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Vorwort
ОглавлениеVor etwa hundert Jahren schrieb Wilhelm Busch eine Bildergeschichte über den heiligen Antonius von Padua. Dort erzählt er, wie sich der Teufel in Gestalt eines hübschen Mädchens in die Mönchszelle des heiligen Antonius einschleicht, um ihn in Versuchung zu führen. Natürlich misslingt dies gründlich:
»Auf einmal –
er wusste selbst nicht wie –
setzt sich das Mädel
ihm gar aufs Knie
und gibt dem heiligen Antonius
links und rechts einen herzhaften
Kuss.
Der heilige Antonius von Padua
war aber nicht ruhig,
als dies geschah.
Er sprang empor, von Zorn
entbrannt;
er nahm das Kreuz in seine Hand:
›Lass ab von mir, unsaubrer Geist!
Sei, wie du bist, wer du auch
seist!‹
Puh! da sauste mit großem
Rumor
der Satanas durchs Ofenrohr.«
Ganz anders fühlt sich eine Erfahrung hundert Jahre später an: Auf der Rückfahrt aus dem letzten Sommerurlaub machte ich an einer Schweizer Autobahnraststätte Halt, um zu tanken und einen Kaffee zu trinken. Schon am Eingang zur Raststätte warb der Pächter mit einem wirklich gut aufgemachten Plakat für ein Sonderangebot: »Süße Sünde: Lassen Sie sich in Versuchung führen! Genießen Sie heute einen himmlischen Pott Kaffee mit einem Extra-Stück hausgemachten Kuchen!«
Dass ich dieser Versuchung nicht erlegen bin, lag eher am doch recht stolzen Preis des Angebots als an meiner Tugend. Aber keine Frage: Sich in Versuchung führen zu lassen und der »süßen Sünde« zu erliegen wird in der Werbung der Raststätte als etwas ausgesprochen Positives hingestellt, womit man sich an einem schönen Sommertag etwas Gutes zur Erhöhung der Lebensqualität gönnen soll.
Würden Sie, liebe Leserin und lieber Leser, »Versuchung« eher mit der ersten oder eher mit der zweiten Geschichte in Verbindung bringen? Ist eine Versuchung, welcher Art auch immer, auf jeden Fall oder im Zweifelsfall zu meiden? Oder schadet es bisweilen nicht, ihr zu erliegen, weil das der Erhöhung der Lebensqualität dient – getreu dem Bonmot des britischen Dramatikers Alan Ayckbourn: »Das Schlimmste im Leben sind die Versuchungen, denen man nicht erlegen ist«?
Offenbar gibt es mindestens zwei Sorten von Versuchungen: solche, die uns zu etwas verführen wollen, das besser zu meiden ist, wenn wir unserem Lebensentwurf treu bleiben wollen – und solche, deren Befolgung ein »Mehr« an Lebensqualität verspricht oder, vorsichtiger formuliert, die man nicht gleich meiden muss, sondern mit denen sich eine Auseinandersetzung zumindest lohnt.
Nach der Einführung ins Thema wird es im zweiten Kapitel um die positiven, also herausfordernden Aspekte von Versuchungen gehen und im dritten um die gefährlichen. Versuchungen unter dem Schein des Guten sind Thema des vierten Kapitels, und im fünften geht es darum, wie wir Menschen sie erkennen und bewältigen. Eine Meditation von Karl Rahner über unsere Versuchbarkeit und zehn hoffentlich nützliche Leitsätze zum Umgang mit Versuchungen beenden das Buch.
Danke für Ihr Vertrauen sage ich den Menschen, die sich mir in ihren Versuchungen anvertraut haben und von denen ich viel über meine eigene Versuchbarkeit gelernt habe; und besonders danke ich Dagmar Arens, Maria Franz, Andreas Gesierich und Hyen Jin Yoo für viele gute Gespräche und für ihre fruchtbare und wohlwollende Kritik am Buchmanuskript.
Versuchungen gehören zum Leben – ob wir sie wahrnehmen wollen oder nicht. Und allemal gilt, was der italienische Journalist und Schriftsteller Giovanni Guareschi sagte: »Manch einer, der vor der Versuchung flieht, hofft doch heimlich, dass sie ihn einholt.«
Leipzig, im Frühjahr 2008 | Hermann Kügler SJ |