Читать книгу Versuchungen widerstehen? - Hermann Kügler - Страница 8

Оглавление

1. Annäherungen

Erste Annäherung: Was sind Versuchungen?

Relativ einfach mag es sein, wenn Sie sich im stillen Kämmerlein eingestehen, wodurch Sie persönlich versuchbar oder verführbar sind – das kann ja ganz unterschiedlich sein. Aber könnten Sie mit wenigen Worten sagen, was unabhängig von Ihrem Erleben eine Versuchung ist?

Irgendwie scheint es so zu sein, dass wir gar nicht genau sagen können, was eigentlich eine Versuchung ausmacht. Ist es der Reiz des Heimlichen und Verbotenen? Einer Versuchung zu erliegen – bedeutet das, ein eigentlich sinnvolles Gesetz oder Gebot zu missachten? Jemand würde z.B. etwas tun, was zwar reizvoll erscheint, was er aber bei klarem Verstand nicht tun dürfte oder sollte. Er oder sie würde etwa Diätvorschriften missachten und sich damit schaden. Ein anderer kauft etwas, was er sich gar nicht leisten kann. Noch jemand erledigt eine wichtige Aufgabe wegen eines kurzfristigen Vergnügens nicht oder geht fremd, weil sich eben die Gelegenheit dazu bietet.

Wir Menschen können durch andere verführt, also erfolgreich in Versuchung geführt werden durch Schmeicheleien, durch Bitten und Anstiften, durch Erwecken von Neugier und durch Manipulation. Wer einer Versuchung erlegen ist, erlebt anschließend oft Schuldgefühle und Reue. Die Handlung tut ihm leid, und er möchte sie vielleicht ungeschehen machen. Ich habe einmal verschiedene Definitionen zusammengesucht. Eine keineswegs vollständige Liste liest sich so:

Eine Versuchung ist eine Handlung, die einem Menschen reizvoll erscheint, die er jedoch nicht tun dürfte oder sollte. (http://de.wikipedia.org)

In den Religionen ist Versuchung das Bestreben, den Gläubigen vom Gehorsam gegenüber Gott bzw. den Göttern oder vom rechten Weg abzubringen. (Brockhaus-Enzyklopädie)

Verführung ist die gelingende negative Einflussnahme eines anderen Menschen oder des Satans auf das sittliche Verhalten. (Bibellexikon)

Verführung ist die bewusste und planmäßige Hinführung zum Bösen durch Zureden, Rat, Befehl oder schlüssige Handlungen. (Wörterbuch der Pastoralanthropologie)

Versuchung heißt: jemanden auf seinen Wert, seine Beständigkeit hin prüfen, ihn von den als recht erkannten Werturteilen abbringen, ihn in Sünde führen. (Bibellexikon)

Versuchung ist der Anreiz zur Sünde. (Karl Rahner, Theologe)

Die Versuchung besteht in der Gefahr, die optimale dynamische Hinordnung auf die ständige Vervollkommnung durch Handlungen zu gefährden, die dieses Streben beeinträchtigen. (Waldemar Molinski, Moraltheologe)

Eine Versuchung ist eine Situation, die mir zwar einen momentanen Vorteil und Genuss bringt, langfristig und objektiv gesehen mir oder anderen aber schadet. Sie begegnet mir tagtäglich, im Großen, im Kleinen, im Unwichtigen, im Existentiellen, sie macht mir zu schaffen, ich kämpfe mit ihr. (www.evangelium.de)

Versuchung ist der Wunsch des Menschen, sich von Gott zu trennen. (Lutz Hoffmann, Jesuit und Ökonom)

Versuchung ist die radikale Gefährdung des Glaubens, die zum Weggang aus der Jüngerschaft führen kann und damit das Heil des Menschen bei Gott aufs Spiel setzt. (Herbert Vorgrimler, Theologe)

Versuchung liegt dann vor, wenn der Mensch im Begriff ist, sich auf eine infantile Phase regredierend fixieren zu lassen. (Richard Ries, nach Sigmund Freud)

In Versuchung gerät der Mensch, wo er im Begriff ist, sich mit seiner Persona zu identifizieren, und wo er in Gefahr ist, sich mit seinem Schatten zu identifizieren bzw. seinen Schatten auf andere zu projizieren. (Richard Ries, nach C.G. Jung)

So weit – so gut. Damit wir aber vor lauter Bäumen den Wald nicht übersehen, also einen gewissen ersten Überblick behalten, lege ich mich auf die weiteste Definition fest und verstehe »Versuchung« im Folgenden so: Eine Versuchung ist eine Handlung, die einem Menschen reizvoll erscheint, die er jedoch nicht tun dürfte oder sollte. Die beiden Begriffe »Versuchung« und »Verführung« werden oft mehr oder weniger bedeutungsgleich gebraucht. In der Alltagssprache meint »Verführung«, eine Person so zu manipulieren, dass sie etwas tut, was sie eigentlich nicht tun will, z.B. etwas kaufen, was sie gar nicht braucht. Mit derlei Verführungen arbeitet die Werbung. Genauer bedeutet Verführung eine Form der gewaltfreien Überwindung von Widerständen, umgangssprachlich auch die Überwindung von Widerständen zum Erreichen sexueller Befriedigung, z.B. durch das Herstellen einer erotischen Atmosphäre.

Zweite Annäherung: das Doppelgesicht von Versuchungen

Schon in der Einleitung dieses Buches haben wir gesehen, dass Versuchungen mindestens zwei verschiedene Aspekte haben können: Einerseits scheint es so, dass wir Menschen sie meiden sollen, anderseits scheint es gerade erstrebenswert, ihnen zu erliegen. Wie bei den Definitionen habe ich dazu wieder eine Liste mit Zitaten aus der europäischen Geistesgeschichte zusammengesucht, in denen diese beiden Aspekte deutlich werden. Darauf kommen wir später noch genauer zu sprechen, wenn wir die biblischen Erfahrungen anschauen.

Der einzige Weg, eine Versuchung loszuwerden, ist, ihr nachzugeben. (Oscar Wilde)

Überfluss pflegt auch der Allerweisesten Verstand zu blenden. (Kaiser Friedrich II.)

Versuchungen sollte man nachgeben, wer weiß, ob sie wiederkommen! (Oscar Wilde)

Das Schlimmste im Leben sind die Versuchungen, denen man nicht erlegen ist. (Alan Ayckbourn)

Wenn es überhaupt einen Zweck des Lebens gibt, so ist es dieser: sich immer in Versuchung zu begeben. (Oscar Wilde)

Versuchungen sind wie Vagabunden: Wenn man sie freundlich behandelt, kommen sie wieder und bringen andere mit. (Mark Twain)

Manch einer, der vor der Versuchung flieht, hofft doch heimlich, dass sie ihn einholt. (Giovanni Guareschi)

Allem kann ich widerstehen, nur der Versuchung nicht! (Oscar Wilde)

Jede Versuchung ist genau so groß wie die Bereitschaft des Versuchten, ihr zu erliegen. (Silke Zajonz)

Es gibt verschiedene gute Mittel gegen Versuchung, aber das sicherste ist die Feigheit. (Mark Twain)

Anfechtungen sind Umarmungen Gottes. (Martin Luther)

Verbotene Früchte schmecken am besten. (Ovid)

Der Mensch versuche die Götter nicht! (Friedrich Schiller)

Menschen, die der Versuchung widerstehen, verschieben nur ihre Kapitulation auf morgen. (Charles Maurice de Talleyrand, französischer Bischof, Staatsmann und Außenminister)

Versuchung führt zum Versuch. Und Versuch macht klug. (Waltraud Puzicha, deutsche Aphoristikerin)

Wenn wir der Versuchung widerstehen, dann gewöhnlich deshalb, weil die Versuchung schwach ist, und nicht, weil wir stark sind. (François VI., französischer Offizier, Diplomat und Schriftsteller)

Sorge dich nicht darum, wie du der Versuchung widerstehen kannst. Wenn du älter wirst, widersteht sie dir. (Willy Meurer, Kaufmann und Publizist)

Wir können unser Heil nur durch die Reue erlangen. Wie soll man bereuen, wenn man nicht vorher gesündigt hat? Wenn uns also Gott die Versuchung schickt, ist es unsere Pflicht, ihr zu erliegen. (Grigori Rasputin, russischer Mönch, Wanderprophet und Geistheiler)

Lieber Gott, führe mich in Versuchung, aber richtig! (unbekannt)

Eines unserer größten Probleme besteht darin, dass wir täglich so vielen Verlockungen ausgesetzt sind, dass die Zeit nicht reicht, allen nachzugeben. (aus Mexiko)

Versuchungen kommen meist durch absichtlich offen gelassene Türen. (Gilbert Keith Chesterton, englischer Kriminalautor)

Gebet des Mönchs: Herr, schenke mir Geduld – aber bitte sofort! Und schenke mir Keuschheit – aber bitte erst ab morgen! (unbekannt)

Hoffentlich schwirrt Ihnen jetzt nicht der Kopf! Ich habe diese vielen aphoristischen Annäherungen deswegen ausgewählt, weil darin deutlich wird: »Versuchung« ist nicht einfach eine religiös-biblische oder spirituell-asketische Kategorie. Sondern sie ist noch davor ein höchst interessantes menschliches Grundproblem. Weil wir Menschen mit achtzehn Jahren zwar volljährig, aber keineswegs vollständig und fertig sind und uns hoffentlich lebenslang weiterentwickeln, begegnen uns Versuchungen, solange wir leben.

Auf den nächsten Seiten wird es nun steil fachlich. Ich will mit Ihnen ansehen, welche Erfahrungen die biblische Botschaft zu unserem Thema beisteuert.

Dritte Annäherung: Versuchungen in der biblischen Botschaft

In der Bibel begegnet uns der griechische Begriff »peirazein«/»peirasmos«, also »versuchen«/»Versuchung«, sowohl in der griechischen Übersetzung des Alten Testamentes – der so genannten Septuaginta – wie im Neuen Testament in zwei Bedeutungen, die gut zu unterscheiden sind.

»Peirazein«/»peirasmos« bedeutet zum einen: »auf die Probe stellen«. Das macht Gott, wenn er den Menschen prüft. Weil wir Menschen Werde-Wesen sind, müssen wir uns immer wieder zwischen mehreren Möglichkeiten entscheiden. Die Versuchbarkeit zwischen Gut und Böse ist sozusagen mit der menschlichen Existenz mitgegeben. In diesem Sinne führt Gott in Versuchung.

Ein Beispiel für diese Bedeutung findet sich im Jakobusbrief: »Seid voll Freude, wenn ihr in mancherlei Versuchung geratet. Ihr wisst, dass die Prüfung eures Glaubens Ausdauer bewirkt. Die Ausdauer aber soll zu einem vollendeten Werk führen: denn so werdet ihr vollendet und untadelig sein, es wird euch nichts mehr fehlen« (Jak 1,2–4).

Zum anderen bedeutet der Begriff: »zur Sünde verführen«. Solches machen der Teufel, böse Mitmenschen und die eigenen bösen Neigungen. Im selben Jakobusbrief lesen wir in diesem Sinn ein paar Zeilen später: »Glücklich der Mensch, der in der Versuchung standhält. Denn wenn er sich bewährt, wird er den Kranz des Lebens erhalten, der denen verheißen ist, die Gott lieben. Keiner, der in Versuchung gerät, soll sagen: Ich werde von Gott in Versuchung geführt. Denn Gott kann nicht in die Versuchung kommen, Böses zu tun, und er führt auch selbst niemanden in Versuchung. Jeder wird von seiner eigenen Begierde, die ihn lockt und fängt, in Versuchung geführt. Wenn die Begierde dann schwanger geworden ist, bringt sie die Sünde zur Welt; ist die Sünde reif geworden, bringt sie den Tod hervor« (Jak 1,12–15).

Im Alten Testament finden wir Versuchungen durch den Teufel nur an wenigen Stellen: Adam und Eva werden im Paradies von der Schlange versucht, in der die spätere Tradition den Teufel sieht (Gen 3). Im Buch Hiob versucht der Teufel – mit ausdrücklicher Erlaubnis Gottes – Hiob. Als König David das Volk Israel zählen will, ist es der Teufel, der ihn dazu anstachelt. »Der Satan trat gegen Israel auf und reizte David, Israel zu zählen« (1 Chr 21,1).

Die weitaus meisten Texte des Alten Testamentes sprechen von einer Prüfung durch Gott, der durch einen Eingriff in das Leben eines Menschen dessen Treue auf die Probe stellt. Die Geschichte von der gerade noch verhinderten Opferung Isaaks durch Abraham wird traditionell so verstanden (Gen 22,1–19).

In den Geschichten vom Sündenfall im Paradies und von der Opferung Isaaks sowie im Hiobbuch haben wir die klassischen Stellen des Alten Testamentes über Versuchungen. Der Vollständigkeit halber sei noch angemerkt, dass nach dem Alten Testament auch die Menschen Gott versuchen: Nach dem Auszug aus Ägypten beschwert sich das Volk nicht nur bei Mose, dass er es in die Wüste geführt hat, sondern es stellt Gott auf die Probe durch offenes Murren und durch Zweifel an seiner Führung (Ex 17,1–7). Gott versuchen bedeutet dabei so viel wie: an der Macht Gottes zweifeln. Und das ist ein Zeichen von Unglauben.

Das Neue Testament schreibt große Macht dem Teufel zu, wenn es deutlich machen will, wieso Menschen Versuchungen erliegen und sündigen. Dieser stiftet zum Unheil an, verführt zur Sünde und nutzt die Menschen aus. Die wahre Ursache zur Sünde aber ist die Begierde, die im Menschen wohnt. Ihr zu widerstehen ist möglich. Die wohl eindrucksvollste Versuchungsgeschichte im Neuen Testament ist die Erzählung von der Versuchung Jesu (Mk 1,12–13; Mt 4,1– 11 und Lk 4,1–13). Wie Moses (Ex 34,28; Dtn 9,9.18) fastet auch Jesus vierzig Tage und vierzig Nächte. Auf diese Geschichte werde ich im nächsten Kapitel zurückkommen.

Versuchungen widerstehen?

Подняться наверх