen, weil Koller deren Anteil für die ins Kraut schießenden Planungskosten seines Waldstadionvorprojektes verpulverte. Und dann er soll die Schön bezirzt haben, eine Wiedereingliederungsaktionskampagne ins Leben zu rufen.

"…dafür, so hat er ihr eingeimpft, müsse das arme Tier jedoch zuerst gefunden werden. Die Irre hat überall Plakate aufgehängt: 'Gesucht' und darauf ein Bild des Bären. Als ob den nicht ohnehin jeder kennt. Bei der Bärenpopulationsdichte in unserer Gegend sind Verwechslungen so gut wie ausgeschlossen, wenn sie mich fragen."

Gugger hörte nur mit halbem Ohr hin, denn seine Gedanken umkreisten die Idee, Rache zu nehmen. Eine Rache-Therapie hatte was, baut auf, erfrischt die Lebensgeister und erneuert die Kreativität. Die Gedanken reiften zum Plan. Abrupt stand er auf: "Wir gehen, danke."

Geifer blickte fragend hoch.

"Ich weiß, wie wir dich therapieren können. Komm, raus hier."

Der Tierarzt sah verdutzt, wie Gugger und der Hund ohne Erklärungen verschwanden. Er zuckte mit den Achseln: die Blitzheilung überraschte ihn. Er beschloss, einen wissenschaftlichen Artikel zu schreiben und zu veröffentlichen. Und dabei die Pharmaka des großen Pharmamultis in den Vordergrund stellen. Der nächste Kongress stand bevor und einer Auszeichnung für progressive Feldversuche wäre er nicht abgeneigt.

"Mal schauen, ob da noch eine erkältete Katze wartet", murmelte er geistesabwesend und stakste zum Wartezimmer.

Gugger eilte mit zusammengekniffenen Lippen aus der Praxis.

"Wohin gehen wir?", fragte Geifer.

Gugger blieb stehen: "Koller wird uns helfen, die Dinge ins Lot zu bringen. Wir helfen der Gerechtigkeit nach."

"Der wird sich sicher freuen, dich zu sehen", meinte Geifer trocken, "ich hörte, ihr seid als Freunde auseinandergegangen."

Gugger hörte nicht hin. Wenn dank seiner Idee Koller seine Ziele doch noch erreichte, dann läge der Job als Waldaufseher oder Oberjagdmeister drin. Koller war bekannt, dass er sich großzügig zeigte, wenn er im Gegenzug auf Verschwiegenheit zählen konnte. Dass der Job schon vergeben war, blieb nebensächlich. Koller würde einen Weg finden, den Förster wegzumobben.

Gugger achtete nicht auf das erschreckte Aufspringen von Frau Schmidt am Empfang, ignorierte den fragenden Blick von Amman und steuerte direkt zu Kollers Büro. Er klopfte kurz und trat ohne Aufforderung ein. Koller war allein und musterte den unwillkommenen Eindringling mit abschätzigem Blick.

"Manieren sind immer noch nicht ihre Stärke", kommentierte er ätzend und schloss die Tür, "Sie haben Glück, dass ich ein paar Minuten Zeit habe. Ich hoffe nur, dass sie nicht wieder mit haltlosen Zahlungs- und Schadenersatzforderungen aufwarten wie das letzte Mal. Es wäre mir eine Freude, sie raus zu werfen. Daran wird mich auch ihr Bluthund nicht hindern."

Gugger setzte sich unbeeindruckt auf den Stuhl vor dem mächtigen Bürotisch: "Wir haben ein gemeinsames Ziel…"

Koller lachte auf. Mit Gugger und seiner schlampigen Hilfstruppe, dem Sabberköter und dem Hinke-Fuchs war er fertig. Mit Versagern und Laienterroristen gab er sich nicht ab.

"So?"

Gugger rutschte zur Stuhlkante vor und sagte geheimnisvoll flüsternd: "Der Bär – wir beide haben mit dieser Bestie eine Rechnung offen."

"Wie kommen sie auf diese Idee", lenkte Koller ab, "das Kapitel ist für mich abgeschlossen. Nicht zuletzt wegen ihres und des Versagens ihrer laschen Feierabendmiliz. Das Vieh ist weg – und wenn ich es je erwischen sollte, wird es sich wünschen, nicht aufgetaucht zu sein."

"Und der Bärenpark? Was ist mit dieser großartigen Geschäftsidee? Geben sie klein bei? Das hätte ich von ihnen nicht erwartet", spottete Gugger.

"Mein lieber Gugger", dozierte Koller wichtig, stand auf, verschränkte die Arme auf dem Rücken und räusperte sich, "es gibt doch den Plan B."

"Ich weiß", sagte Gugger, "es stand in der Zeitung."

Koller nickte: "Nach ihrem kläglichen Scheitern habe ich die Strategie geändert. Es ist wichtig die Bevölkerung miteinzubeziehen. Das schafft Vertrauen. Darum Plan B."

"Plan B wird floppen, den dem fehlt der Pep", meinte Gugger verächtlich, "ein Streichelzoo für Kleinkinder. Einer unter vielen. Geeignet für Großeltern und die ihnen aufgedrängten Enkel, damit Mami und Papi sich selbst entfalten können. Glauben sie wirklich, dass sie damit Kasse machen? Sie brauchen den Bären, sonst macht der Laden in einem halben Jahr dicht – ein finanzielles Fiasko, das ihre Wiederwahlchancen killt…"

Koller blickte erstaunt auf. Dass Gugger um die Ecke denken konnte, war neu. Natürlich hatte er Recht und Koller wusste es. Plan B war nur der Steigbügel für weitere Pläne. Die Fata Morgana, die etwas vorgaukelte. Ziel blieb das überregionale Sportzentrum, mit dem er sich ein Denkmal setzen würde. Das war er alleine schon den Pfadfindern schuldig, die das Projekt mit dem Verzicht auf ihre Beitragsgelder unterstützten. Plan B war nur der Fuß des Staubsaugervertreters, der die Tür blockierte. Plan B zielte darauf ab, Tiere mit 'Jöh-Effekt' anzuschaffen und schnell zu expandieren. Lief der Laden erst, musste man sich in Richtung Wald ausdehnen. Die Unantastbarkeit dieses Biotops, mit welcher die verblendeten Naturschützer der Aktion 'der Wald – dem Wald' argumentierten, würde sich in den Tränen der verwöhnten Bengel und Kleinhexen, die mehr – mehr – mehr wollten, auflösen wie Würfelzucker im heißen Kaffee. Kindertränen waren stärker als Argumente. Diese Expansion wäre bildlich gesprochen der Spatenstich für das Sportzentrum. Plan B setzte jedoch voraus, dass der Zoo ein Erfolg wurde – und dafür brauchte es eine Attraktion.

Koller blinzelte zur Decke. Wenn der Gugger auch nur im Ansatz erahnte, wie sorgfältig er schon geplant, gerechnet uns skizziert hatte, er hätte ihn bewundert. Häschen, Eselchen, Geißlein, Waschbären, Rehlein, Ponys – kleine Mädchen spinnen auf Ponys – Zebras, Schmuseäffchen und Koalas würden seinen Zoo bevölkern. Alles streichelzahmes Getier, das vorwiegend Gras fraß. Darauf legte er besonderen Wert, denn die Kosten waren bei diesem Unternehmen entscheidend. Kosten und Einnahmen! Darum auch die kostenpflichtigen Spielgeräte. Teuer genug, um einen nennenswerten Beitrag zu generieren, billig genug, um dem flehenden Blick des Enkels nicht wegen des Preises eine Abfuhr erteilen zu müssen. Großeltern waren das Zielpublikum: rolatorgängige Wege, Sitzgelegenheiten – vor allem in der Nähe der Spielgeräte – große, gut leserliche Hinweisschilder. Koller wusste, bei welcher Bevölkerungsschicht die Kohle locker saß. Aber wie sagte Gugger: 'es fehlt der Pepp'.

Er hatte schon zahllose Varianten durchgespielt. Pinguine zum Beispiel. Aber Pinguine geben nichts her, außer dass sie rumtorkeln wie Großvater, wenn dieser sein Insulin vergessen hatte. Schildkröten eher nicht, weil die etwa so interessant wie Steine sind und sich genauso benehmen. Nein, er wusste selber, dass es ohne Attraktion, ohne Positionierungsmerkmal gegenüber dem langweiligen, fantasielosen Durchschnittsstreichelzoo schwierig war, das Unternehmen zum Fliegen zu bringen. Es brauchte etwas Großes, Wildes: einen Tiger oder einen Bären. Der Tiger oder der Bär war das Pferd, dank dem der Plan-B-Steigbügel erst Sinn ergab.

Der Haken für einen Publikumsmagneten waren die Kosten. Ihm schwebte eine unkonventionelle, wegweisende Lösung vor. Warum nicht dem Fleischfresser die Überproduktion an Grasfressern verfüttern? Dieser Gedanken führte ihn zurück zu den Pinguinen: was sähe das ulkig aus, wenn der Bär oder der Tiger sie jagen dürfte… Vielleicht sollte man den Pinguinen noch eine rote Pappnase aufsetzen, um den Lacheffekt noch zu steigern. Darüber hinaus könnten die Pinguine nicht mehr um Hilfe schnattern, so dass keinem auffallen würde, dass die das nicht freiwillig machten, wie es im Prospekt geschrieben sein würde. Und sollten die Futterressourcen des Zoos nicht reichen, dann bot sich der nahegelegene Wald als Reserve an.

Möglicherweise war das eine Spur zu blutrünstig, zumindest für die Großeltern, und möglicherweise war es stattdessen ratsamer, die Pinguine dem Bären das Futter auf einem Tablett servieren zu lassen.

Das Verfüttern der Überschusstiere würde er als integrativen, nachhaltigen und öko-gelabelten Ansatz vermarkten. 'Öko' war immer gut. 'Öko' konnte für 'ökologisch', was er nach außen vertreten würde, oder für 'ökonomisch', was seine Lesart sein würde, stehen.

Tendenziell neigte er tatsächlich dazu, einen Bären zu beschaffen. Ein gefangener Bär demonstrierte die Überlegenheit des menschlichen Geistes über das größte Landraubtier. Außerdem waren Bären nicht wie die Tiger vom Aussterben bedroht und dumm genug, freiwillig einzuwandern. Aus diesen Kontingenten würde er sich bedienen. Es würde niemanden auffallen. Er plante, die Bestie mit Psychopharmaka handzahm zu machen, so dass die Enkel die Großeltern unter Androhung von Hungerstreik zwingen würden, hierherzukommen.

Koller grinste: selbst das Problem mit den Initialisierungskosten war so gut wie gelöst. Schule und Kindergarten würden ihren Teil dazu beitragen und mit den Pfadfindern gleichziehen: was brauchten die IT-Infrastruktur, wenn die Kids schon zuhause problemlos mediensüchtig wurden? Und auch die Alterssiedlung brauchte keinen neuen Lift: ein bisschen Bewegung tut alten, müden Knochen gut und schützt vor Osteoporose. Das war leicht durchzusetzen. Alles in Allem waren das kleine Opfer für ein großes Ziel.

Er riss sich von seinen Gedanken los und wandte sich an Gugger: "Vielleicht – und ich betone vielleicht - haben sie Recht. Vielleicht braucht es einen Bären. Aber es braucht nicht gerade DER Bär zu sein. Jeder andere tut's genauso und man könnte sich den richtigen Kandidaten gewissermaßen maßgeschneidert aussuchen und…", er schoss hoch, riss einen Zettel vom Notizblock und schrieb das Stichwort 'Bärencasting als eintrittspflichtiger Großevent' darauf und fuhr weiter, "…und außerdem gibt es da ein Problem: kein Mensch weiß, wo sich DER Bär aufhält. Und das erschwert die Sache doch ungemein, meinen sie nicht?"

Gugger lehnte sich selbstgefällig zurück: "DAS Problem ist keines mehr: ich weiß, wo er steckt…"

Koller blickte erstaunt, überlegte und winkte ab. "Trotzdem: er ist widerborstig und wird meine Sache nur mit verhaltener Euphorie unterstützen. Plan B ist nur erfolgreich, wenn er als Gemeinschaftsprojekt umgesetzt wird. Das gilt vor allem für die Attraktion, den Publikumsmagneten. Wie ich schon sagte, braucht es nicht dieser eine Bär zu sein. Warum also sollte ich Mühe aufwenden, ihn zurück zu holen, wenn ich dasselbe billiger und schneller erreichen kann?"

"Wie wär's mit Rache? Blutrünstige, blindwütige Rache? Ihn für seine Hinterhältigkeit zahlen zu lassen."

Koller sprang auf und nahm seine Runde durch das Büro wieder auf: Rache?! Gugger hatte unbewusst seinen Finger in die schwärende Wunde gelegt. Nur war nackte Rache zu wenig, da musste noch ein Zusatznutzen her. Sein umherschweifender Blick fiel auf ein Bild, wo er dem Präsidenten des regionalen KMU-Verbandes die Hände schüttelte. Er musste es entfernen, weil der Kerl gerade in den Schlagzeilen war. Er wollte nicht mit Leuten in Verbindung gebracht werden, die sich beim Korrumpieren erwischen ließen. Anfänger, Nestbeschmutzer. Er marschierte weiter. Auf der dritten Runde begann er zu nicken, auf der Achten war die Begründungskette nahtlos und stichhaltig: das Biest musste leiden und gebrochen werden. Dessen Leiden würde der Beweis sein, dass die freie Natur Bären überforderte und diese in fürsorgliche Obhut der Menschen gehörten. Die Leute im Dorf wären traurig, wenn sie erführen, was ihrem Bären zugestoßen war und sich mit einem Zweit-Bären, einer verstörten, verstoßenen Existenz, dem nur dank dem liebevollen Asyl im Streichelzoo geholfen werden konnte, begnügen. Die Hohlköpfe waren weich. Rede ihnen ein schlechtes Gewissen ein und sie knicken weg wie dürre Halme. Da lag sogar ein Budgetposten von der Gemeinde drin, um dieses arme Tier medizinisch zu versorgen und durchzufüttern. Die verkorkste Sache begann sich zu entwirren und wenn er es geschickt anstellte, dann könnte alles schneller und grösser realisiert werden, als er es erträumte. Und der nette Nebeneffekt war, dass eine offene Rechnung nachhaltig beglichen war.

"Ich gehe mit ihnen einig, dass dem Untier – mit der notwendigen diplomatischen Zurückhaltung versteht sich - klar gemacht werden muss, dass wir etwas enttäuscht von seinem Verhalten sind. Wo steckt er?"

"In Italien!"

"Das liegt etwas außerhalb meines Einflussbereiches", sagte Koller enttäuscht, "da komm ich nicht an ihn ran."

"Macht nichts. Für mein Vorhaben brauche ich nur ihre, sagen wir, moralische Unterstützung. Ich tue ihnen einen Gefallen, sie tun mir einen Gefallen."

Koller überlegte. Das hatte etwas von Erpressung – falls er darauf einging. Andererseits…

"Was planen sie konkret", sondierte er.

"Aufstöbern und bestrafen…"

"Und wie wollen sie das erreichen?"

"Ich dachte, Geifer und Knack auf seine Fährte zu setzen. Die beiden brauchen etwas Bewegung und einen Anlass, sich aufzuheitern."

"Ich hörte, der Fuchs kann kaum laufen…"

"Fürsorge", konterte Gugger ohne zu Zögern, "es ist erstaunlich, was man mit aufopfernder Fürsorge alles erreicht."

"Trotzdem", lenkte Koller das Gespräch auf das Thema zurück, "was wollen die beiden gegen den Bären ausrichten. Denken sie nur an die Wildschweine, die er erledigt hat."

"Das war er nicht allein", knurrte Geifer verärgert auf, "ich habe kräftig mitgeholfen."

Koller hob zweifelnd die Augenbraue: "Vielleicht. Aber deine Kraft genügt nicht. Oder kannst du mit einer Flinte umgehen?"

Er wandte sich an Gugger: "Am besten, sie begleiten die beiden."

Gugger schüttelte den Kopf: "Würde ich gerne, doch im Moment läuft mein Laden wie geschmiert – dank der neuen Schnellstraße. Es reicht, wenn ihn die beiden aufstöbern und uns Bescheid geben. Wir sorgen für die notwendigen finalen Schritte. Das spart Zeit und ist effizient."

Geifer hob den Kopf: "Vergiss es: die 'finalen Schritte' mach ich selber. Wenn ich schon die ganze Arbeit habe, dann will ich auch das Vergnügen."

"Womit wir wieder beim Problem der Chancengleichheit sind", sagte Koller, "der Plan geht nicht auf."

Er erhob sich und nahm seinen Rundgang wieder auf und grübelte. Gugger war genervt. Er selber reinigte seine Waffe, wenn er grübelte.

"Ihr Vorschlag mit der, nennen wir es 'Zurechtweisung', gefällt mir. Ich werde mich erkundigen, ob die Möglichkeit besteht, das Unternehmen mit guten Erfolgsaussichten aus zu statten…"

Gugger hatte verstanden, dass die Audienz vorüber war. Er war zufrieden. Koller war angefixt. Er machte sich keine Illusionen, dass dieser auch nur andeutungsweise offiziell dazu stehen würde, aber der erste Schritt war getan.

Er erhob sich. "Ok. Sie melden sich, nehme ich an. Und sie vergessen nicht, dass sie mir, Erfolg vorausgesetzt, einen kleinen Gefallen schuldig sind. Nichts was sie finanziell oder im Ansehen stören würde. Nur den Job als Jagdaufseher."

"Mal sehen…"

Koller verabschiedete seinen Gast und setzte sich ans Telefon, kaum schnappte die Tür ins Schloss. Ein, zwei Ideen wollte er kurz abklappern, bevor er sich dem wichtigeren Thema, dem Bärencasting, widmen wollte. Der Besuch von Gugger hatte sich gelohnt. Um dessen Anspruch machte er sich keine Sorgen. Es würde ihm rechtzeitig was einfallen, Guggers Ambitionen zu knicken.


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