Читать книгу Abenteuer Via Francigena - Hermine Stampa-Rabe - Страница 8
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Den Pilgerstab in der Hand,
die Sehnsucht im Gepäck,
im Haar den Wind der Begeisterung
und tief im Herzen das ewige Ziel -
Was kann mir schon passieren!
(Verfasser ist mir unbekannt)
Der Weg von Canterbury nach Calais
03. Mai 2008: Canterbury - Dover
Nach englischer Zeit starte ich um 11.23 Uhr bei der Jugendherberge.
Aber nun ganz von vorn: Gestern brachte mich die Eisenbahn von Kiel bis Brüssel. Durch Verspätung musste ich drei Stunden auf den nächsten planmässigen Zug EUROSTAR warten, der mich dann aber unter dem Ärmelkanal hindurch bis London brachte. Dort stieg ich in den nächsten Zug nach Canterbury um, wo ich nach Sonnenuntergang ausstieg. Glücklicherweise spazierten gerade zwei junge Mädchen vor mir her, die ich nach dem richtigen Weg zur Jugendherberge Canterbury fragte. Denn dort war ich vorgebucht. Sie nahmen mich eine kurze Strecke bis zu einer kleinen Brücke mit. Eins der Mädchen fischte aus seiner Tasche einen Stadtplan von Canterbury und zeigte mir, wo ich entlanggehen soll. Sie war mein erster Engel auf meinem Pilgerweg. In einer Stadt mit wenig Strassenlaternen wäre ich ohne Stadtplan aufgeschmissen. Noch zweimal erkundigte ich mich nach der richtigen Strasse und erreichte um 22.30 Uhr mein gebuchtes Schlafquartier.
Verlaufen
Nach einer kurzen Nacht und einem guten Frühstück wandere ich nun zur Kathedrale, fotografiere die Überreste der alten und werde in die neue, grosse verwiesen. Dort erhalte ich den ersehnten Stempel für meinen Pilgerpass. Die Priester sind von meinem Erscheinen als Pilgerin, die nach Rom zu Fuss wandern möchte, ganz begeistert. Einer von ihnen geleitet mich nach draussen, zeigt mir einen Gedenkstein für die Pilger der Via Francigena vor der Tür auf dem Rasen, fotografiert mich damit und erteilt mir seinen Segen. Nun kann mir eigentlich auf meinem Pilgerweg nichts mehr passieren.
Wieder zurück in der Jugendherberge, ziehe ich mir meine warme Fleecejacke aus, quetsche sie noch oben in den sowieso schon zu schweren und vollen Rucksack und hieve ihn mir mit einem gekonnten Schwung über die Schultern und auf den Rücken. An das Gewicht hat sich mein Körper eben zu gewöhnen, basta. Schliesslich will ich nach Rom und anders geht es leider nicht.
Bei fünfundzwanzig Grad Celsius und Sonnenschein wandere ich los. Die Bäume tragen in dieser Region schon grüne Blätter. Die typischen Blumen Englands, die Blew Bells, blühen am Strassenrand, während ich auf der Dover Road Richtung Osten zur Hafenstadt Dover pilgere.
Die ganze Geschichte der berühmten Pilgerfahrt nach Canterbury erschliesst sich im Canterbury Museum, das in einem 1373 erbauten ehemaligen Altersheim für Priester untergebracht ist. Unter der Stadt auf dem Niveau des römischen Canterbury finden wir das Roman Museum.11
Es ist 15.24 Uhr. Auf der Hauptstrasse nach Denton rät mir ein Autofahrer zu einer Abkürzung, die ich finde. Es geht quer feldein, ohauahauaha! Bin gerade mit meinem Gepäck auf dem Rücken über ein Hecktor gestiegen. Die Krähen krächzen, Hasen hoppeln. Ein Rebhuhn sonnt sich im Sand, büxt aber bei meinem Anblick sofort aus. Ich weiss gar nicht, warum? Bald muss ich durch wildbewachsenes Gelände. Um 15.42 Uhr verlasse ich den unmöglichen Urwaldweg. Bin begeistert von dieser urigen Wegführung. Vor mir liegt eine Pferdekoppel, die ich überqueren soll. So steige ich in der Hoffnung, dass mich die hier grasenden Pferde in Ruhe lassen, über ein wackeliges und bemoostes Hecktor. Zur Not besitze ich ja zum Verscheuchen der grossen Tiere eine Trillerpfeife. An der Kante der Pferdekoppel kann ich nicht gehen. Dort liegen überall Haufen von Pferdeäpfeln. Scheinbar halten sich diese Tiere nachts hier auf. Hasenködel liegen dazwischen. Ach du meine Güte, die möchte ich auch nicht im Profil meiner Schuhe haben. Also schlage ich lieber einen Bogen darum herum. Durch schönes weiches Gras, durchsetzt mit Gänseblümchen, stapfe ich dahin. Hilfe, die Pferde kommen! Ich nehme die Trillerpfeife in die Hand.
Die Pferde nähern sich und strecken mit neugierigen Augen ihre grossen Köpfe zu mir herunter. Mir wird mulmig. Ich rufe, schimpfe, pfeife. Sie kümmern sich nicht darum und kommen immer dichter an mich heran. Ich weiche rückwärts aus und trete auf diese Weise versehentlich in ihre Pferdeäpfel. Zur Verteidigung gegen die grossen Tiere könnte ich meinen Wanderstock benutzen. Doch der klemmt hinten am Rucksack. Unter reger Anteilnahme der Vierbeiner lasse ich ihn hinuntergleiten. Zack, zack löse ich den Wanderstock, nehme ihn in die Hand und versuche, die Pferde damit zu verscheuchen. Aber vor mir zeigen sie keinen Respekt. Sie sollen verschwinden! Aber wie soll ich es denn noch versuchen? Unter lautem Schimpfen laufe ich auf sie zu und schwinge den Stock durch die Luft. Sie drehen in grossen Sprüngen um, laufen etwas weg und beobachten mich aus der Entfernung.
So schultere ich wieder meinen Rucksack, befestige meine Bauchtasche daran und setze meinen Weg zum gegenüberliegenden Hecktor fort.
Aber die Pferde nähern sich mir wieder und drücken mich mit ihren zu mir heruntergebogenen Köpfen noch weiter zurück - und in ihre Pferdeäpfel. Die dicken, grün schillernden Mistfliegen, die darauf sitzen und sich voll fressen, schwirren ab. Der „Duft" hüllt mich ein und beleidigt meine Nase. Pferdefreunden ist er sicher sehr sympathisch. Aber mein Fall ist er nicht. Ich muss weiter und kann mich nicht ewig auf dieser Koppel bedrängen lassen. Die anhänglichen und neugierigen Tiere mit meinem hoch erhobenen Wanderstock scheuchend, erreiche ich endlich die andere Seite der Pferdekoppel. Mit klopfendem Herzen jage ich meine Bewunderer noch einmal davon, steige mit Hast über das hohe Gatter - und bin endlich die Tiere los. Sie stehen dicht nebeneinander und starren mich fragend an. Jetzt ist es 15.55 Uhr
Noch ein abschliessendes Foto von meinen vierbeinigen Begleitern, dann wandere ich frisch, fromm, fröhlich und munter weiter und hoffe, auf der richtigen Spur Richtung Dover unterwegs zu sein. Mein Weg endet auf einer Autostrasse. Nach längerer Zeit frage ich einen Autofahrer, der in seinem parkenden Wagen sitzt, nach dem richtigen Weg. Er guckt mich ganz verblüfft an und gibt mir zu verstehen, dass ich in die falsche Richtung gegangen bin. Hier komme ich nach Volkstone. Wütend über meine eigene Dummheit, dem Rat gefolgt zu sein, der Abkürzung über die Wiese, den Hügel hinauf und durch den Urwald zu gehen, überlege ich hin und her.
Nach genauer Prüfung meiner sehr dürftigen Landkarte sehe ich, dass ich nach einem Kilometer die Autobahn erreiche, die nach Dover führt. Vielleicht gibt es dort eine Bushaltestelle. Die Sonne steht nämlich schon ziemlich tief. Zu Fuss würde ich erst bei Dunkelheit dort ankommen.
Zum Glück kommt von vorn ein Auto und fährt auf ein Grundstück. Ich gehe sofort hin und frage den Autofahrer.
„Gehen sie ein kleines Stück zurück. Dort gibt es für Fussgänger eine Überquerung über die Autobahn. Sie müssen nur aufpassen, dass dann nicht gerade ein Auto kommt. Dort oben auf dem Berg - er zeigt mit dem Arm dorthin - finden sie eine Bushaltestelle und können nach Dover fahren. Auch befindet sich dort ein Hotel, falls sie übernachten möchten", erklärt er mir."
Die Stelle finde ich an der Autobahn und überquere mit einem komischen Gefühl in der Magengegend die erste Doppelspur. Auf dem Mittelstreifen finde ich extra für Fussgänger eine breitere Stelle, auf der ich warte, bis von links die Strasse frei ist. Und - schwups - habe ich zu Fuss die Autobahn überquert. So etwas ist in Deutschland verboten.
Auf dem Seitenstreifen wandere hoch auf den Berg, finde dort aber nur ein verlassenes Hotel vor. Bei einem Motorradgeschäft steht ein kleiner Imbiss. Dort möchte ich nach der Bushaltestelle fragen. Aber der Imbiss hat schon geschlossen. Der Besitzer des Motorrad-Geschäfts erklärt mir, dass es hier keine Bushaltestelle gibt und dass ich auf dem Seitenstreifen der Autobahn nicht wandern darf. Aber wenn ich eine Stunde warten würde, dann gäbe er mir einen Lift. Das heisst: Er nimmt mich in seinem Auto mit nach Dover. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen, warte draussen, stille meinen Hunger mit dem Brötchen und meiner Banane, die ich beide von Kiel in meinem Rucksack hatte und spüle mit Wasser nach. Die Schatten werden immer länger. Es wird kühl. Ich darf schon ins Auto steigen. Mein dicker Rucksack findet im Kofferraum gerade noch Platz. Der Mann reicht mir eine Liste mit den hier in der Nähe befindlichen Gasthäusern, aus denen ich mir eins in Dover aussuchen kann. Per Handy buche ich ein Zimmer. Bald darauf steige ich vor dem Gasthof aus dem Auto.
Heute bin ich ungefähr zwanzig Kilometer gewandert und hätte normalerweise in Dover ankommen müssen. Hätte! Das möge in Zukunft besser werden. Von meinem Fenster aus sehe ich unter dem langsam dunkler werdenden Abendhimmel in der Ferne eine Bergwand. Sie erinnert mich an die Schwäbische Alb! Und das an der englischen Küste. Was für ein Glück, dass ich hier nicht mit dem Fahrrad und Packtaschen unterwegs bin. Mit dem Rucksack auf dem Rücken ist es entschieden leichter auf einen Berg zu gelangen.
Fazit: Meine Beine, die Hüften und Füsse tun nicht weh. Es geht mir eigentlich ganz gut.
Die ganze Geschichte der berühmten Pilgerfahrt nach Canterbury erschliesst sich im Canterbury Museum, das in einem 1373 erbauten ehemaligen Altersheim für Priester untergebracht ist. Unter der Stadt auf dem Niveau des römischen Canterbury finden wir das Roman Museum.2
Pilgersuppe Canterbury
60g Butter erhitzen und 150 g Zwiebeln darin anbraten. Nach 3 Min. 3 Esslöffel Mehl zugeben und 7 Min. köcheln lassen. Salzen, pfeffern, 1 l Wasser zugeben und 10 Min. kochen lassen. In einem Suppenteller ein Eigelb mit der Gabel schaumig schlagen. Suppe vom Feuer nehmen und ½ l helles Bier zugeben. Getoastetes Brot in den Suppenteller geben. Suppe darüber giessen und mit reichlich gehackter Pfefferminze garnieren.[3]
04. Mai 2008: Dover - Calais, Frankreich
Es ist 6.15 Uhr. Mein Blick fällt auf den grossen Bergrücken. Der Himmel hängt voller Wolken. Heute geht es mit dem Schiff nach Frankreich.
Kurz nach 9.00 Uhr habe ich ein tolles, englisches Frühstück genossen. Dieses Bed and Breakfast, in dem ich schlief, ist ein ehrwürdiges, altes Haus. Die Stuben sind mit wertvollem Porzellan dekoriert. Überall an den Wänden hängen Fotos der Gastgeber und ihrer Kinder mit Doktorhut auf dem Kopf. In England gibt es nur Mädchen- oder Jungenklassen.
Auf dem Weg zum Hafen möchte ich die grosse Burg von Dover fotografieren. Aber mein Wunsch, sie zu besichtigen, schrumpft auf der Stelle, als ich sie vor mir auf einem Berg erblicke. Selten überholt mich ein Auto. Die Leute schlafen wohl noch, denn heute ist Sonntag.
In der ersten Kirche bitte ich den Pastor um einen Stempel für meinen Pilgerpass. Aber einen Stempel gibt es hier nicht. Er nimmt das neu erschienene Heftchen dieser Jean-Paul-Kathedrale zur Hand und setzt sein Autogramm mit Datum neben das kleine Kirchenfoto. Das darf ich später ausschneiden und in meinen Pass kleben. Auch erteilt er mir seinen Segen für eine sichere und erfolgreiche Pilgerwanderung. Auf meinem Weg zur Fähre komme ich an einer weiteren Kirche vorbei, in die viele Menschen strömen. Diesen schliesse ich mich an. Im Anschluss an den Gottesdienst wird das Abendmahl zelebriert.
Der Hafen ist nicht so leicht zu erreichen. Ein ehemaliger Mariner zeigt mir den Weg. Mit der Schnellfähre fahre ich nicht, weil sie mir viel zu teuer ist. Um 11.50 Uhr werden wir Fahrgäste per Bus zur anderen Fähre gebracht. Nun verlasse ich England und komme nach Frankreich.
Früher konnten nur zwei Fähren von Dover nach Calais fahren. Jetzt fahren täglich acht Fähren. Auf einer davon sitze ich auf dem Oberdeck. Neben mir sitzt ein lustiger, junger Engländer, der mit einer Touristengruppe per Eisenbahn um Europa fahren will, wie er mir stolz erklärt. Da er kaum Geld besitzt, wird er jeden Tag nur von Hamburgern leben müssen, meint er mit einem unglücklichen Gesichtsausdruck. Vom Schiff aus bewundere ich das beeindruckende und hohe weisse Kliff der englischen Küste. Langsam wird es immer kleiner. Über uns kreisen die hungrigen Möwen. Eine kühle Brise weht mir um die Nasenspitze. Deshalb ziehe ich mir meine Pilgermütze tiefer in die Stirn.