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2 Jan

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„Schatz? Ich bin's. ... Ja ... Es tut mir Leid, aber es wird später ... Ich weiß ... Es tut mir wirklich leid, aber ... ja, ein Notfall kommt ... ja ... ja ... Schatz, lass mich ... nein, aber ... Schatz ... der Hubschrauber!“

Dr. Jan Ratzont beendete das Telefonat und schob sein Handy in die Hosentasche. Immer das Gleiche, dabei war er nun mal Notfallmediziner. Natürlich hatte auch er sich die Zeit, nachdem die Kinder aus dem Haus waren, anders vorgestellt. Aber er hatte halt einen Beruf gewählt, in dem er völlig aufging. Menschen in Lebensgefahr zu helfen, sie manchmal sogar wieder ins Leben zu holen, erfüllte ihn mit Stolz. Und er war gut in seinem Beruf. Es war ein echter Beruf, nicht bloß ein Job.

Jan war Anfang fünfzig. Zum Glück hielt er sich durch reichlich Sport so fit, dass man ihm das nicht sofort ansehen konnte. Seine Figur konnte man als „sportlich“ bezeichnen. Und auch seine Gene waren ihm wohlgesonnen, sodass er noch keine Brille hatte. Auch nicht zum Lesen, worauf er besonders stolz war, wenn er sich unter seinen Freunden und Kollegen so umsah. Seine Haare bekamen zwar langsam einen silbrigen Schimmer, aber das machte ihn eher noch attraktiver.

Marie, seine Frau, sah seinen Beruf etwas kritischer. Lange hatte er hart und viel gearbeitet, sodass er seiner Familie ein unbeschwertes Leben ermöglichen konnte. Wie oft hatte er Marie mit den Worten „wenn die Kinder erst aus dem Haus sind, wird es anders“ beruhigt? Wie oft hatten sie Pläne für die Zeit „nach 50“ geschmiedet? Wie viele Reisen hatten sie im Kopf schon unternommen?

Jetzt saß Marie trotzdem alleine zu Hause. Marie war auch kürzlich 50 geworden. Der runde Geburtstag, der bei vielen für einen Anflug von Panik sorgt, hatte bei Marie eine „Jetzt erst Recht“-Stimmung erzeugt. Sie hatte auch guten Grund dazu, denn sie sah weiterhin sehr gut aus. Die wenigsten glaubten, dass sie „schon 50“ war – kein graues Schimmern im Haar, kaum Falten, eine sportliche Figur. Und immer ein Lächeln auf den Lippen. Zumindest außer Haus. Zu Hause konnte sie auch mal böse werden. Vor allem, seit Mela, ihre jüngste Tochter, im letzten Jahr auch das Haus verlassen hatte.

Marie schimpfte häufig mit Jan: „Warum mache ich den ganzen Sport, wenn sich sowieso keiner für meine Figur interessiert?“ Das stimmte nicht, denn Jan interessierte sich sehr wohl für Marie und ihre Figur. Leider viel zu selten.

Viel zu selten hatten sie lange Zeit miteinander. Viel zu selten hatten sie Lust, auszugehen oder Freunde zu treffen. Und viel zu häufig blieb das Einzige, was nach der Arbeit zu tun war, einen kleinen bis mittelgroßen Streit nicht eskalieren zu lassen.

Meist drehte es sich dabei um alles, was nicht war. Keine Zeit. Keine Urlaube. Nicht einmal Ausflüge. Nur Bereitschaft. Wie oft hatten sie sich in der letzten Zeit wegen der Arbeit gestritten?

Und wie oft hatte Jan sich vor allem mit Maik, ihrem ältesten Sohn, gestritten? So selten, wie die beiden sich gesehen hatten, war ein Konflikt immer nur eine Frage der Zeit. Immer wieder musste sich Marie den Satz „er versteht mich einfach nicht“ anhören. Von beiden.

Jetzt waren die Kinder alle aus dem Haus. Jetzt könnten sie ihre Zeit zu zweit genießen.

Aber jetzt kam erst einmal ein Notfall. Bisher wusste Jan nur, dass es sich um einen 27jährigen Mann nach einem schweren Autounfall handelte. Ab jetzt übernahm voll und ganz der Notfallmediziner Dr. Ratzont. Alle anderen Gedanken verschwanden, wichtig war nur noch das Leben des jungen Mannes. Und er würde es retten ...

Nach mehreren Stunden ließ sich Jan in seinen Bürostuhl fallen. Geschafft. Der junge Mann lag zwar im Koma, aber er lebte. Jan hatte seinen Beruf ausgeübt und ein Leben gerettet. Dafür war er da. Alles Weitere lag nicht mehr in seiner Hand.

Also noch den Bericht schreiben. Manchmal fragte er sich, wie oft er in den letzten Jahren Begriffe wie „Reanimation“, „Intubation“, „Schädelhirntrauma“, „Drainage“, „Herz-Lungen-Maschine“ getippt hatte. Und er fragte sich, wie oft er noch junge Menschen wieder ins Leben zurückholen müsste, die in der Adventszeit auf Blitzeis verunglückten.

Vor allem aber fragte er sich, wie oft er noch Angehörigen erklären muss, dass ihre Geliebten zwar leben, aber nicht ansprechbar sind. Ein solcher Gang stand ihm auch jetzt wieder bevor ...

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