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1. Håp Land – Jahresbeginn

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Am Neujahrsmorgen schliefen noch alle, außer dem Hotelpersonal. Da Sven zum Personal gehörte, musste er auch beizeiten aufstehen. Er hatte zwei Zimmer gebucht. In dem einen übernachteten seine Eltern und in dem anderen er selbst und Andrea. Sven musste zeitig bei einer internen Besprechung im Hotel sein.

Die Hotelchefin hatte alle Angestellten in den Saal beordert, um über die Zukunft des Hotels zu sprechen. Am Anfang wies sie darauf hin, dass die Zimmerbelegungen rückläufig waren und das Hotel immer mehr in Konkursnähe rückte. „Damit wir aber unsere Arbeitsplätze alle erhalten konnten, wurde das Hotel an einen deutschen Investor verkauft. Dieser Investor hat erst einmal alle Arbeitsverträge gekündigt.“

Ein enttäuschtes Raunen ging durch den Raum.

„Mein Arbeitsvertrag wurde auch gekündigt. Das ist aber noch kein Grund zur Besorgnis, denn sie bieten uns allen ohne Ausnahme einen neuen Arbeitsvertrag an, der leistungsbezogen und fair ist. Am Ende können wir sogar mehr verdienen. Der bisherige Lohn wird jetzt in gleicher Höhe als Grundlohn bezeichnet. Dazu bekommt jeder zu gleichen Teilen eine Leistungsprämie, die aus drei Prozent vom Gesamtumsatz des Hotels gezahlt wird. Somit haben wir ab diesem Jahr eine Art Lohnerhöhung zu verzeichnen. Die Auszahlung an die Belegschaft erfolgt zu gleichen Teilen unabhängig vom Grundlohn. Somit will der neue Betreiber erreichen, dass auch wir daran interessiert sind, dass unser Hotel Umsatz macht. Bei einer fünfzigprozentigen Hotelauslastung könnten das pro Monat vielleicht 450,- NOK sein. Das sind pro Jahr etwa 5.400,- NOK.“

Die Belegschaft klatschte. Sie hatten alle Angst vor dieser Zusammenkunft gehabt. Jeder wusste, dass das Hotel zum Verkauf stand. Aber wie es jetzt aussah, war die Angst unbegründet gewesen. Sven, der einer von denen war, die am meisten gebangt hatten, lehnte sich entspannt zurück. Er dachte daran, dass ihm Wolfram geraten hatte, besonnen zu bleiben und abzuwarten. Wolfram hatte wieder einmal recht gehabt.

„Ich möchte noch eine Änderung bekannt geben. Ab sofort wird Sven Aglund die Leitung für die Rezeption übernehmen. Zugleich ist der Leiter der Rezeption auch verantwortlich für das Etagenpersonal und die Gastronomie. Das ist eine Bedingung des neuen Betreibers des Hotels. So ist Sven Aglund ab sofort auch die Anlaufstelle für alle Reparaturmeldungen und Verbesserungsvorschläge. Damit wird er zum Abteilungsleiter des Gästebereiches und mir direkt unterstellt. Gibt es dazu noch Fragen?“

Alle sahen zu Sven. Er selbst zuckte mit den Schultern.

„Für Sven Aglund kommt das genauso überraschend wie für alle. Trotzdem denke ich, dass Sie das schaffen werden, Sven. Damit ist dieses Informationstreffen beendet. Sven, Sie bleiben bitte noch. Wir müssen ein paar organisatorische Dinge besprechen.“

Die Belegschaft ging ihrer normalen Arbeit nach. Sie waren alle erleichtert, dass ihre Arbeit auch weiterhin sicher war. Die Hotelchefin und Sven zogen sich an einen am Rand stehenden Tisch im Saal zurück und sie unterbreitete Sven jetzt die Dinge, die nur ihn etwas angingen.

„Sven, Sie profitieren von dieser Änderung am meisten. Ihr Gehalt ist genauso wie mein Gehalt stark vom Umsatz abhängig. Sie bekommen zu Ihrem Grundgehalt nicht das Gleiche wie die restliche Belegschaft. Sie sind zusätzlich mit 0,2 Prozent am Umsatz des Hotels beteiligt. Das klingt wenig, aber glauben Sie mir, diese 0,2 Prozent können Ihr Gehalt verdoppeln bis vervierfachen. Man will damit sicher erreichen, dass wir alle dafür sorgen, dass mehr Gäste in unser Hotel kommen. Ob es funktioniert, weiß ich auch nicht. Wir werden sehen. Sie sind dadurch, dass Sie erster Mann in der Rezeption waren, jetzt zu meinem Vertreter aufgestiegen. Das war nicht meine Idee. Trotzdem beglückwünsche ich Sie zu diesem Aufstieg. Sie können es jetzt, wo Sie eine Familie haben, die sich demnächst vergrößert, sicher gut gebrauchen. Vermutlich hat Ihnen die Veranstaltung gestern diesen Bonus eingebracht, denn das war ja Ihre Initiative.“

„Nein, nein, so war es nicht. Ich habe auch nur im Auftrag meines jetzigen Schwagers gehandelt.“

„Sven, seien Sie nicht dumm. Das muss doch der neue Betreiber nicht wissen. Sie haben diese Feier in unser Hotel gebracht und sind dadurch positiv aufgefallen. Genießen Sie Ihren Erfolg“, meinte Svens Chefin.

Zur gleichen Zeit wurden Maria und Wolfram drei Etagen höher munter. Sie lag in seinen Armen und träumte vor sich hin.

„Bist du jetzt glücklich?“, wollte Wolfram wissen.

„Ja, überüberglücklich! Als du die erste Ansprache gehalten hast und von mir sprachst, fand ich es nicht so toll, dass du so viel von mir und uns erzählt hast. Aber als ich mich später mit dem einen oder anderen aus unserem Dorf unterhalten habe, da verstand ich dich. Einige haben gestern wirklich umgedacht. Ich weiß, du hast immer gesagt, dass sie das tun werden. Ich habe es nicht glauben können. Du hast es geschafft. Danke! Danke! Danke!“ Marias Augen strahlten vor Glück. Sie umarmte ihren Wolfram, küsste ihn und wäre am liebsten den ganzen Tag mit ihm im Bett geblieben.

Da klopfte es an der Tür, welche zum Kinderzimmer führte. Wolfram rief: „Kommt rein!“ Die Tür öffnete sich und fünf Kinder kamen auf die beiden zugerannt. Gerda und Kai kamen etwas verhalten, während Eva, Laura und Julia das Bett ihrer Eltern stürmten.

„Aber wir dürfen doch gar nicht ins Zimmer, wenn eure Eltern noch im Bett liegen“, meinte Gerda zu Eva.

„Doch!“, antwortete diese. „Das machen wir zu Hause oft so. Komm einfach mit. Zu fünft macht es bestimmt noch mehr Spaß als sonst zu dritt.“ Maria und Wolfram kannten das schon aus Sonnenberg. Sie taten so, als ob sie Angst hätten, und verkrochen sich unter der Bettdecke. Nun zerrten die Kinder an der Decke und hatten großen Spaß dabei. Plötzlich gab die Decke nach. Gerda und Kai blieben wie versteinert stehen.

„Eure Eltern haben ja gar nichts an“, rief Gerda entsetzt.

„Na und“, meinte Laura. „Die schlafen doch immer so.“

Maria war nun etwas verlegen, weil sie nicht daran gedacht hatte, dass Jansens Kinder ja anders groß geworden waren.

Wolfram zog die Decke wieder zurück und meinte: „Gerda, sieh mal, wenn Eva, Laura und Julia baden gehen, haben sie auch nichts an. Bei uns ist das ganz normal! Frag Eva.“

„Stimmt das?“, fragte sie jetzt Eva.

„Ja, bei uns am See baden die Erwachsenen auf der linken Seite mit Badeanzug und rechts ohne. Das stört zu Hause niemanden. Wenn wir baden, dann baden wir immer ohne was an. Mamma und Pappa auch. Das ist doch nicht schlimm.“

Doch Gerda und Kai sahen das doch etwas anders. So etwas waren sie von zu Hause nicht gewöhnt. Um dieser Diskussion ein Ende zu machen, sagte Maria: „Jetzt geht euch erst mal waschen und anziehen, dass wir frühstücken gehen können.“

Nachdem die Kinder ins Bad gerannt waren, zogen Maria und Wolfram sich an. Als alle fertig waren, fuhren sie mit dem Fahrstuhl runter in den Saal, wo das Frühstücksbuffet auf sie wartete. Von den anderen der Hochzeitsgesellschaft war noch niemand im Saal. Wolfram meinte: „Kinder! Ihr dürft so viel essen, wie ihr wollt. Heute dürft ihr euch selbst etwas nehmen, wie die Erwachsenen. Das gilt auch für euch, Gerda und Kai.“ Die kleine Julia nahm Wolfram auf den Arm, damit sie zeigen konnte, was sie essen wollte.

Als alle am Tisch saßen, ging Wolfram zum Kellner und fragte, ob der Rest vom kalten Buffet von gestern Abend wie abgesprochen in zwölf gleiche Pakete verpackt worden sei. Der Kellner nickte, woraufhin Wolfram meinte, dass er diese Pakete nachher abholen wolle. Dann setzte er sich zu Maria und den Kindern und frühstückte erst mal reichlich.

Nach einer Viertelstunde kam Sven ganz aufgeregt an den Tisch und sagte: „Wisst ihr, was heute Früh hier los war? Es gab eine Belegschaftsversammlung und wir wurden informiert, dass das Hotel verkauft worden ist und dass ich jetzt Bereichsleiter für den Gästebereich bin. Wolfram, ich weiß nicht, wie du das machst. Aber du hattest schon wieder recht, als du sagtest, ich solle erst mal abwarten. Ich werde auch mehr verdienen. Das Jahr fängt wunderbar an. Dabei war ich so in Sorge.“

„Weiß Andrea das schon?“, fragte Maria.

„Ja, ich komme gerade von oben. Sie liegt noch im Bett. Ich musste leider schon recht früh raus, wegen dieser Belegschaftsmitteilung.“

„Sven“, sagte Wolfram, „die Wege des Herrn sind unergründlich! – Kannst du veranlassen, dass die Pakete vom gestrigen kalten Buffet mitnahmefertig sind? Wir wollen sie nachher mit ins Dorf nehmen, wenn wir die beiden Kinder zurückbringen.“

„Na klar. Schließlich bin ich seit heute auch für die Küche verantwortlich.“

Nach dem Frühstück zogen sie sich warm an, holten die zwölf Pakete aus der Küche und fuhren mit ihrem Leihauto rüber ins Dorf Håp Land. Dort ging es aber zuerst in die Dorfschenke, um eine Einladung für den Nachmittag zu hinterlegen. Sie baten den Wirt, diese ins Fenster zu hängen. Mit einem von den zwölf Paketen war er dann auch überzeugt und klebte die Einladung ins Fenster, sodass man sie von außen lesen konnte. Anschließend fuhren sie zu den Eltern von Gerda und Kai. Olaf und Ivonne freuten sich, dass sie ihre Kinder wiederhatten. Sie bedankten sich auch noch einmal, dass Maria und Wolfram sie so problemlos im Hotel untergebracht hatten. So hatten Olaf und Ivonne bis zum Schluss mitfeiern können. Olaf fragte trotzdem: „Gab es irgendwelche Probleme mit unseren beiden Kindern?“

Maria und Wolfram sahen sich an und schüttelten die Köpfe. Wolfram übergab Ivonne eins von den zwölf Paketen. „Das ist für euch. Esst es schnell auf. Es wird sich nicht lange halten.“

„Aber das ist doch nicht nötig. Das können wir nicht auch noch annehmen“, meinte Olaf.

„Dann müssen wir es wegwerfen. Das wäre aber schade. Im Hotel darf es nicht mehr verwendet werden. Wer soll es also essen?“, entgegnete Wolfram.

„Dann geben Sie es doch Marias Eltern“, meinte Ivonne.

„Das ist nur eins von zwölf Paketen. Natürlich bekommen Marias Eltern auch eins. Dann sind aber immer noch zehn Pakete im Auto“, erwiderte Wolfram. „Olaf, Sie kennen die Leute im Dorf. Wie viele Familien haben so gut wie kein Einkommen?“

„Es sind außer uns noch sieben Familien. Warum fragen Sie?“ Da rief Wolfram die Kinder und sagte zu ihnen: „Wollt ihr uns helfen?“ Aus fünf Mündern kam ein eindeutiges Ja.

„Dann nehmt bitte die Pakete, die ich euch gleich aus dem Auto gebe, und tragt sie zu den Familien, die euch Onkel Olaf beziehungsweise euer Pappa sagen wird. Nehmt erst einmal vier Pakete und holt dann die anderen drei. Für die Kleinen ist das sicher zu schwer.“

„Aber von den Familien waren gestern gar nicht alle bei der Feier“, gab Olaf zu bedenken.

„Dann hatten sie vielleicht ein ähnliches Problem wie ihr. Umso mehr werden sie sich freuen.“ Zu Eva gewandt sagte Wolfram: „Eva, du bist doch schon groß. Sage bitte, dass es von gestern übrig ist und wir uns sehr freuen würden, wenn sie dieses Geschenk annehmen würden. Und ihr, Laura und Gerda, helft ihr bitte dabei. Wir müssen die leckeren Sachen sonst wegwerfen. Sagt ihnen das.“

Er nahm die Kinder mit zum Auto, gab den großen vier Pakete und nahm noch einmal vier Pakete mit ins Haus. Die Kinder liefen los – zumindest die drei großen wussten ja, wo jeder wohnt.

Im Haus gab er Ivonne noch ein Paket und sagte: „Es sind einfach zu viele. Da müsst ihr uns noch eins abnehmen. Für Marias Eltern liegen auch noch zwei im Auto.“

Die anderen drei Pakete legte er in der Küche ab. Hier fragte Ivonne: „Stimmt es, dass … wie soll ich das sagen? Gerda sagte mir, dass Sie gar nichts anhatten, als sie mit Ihren Mädchen zu Ihnen ins Schlafzimmer gekommen sind. Das hätte ich von Ihnen und vor allem von Maria nicht gedacht.“

„Ivonne, wir klären das besser mit Olaf und Maria. Ich möchte nicht, dass hier ein völlig falsches Bild entsteht.“ Sie nickte und ging mit Wolfram ins Wohnzimmer. Hier erzählte Wolfram, was sich am Morgen im Schlafzimmer abgespielt hatte. „Ihr dürft das nicht falsch verstehen. Wir machen solche Späße öfters zu Hause in Deutschland. Bitte glaubt jetzt nicht, dass es bei uns irgendwie anstößig zugeht. Ich weiß, wie man hier denkt, und das heute Früh war auch so nicht geplant. Wir hatten im Spiel einfach nicht daran gedacht, dass eure Kinder das nicht gewöhnt sind. Wir leben etwas offener als ihr hier. Das heißt aber nicht, dass es deshalb anstößiger ist. Seht mal, bei uns gibt es Badestrände, wo die Menschen sich völlig ausziehen. Das ist legal und immer noch seriös. Auch wird dort niemals eine Frau belästigt oder gar bedrängt. Selbst wenn sie allein am Strand ist. Das mag für euch jetzt unverständlich erscheinen, aber glauben Sie mir, es geht an diesen Stränden genauso anständig zu wie an allen anderen Stränden. Vielleicht etwas reservierter. Auch hier in Norwegen soll es solche Strände geben.“

Ivonne schüttelte den Kopf. „Das soll anständig sein?“

Wolfram gab zu bedenken: „Denkt mal an Adam und Eva im Paradies. War das etwa unanständig?“

„Aber das war doch etwas ganz anderes“, verteidigte Olaf seine Frau.

Nun mischte sich auch Maria ein: „Wirklich? Sie haben sich vor Gott und auch vor sich selbst nicht schämen müssen. Warum tun wir es dann? Vor allem vor unseren Kindern?“

Dass Maria diese Sache verteidigte, hatten Olaf und Ivonne nicht erwartet.

„Diese Ausnahme gibt es nur beim Baden oder zu Hause in der Familie“, fügte Wolfram hinzu, um das Thema abzuschließen, bevor die Kinder wiederkamen. „Und auch nicht alle Deutschen denken so. Aber ungefähr ein Drittel der Deutschen lebt so. Das hat sich im Laufe der letzten hundert Jahre entwickelt. Waren es damals noch viel weniger Leute, werden es heute immer mehr. Ich finde es für die Kinder gut, wenn sie in diesem Punkt etwas freier groß werden. Bitte versucht das zu verstehen. Niemand verlangt von euch, dass ihr genauso denkt. Vielleicht werdet ihr uns mal in Deutschland besuchen. Dann könnt ihr sehen, dass alles so ist, wie wir es beschrieben haben.“

„Wie sollen wir jemals nach Deutschland kommen?“, fragte Olaf. „Das scheitert schon am Geld für die Überfahrt.“

Wolfram schüttelte mit dem Kopf. „Olaf, Sie haben etwas Wichtiges vergessen. Sie arbeiten seit heute für die gleiche Firma wie ich, Maria und auch Andrea. Sie können nicht wissen, ob die Firma Sie mal einlädt, um ihre neuen Mitarbeiter kennenzulernen. Und wenn nicht, dann werden wir das vielleicht tun. Wir müssen unser Gespräch nun aber unterbrechen. Ich sehe gerade, dass die Kinder wiederkommen.“

Die Kinder stürmten ins Haus und erzählten so durcheinander, dass keiner etwas verstehen konnte. Als sie sich etwas beruhigt hatten, fragte Maria: „Hat es Probleme gegeben, Eva?“

„Nur bei Göteborgs. Alle anderen haben sich gewundert, haben das Paket aber genommen.“

„Und was war bei Göteborgs?“, fragte Maria ihre große Tochter.

„Sie wollten erst gar nicht, weil sie doch gestern auch nicht mit zur Feier waren. Da hat Laura gesagt, dass wir das Essen jetzt wegwerfen müssen, weil wir noch so viel haben, dass wir das nicht alles selber essen können. Dann haben es Göteborgs auch genommen und haben uns aufgetragen, dass wir ausrichten sollen, dass sie sich sehr dafür bedanken.“

Daraufhin meinte Wolfram zu Laura: „Das hast du ganz toll gemacht. Ich bin stolz auf dich.“

Man konnte richtig zusehen, wie Laura dabei mindestens um einen Zentimeter wuchs.

„Nun fehlen noch die restlichen drei Pakete. Schafft ihr das noch?“, fragte Wolfram.

„Ja, draußen ist doch schönes Wetter.“ Und raus waren alle fünf, um die letzten Pakete zu verteilen.

„Den Göteborgs geht es noch schlechter als uns. Es ist erstaunlich, dass sie das Paket dann doch genommen haben. Trotz ihrer Bescheidenheit sind sie sehr stolz“, sagte Ivonne.

Da meinte Wolfram zu Olaf: „Können Sie die Göteborgs überzeugen, dass sie heute Nachmittag zur Info-Veranstaltung kommen? Gerade für sie wäre es dann interessant.“

„Ich kann es nur versuchen“, erklärte er. „Aber ich weiß ja selbst nicht, worum es geht.“

„Olaf“, begann Wolfram. „Ich möchte den Tourismus nach Håp Land bringen. Nur in dieser Branche habt ihr hier eine Chance. Industrie wird sich hier nie ansiedeln. Dafür ist die Gegend zu abgelegen. Aber genau das könnte Touristen interessieren. Ein zweites Hotel wäre aber das Dümmste, was euch hier passieren kann. Es bringt nur wenig Arbeitsplätze, aber verschandelt die Gegend. Das eine Hotel stört schon in der Landschaft. Ich möchte euch helfen, dass jeder von euch an den Touristen verdienen kann, ohne dabei zu investieren. Eure Investition wäre nur Geduld, sonst nichts. Glaubt mir, es ist ein faires Angebot. Wer aber nicht will, den wird niemand drängen. Mehr möchte ich jetzt dazu nicht sagen. Heute Nachmittag erfahren Sie es ganz konkret.“

„Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie das funktionieren soll“, sagte Olaf ganz ehrlich.

„Das glaube ich“, antwortete Wolfram. „Aber ich möchte nicht den ganzen Vortrag zweimal halten. Bitte haben Sie dafür Verständnis.“ Olaf nickte.

Jetzt kamen auch die Kinder von ihrer Verteilertour zurück. „Diesmal haben es alle genommen“, sagte Gerda zu ihrem Vater.

Nun fing Maria an zu drängeln. „Wolfram, wir wollen zum Mittagessen drüben bei den Eltern sein.“

Sie standen auf und Ivonne gab Maria das Kleid und die Kette zurück. Dazu sagte sie: „Es ist ein wunderschönes Kleid und es trägt sich auch herrlich. So ein Kleid wünsche ich mir auch. Und sag bitte deiner Schwester noch einmal Danke für die Kette.“

Da antwortete Maria: „Das Kleid ist ein Geburtstagsgeschenk von Wolfram gewesen. Ich hatte es auf dem Standesamt an.“

„Und trotzdem hast du es mir geliehen?“, fragte Ivonne verwundert. Sie umarmte Maria wie eine Schwester und bedankte sich noch dreimal.

Als Maria mit ihrer Familie bei ihren Eltern eintrat, gab Wolfram der Mamma die beiden Pakete vom kalten Buffet. Maria gab Andrea ihre Kette zurück und richtete ihr den Dank aus. Dann begrüßten sie auch Pappa. Als Marias Mutter aus der Küche kam, meinte sie: „Ihr seid verrückt. Wer soll denn den vielen Aufschnitt essen?“

„Ihr natürlich. Zum Wegwerfen war er einfach zu schade“, sagte Wolfram. „Was ihr nicht schafft, könnt ihr ja weitergeben. Aber bitte nicht an Jansens. Die haben auch zwei solche Pakete bekommen.“

Mamma ging zurück in die Küche und Maria folgte ihrer Schwester nach oben. Wolfram versuchte seinen Schwiegervater davon zu überzeugen, dass auch er 16.00 Uhr ins Hotel kommen würde. Im Moment hatte Kjeld aber noch mit seinem Kater von Silvester zu tun. Trotzdem sagte er zu, weil Wolfram ihn darum bat. Worum es ging, wusste er nicht.

Als Maria und Andrea in ihrem Zimmer allein waren, sagte Maria zu ihr: „Hier habe ich noch ein paar ganz besondere Schnappschüsse von eurem Urlaub.“ Sie gab ihrer Schwester mit einem Schmunzeln im Gesicht ein Kuvert. Darin waren die Bilder vom Mittagessen in der Wanne an ihrem letzten Geburtstag in Sonnenberg. Andrea bekam einen hochroten Kopf, doch Maria sagte: „Das muss dir nicht peinlich sein. Außer Wolfram hat niemand diese Bilder gesehen. Außerdem gibt es Situationen, die noch peinlicher sein können.“

Sie erzählte, was am Morgen im Hotel passiert war, als die Kinder das Deckbett weggezogen hatten und Jansens Kinder auch dabei gewesen waren. „Das war bestimmt nicht angenehmer. Ich hatte überhaupt nicht mehr daran gedacht, dass sie das nicht kennen. So schlimm wäre das ja auch nicht gewesen. Es sind ja nur Kinder. Aber sie haben es natürlich prompt ihren Eltern erzählt. Da haben wir eine Weile diskutieren müssen, bis sie sich wieder beruhigten. Aber du kennst ja Wolfram. Seinen Argumenten hält keiner stand.“

Jetzt fragte Andrea: „Und was mache ich nun mit den Bildern?“

„Häng sie dir an die Wand, wenn du nichts anderes weißt“, schlug Maria lachend vor.

„Bist du verrückt? Wenn das Mamma oder gar Pappa sieht!“

„Dann bewahre sie doch als schöne Erinnerung an deinen 24. Geburtstag auf und wenn du mal mit Sven in Erinnerungen schwelgst, dann kannst du sie ihm zeigen. Schließlich ist er ja mit drauf. Damals warst du so locker, glücklich und übermütig, wie ich dich schon lange nicht mehr gesehen hatte.“

„Ja, und am nächsten Tag war ich schwanger!“, sagte Andrea etwas zynisch.

„Na und? Bereust du es?“

„Heute nicht mehr. Aber damals schon.“

„Warum? Du hast einen Mann, der dich sogar geheiratet hat. Denk mal an mich. Ich hatte es viel schwerer. Wolfram hat zu mir immer gesagt, dass ich nichts zu bereuen hätte. Ich solle einfach dazu stehen, denn es ist meine Vergangenheit und gehört zu mir. Das hat mir über vieles hinweggeholfen.“

„Das hat Wolfram wirklich gesagt? Dann scheint er mit deiner Vergangenheit wirklich kein Problem zu haben. Du bist zu beneiden!“, sagte Andrea. „Und das sagt eine frisch verheiratete Frau!“ erwiderte Maria lächelnd und kopfschüttelnd.

Jetzt mussten beide lachen. Da klopfte es an die Tür und Eva rief: „Das Mittagessen ist fertig.“ Andrea verstaute die Bilder an einer Stelle, an der sie vermutlich niemand sofort entdecken würde, und anschließend gingen sie mit Eva runter ins Wohnzimmer.

Nach dem Essen verabschiedeten sich Maria und Wolfram von den Eltern. Die Kinder ließen sie da, weil sie sonst während der ganzen Veranstaltung allein im Hotel gewesen wären. Dann sagten sie, dass Pappa und vor allem Andrea möglichst zwanzig Minuten vor 16.00 Uhr im Hotel sein sollten. Wolfram und Maria fuhren zum Hotel zurück und ruhten sich dort noch eine Stunde aus, eh sie sich auf die Veranstaltung im Saal vorbereiteten. Maria hatte dabei nicht viel zu tun, aber Wolfram vertiefte sich in Dokumente, Berechnungen und Zeichnungen.

Gegen 15.30 Uhr gingen sie dann wieder nach unten. Wolfram hatte dafür extra einen hellbraunen Anzug aus Sonnenberg mitgebracht, den er jetzt trug. Sie nahmen die Hochzeitstafel gleich als Präsidium. Wolfram saß in der Mitte und rechts von ihm Maria, dann Olaf. Links von ihm saßen Sven und Andrea. Vom DJ, der diese Veranstaltung mit seiner Technik sicherstellte, bekam er das Mikrofon auf einem kleinen Tischständer. Als Marias Vater kam, war ungefähr das halbe Dorf da. Kjeld fand es gut, dass er unter den anderen im Saal sitzen konnte.

Pünktlich 16.00 Uhr begann Wolfram: „Liebe Freunde aus Håp Land. Ich bin vor zehn Monaten das erste Mal hier gewesen. Sie wissen das. Damals war ich von Ihrem Land so begeistert, dass es mich auch jetzt noch immer wieder hierherzieht. Und diese Begeisterung liegt nicht nur an Maria. Es sind die unberührte Natur, die Wälder mit ihren Tieren und die Ruhe, die diese Natur ausstrahlt. All das werden Sie in Deutschland nur selten finden. Deutschland ist dicht besiedelt. Von einem Ort zum anderen sind es oft nur ein bis zwei Kilometer. Dazwischen liegen meist Felder für die Landwirtschaft. Für Wälder und unberührte Natur ist da nicht viel Platz; höchstens in den Gebirgen. Aus dem Grund haben viele Deutsche Sehnsucht nach Natur und Ruhe.

Bei Ihnen ist das eher umgekehrt. Sie würden gern mehr in Wohlstand leben, Ihre Häuser modernisieren, vielleicht auf Öl- oder Gas-Heizung umstellen und etwas von der Welt sehen. Bei dieser Erkenntnis ist mir die Idee gekommen, dass beiden geholfen werden kann, Ihnen und auch den Deutschen. Ich habe Monate darüber nachgedacht, bis ich eine Lösung gefunden habe, die auch für Sie von Vorteil ist. Dazu habe ich mit den Verantwortlichen in unserer Firma gesprochen, bis ich sie überzeugt hatte.

Wie können nun die Bewohner von Håp Land zu Wohlstand kommen? Durch einen Industriestandort hier in der Nähe nicht. Håp Land liegt viel zu abseits, als dass sich hier eine Industrie ansiedelt. Aber mit Tourismus geht das sicher. Touristen lieben das Abgeschiedene und die unberührte Natur. Nun hätte es aber wenig Sinn, wenn hier ein neues, größeres Hotel entstehen würde. Dieses hier verschandelt schon die Gegend, aber es ist nun einmal da. Wie wäre es denn, wenn Sie bei sich Touristen aufnehmen würden? So könnten Sie auch an ihnen verdienen. Das wäre ein Arbeiten von zu Hause aus. Etwas Besseres gibt es nicht.

Natürlich weiß ich, dass die meisten Häuser in Håp Land dafür zu klein sind und deutsche Touristen, um die es ja jetzt geht, Komfort gewöhnt sind. Also, wenn wir diese Touristen hierherlocken wollen, dann müssen wir ihnen etwas bieten. Na ja, ich weiß, die Deutschen sind hier nicht wirklich beliebt, aber sie würden Ihnen das Geld bringen, das Sie dringend benötigen. Hören Sie sich deshalb einmal meine Idee an.

Sie alle haben größere Grundstücke. Wenn Sie nun zuließen, dass auf Ihrem Grundstück ein modernes Ferienhaus gebaut würde, das nach vier Jahren in Ihren Eigentum überginge, müssten Sie dabei nichts bezahlen und hätten auch kein Risiko. In diesen Ferienhäusern würden Angehörige aus unserer Firma Urlaub machen. Das sind keine anonymen Menschen. Sollte es Probleme geben, reicht eine Beschwerde an den Beauftragten in unserer Firma. Hier gibt es seit heute eine Verbindungsperson zu unserer Firma. Es ist Andrea Aglund, bis vor Kurzem Lizell. Aus dem Grund sitzt sie hier vorn. Sie hat seit vier Tagen ein Telefon und auch einen Internetanschluss. Damit ist sie direkt mit unserer Firma verbunden. Das heißt, Beschwerden können innerhalb von 24 Stunden bearbeitet und auch abgeklärt werden. Maria ist in Deutschland der Übersetzer und auch Interessenvertreter für Sie. Sie können ihr vertrauen. Sie wird sich immer für Sie einsetzen.

Doch zurück zu den geplanten Ferienhäusern. Ein solches Ferienhaus würde ungefähr 725.000,- NOK kosten. Das würde unsere Firma bauen lassen und finanzieren. Pro Jahr zahlen die Touristen zusammen bis zu 180.000,- NOK. Nach vier Jahren wäre somit das Ferienhaus bezahlt. Wenn aber jemand unter Ihnen sein Haus modernisieren, zum Beispiel eine Zentralheizung einbauen möchte, der kann dies über das Ferienhaus mitfinanzieren. So würde er dann erst nach vielleicht fünf Jahren Eigentümer des Ferienhauses sein. Das lässt sich alles machen. Sollte gar kein Urlauber kommen, werden trotzdem pro Jahr 180.000,- NOK abgeschrieben. Es ist Sache der Firma, dass sie Urlauber für die Ferienhäuser findet. Ein Ausbleiben der Touristen kann Ihnen nicht zur Last gelegt werden.

Nun werden einige fragen: Was nützt es uns heute, wenn wir erst in vier Jahren von den Urlaubern Geld bekommen? Auch darauf habe ich eine Antwort, die Ihnen gefallen könnte. Ich gehe mal davon aus, dass die meisten Frauen immer zu Hause sind, das heißt nicht außerhalb des Dorfes arbeiten. Sie könnten den Urlaubern Frühstück und Abendbrot anbieten und bei Bedarf auch Mittagessen. Diese Verpflegung bekommen Sie natürlich von den Urlaubern bezahlt. Ein Frühstück für 50,- NOK ist für Deutsche preiswert!“

Ein Raunen ging durch den Saal. Doch Wolfram sprach weiter: „Ein Abendbrot für 100,- NOK und ein Mittagessen für 150,- NOK sind für Deutsche ebenfalls preiswert. Für Kinder sind die Deutschen gewohnt, die Hälfte zu bezahlen. Ich glaube, mit diesen Preisen wäre eine Verköstigung der Urlauber auch für Sie interessant. Was halten Sie von diesem Vorschlag? Könnten sich einige unter Ihnen vorstellen, auf diesen Vorschlag einzugehen?“

Die Dorfbewohner im Saal diskutierten. Olaf Jansen sagte zu Wolfram, er würde auf dieses Angebot eingehen, wenn er noch ein paar Antworten bekäme. Da meldete sich der Wirt von der Dorfschenke und fragte: „Mir würde so ein Ferienhaus gar nichts nützen. Ich habe schon Gästezimmer und die bleiben auch fast ständig leer.“

„Stimmt!“ Viele nickten und gaben ihm recht.

„Für Sie und auch den Bürgermeister von Håp Land gibt es besondere Informationen direkt nach dieser Veranstaltung. Ich würde Sie dann an unseren Tisch bitten. Selbstverständlich müssen Sie keine neuen Quartiere bauen, sondern könnten Ihre jetzigen eventuell modernisieren. Eines kann ich Ihnen aber versprechen. Wenn wir uns einig werden, dann werden Ihre Zimmer bald nicht mehr leer sein. Interessenten gibt es genug in Deutschland. Sie wissen nur nicht, dass es hier in Håp Land ein solches Angebot gibt.“

Da meldete sich Jens Bergström: „Bekommen wir alle diese Zusicherungen auch schriftlich?“

Wolfram antwortete: „Selbstverständlich! Sie sind Teil des Vertrages, den Sie unterschreiben würden. Natürlich würde jeder Vertrag den einzelnen Wünschen und Bedingungen angepasst und ausgerechnet, bevor Sie ihn unterschreiben. Alles wird offen, ehrlich und fair zugehen.“

„Und was verdienen Sie oder Ihre Firma dabei?“

„Ihre Frage ist verständlich. Aber die Antwort wird Sie vermutlich verwundern. Die Preise entsprechen den Kosten für den Bau. Daran verdient weder die Firma noch ich. Es geht vielmehr darum, der Belegschaft bezahlbare Ferienplätze zu schaffen, besonders für Familien mit Kindern. Ich persönlich will Ihnen nur helfen. Ich habe die Gegend um Håp Land lieben gelernt. Es ist die Heimat meiner Frau und jetzt auch ein Stück Heimat von mir.“

Jens Bergströms Sohn Benny fragte nun: „Und wie soll das mit dem Bau vor sich gehen? Kommen da Deutsche, um uns zu zeigen, wie man baut, weil wir das nicht selbst können?“

Und wieder ging ein Geraune im Saal um. Auch im Präsidium blickten jetzt alle gespannt auf Wolfram.

„Nein! Das würde Ihnen nicht viel nützen. Der Bauleiter müsste natürlich aus Deutschland kommen, weil er die Übersicht über das Gesamtprojekt haben wird. Die Bauaufsicht hingegen wird Olaf Jansen übernehmen. Er ist seit heute ebenfalls angestellt bei unserer Firma. Alle Handwerker wird er aussuchen und alle Baumaterialien wird er in Zusammenarbeit mit dem deutschen Bauleiter hier ordern, soweit das möglich ist. Nur spezielle Dinge, die hier nicht zu beschaffen sind, werden aus Deutschland kommen. Wenn sich also Handwerker wie Maurer, Zimmerleute, Klempner, Dachdecker, Elektriker und so weiter unter Ihnen befinden, dann melden Sie sich bei Olaf. Die einzige Bedingung ist, dass die Arbeit in guter Qualität geleistet wird. Ist Ihre Frage damit beantwortet?“

Benny nickte.

Nach einigen belangloseren Fragen, die Wolfram alle zufriedenstellend beantwortete, schloss er mit den Worten: „Wer sich entschließt, dieses Angebot anzunehmen, der möchte sich bitte bei Olaf Jansen melden und alles Weitere mit ihm und Andrea Aglund besprechen. Andrea wird dann alles nach Deutschland schicken und dort wird der Vertrag fertig gemacht und zurückgeschickt. Das geht innerhalb von 24 Stunden. Wenn Sie mit dem Vertrag zufrieden sind, dann unterschreiben Sie und Sie können schon ab Juli mit Urlaubern rechnen. Damit möchte ich die heutige Info-Veranstaltung schließen, aber den Bürgermeister und den Wirt bitten, noch zu bleiben.“

Die Dorfbewohner erhoben sich und verließen diskutierend das Hotel. Vermutlich würden sie über dieses Angebot debattieren, bis sie das Dorf erreicht hatten.

Nun setzten sich die Leute aus dem Präsidium mit dem Bürgermeister und dem Wirt zusammen an einen Tisch. Wieder begann Wolfram: „Wir möchten Sie, Björn Nansen, als Bürgermeister von Håp Land nicht übergehen. Deshalb möchte ich, dass Sie über alles Bescheid wissen. Wie finden Sie diese Idee mit dem Tourismus als Arbeitsquelle?“

Björn nickte leicht. „Wenn das alles so funktioniert, dann wäre es ein Segen für unser Dorf. Aber werden Sie keine Probleme mit den Betreibern des Hotels bekommen?“

Da meldete sich Sven zu Wort. „Das Hotel hat seit heute einen neuen Eigentümer. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Probleme gibt, wenn die Auslastung des Hotels darunter nicht leidet. Da hier erst mal nur Betriebsangehörige von Wolframs Firma absteigen, hat das keinen Einfluss auf unseren Hotelbetrieb.“

„Dann kann ich Ihr Vorhaben nur begrüßen“, sagte Björn Nansen.

„Doch nun zu Ihnen, Sören Lundgren. Sie betreiben die Schenke im Dorf. Wir hatten schon mehrfach das Vergnügen. Wie viele Gästezimmer haben Sie?“

„Eigentlich sechs, aber nur vier sind eingerichtet.“

„Sonst haben Sie keine Räume, die man als Gästezimmer nutzen kann?“

„Ja, schon, da wären noch zwei kleine Zimmer für höchstens eine Person. Ich nutze sie als Abstellkammern“, meinte der Wirt.

„Wie wäre es, wenn wir zu ähnlichen Bedingungen wie beim Ferienhausbau Ihre Gästezimmer modernisieren und für das ganze Haus Heizung und warmes Wasser installieren? Sie würden an den Touristen vorerst nichts verdienen, bis die Modernisierungssumme ausgeglichen ist. Aber an der Verpflegung der Gäste verdienen Sie natürlich sofort. Haben Sie hinter dem Gebäude noch Platz, sagen wir 25 Meter?“

„Ja, weshalb?“

„Dann könnte ich mir vorstellen, dass man dort einen kleinen Veranstaltungssaal für Feiern bis hundert Personen anbauen kann. Die Urlauber wollen Tanzabende auch im kleineren Kreis haben. Die großen Veranstaltungen werden sicher im Hotel angeboten. Aber dazu muss man erst mal hinüberlaufen. Nicht alle werden das wollen. Auch könnte man in diesem Raum Kinovorstellungen anbieten. Wie würde Ihnen das gefallen?“

„An sich gut, aber ich kann das nicht finanzieren.“

„Die Finanzierung würde über die Gästezimmer laufen. Ausgleich durch Verdienstverzicht bei den Übernachtungen. Das sagte ich bereits.“

Sören Lundgren fragte weiter: „Wie soll ich hier Kinovorstellungen geben? Ich verstehe doch davon nichts.“

„Auch das ist kein Problem. Sie benutzen einen Videorecorder und schließen daran einen Beamer an. Das ist so etwas Ähnliches wie ein Diaprojektor, geht aber für Filme. Dazu brauchen Sie eine kleine Anlage mit zwei ordentlichen Lautsprechern. Das kostet heute nicht mehr viel. Wenn Sie so ausgerüstet sind, dann können Sie Kino- und auch Tanzveranstaltungen machen. Es empfiehlt sich, in dem Raum in der Mitte so etwas wie einen Raumteiler einzubauen, mit dem sie den Raum bequem bei Bedarf halbieren können. Das spart auch Heizkosten im Winter. Aber darüber können wir reden, wenn Sie sich entschieden haben.“

„Das würde alles Ihre Firma finanzieren?“, fragte der Wirt ungläubig.

„Ja!“, antwortete Wolfram. „Dort folgt man meiner Empfehlung, weil schon lange so eine Naturinsel für ruhebedürftige Angestellte gesucht wird. Sind Sie interessiert?“

„Ja, wenn das so ist, wie Sie sagen, dann interessiert es mich schon.“

„Dann überlegen Sie sich in Ruhe, was Sie verändern möchten, und wir lassen es dann in Deutschland berechnen. Wenn Sie anschließend damit einverstanden sind, können wir den Vertrag machen. Günstig wäre es, wenn es noch vor dem 5. Januar wäre. Wir fliegen am 7. Januar zurück.“

„Das wird sich einrichten lassen.“

„Kino!“, meinte nun der Bürgermeister. „Das hört sich gut an. Da kommt endlich mal etwas Bewegung ins Dorf.“

„Stimmt! Aber es wäre gut, wenn Sie Sören Lundgren bei der Genehmigung behilflich wären. Ich kenne die hier bestehenden Gesetze nicht“, ergänzte Wolfram.

Damit war die Info-Veranstaltung zu Ende. Der Bürgermeister und der Wirt verabschiedeten sich und gingen. Wolfram erklärte Olaf: „Jetzt wird es ernst. Mal sehen, wie viele dieses Angebot annehmen. Vermutlich werden es am Anfang wenige sein. Erst wenn die anderen merken, dass es funktioniert, werden es mehr werden. Sagen Sie mir bitte über Andrea Bescheid, wenn sich jemand für dieses Angebot interessiert. Auch so lange, wie wir noch hier sind.“

„Ich glaube, von denen, denen die Kinder das Aufschnittpaket gebracht haben, werden sich einige interessieren. Ich habe das vorhin beobachtet“, meinte Olaf.

„Schön wäre es für sie“, antwortete Wolfram. „Gerade diese Familien könnten Hilfe gebrauchen.“

Da wendete sich Wolfram an Sven: „Wenn wir in unserer Firma Håp Land als Urlaubsdomizil anbieten, dann wird auch das Hotel dabei sein. Das heißt, es kommt Arbeit auf dich zu. Ich habe mir das so gedacht, dass die Familien mehr im Dorf Urlaub machen und die Alleinstehenden eher im Hotel. Mal sehen, ob mein Konzept aufgeht.“

„Das wäre ja großartig. Unser Hotel braucht dringend Urlauber. Von den Reisebüros kommen immer weniger.“

„Sven, behalte die Reisebüros trotzdem im Fokus. Unsere Urlauber können nur zusätzlich sein. Ich werde vermutlich auch im Sommer mal kommen. Bis jetzt kenne ich Håp Land nur im Winter. Im Sommer ist es hier sicher auch sehr schön.“

„Wenn das mit den Urlaubern klappt, dann wird dir unsere Chefin ewig dankbar sein“, sagte Sven überschwänglich.

Nun verabschiedeten sie sich von Sven und gingen ins Dorf, wo drei kleine Mädchen auf ihre Eltern warteten. Vor Kjelds Haus sagte Wolfram zu Olaf: „Wir haben hier noch etwas zu klären und kommen dann noch mal kurz rüber zu Ihnen, um unsere Kinder abzuholen. Bis nachher!“

Olaf ging und Wolfram betrat mit Maria und Andrea deren Elternhaus. Kjeld kämpfte schon wieder mit dem Videorecorder, als Wolfram ihn fragte: „Pappa, wie ist das mit dir? Wollt ihr dieses Angebot mit dem Ferienhaus annehmen oder nicht?“

„Ich habe mich noch nicht entschieden“, wich Kjeld aus.

„Ich dachte mir, dass es doch toll wäre, wenn wir nicht mehr im Hotel absteigen müssten, wenn wir euch besuchen. Außerdem würdet ihr dabei eine Modernisierung eures Hauses fast zum Nulltarif bekommen. Eine Ölheizung im Haus heißt, keine Kohlen mehr schleppen zu müssen, kein Dreck mehr im Haus und es ist immer warm. Auch gibt es dann immer warmes Wasser in Küche und Bad. Wobei eine Bad-Modernisierung mit dabei sein könnte. Frag mal Andrea, was man aus einem Bad alles machen kann.“

Da sagte Andrea schwärmerisch: „Pappa. Ein Bad, wie es Wolfram und Maria haben, ist traumhaft. Das wäre was für uns.“

„Mal allen Ernstes. Willst du dir dieses Angebot entgehen lassen?“, fragte nun auch Maria.

„Ach, macht doch was ihr wollt“, entgegnete Kjeld ärgerlich.

„Nein, Pappa!“, sagte Wolfram ernst. „Das werden wir nicht tun; nicht über deinen Kopf hinweg. Nur wenn du einverstanden bist. Du wirst es ganz sicher nicht bereuen. Lass uns morgen noch mal darüber reden. Wir müssen jetzt unsere Kinder holen und zurück ins Hotel gehen. Es ist schon spät.“

Maria und Wolfram verabschiedeten sich von Andrea und ihren Eltern und verließen das Haus. Bei Jansens wartete man schon mit dem Abendbrot auf sie. „So war das aber nicht gemeint“, sagte Wolfram betroffen.

Ivonne hatte sich riesige Mühe gegeben. „Wir haben so viel Aufschnitt, dass wir den gern mit Ihnen teilen“, erwiderte Olaf lächelnd.

Wolfram nickte und setzte sich mit Maria an den Tisch. Nun aßen alle von dem Aufschnitt vom Vortag. Besonders Kai fand kein Ende. Seine Mutter ermahnte ihn zweimal, bekam aber immer zur Antwort, dass doch so viel davon da wäre. Wolfram schmunzelte. Kai hatte ja recht.

Nach dem Essen besprachen Olaf und Wolfram noch einmal das Angebot. Zum Schluss meinte Wolfram: „Es kann schon im März begonnen werden, wenn der Winter vorbei ist. Ich denke, so vier bis acht Wochen, dann könnte euer Ferienhaus fertig sein. Werden Sie bis dahin alle Handwerker zusammenhaben? Sie müssen aber unbedingt Qualitätsarbeit liefern. Das ist die Bedingung! Es geht nicht darum, billig zu arbeiten. Bitte geben Sie diese Bedingung an die Handwerker weiter. Wer pfuscht, dem wird sofort der Auftrag fristlos gekündigt. Es ist besser, wenn die Handwerker das vorher wissen. Es wird auch so im Auftrag stehen.“

„Wenn ich jetzt schon für März unverbindlich Leute suche, dann werde ich bestimmt alle zusammenhaben. Wie viele von jedem Handwerk werden denn benötigt?“

„Olaf, das weiß ich nicht. Ich gebe Ihnen aber auf jeden Fall nächste Woche über Andrea Bescheid. Wenn Sie die Handwerker bis zum 1. März alle zusammenhaben und auch für das Baumaterial sichere Zusagen haben, werde ich mich dafür einsetzen, dass Ihr Gehalt rückwirkend zum 1. Januar erhöht wird. Das heißt, Sie werden eine Nachzahlung bekommen.“

Olafs Augen glänzten und Ivonne sah Wolfram an, als wäre er Gott. „Ich werde Sie bestimmt nicht enttäuschen“, sagte Olaf.

„Mich? Ich vermittle nur. Es ist unsere Firma, für die Sie arbeiten.“

„Trotzdem! Ohne Sie hätte ich diese Arbeit nie bekommen. Ich danke Ihnen!“

Maria sah Wolfram mit vielsagenden Blicken an. Wusste sie doch manches besser als alle hier in Håp Land. Sie war stolz auf ihren Mann, dass er sich so für die Menschen in ihrem Dorf einsetzte.

In den folgenden zwei Tagen zeigte Wolfram Dagmar und Manfred das schöne Norwegen im Winter. Sie fuhren durch die Gegend und sahen manchen Elch aus der Ferne, wenn sie im Wald spazieren gingen. Am nächsten Tag fuhren sie bis zum Atlantik und jetzt sahen Maria und auch ihre Kinder zum ersten Mal das endlose Meer, das hinter dem Horizont zu versinken schien.

Drei Tage nach Neujahr fuhren Maria und Wolfram nach Bergen, um das Geburtstagsgeschenk für Marias Mutter zu holen. Sie hatten eine Waschmaschine mit integriertem Trockner per Spedition nach Bergen geschickt und wollten sie nun abholen. In den Volvo-Kombi passte sie locker rein. Anschließend fuhren sie noch einmal zum Flughafen, um alte Erinnerungen lebendig werden zu lassen. Im Empfangsgebäude sagte Wolfram zu seiner Maria: „Weißt du noch, wie wir das erste Mal hier waren? Wie begeistert du warst? Und heute ist alles schon so normal geworden.“

„Nein!“, widersprach Maria. „Es ist vielleicht leichter geworden, aber das Fliegen fasziniert mich immer noch. Wenn man über den Wolken schwebt und immer wunderschönes Wetter hat – das wird für mich immer ein Erlebnis sein. Aber sonst hast du natürlich recht. Im Februar hatte ich sogar etwas Angst, als wir hierhergefahren sind. Und heute ist es schon fast selbstverständlich. Wie man sich doch ändert.“

„Wollen wir gleich hier etwas essen?“, fragte Wolfram.

„Um Gottes willen, nein! Mamma und die Kinder warten doch mit dem Mittagessen auf uns.“

„Dann sollten wir jetzt zurückfahren, damit wir nicht zu spät kommen.“ Sie fuhren gleich zum Hotel und stellten dort das Auto in der Tiefgarage ab. So konnte Marias Mamma nicht vorzeitig sehen, was sie in Bergen geholt hatten. Anschließend liefen sie rüber zum Dorf.

Oben auf der Fernstraße meinte Maria zu Wolfram: „Weißt du noch, wie wir uns hier meistens getrennt haben. Auch wenn es manchmal wehtat, es war die schönste Zeit in meinem Leben. Ich denke gern daran zurück. Du auch?“

„Ja“, antwortete er und fügte hinzu: „Aber auch deshalb, weil ich damals höllisch aufpassen musste, dass ich mich nicht verspreche. Ich musste doch den normalen Angestellten spielen. Diese Rolle war für mich sehr neu.“

„Und doch hast du sie ausgezeichnet gespielt. Wir sind alle darauf reingefallen.“ Maria gab ihm lachend einen Stoß in die Seite. „Ich darf gar nicht daran denken, was gewesen wäre, wenn du das nicht gemacht hättest. Niemals wäre ich dir nach Sonnenberg gefolgt. Ich hätte dir deine Liebe nicht geglaubt und wäre sicher sehr unglücklich geworden.“ Maria schüttelte den Kopf, als wolle sie etwas abschütteln. „Heute bin ich dir dankbar, dass du so lange geschwiegen hast.“ Sie blieb stehen und umarmte ihren Mann. Dann folgte ein langer Kuss. „Du bist mein Leben, Wolfram. Ich liebe dich!“

„Ich liebe dich auch sehr“, gestand Wolfram. „Du bist die erste Frau, die ich wahrhaft liebe und bei der ich spüre, wieder geliebt zu werden. Du bist nicht nur die schönste Frau, sondern auch so erfrischend ehrlich, dass ich dich nie vergessen könnte, selbst wenn sich unsere Wege trennen würden. Ohne dich wäre mein Leben öd und leer.“

Noch einmal umarmten sie sich wie zwei Jungverliebte. Dann gingen sie weiter. Es war nur noch ein Stück bis zum Haus von Marias Eltern.

Hier wartete man schon sehnsüchtig auf sie. Marias Mutter hatte zu tun, das Essen warm zu halten, und Andrea hatte die Kinder besänftigt, die ständig fragten, wann es Essen gebe. Nur Pappa war nicht ungeduldig. Er erforschte die Welt seines neuen Videorecorders. Hier waren so viele Dinge in der Beschreibung, die er nicht kannte. Da gab es Funktionen, von denen er nicht einmal wusste, was sie bedeuteten.

Als Wolfram und Maria in der Tür standen, atmeten fünf Herzen auf und eins knurrte, weil es beim Studium des Videorecorders unterbrochen wurde. Beim Essen war aber alles vergessen.

Nach dem Essen sagte Andrea: „Wolfram, du musst noch zu Jansens rüber. Olaf war vor einer Stunde hier und hat gesagt, dass sich noch einige gemeldet haben. Sie wollen den Vertrag machen.“

„Das ist gut. Du und Maria, ihr kommt am besten gleich mit. Eva und Laura, wollt ihr mit Gerda und Kai spielen? Julia muss aber leider ins Bett.“

Ein zweimaliges „Ja!“ und ein trauriges Gesicht waren die Antworten. Also brachte Maria Julia in Andreas Bett und sagte zu ihr: „Wenn du ausgeschlafen hast, dann darfst du auch mit zu Gerda und Kai.“

Annefried beruhigte Maria: „Geh nur mit. Ich passe schon auf Julia auf. Diese Verträge sind doch wichtig?“

Maria nickte. „Danke!“

Olaf erwartete sie schon. Er wollte in seiner neuen Arbeit alles richtig machen und so sprach er: „Alle Familien, denen Sie ein Aufschnittpaket geschickt haben, wollen einen Ferienhausvertrag machen, dazu noch drei andere Familien und der Wirt. Sie wollen diesen Vertrag mit Ihrer Firma machen, wenn sie vorher noch ein paar genauere Informationen zur Finanzierung bekommen würden.“

„Das ist kein Problem. Ich habe alle Zahlen mit. Das wären dann elf Verträge?“

„Richtig!“ Olaf war stolz auf dieses Ergebnis, denn er selbst hatte mit weniger gerechnet.

„Sie selbst wollen diesen Vertrag nicht mehr?“

„Was? … Wieso? … Doch, doch, ich will auch. Das hatte ich doch schon gleich nach der Veranstaltung gesagt“, stammelte Olaf ängstlich.

„Dann sind es aber zwölf Verträge. Bitte seien Sie nicht böse. Es war nur ein Scherz. Natürlich weiß ich, dass Sie der Erste waren, der sich bereit erklärt hat. Deshalb wird der Bau auch bei Ihnen beginnen.“

Olaf war erleichtert. Er vertraute Wolfram und sah in diesem Ferienhausprojekt eine sichere Zukunft für sich und seine Familie.

„Wir werden mit allen, die sich für den Vertrag ausgesprochen haben, noch ein Treffen organisieren. Sagen wir übermorgen, am Sonnabend, 10.00 Uhr in der Dorfschenke. Dorthin werde ich die Verträge mitbringen. So kann jeder unterschreiben, wenn er das wirklich will. Ich möchte niemanden drängen! Würden Sie bitte allen Bescheid geben und natürlich auch den Wirt informieren?“

„Das werde ich tun. Sie können sich auf mich verlassen.“

„Olaf, Sie sind sehr fleißig. Ich bin überzeugt, dass Sie das nicht bereuen werden. So, jetzt schließen wir die Arbeit ab und sind wieder privat! Eines sollten Sie wissen: Marias Freunde sind auch meine Freunde. Schon deshalb möchten wir Ihnen helfen, so gut wir können.“

„Sie helfen uns schon so sehr“, sagte Ivonne unterwürfig.

„Bitte, Ivonne, ich bin nichts Besonderes. Betrachten Sie mich als einen guten Freund. Ich würde das für jeden meiner Freunde tun. Das ist doch selbstverständlich“, wehrte Wolfram ab.

„Hier gibt es einige Familien, die Hilfe sehr dringend brauchen. Sie alle vertrauen Ihnen und Maria. Es wäre für sie furchtbar, wenn die Sache nicht ehrlich wäre“, sagte Olaf sorgenvoll.

„Olaf, sollte irgendjemand finanziell benachteiligt werden, dann hafte ich mit meinem Privatvermögen. Das sage ich nur Ihnen. Aber ich werde es tun! Wissen Sie, ich empfinde Betrug als etwas Abscheuliches. Fragen Sie Maria. Sie kennt mich am besten.“

Da griff Maria in das Gespräch ein: „Wolfram ist genauso ehrlich wie ich! Im Scherz flunkert er auch mal, aber nie, wenn es ernst ist. Er hasst Lügen! Und wenn er sagt, er haftet im Notfall mit seinem Privatvermögen, dann ist das ernst gemeint.“

„Aber das können wir doch von euch nicht verlangen“, meinte nun Ivonne.

Da sagte Wolfram: „Darum geht es nicht. Ich trage hier eine Verantwortung. Deshalb muss ich auch dafür sorgen, dass alles so sein wird, wie ich es versprochen habe. Und ich werde dafür sorgen! Darauf können Sie sich verlassen!“

Olaf und vor allem Ivonne waren verwundert über diese Reaktion. Das passte so gar nicht zu dem, was sie über die Deutschen wussten. Und so sagte Ivonne zu Maria: „Ich verstehe dich immer mehr, weshalb du Wolfram liebst. Im Februar habe ich dich nicht verstanden. Ich glaubte, dass es wieder …“ Erschrocken hielt sie inne und blickte ängstlich zu Wolfram. Plötzlich war ihr bewusst geworden, dass er sie ja verstehen konnte.

Ihm war das nicht entgangen. Er sah Ivonne an und sagte dann: „Ich verstehe Sie sehr gut. Niemand konnte wissen, ob ich ehrlich bin oder nicht. Außer Maria und Andrea hat mir hier wohl niemand vertraut. Ich habe das vor einem Jahr sehr deutlich gefühlt. Besonders Marias Vater war sehr gegen die Verbindung zwischen Maria und mir. Heute ist er froh, dass er sich geirrt hat. Ich verstehe die Menschen hier sehr gut, die mit ansehen mussten, wie Maria immer wieder betrogen wurde. Wir haben uns ausführlich darüber unterhalten. Es ist einfach schlimm, dass es immer wieder Menschen gibt, die andere nur zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen. Besonders schlimm ist es, wenn das Frauen trifft, weil sie es ungleich schwerer haben. Das kann ihr ganzes Leben zerstören. Ich verstehe nicht, warum Männer so sein können.“

„Dann haben Sie Maria aus Mitleid geheiratet?“, fragte Ivonne.

Olaf wies sie sofort zurecht: „Ivonne!“

„Olaf, lassen Sie Ihre Frau. Die Frage ist doch berechtigt. Ivonne, ich hätte Maria auf jeden Fall geholfen, so gut es mir möglich gewesen wäre. Aber geheiratet hätte ich sie deshalb nicht. Man kann keine Beziehung auf Mitleid aufbauen. Eine solche Beziehung hält nicht ewig. Sie wird früher oder später zerbrechen. Damit wäre Maria ganz sicher nicht geholfen gewesen.“

„Sie sind anders als die Männer hier“, stellte Ivonne fest. Sie wollte noch mehr sagen, aber als sie dem Blick ihres Mannes begegnete, schwieg sie lieber.

„Olaf. Ich möchte nicht, dass durch dieses Gespräch Probleme zwischen Ihnen entstanden sind. Bitte glauben Sie mir. Es ist besser, seine Frau nicht von oben herab zu betrachten. Ich habe hier im Dorf gesehen, dass sich fast alle Männer über ihre Frauen stellen. Von Maria weiß ich, dass das hier normal ist. Versuchen Sie mal, Ihre Frau gleichwertig zu sehen. Sie würden sich wundern, wie das eine Beziehung festigt. Vielleicht unterhalten wir uns ein andermal ausführlicher darüber. Wir werden drüben bei Marias Eltern erwartet.“

„Ja, natürlich“, sagte Olaf versonnen. Irgendwie gaben ihm Wolframs Worte zu denken.

Da klopfte es an die Haustür. Es war Julia. Sie hatte ausgeschlafen und wollte jetzt mit den anderen spielen.

Wolfram klopfte Olaf auf die Schulter. „Sie haben eine wundervolle Frau. Seien Sie stolz auf sie und verwöhnen Sie sie ruhig ein wenig. Ich glaube, sie wird es Ihnen tausendfach danken. Bei uns sind die Frauen anders. Sie sind sehr selbstbewusst. Manchmal stört mich das auch, aber sie haben das gleiche Recht wie wir Männer. Keiner ist besser als der andere. Das bedeutet natürlich nicht, dass sie gleich sind. Frauen und Männer sind sehr unterschiedlich. Die einen können dieses besser, die anderen jenes. Nur wenn beide Hand in Hand arbeiten und sich gegenseitig respektieren, wird ihre Beziehung zu ungeahnter Größe wachsen.“

„Jetzt hast du Olaf genug Tipps gegeben“, sagte Maria lachend. „Am besten wäre es, wenn ihr euch das selbst mal anschaut. So, wie Wolfram gestern gesagt hat, ist es sowieso notwendig, dass du, Olaf, deinen neuen Arbeitgeber persönlich kennenlernen musst. Sicher wird man dich irgendwann einladen. Na ja, im Winter vermutlich nicht, aber vielleicht im Sommer. Dann könnt ihr alle zusammen kommen und bei uns wohnen. Und glaube mir, nicht nur unsere Kinder würden sich freuen. Dazu wäre es vielleicht nützlich, wenn ihr etwas Deutsch lernen würdet.“

„Wo sollen wir denn das lernen? Du weißt doch, was Unterricht kostet!“

„Ivonne, bei Andrea und meiner Mutter kostet das gar nichts. Und selbst Sven, Andreas Mann, würde euch sicher helfen. Es ist doch keine Bedingung, sondern nur ein Vorschlag.“

Ivonne war etwas verwirrt. Noch vor Tagen hatten sie Wolfram und Maria vorgerechnet, dass sie es sich nie leisten könnten, nach Deutschland zu fahren, und jetzt war es schon fast sicher, dass sie hinfahren würden. Vorsichtig fragte Ivonne Maria: „Glaubst du wirklich, dass sie Olaf einladen werden?“

Maria lächelte. „Ganz sicher. Und oft laden sie die ganze Familie ein. Damit musst du rechnen.“

„Die ganze Familie? Aber wieso?“

„Unsere Firma macht sehr viel für die Familien der Belegschaft. Vor Weihnachten zum Beispiel gab es eine Weihnachtsfeier, bei der jedes Kind, dessen Eltern in unserer Firma arbeiteten, ein Geschenk bekam.“

„Ja, Tante Ivonne“, bestätigte Eva. „Wir durften alle auf die Bühne und dort hat sich jeder ein Spielzeug heraussuchen dürfen. Ich habe mir eine Barbie genommen.“

„Und ich einen Ken“, sagte Laura.

„Ich eine Puppe“, meldete sich jetzt auch Julia.

„Siehst du, dass ich recht habe?“, fragte Maria. „Und was meinst du, weshalb sie diese Ferienhäuser hier bauen wollen? Sie werden alle mit Kinderzimmern ausgestattet sein, damit Familien hier Urlaub machen können. Im Hotel ist doch alles so unpersönlich.“

„Ich weiß nicht“, gab Ivonne zu. „Ich war noch nie in einem Hotel.“

„Apropos Hotel“, klinkte sich Wolfram in das Gespräch ein. „Wir müssen wieder rüber ins Hotel. Schließlich warten Manfred und Dagmar auf uns.“ Maria nickte und Wolfram erklärte: „Morgen hat Mamma Geburtstag. Könnte ich morgen Früh so gegen 10.00 Uhr mal kurz auf Sie zurückgreifen, Olaf? Es wäre nett, wenn das möglich wäre. Es ist nur für zehn Minuten. Und bitte vergessen Sie nicht das Treffen übermorgen um zehn in der Dorfschenke. Der Bürgermeister sollte auch anwesend sein.“

Sie verabschiedeten sich und gingen noch mal kurz zu Marias Eltern.

„Wann dürfen wir morgen kommen, Mamma?“, fragte Maria.

„Von mir aus könnt ihr gleich nach dem Aufstehen kommen. Dann frühstücken wir zusammen.“

„Gut, dann bis zum Frühstück“, sagte Wolfram.

Daraufhin verabschiedeten sie sich und gingen mit ihren Kindern zurück zum Hotel. Unterdessen unterhielten sich Olaf und Ivonne noch einige Zeit über Wolfram und Maria.

„Manchmal kommt es mir so vor, als ob dieser Wolfram bei Maria unterm Pantoffel steht. Hast du nicht gesehen, wie sie diskutiert, ohne ihn zu fragen?“, meinte Olaf.

„Das kann ich mir nicht vorstellen“, sagte sie. „Wolfram ist bestimmt nicht der Mensch, der sich unterdrücken lässt. Maria hat mir erzählt, wie er mit Kjeld umgegangen ist. Ich glaube eher, dass Wolfram ein Mensch ist, der genau weiß, was er will. Maria meinte mal zu mir, dass man bei ihm immer auf Überraschungen gefasst sein muss. Aber dass er unter ihrem Pantoffel steht, kann ich mir nicht vorstellen. Ich denke, dass es das ist, was er vorhin sagte, als er davon sprach, dass viele Deutsche ihre Frauen gleichberechtigt sehen.“ Dabei sah sie ihren Mann sehr vielsagend an.

„Bei ihnen mag das vielleicht gehen“, verteidigte sich Olaf. „Aber hier ist alles anders. Weißt du, was die Leute im Dorf sagen, wenn ich das so mache, wie Wolfram erzählt hat?“

„Glaubst du? Ihm nimmt man das nicht übel. Wenn du mal genau hinsiehst, dann kannst du erkennen, dass dieser Sven aus dem Hotel mit Andrea ähnlich umgeht wie Wolfram mit Maria. Ist dir das noch nicht aufgefallen?“

„Ja, schon, aber ich weiß ja nicht, wie er war, bevor er Andrea kennengelernt hat.“

„Maria hat mir erzählt, dass er durch den Urlaub in Deutschland so geworden ist. Ich bin schon richtig gespannt auf Deutschland. Wolfram hat doch gesagt, dass seine Firma uns einladen wird.“

„Vielleicht, hat er gesagt. Und wenn du dann auch so aufmüpfig wirst, dann überlege ich es mir noch, ob ich euch mitnehme“, sagte Olaf mit einem spitzbübischen Lächeln im Gesicht.

Ivonne übersah das einfach und meinte: „Ich denke nicht, dass sich Andrea verändert hat. Eher denke ich, dass Sven sich dort in Deutschland geändert hat. Vielleicht leben sie gar nicht so weltfremd, eben nur anders. Ich bin so froh, dass du jetzt auch im Winter Geld verdienen wirst und wenn das mit dem Ferienhaus irgendwann losgeht, werde ich für die Touristen so viel Essen machen, wie sie wollen. Stell dir mal vor, ich mache für sie täglich Frühstück und Abendbrot. Das sind am Tag 150,- Kronen. Das Ganze einen Monat lang, dann sind es 4.500,- Kronen. Und wenn sie Mittag essen, kommt noch etwas dazu. Olaf, stell dir das nur mal vor.“

Olaf nickte und meinte: „Meine 4.500,- Kronen kommen ja noch dazu. Ich glaube, ich werde Wolfram wohl mehr zuhören müssen. Ohne ihn hätten wir das alles nicht. Wer hätte das gedacht, dass gerade ein Deutscher uns und den anderen hier im Dorf so hilft.“

„Ja, Olaf. Vielleicht sind sie doch anders, als wir immer dachten.“

Am Freitag gingen Maria und Wolfram mit ihren Kindern nicht im Hotel frühstücken, sondern wie verabredet bei Mamma im Dorf. Sie hatte Geburtstag. Von Sven bekamen sie einen Beutel mit frischen Brötchen aus der Hotelküche und einen großen Strauß Blumen, den Sven aus Bergen mitgebracht hatte. Dann gingen sie in die Tiefgarage und fuhren mit ihrem Leihwagen rüber ins Dorf.

Am Haus von Marias Eltern stellten sie das Auto ab und gratulierten erst einmal der Mamma und Oma. Dann wurde sie von allen einzeln umarmt, bekam den Blumenstrauß und die frischen Brötchen fürs Frühstück.

„Die Brötchen hätten nicht sein müssen. Ich habe extra Brot aufgeschnitten.“

Mamma“, sagte Maria, „wann habt ihr schon mal die Möglichkeit, frische Brötchen zu essen?“

Annefried lächelte glücklich. Ihre Tochter hatte ja so recht. Als die Brötchen auf den Tisch kamen, freute sich sogar Kjeld. Auch Andrea war begeistert. Und so aßen sie alle und hörten erst auf, als kein Brötchen mehr da war.

Wolfram entschuldigte sich mit den Worten: „Ich muss bloß mal kurz rüber zu Olaf. Das dauert höchstens zehn Minuten.“ Und schon hatte er das Haus verlassen.

„Schade, dass Wolfram auch heute arbeiten muss. Es ist doch mein erster Geburtstag, den ich mit ihm feiere“, sagte Annefried traurig. Maria lächelte, wusste sie doch, weshalb Wolfram gegangen war.

Kurz darauf klopfte es an die Tür. Annefried öffnete und herein kamen Wolfram und Olaf mit einer Waschmaschine in der Hand. Die Mamma machte große Augen und wusste nicht, was das bedeuten sollte.

„Das ist unser Geburtstagsgeschenk für dich“, sagte Maria von hinten.

„Für mich … eine neue Waschmaschine … ihr seid verrückt. Wie könnt ihr nur so viel Geld ausgeben?“

„Aber Mamma. Sie ist aus unserer Firma und im Werksverkauf ist sie wesentlich günstiger“, versicherte Maria.

„Ach so!“, entfuhr es ihrer Mutter.

Nun drängelte Wolfram: „Wo sollen wir die Waschmaschine hinstellen? Sie ist schwer.“

„In den Keller, wo unsere alte steht.“

Olaf und Wolfram trugen sie vorsichtig in den Keller und stellten sie ab. Dann rückten sie die alte zur Seite und schlossen die neue Waschmaschine an. Zum Schluss trugen sie die alte hoch und stellten sie vors Haus. Sven kannte eine Familie im Dorf, deren Waschmaschine schon seit Wochen kaputt war, und für eine neue war kein Geld da. Ihnen wollte er Bescheid sagen, dass sie diese Maschine bekommen konnten.

Wolfram ging wieder ins Wohnzimmer zurück und gab der Mamma die Bedienungsanleitung. Diese war zwar nicht auf Norwegisch, aber das Deutsch stellte in diesem Haus ja kein Problem dar. Marias Mutter saß im Sessel und musste sich erst an den Gedanken gewöhnen, dass sie jetzt eine neue Waschmaschine hatte. Sie blätterte in der Beschreibung und stutzte plötzlich. „Was bedeutet integrierter Trockner?“

Maria sprang ein. „Das heißt, dass diese Waschmaschine die Wäsche auch gleich trocknet. So musst du sie nur kurz aufhängen und dann ist sie bügelfertig. Das ist sicher auch für Andrea interessant.“

„Aber Andrea wohnt doch seit diesem Jahr bei Sven“, sagte ihre Mutter.

„Daran habe ich gar nicht gedacht. Du hast ja recht. Aber ihr Büro muss sie ab und zu besetzen.“

„Das habe ich schon mit Sven abgesprochen“, sagte Andrea. „Er bringt mich früh und nimmt mich abends wieder mit zurück. Sicher werde ich nicht jeden Tag hier sein können, aber öfter. Wenn ein Telefonanruf kommt und ich nicht da bin, gehen Mamma oder Pappa ran und sagen Sven im Hotel Bescheid. Dann komme ich am nächsten Tag. Reicht das so, Wolfram?“, fragte Andrea etwas bange.

Doch dieser nickte nur und lächelte. Natürlich wollten Andrea und Sven nach der Hochzeit zusammenwohnen. Das war doch verständlich.

Annefried blätterte immer noch in der Beschreibung. Vieles von dem, was diese neue Waschmaschine konnte, war neu für sie. Dass Maria und Wolfram ein Spitzenmodell aus ihrer Produktion ausgewählt hatten, wusste hier niemand. Wolfram hatte vor Tagen zu Maria gemeint, dass wäre besser so.

Maria ging mit ihrer Mutter und Andrea noch einmal in den Keller und erklärte anhand der Beschreibung, was die Waschmaschine alles konnte. Andrea war begeistert. Für ihre Mutter war das alles noch etwas befremdlich. Maria selbst hatte in ihrem Haus in Sonnenberg ein ähnliches Modell gehabt, deshalb war ihr vieles vertraut. Nur konnte ihre in Sonnenberg nicht so viel wie diese neue Maschine.

Wolfram fragte inzwischen Pappa, wie er mit dem Videorecorder zurechtkam. „Er macht nicht immer das, was ich will. Doch langsam begreife ich, welche Taste wofür ist“, sagte Kjeld stolz.

Als sich die drei Frauen von der neuen Waschmaschine losgerissen hatten und wieder nach oben kamen, gingen sie gleich in die Küche. Es war inzwischen Mittag und somit bald Essenszeit. Die beiden Töchter halfen ihrer Mutter, so gut sie konnten, und so stand schon bald das Essen auf dem Tisch. Nach dem Essen legte Maria Julia ins Bett, während Eva und Laura wieder zu den Nachbarn gingen, um mit Gerda und Kai zu spielen.

Wolfram fragte: „Wie geht es jetzt bei dir weiter, Andrea? Mit dem Arbeitsvertrag hast du ja auch Pflichten. Das Büro ist hier, aber du kannst doch nicht ein Leben lang immer hin und her fahren?“

„Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Aber wir haben keine andere Lösung.“

„Und wenn ihr hierher nach Håp Land zieht?“

Kjeld rief entrüstet: „Das kommt gar nicht infrage. Du gehörst zu deinem Mann. Kauft euch ein Haus. Das von Sörensens steht leer. Dort könnt ihr meinetwegen einziehen. Ich bin froh, dass wir keine kleinen Kinder mehr im Haus haben. Wir werden auch älter und wollen unsere Ruhe.“

Andrea sah Wolfram schulterzuckend an.

„Hier gibt es ein Haus, welches zum Verkauf steht?“, fragte er.

„Ja. Das steht schon vier Jahre leer. Die Sörensens sind gestorben und ihre Kinder wohnen in Bergen“, meinte Andrea.

„Wäre denn das nichts für euch? Eigene vier Wände sind immer besser, als bei den Eltern zu wohnen. Da muss ich deinem Vater recht geben. Bei uns sagt man, Alt und Jung gehören nicht zusammen!“

„Aber das Haus ist doch alt und es müsste vieles gemacht werden. Wovon sollen wir denn das bezahlen?“

Maria kam gerade zur Tür herein, hörte den letzten Satz und fragte Andrea: „Was sollt ihr denn bezahlen?“

„Wolfram meinte, Sven und ich sollten das Haus von den Sörensens kaufen und dort wohnen.“

„Andrea, das ist doch die Lösung! Dann habt ihr etwas Eigenes“, begeisterte sich Maria.

„Ja? Sagst du mir vielleicht auch, wovon wir das bezahlen sollen?“

Maria sah ihren Mann an, welcher prompt reagierte: „Das ist alles kein Problem, wenn ihr euch gleich entschließt, ein Ferienhaus auf das Grundstück zu setzen. Damit erschließt ihr euch einen Kredit, den ihr ganz bequem abarbeiten könnt. Und wenn wir in den Vertrag den Ausbau des Hauses integrieren, dann läuft er vielleicht zwei oder vier Jahre länger, aber ihr habt ein modernes Haus. Ihr solltet darüber nachdenken. Vielleicht sprechen wir heute Abend noch mal darüber, wenn auch Sven da ist.“

„Das ist sicher eine gute Idee“, antwortete Andrea.

„Da fällt mir noch etwas Wichtiges ein, Andrea. Ich denke, dass ich deinen neuen Arbeitgeber überzeugen werden muss, dass du hier einen Firmenwagen brauchst. Du und Olaf, ihr müsst beweglicher sein. Wenn der Bau losgeht, könnt ihr nicht mehr auf den Bus angewiesen sein, wenn Olaf zum Beispiel nach Bergen muss.“

„Aber er kann doch gar nicht Auto fahren“, entgegnete Andrea.

„Stimmt! Deshalb müsst ihr beide den Führerschein machen. Da das für eure Arbeit ist, wird es die Firma schon finanzieren. Ich denke, das bekomme ich durch. Schließlich bin ich der Einzige in unserer Firma, der die Situation hier kennt. Man vertraut mir.“

Maria schmunzelte vor sich hin. So hat er damals auch mich eingewickelt, dachte sie. Dabei war das, was er sagte, nicht einmal gelogen.

Andrea hingegen erwiderte ängstlich: „Ich soll auch Fahrschule machen?“

„Ja, und das so schnell wie möglich. Im achten Monat wird es dir sicher schwerer fallen. Bis dahin solltest du die Fahrschule schon hinter dir haben. Am besten, ich rede morgen noch einmal mit Olaf. Er könnte euch in Bergen anmelden. Übrigens weiß er von diesem Plan auch noch nichts. Da wird er aber ganz schön gucken.“

Sie besprachen diese neue Idee noch lange. Dabei wurden sie nur durch das Kaffeetrinken mit einer herrlichen Torte unterbrochen. Anschließend ging die Debatte weiter. Als Sven am Abend kam, wurde er gleich eingeweiht. Anfangs sträubte er sich gegen diesen Gedanken, doch dann kam er nach und nach dahinter, dass dieses alte Haus hier in Håp Land die beste Lösung für sie wäre.

Wolfram meinte: „Wenn ihr euch dazu entschließt, dann werde ich bei uns im Betrieb durchsetzen, dass das Haus zusätzlich einen Büroanbau und zwei Garagen bekommt. Eine gehört zum Ferienhaus und die zweite ist für den Betriebs-Pkw. Am besten sollte es ein Kombi sein. Vielleicht so einer wie unser jetziger Leihwagen.“

Sven rief erstaunt: „Was denn, so ein großes Auto? Wer weiß, ob Andrea damit überhaupt zurechtkommt?“

„Wenn ich das schaffe, dann schafft das Andrea auch“, sagte Maria voller Stolz.

„Meinst du?“, fragte Andrea ängstlich.

„Na klar! Das ist gar nicht so schwer. Ich hatte am Anfang auch Angst. Heute bin ich froh, dass Wolfram darauf keine Rücksicht genommen hat.“

„Dann wäre es gut, wenn ihr beide morgen zu der Veranstaltung in der Dorfschenke kommen würdet. Dort werden die ersten Verträge unterschrieben, auch der Bürgermeister wird anwesend sein. Mit ihm könnt ihr gleich die Sache mit dem Haus klären. Wenn es schon so lange leer steht, dann ist es sicher preiswert zu haben.“

Nun wendete sich Wolfram an Kjeld: „Pappa, wie ist das eigentlich mit euch. Werdet ihr euch auch für ein Ferienhaus entscheiden?“

„Ich will das erst mal bei den anderen sehen. Oder muss ich mich unbedingt bis morgen entscheiden?“

„Nein! Es ist jedem seine eigene Entscheidung. Es wäre unfair, jemanden zu bedrängen.“

Kjeld nickte. Er war froh, dass er sich noch nicht entscheiden musste. Besonders geheuer war ihm die ganze Sache nicht. Aber das wollte er gegenüber seinem deutschen Schwiegersohn nicht zugeben.

Als die Kinder vom Spielen zurückkamen, bereitete ihre Oma das Abendbrot zu. Ihre beiden Töchter halfen wieder. Die Männer hingegen hatten nur noch ein Thema: den Hauskauf und wie es dann weiterging. Sven meinte, dass dann auch die vielen Kilometer zwischen Urke und Håp Land wegfielen.

Als sie dann alle beim abendlichen Essen waren, fragte Wolfram Andrea, ob sie Olaf morgen noch vor der Veranstaltung sagen könne, dass er den Führerschein machen müsse. Es sei besser, wenn er das schon vor dem Treffen in der Dorfschenke wissen würde. Andrea versprach es ihm. „Am besten, wir gehen morgen zusammen von hier los. Dann kann ich es ihm unterwegs erzählen. Sven wird heute hierbleiben, sodass er morgen auch mitkommen kann.“

Andreas Mutter freute sich, dass nun auch Andrea und Sven in eine gesicherte Zukunft steuerten. Sie vertraute Wolfram, dass er Sven beim Kauf des Hauses unterstützte. Wolfram hatte erst seit einem knappen Jahr Kontakt zu ihrer Familie, doch wie viel hatte sich seitdem verändert. Sie begriff immer mehr, was er mit den Worten meinte, die Einwohner im Dorf würden umdenken müssen. Keiner sah mehr auf Maria herab. Keiner machte einen Bogen um ihre Familie. Alle waren wie aufgescheuchte Hühner und wussten nicht, wie sie Wolfram einschätzen sollten. Maria war nicht mehr Dorfgespräch. Schon dafür war Annefried Wolfram unendlich dankbar. Seiner offenen Art waren die verschlossenen Dorfbewohner nicht gewachsen. Ja, sie bewunderte ihren Schwiegersohn, auch wenn sie manches an ihm nicht verstand.

Am nächsten Morgen traf Maria mit ihrer Familie gegen 9.00 Uhr bei ihren Eltern ein. Andrea meinte: „Ich denke, ich sollte Olaf Bescheid sagen? Jetzt kannst du es doch gleich selbst machen, Wolfram.“

„Stimmt. Gestern wollte ich direkt zur Schenke, aber das geht ja wegen der Kinder nicht. Für einen Moment hatte ich sie vergessen. Ich verspreche, mich zu bessern.“ Dabei lächelte Wolfram.

Kurze Zeit später liefen sie mit Andrea und Sven rüber zu den Jansens. Maria freute sich, dass sie die Kinder wieder bei Ivonne und ihren Kindern lassen konnte. Hier waren sie sehr gut aufgehoben. „Wenn ihr uns einmal besucht, dann werden wir das alles gutmachen. Ihr habt uns die Kinder so oft abgenommen. Ihr seid wahre Freunde.“ Maria war so froh, dass die Kinder zu jeder Zeit hierherdurften.

„Aber das ist doch selbstverständlich“, antwortete Ivonne bescheiden.

„Nein, Ivonne, das ist es sicher nicht“, sagte jetzt Wolfram. „Ihr seid wirklich wertvolle Freunde.“

„Maria weiß doch, dass wir das gern tun“, sagte Olaf.

„Gerade deshalb seid ihr ja so wertvoll“, erwiderte Wolfram. „Und für die Firma sind Sie auch sehr rührig. Ich denke, Sie werden in nächster Zeit viel unterwegs sein. Schade, dass Sie kein Auto haben. Das würde Ihnen jetzt viel Zeit ersparen.“

„Wozu ein Auto? Ich kann doch gar nicht Auto fahren.“

„Hatten Sie noch nie den Wunsch, ein Auto zu fahren?“

„Als Kind habe ich es mir oft gewünscht, aber dann kamen der Beruf und die ständige Arbeitslosigkeit im Winter, die Familie und das Haus. Nein, Wolfram, so weit werden wir es wohl nie bringen.“

„Dann muss ich Sie mal aufklären. In Deutschland ist der Führerschein fast eine Bedingung für jede Arbeit. Da hier andere Bedingungen herrschen, denke ich, dass die Firma Ihnen und Andrea die Fahrschule finanzieren sollte. Sie können hier ohne Auto gar nicht richtig Ihre Aufgaben erfüllen. Bitte versprechen Sie mir, dass Sie am Montag eine Fahrschule aufsuchen und Andrea und sich dort anmelden. Lassen Sie sich die Telefonnummer und die Bankverbindung geben, damit unsere Firma den Betrag überweisen kann. Andrea wird mir am Montag alles über das Internet zukommen lassen. Glauben Sie mir, es ist Eile geboten. Ab März soll hier der Bau losgehen und bis dahin müssen Sie den Firmenwagen fahren können. Ich denke, dass die Firma bis Ende Februar einen Pkw stellen wird.“

„Ja, aber wieso? Wir sind doch erst ein paar Tage in Ihrer Firma.“

„Vielleicht ist das hier anders. In Deutschland ist es bei großen Firmen nichts Ungewöhnliches, einen Firmenwagen zu bekommen, wenn man dienstlich unterwegs sein muss. Bei uns ist das jedenfalls so geregelt. Deshalb müsst ihr so schnell wie möglich den Führerschein machen.“

„Wolfram, wie kann ich Ihnen nur danken?“

„Nicht mir! Ich bin doch nur der Vermittler. Außerdem müssen wir Ihnen danken wegen der Kinder. So, jetzt müssen wir aber los, wenn wir pünktlich in der Dorfschenke sein wollen.“

Ivonne blieb bei den Kindern und war überglücklich. Ihr Olaf würde den Führerschein machen. Sie wusste, dass er sich das schon so lange gewünscht hatte. Vielleicht würden sie es dann irgendwann zu einem kleinen Auto schaffen. Damit würde sich für Olaf ein unendlich großer Traum erfüllen. Ivonne wusste das und sie wollte alles dafür tun, dass er wahr würde.

Währenddessen besuchten die anderen den Wirt in seinen Räumlichkeiten. Es war noch nicht 10.00 Uhr und so waren auch die meisten noch nicht da. Wolfram suchte sich einen Platz mit dem Rücken zur Wand, damit er immer nach vorn sprechen konnte. Beim Wirt bestellte er ein Mineralwasser.

Pünktlich 10.00 Uhr begann Wolfram mit der nächsten Informationsveranstaltung. Außer dem Bürgermeister waren alle da. Einige hatten ihre Frauen mitgebracht, andere kamen allein. Andrea flüsterte Wolfram zu, dass diese Frauen auf die Kinder aufpassten, wie auch Ivonne. Wolfram nickte und begann.

„Liebe Freunde. Wir sind heute nochmals hier zusammengekommen, um Genaueres über unser Projekt zu besprechen. Ich werde Ihnen erst einmal beschreiben, was man Ihnen da aufs Grundstück setzen wird. Das Ferienhaus wird ein Holzhaus mit zwei Etagen werden. Unten wird es einen großen Wohnraum mit einer kleinen Kochmöglichkeit und einem ebenfalls kleinen Kühlschrank geben. Bei uns nennt man das Miniküche. Ansonsten wird es dort einen Esstisch mit vier Stühlen geben und eine Sitzecke mit Couch, Tisch, zwei Polsterhockern und zwei Stühlen. Ein Fernseher wird auch in diesem Raum sein. Ebenfalls wird es im Untergeschoss ein Bad mit Wanne, Dusche, Waschbecken und Toilette geben. Das Obergeschoss wird zusätzlich mit einer kleinen Toilette und einem Waschbecken ausgestattet. Das erste Zimmer wird ein Schlafzimmer mit Ehebett, zwei Schränken, zwei Nachttischen, drei Hockern und einem flachen Schränkchen sein. Das zweite Zimmer oben wird das Kinderzimmer sein. Darin werden zwei Doppelstockbetten stehen, bei denen man die unteren Betten hochklappen kann, um Platz zum Spielen zu gewinnen. So werden nur so viele Betten genutzt, wie Kinder angemeldet sind. Die unteren Betten werden nur heruntergeklappt, wenn es mehr als zwei Kinder sind. Es wird auch eine Möglichkeit geben, dieses Kinderzimmer auf bis zu sechs Betten zu erweitern. Wie das geht, wird man Ihnen zeigen, wenn alles fertig ist. Zum Ferienhaus gehört immer eine Garage. Es wird Urlauber geben, die mit dem Schiff kommen und ihre Autos mitbringen.

Da das Ferienhaus fast das ganze Jahr über geheizt werden muss, empfehle ich Ihnen, in Ihr Haus eine Ölheizung einbauen zu lassen. Ebenso sollten Sie das Angebot einer zuverlässigen Waschmaschine aus unserer Produktion annehmen. Sie werden durch die Urlauber viel Bettwäsche und Handtücher zu waschen haben. Das sollten Sie nicht unterschätzen.“

Inzwischen kam auch der Bürgermeister und setzte sich.

„Bürgermeister Björn Nansen, ich begrüße Sie. Es ist gut, dass Sie gekommen sind, denn jetzt wird es auch für Sie interessant. Wir suchen weiterhin Fischer hier im Dorf. Ich habe gehört, dass es noch einige gibt. Denen möchte ich empfehlen, Fjord-Rundfahrten anzubieten oder auch Hochseeangeln. Ebenso könnten Sie jeweils vier Personen mit zum Fischfang nehmen. Bei einem Preis von 250,- Kronen pro Person können sie damit ein gutes zusätzliches Einkommen haben.“

So viel bezahlt doch niemand“, rief einer der Bewohner.

„Sie irren sich. Das ist ein Preis, den sicher viele bezahlen werden. Urlaub kostet immer Geld. Die Urlauber, die hierherkommen, wissen das.

Auch wäre es vorteilhaft, wenn es bei Ihnen hier im Dorf einen Bäcker gäbe. Der könnte das Dorf und das Hotel mit frischen Backwaren beliefern. Davon kann man bestimmt gut leben. Die Finanzierung wäre dann allerdings anders. Eine Bäckerei und ein kleiner Laden, der vielleicht früh drei Stunden und nachmittags zwei Stunden offen hat. Das würde sicher reichen. Außerdem könnte ich mir eine Fahrrad-Ausleihstation vorstellen. Wer sich dazu entschließt, sollte aber Schlosserfähigkeiten haben, damit er auch eine kleine Fahrradwerkstatt betreiben kann. Die Finanzierung könnte man auch über das Ferienhaus abwickeln. Sehr empfehlenswert wäre auch ein Souvenirladen, der gestrickte Mützen und Pullover mit Norwegermuster anbietet, ebenso Sweatshirts und T-Shirts, Postkarten und Briefmarken. Sicher gibt es auch noch andere interessante Souvenirs, die man da anbieten kann. Der Laden sollte immer am oder im Haus des Betreibers sein.

Für all diese Dinge müssten Sie in Deutschland ein Gewerbe anmelden. Ich weiß nicht, wie hier die gesetzlichen Bestimmungen sind. Aber Ihr Bürgermeister kann Ihnen da sicher helfen. Auch sollte er einen Fotografen engagieren, der Postkarten kreieren kann. Sie brauchen unbedingt Postkarten vom Dorf und vom Hotel. Auch sollten Ansichten vom Fjord, vom Wald mit einem Elch und von einem Ferienhaus angeboten werden. Den Fotografen wird das Hotel bezahlen.“

Wolfram wandte sich Sven zu: „Bitte kläre das mit der Hotelleitung. Sie müsste wissen, dass sie auf diese Art Werbung nicht verzichten kann. Ihr habt an der Rezeption nicht eine Postkarte vom Hotel noch von der Umgebung.“

Sven nickte.

„Dem Wirt habe ich den Vorschlag gemacht, dass er statt eines Ferienhauses seine Gästezimmer modernisiert. Dazu habe ich ihm empfohlen, einen Saal für etwa hundert Leute anzubauen und dort Tanzveranstaltungen für das Dorf und die Urlauber anzubieten. Ebenso könnte er hier Kinovorstellungen geben. Wenn er dafür eine Genehmigung benötigt, wird ihm der Bürgermeister sicher weiterhelfen.

Sie sehen, ich habe mir viele Gedanken gemacht, damit Ihr Dorf aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Es sind aber alles nur Vorschläge und Ideen. Verwirklichen müssen Sie diese Ideen selbst. Ich kann Ihnen nur bei der Finanzierung helfen. Das war es, was ich Ihnen noch mitteilen wollte, eh Sie den Vertrag unterschreiben. Ich habe für alle, die sich bei Olaf gemeldet haben, einen Vertrag mit.“

Damit setzte sich Wolfram und wartete auf die Reaktionen der Zuhörer. Erst herrschte ein paar Minuten Stille. Dann kamen die ersten Fragen.

„Wer garantiert uns denn, dass das alles funktioniert? Nicht, dass wir auf den Ferienhäusern sitzen und dann kommt keiner.“

„Solange die Finanzierung läuft, wird Ihr Kredit automatisch Monat für Monat abgeschrieben, auch wenn keine Urlauber kommen. Das ist das Risiko unserer Firma. So steht es übrigens im Vertrag.“

„Und warum setzen Sie sich so dafür ein? Was verdienen Sie dabei?“

„Ich? Sie werden es nicht glauben. Ich verdiene nichts dabei. Aber das ist für mich nicht so wichtig. Ich habe in Deutschland eine gute Arbeit und verdiene dort ausreichend. Als ich vor fast einem Jahr das erste Mal in Håp Land war, habe ich gesehen, dass es hier viele Menschen schwer haben, weil es zu wenig Arbeit gibt. Deshalb habe ich monatelang überlegt, wie ich Ihnen helfen kann. Ich glaube einfach, dass Sie viel Potenzial haben, wenn man Sie unterstützt. Tun müssen Sie es selbst. Aber ohne Hilfe ist das eben fast nicht möglich.“

„Werden Sie die Arbeiten selbst überwachen?“

„Nein. Ich muss morgen wieder zurück nach Deutschland. Dort wartet meine Arbeit. Aber es wird ein Bauingenieur aus Deutschland kommen. Ansonsten ist Olaf für die Organisation zuständig und Ihr direkter Ansprechpartner. Baubeginn wird voraussichtlich im März sein. Der Bau für ein Ferienhaus sollte nicht länger als acht Wochen dauern. Wenn sich nach dem heutigen Tag weitere entschließen, dieses Angebot anzunehmen, dann wäre eine zweite Bauphase im September möglich. Im Sommer ist Saison und da sollte kein Baulärm sein.“

Wolfram erklärte anschließend Einzelheiten, die den Bau betrafen.

„Gibt es weitere Fragen? Nein? Dann können wir mit dem Unterschreiben beginnen. Olaf hat für jede angemeldete Familie den Vertrag. Lesen Sie ihn sich gründlich durch und geben Sie ihn unterschrieben zurück, wenn Sie einverstanden sind. Er wird am Montag in der Firma gegengezeichnet und Sie bekommen dann Ihr Exemplar per Post zugeschickt. Sollten Sie in zwei Wochen noch keinen Vertrag zugeschickt bekommen haben, melden Sie sich bei Andrea. Sie wird dann alles Nötige klären.“

Die Dorfbewohner holten sich ihre Verträge und begannen zu lesen. Wolfram rief den Bürgermeister zu sich und fragte nach dem Haus der Sörensens.

Björn Nansen lachte: „Wollen Sie das auch kaufen?“

„Nein. Ich nicht. Aber Sven Aglund interessiert sich dafür. Er sucht etwas für seine neue Familie.“

„Das ist etwas anderes. An Ausländer wäre das Haus nicht zu verkaufen.“

„Glauben Sie mir, ich habe ein schönes Haus in Deutschland. Das reicht mir vollkommen. Es ist wirklich für die beiden. Ich bin hier nur der Vermittler. Sven! Jetzt bist du dran.“

Sven verhandelte eine Weile mit Björn Nansen. Dann waren sie sich einig. Der Bürgermeister würde mit den Erben Kontakt aufnehmen und den Kauf vermitteln. Schließlich war er ja auch daran interessiert, dass dieses Haus wieder bewohnt wurde. So unterschrieb Sven auch seinen Ferienhausvertrag mit dem Vorbehalt, dass er ungültig wird, wenn es nicht zu dem Hauskauf kommen sollte. Wolfram akzeptierte diesen Vorbehalt.

Zum Schluss sammelte Olaf die Verträge wieder ein. Alle hatten unterschrieben. So konnten sie die Schenke verlassen und nach Hause gehen. Mamma wartete bestimmt schon mit dem Essen.

Natürlich war die Sache mit dem Haus für Sven und Andrea Thema beim Essen. Sven hätte nicht gedacht, dass der Bürgermeister sich so dafür einsetzte.

„Er wäre ein schlechter Bürgermeister, wenn er sich nicht um sein Dorf kümmern würde“, warf Wolfram ein. „Deshalb habe ich ihn auch immer eingeladen. Er sollte sich nicht übergangen fühlen.“

„Danke!“, sagte Andrea. „Ich kann es noch gar nicht glauben. Wir werden ein eigenes Haus haben und du musst nicht mehr jeden Tag diese Strecke fahren.“

„Es sieht so aus, als ob dieses Jahr ein Jahr der Überraschungen wird“, bemerkte Wolfram. „Das Haus, das Baby und wer weiß, was noch alles Neues auf uns einstürmt. An dieser Stelle möchten wir euch für den Juni dieses Jahres einladen. Ich meine euch, Pappa und Mamma, und auch euch, Sven und Andrea. Bis es so weit ist, werden wir auch geklärt haben, wie die Reise mit eurem Sohn am besten zu bewältigen ist.“

„Sohn?“, fragte Sven und schaute Andrea fragend an.

„Nein, Sven. Von mir hat er das nicht. Ich würde selbst gern wissen, was es wird.“

Wolfram schüttelte lachend den Kopf. „Es ist mehr so ein Gefühl. Ich habe mal gehört, dass kleine Jungs ihre werdende Mutter hübscher aussehen lassen. Hingegen machen kleine Mädchen die werdende Mutter nicht hässlich, aber sie sehen abgespannt und müde aus.“

Annefried nickte zustimmend und Wolfram sprach weiter: „Nun seht euch mal Andrea an. Sieht sie nicht aus wie das blühende Leben? Die Schwangerschaft bekommt ihr doch hervorragend. Von abgespannt und müde kann bei ihrem Aussehen weiß Gott keine Rede sein. Aber was soll’s. Im April zu Marias Geburtstag werden wir vermutlich mehr wissen.“

„Du weißt viel über Frauen. Das ist hier nicht üblich“, meinte Marias Mutter verwundert.

„Wie will man eine Frau verstehen“, sagte Wolfram, „wenn man über Frauen nur das weiß, was sich Männer am Stammtisch erzählen. Nur wenn man das Wesen einer Frau versteht, kann man auch sie selbst verstehen. Das wiederum, so meine ich, ist die gesunde Basis für eine Beziehung.“

„Aha“, sagte Kjeld. „Und jetzt verstehst du die Frauen?“

„Schön wäre es“, meinte Wolfram darauf lachend. „Ich bin immer noch beim Lernen.“

„Du willst uns auch einladen?“, fragte Kjeld jetzt etwas vorsichtig.

„Ja. So können wir alle zusammen Evas, Svens, meinen, Lauras und Andreas Geburtstag feiern. Das sind fünf Geburtstage, die ich gern mit euch zusammen feiern würde. Bitte macht es möglich. Ihr bereut es ganz sicher nicht. Oder hast du Angst vor den Deutschen?“

„Ich? Angst? Das Wort kenne ich gar nicht!“, entgegnete Kjeld entrüstet.

„Dann ist ja alles in Ordnung!“, konterte Wolfram.

„Habt ihr denn so viel Platz in eurem Haus oder müssten wir wie ihr jetzt im Hotel schlafen?“, fragte Marias Mutter.

Da meinte Andrea: „Sie haben zwei Gästezimmer im Haus. Ich glaube, das reicht für uns alle.“

Maria sah Wolfram gespannt an. Doch dieser sagte: „Ihr werdet auf jeden Fall bei uns zu Hause schlafen. So ist es doch viel schöner, oder nicht?“

Man konnte Maria ansehen, wie sie langsam die Luft herausließ. Wolfram hatte wieder mal die Kurve gekriegt, ohne alles sagen zu müssen. Annefried hingegen nickte erleichtert. Sie wollte so nah wie möglich bei ihren Kindern und Enkeln sein.

Am Nachmittag besuchten Wolfram und Maria ein letztes Mal Olaf und Ivonne im Nachbarhaus. Sie bedauerten, dass sie sich nun längere Zeit nicht sehen würden.

„Vielleicht klappt es, dass Olaf von der Firma eingeladen wird. Dann sehen wir uns in Deutschland wieder“, sagte Maria. „Wir bleiben über Andreas Telefon auf jeden Fall in Verbindung.“

Olaf antwortete: „Ja, das werden wir. Wenn es mit Deutschland nicht klappt, dann werdet ihr sicher wieder einmal nach Håp Land kommen. Ihr seid bei uns immer gern gesehen.“

„Danke, Olaf!“, sagte jetzt Wolfram. „Auch ich werde die Zeit hier bei euch nicht vergessen. Ihr seid mir zu wirklichen Freunden geworden und ich hoffe, dass wir uns in Deutschland wiedersehen. Aber das hängt eben nicht nur von mir ab. Warten wir es einfach ab. Jetzt ist erst einmal wichtig, dass der Bau nach dem Winter ohne Verzögerung abläuft. Ich glaube, dass Sie, Olaf, genau der Richtige sind, der diesen Bau beaufsichtigt. Sie haben jetzt schon mehr geleistet, als ich mir vorgestellt hatte. Vielleicht kann ich mal mit der deutschen Bauaufsicht mitkommen, wenn die ersten Ferienhäuser fertig sind. Noch ein Tipp: Versuchen Sie den Kontakt zu Sven zu halten. Ich denke, es kann nicht schaden, wenn Sie mit dem Hotel im ständigen Kontakt sind. Wenn das Dorf das Hotel in das Dorfleben integriert, ist es allen zum Vorteil. Sie sollten nicht gegeneinander, sondern miteinander leben.“

„Ich werde Ihren Rat beherzigen“, sagte Olaf, „da ich sowieso öfter mit Andrea zu tun haben werde.“

„Sven organisiert fast alles im Hotel drüben und Sie tun Ähnliches hier. Das sollte für eine Zusammenarbeit eine gute Basis sein. Und wenn der Bau losgeht und Sven das Sörensen-Haus bekommen hat, dann beginnen Sie bitte dort zuerst. Dieses Haus muss schnell fertig werden, schon wegen des Kindes, das Ende März zur Welt kommen will. Als Zweites sollte Ihr Ferienhaus fertig werden, damit wir etwas vorzeigen können. Wenn sich bis März noch welche entschließen, sollten sie auch gleich mit berücksichtigt werden. Wer sich erst entscheidet, wenn die Baggerarbeiten abgeschlossen sind, der muss bis September warten. Auch dann geht der Bau nur weiter, wenn es mindestens fünf Interessenten sind. Wegen ein oder zwei Ferienhäusern lohnt sich der Aufwand nicht.“

Olaf nickte. „Ich werde alles so machen, wie Sie es sagen.“ Dann fragte er: „Wann werde ich das erste Mal Geld bekommen?“

„Gehaltszahlung ist in unserer Firma immer am Monatsende. Ich denke, dass es in der letzten Woche im Januar sein wird. Kommen Sie bis dahin aus?“ Wolfram fühlte plötzlich wieder, wie wenig Geld sie zur Verfügung hatten.

Olaf aber meinte: „Wir werden bis dahin auskommen müssen. Das wird schon irgendwie gehen.“ Dabei versuchte er so locker wie möglich zu sein.

Wolframs Blick zu Ivonne sagte ihm, dass diese Lockerheit nur gespielt war und Jansens wirklich am Existenzminimum lebten. Deshalb sagte er: „Vielleicht kann ich erreichen, dass man Ihnen einen Vorschuss zahlt, da Sie in der kurzen Zeit schon einiges geleistet haben. Dann brauchen Sie auch Geld, wenn Sie zu persönlichen Absprachen nach Bergen müssen. Heben Sie auf jeden Fall alle Quittungen und Belege auf, wenn Sie für die Firma Geld ausgeben. Ich denke da an Busfahrten und Ähnliches. Diese Ausgaben bekommen Sie von der Firma natürlich zurück, wenn Sie sie mit Belegen nachweisen können.“

Kurz darauf verabschiedeten sie sich. Wolfram umarmte Ivonne und danach auch Olaf. Der Abschied fiel allen nicht leicht.

Als sie alle wieder am Tisch in Kjelds Wohnzimmer saßen, meinte Wolfram: „Sven, ich könnte mir vorstellen, dass ein engerer Kontakt mit Olaf Jansen günstig für euer Vorhaben mit dem Haus sein könnte. Jansens sind sehr einfache, aber von Grund auf ehrliche Leute. Dann könntest du auch manches im Hotel besser organisieren, wenn du diesen Kontakt pflegst. Olaf wird hier im Dorf der Organisator des Baus und auch manch anderer Dinge sein. Ich glaube, dass eine Zusammenarbeit mit ihm auch dem Hotel nützen könnte. Nimm einfach mal an, hier im Dorf findet sich jemand für diese Bäckerei-Idee oder für den Souvenirladen. Beides würde auch das Hotel attraktiver machen. Ihr solltet überhaupt mehr zusammenarbeiten. Bis jetzt habt ihr eher in Konkurrenz gestanden. Tauscht euch aus und bietet nie das Gleiche an. Sprecht euch ab. Teilt euch so den Service für die Urlauber. Ich denke, dass es eine gute Idee ist, wenn Dorf und Hotel zusammenwachsen. Einigkeit macht stark! Das ist ein altes deutsches Sprichwort.“

„Vielleicht hast du recht“, meinte Sven. „Jetzt, da wir einen neuen Betreiber haben, der offensichtlich mehr Wert darauf legt, dass die Angestellten im Interesse des Hotels denken und handeln, kann so eine Zusammenarbeit doppelt gut sein. Man erwartet jetzt auch von mir Ideen zur Verbesserung der Auslastung des Hotels. Nur habe ich absolut keine Ahnung, wie man diese Auslastung verbessern kann.“

„So schwer ist das gar nicht. Du musst nur großflächiger denken. Wer kennt denn schon euer Hotel? Kaum jemand, außer ein paar Reisebüros. Und was kann euer Hotel bieten? Außer Landschaft, Ruhe und Langeweile kaum etwas. Hier solltest du ansetzen. Das Hotel muss attraktiver werden. Mach einen Vertrag mit dem Blumenladen, dass sie täglich Tischschmuck und einige Sträuße für den Verkauf liefern. Bei Bedarf kann man das erhöhen. Hängt euch an den Fotografen für die Postkartenherstellung. Das Hotel braucht dringend eigene Postkarten, ebenso vom Dorf und von Bergen. Bietet Briefmarken mit an. Das alles sollte es auch an der Rezeption zu kaufen geben. Außerdem solltet ihr einen Flyer vom Hotel erstellen lassen. Der müsste dann in jedem Zimmer ausliegen, damit jeder Urlauber ihn mitnehmen und bei sich zu Hause Werbung für euer Hotel machen kann. Auch ist das Internet im Kommen. Ihr solltet über einen Internetauftritt nachdenken. Besprich diese Ideen mit deiner Chefin. Sie wird dir sicher zuhören, denn sie ist ja auch im Zugzwang.“

„Bei dir klingt das alles so einfach. Wo nimmst du nur all diese Ideen her?“, fragte Sven.

„Na ja, euer Hotel ist nicht das erste, in dem ich gewohnt habe. Ich habe schon oft Urlaub in Hotels gemacht und im Süden ist die Konkurrenz zwischen den Hotels viel größer als hier. Das, was ich dir gerade erzählt habe, ist das, was ich dort kennengelernt habe. Das sind nicht meine Ideen. Und wenn du mal ein Problem bezüglich des Hotels hast, dann frag mich. Vielleicht kann ich dir dabei mit meinen Hotelerfahrungen nützen.“

„Danke! Das würde mir bestimmt helfen“, antwortete Sven.

Sie besprachen noch viel, denn es war ja Wolframs und Marias letzter Tag in Håp Land. Am Abend verabschiedeten sie sich, denn sie wollten früh vom Hotel aus zum Flughafen fahren.

Annefried Lizell umarmte noch einmal alle ganz herzlich, besonders Wolfram. „Du hast so viel Freude in unsere Familie gebracht. Dafür danke ich dir! Werde ganz, ganz glücklich mit Maria.“ Weiter kam sie nicht, denn dicke Tränen liefen über ihr Gesicht.

Kjeld Lizell umarmte seine Tochter und auch seinen Schwiegersohn. „Du hast Wort gehalten. Das finde ich sehr anständig von dir. Das hätte mir mal einer sagen müssen, dass ich freiwillig einen Deutschen umarme.“

„Und bitte vergesst nicht, dass ihr im Juni bei uns eingeladen seid“, wiederholte Wolfram.

Da meinte Sven: „Ich kann nicht versprechen, dass ich im Juni Urlaub bekomme. Unsere Chefin bekommt vermutlich Druck vom neuen Eigentümer des Hotels. Da könnte sie in der Saison eventuell Urlaubssperre aussprechen.“

„Dann fordern wir dich eben wieder als Dolmetscher an. Das hat voriges Jahr auch geklappt.“

Sven war sich da nicht so sicher. „Voriges Jahr durfte sie noch alles selbst entscheiden. Für dieses Jahr habe ich echte Bedenken. Aber wenn ich nicht mitkommen kann, dann fährt Andrea eben allein.“

„Allein sicher nicht!“, sagte Maria lachend. „Oder willst du dann euer Kind stillen?“ Alles lachte bei dieser Bemerkung.

Nachdem sie sich auch von Andrea und Sven verabschiedet hatten, fuhren sie zurück ins Hotel. Am Abend, als die Kinder schon im Bett lagen, statten Maria und Wolfram noch einmal ihrer Brücke einen Besuch ab. Sie standen lange versonnen auf das Geländer gestützt da. Ihre Vergangenheit lief wie im Zeitraffer an ihnen vorüber. Obwohl alles erst etwas über zehn Monate her war, kam es ihnen vor, als wäre es vor Jahren gewesen. Sie umarmten sich wie damals und küssten sich. Hier war ihre Insel, die das Fundament ihres Glücks war. Hier war der Anfang von allem. Hier war der Anker ihrer Liebe. Hier war aber auch die Zufluchtsstätte für ihre Sorgen von damals. Hier war der Ort, der alles von ihnen wusste. Sie versprachen sich, diesen Ort immer wieder zu besuchen, so lange sie lebten.

Herzensöffnung (2): Versöhnung

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