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Ferienende

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Jana warf sich noch etwas Wasser ins Gesicht und spülte sich erneut den Mund aus. Der Blick in den Spiegel verriet ihr: „Boh, siehst Du scheiße aus…“

Ein gequältes Lächeln erschien in dem Gesicht, das sie aus dem Spiegel anblickte. Sie sah wirklich schlimm aus: Ihre Haare standen in alle Himmelsrichtungen ab, ihre geröteten Augen waren von dunklen Ringen umgeben und der Bronzeton ihrer Haut war einem grünen Blass gewichen.

Dabei war sie so stolz gewesen, dass sie in diesem Sommer endlich einmal ein wenig Farbe bekommen hatte. In Lissabon war das auch kaum möglich gewesen, darum herum zu kommen.

Lissabon. Wie gerne erinnerte sich Jana im Nachhinein an diese Reise. Nun ja, nicht unbedingt an die Reise selbst. Immerhin war es eine Reise mit ihrer Familie gewesen. Das hieß Zeit mit Menschen zu verbringen, die uncool, nervig und in der Öffentlichkeit meistens peinlich waren. Nach ihren Recherchen war diese Meinung völlig normal für eine 16-jährige. Nicht normal war der Zwang, den ihre Eltern aufbauten, damit sie die Reise antrat.

Doch immerhin hatte die Reise alles verändert. Obwohl zunächst alles ganz anders aussah.

Sie hatte eine mittelschwere Krise bekommen, als sie von ihren Eltern zu diesem „Familienurlaub“ gezwungen wurde. Sie hatte alles versucht, nicht mitzumüssen – zwecklos. Selbst Kotzen am Abflugtag führte nicht zum gewünschten Erfolg.

Sie beschloss, ihr Ding zu machen, das Beste für sich herauszuholen und ihr Schicksal zu ertragen. Lesen, schreiben, am Strand liegen. Was hätte sie auch sonst tun sollen?

Das lief auch ganz gut, bis Jana die Nachricht von Maria auf ihrem Handy hatte: „Und tschüss…“

Jana geriet in Panik. Was war da los? Wollte sich Maria etwa umbringen? Als Maria weder auf Rückrufe noch auf Janas Textnachrichten reagierte, brach Jana zusammen.

Nicht Maria. Nicht nur, weil sie sich gestritten hatten. NICHT MARIA!!!

Maria war für Jana der wichtigste Mensch in ihrem Leben, das spürte sie in Lissabon endgültig. Maria war ihre Freundin, schon lange. Doch seit einer Weile war es eine sogenannte „Freundschaft +“. Händchenhalten und Küssen inklusive.

Jana fühlte mit Maria Dinge, die sie bei Jungs nicht fühlte. Was sollte man auch von Menschen erwarten, deren erste sexuelle Erfahrungen mit dem Wort „Fummeln“ umschrieben wurden? Nicht, dass Jana mit Maria schon „so weit“ gegangen wäre. Es war ein langsamer, zarter und gefühlvoller Beginn einer Beziehung.

Jana fühlte, dass Maria ihre erste echte Liebe war.

Doch vor den Sommerferien hatten Maria und Jana Probleme bekommen. Das hing vor allem damit zusammen, dass Jana unsicher wurde. Nicht, was ihre Gefühle für Maria anging. Sie war aber noch nicht bereit, sich zu outen. Das verletzte Maria. Sie stritten immer häufiger. Jana war so fertig mit sich und der Welt, dass sie sogar die Schulpsychologin in Anspruch nahm. Hier konnte sie auch die Probleme mit den Mitschülern ansprechen. Diese sahen sie schon immer als Sonderling, als komisch und als Freak. „Mit Mobbing ist nicht zu spaßen“, sagte die Psychologin immer.

Die Gespräche halfen Jana ein wenig, doch sie konnte den Gedanken, mit ihren Eltern wegzufahren, Maria im Unfrieden zurückzulassen, kaum ertragen.

Und dann die Nachricht.

Jana war so außer sich, dass sie zur Ponte 25 de Abril ging. Sie setzte sich auf die Brüstung und schaute sich den Sonnenuntergang an.

Ob sie springen wollte, wusste sie selbst nicht.

Jedenfalls kam plötzlich ein deutscher Junge. Einer, den sie zuvor schon am Strand kurz gesehen hatte. Er stellte sich als Lewis vor. Ihre Eltern hatten sich kennengelernt und als alle in Aufruhr waren hatte Lewis als einziger eine echte Idee, wo Jana sein könnte. Kurzerhand ging er auf eigene Faust los und traf Jana tatsächlich auf der Brücke an. Es war der einzige Ort, an dem er suchen wollte.

„Hier sieht man den Sonnenuntergang am besten“, sagte er lapidar.

Zu dem Zeitpunkt wusste Jana schon, dass Maria nur sagen wollte, dass sie jetzt auch im Urlaub sei. Sie wollte sich kurz bei Jana verabschieden – aber nur für die Zeit, in der sie mit ihren Eltern weg wäre. Jana war bereits erleichtert, als Lewis sie traf.

Er war auch ein Außenseiter in seiner Familie, sie verstanden sich schnell. Seitdem schrieben die beiden sich relativ regelmäßig. Einfach mal erzählen.

Lewis war der erste, dem Jana ihre Gefühle für Maria offenbarte. Die lockere Art, wie er damit umging, freute Jana.

Ob ihre Eltern auch so locker damit umgehen könnten?

Überraschenderweise konnten sie das. Zumindest nach einem ersten Zögern.

„Klar,“ dachte Jana wieder, „sie mussten ja erstmal ihre Vorstellung von Schwiegersohn und Enkeln begraben.“ Ein kurzer Trauerprozess.

Denn Jana und Maria hatten auch kurzen Prozess gemacht.

Nach ihren Urlaubsreisen hatten sich Jana und Maria sehr bald wiedergesehen. Maria hatte bei Jana vor der Tür gestanden und sie waren sich um den Hals gefallen. Kurzentschlossen hatte Jana Maria in die Augen geschaut, kurz: „Bereit?“ gefragt, den erfreut-verdatterten Blick von Maria als „ja“ gewertet, sie an der Hand genommen und war mit ihr ins Wohnzimmer zu ihren Eltern gegangen.

„Mama, Papa, Maria ist meine Freundin, wir lieben uns!“

Janas Eltern waren still, suchten nach der Ernsthaftigkeit in Janas Blick. Als Jana es schon fast nicht mehr aushielt, sagten ihre Eltern fast gleichzeitig: „Ok. Isst Du heute Abend mit uns, Maria?“

Die beiden Mädchen waren komplett überrumpelt. Maria stotterte nur: „J-ja, gerne“, und verschwanden in Janas Zimmer – wo sie erst einmal ein heftiger Lachkrampf schüttelte. Die Erleichterung war unermesslich, ihre jeweilige Angst war wie weggeblasen.

Immer, wenn Jana sich an diesen Moment erinnerte, musste sie unweigerlich lächeln. Kurz darauf wurde ihr immer heiß, denn sie musste auch daran denken, was dann geschah.

Als sie nicht mehr lachten, nahm Maria Janas Gesicht zärtlich zwischen ihre Hände, hauchte ein: „Danke!“ und küsste sie sanft. Ihre Küsse wurden immer leidenschaftlicher und sie begannen, sich gegenseitig zu erkunden.

Total natürlich fühlte es sich an, die Haut der jeweils anderen zu streicheln und zu küssen, noch natürlicher, die Nacktheit der anderen zu bewundern. Langsam, still und beinahe ohne Worte leiteten sie sich gegenseitig an. Sie lernten, was der anderen, aber auch was jeder selbst gefiel. Sie wuchsen gemeinsam und ihre Beziehung wurde stetig fester.

So sahen sie sich den Rest der Ferien so häufig wie möglich. Trotzdem ließen sie sich auch Zeit für ihre alten, zum Teil nicht geteilten Hobbys. Während Maria ein Pferd besaß und regelmäßig ritt, ging Jana zweimal in der Woche zum Hip-Hop-Tanzen. An diesen Tagen hatten sie manchmal nur kurz Zeit für ein Telefonat. Aber auch das fühlte sich gut an.

Janas Eltern verloren kaum ein Wort darüber, dass ihre Tochter ihnen aller Voraussicht nach niemals Enkelkinder schenken würde. Sie sagten aber auch nicht, dass sie das schrecklich finden und Jana enterben oder sie aus dem Haus jagen würden. Im Gegenteil war ihr Umgang beinahe locker. Sie wirkten erleichtert, endlich zu wissen, was an ihrer Tochter anders war.

Auch sie hatten die Entfremdung zwischen ihnen und Jana gespürt, wussten aber nicht, woran es lag. Dass es nur war, weil Jana sich zu Frauen hingezogen fühlte, machte es ihnen leichter.

So erzählte es Janas Vater ihr zumindest, als er sie am letzten Dienstag vom Tanzen abgeholt hatte. Die beiden hatten länger an einem defekten Bahnübergang im Auto gestanden und völlig unvermittelt hatte ein intensives Gespräch begonnen. Janas Vater hatte ihr seine Sicht vom Lissabon-Urlaub erzählt („Ich wäre fast ohnmächtig geworden vor Angst“) und dann hatten sie über Maria und Janas Beziehung zu ihr gesprochen.

Das Gespräch war so entspannt, dass Jana fast auch ihre Ängste erzählt hätte. Da kam aber die Öffnung des Bahnübergangs dazwischen und Jana verschluckte es.

Wie immer. Sie schluckte alle Demütigung, alles Mobbing, alle Ängste – bis sie kotzen musste.

So auch vorhin. Ihre Angst vor dem Schulbeginn war übermächtig.

Schon vor den Ferien war sie geärgert worden. Alles hatte mit ihren herausragenden Leistungen angefangen. Obwohl ihr diese mehr oder weniger zufielen, wurde sie als Streberin und Schleimerin beschimpft. Das ging jedem so, der in der Schule gut war.

Im Laufe der Zeit wurde es aber persönlicher. Ihr Eigentum verschwand oder wurde beschmutzt. Sie wurde angerempelt. Manchmal, wenn jemand ganz mutig war, bekam sie Briefchen mit Schimpfworten und Beleidigungen („Freak“, „Du bist häslich“, „Du stingst“) – Jana konnte nach einer Weile nicht einmal mehr über die Rechtschreibfehler lachen.

Am schlimmsten waren aber die Blicke. Ihre Mitschüler und Mitschülerinnen guckten sie entweder gar nicht an, oder es lag eine so tiefe Abscheu in ihrem Blick, dass Jana oft nur noch weggucken konnte. Die Blicke verfolgten sie bis in ihre Träume, aus denen sie oftmals hochgeschreckt war.

Durch den Schlafmangel wurde sie unkonzentriert, was ihr diverse Lacher eingebracht hat. Leider keine freundlichen.

Vor allem die Blicke waren es, vor denen sich Jana jetzt fürchtete.

Diesmal vor ihren eigenen Blicken.

Mit Maria hatte sie sich darauf geeinigt, dass sie in der Schule behutsam vorgingen, was ihre Beziehung anging. Sie wollten sich nicht sofort um den Hals fallen und küssen, sondern sich normal, wie normale Freundinnen begegnen.

Doch Jana wusste, dass sie ihre eigenen Blicke, mit denen sie Maria anschaute, nicht kontrollieren konnte. Sie würde sie verliebt anschauen. Sie würde mehr lächeln. Die würde rot werden.

Und das würden die anderen sehen. Und darüber reden.

Und den Druck erhöhen.

Jana hatte riesige Angst, dass sie wieder einknicken würde. Dass sie Maria wieder verleugnen würde. Dass sie nicht zu ihr stehen würde.

Dass sie den wichtigsten Menschen in ihrem Leben enttäuschen würde.

Vor allem, seit sie mit Maria darüber geredet hatte. Auch wenn Maria ihr versichert hatte, dass sie Jana verstehen könne. Auch wenn sie versichert hatte, dass sie wisse, wie sich das alles anfühlte. Auch wenn sie versichert hatte, dass ihre Liebe stärker war.

Trotzdem hatte Jana diesen kurzen Moment in Marias Blick gesehen. Diesen Moment des Zweifels.

Ein kurzer Schatten war da durch Marias Blick gehuscht. Ein Schatten, der Jana seitdem verfolgte und ihr die letzte Nacht zur Hölle gemacht hatte. Sie hatte geträumt, dass Maria mit zerschmettertem Gesicht am Fuß einer Brücke gelegen habe. Nur ihre Augen waren noch erkennbar und diese blickten Jana so vorwurfsvoll an, dass diese aus dem Schlaf geschreckt und nicht wieder eingeschlafen war.

Seitdem hatte Jana fast nur im Bett gelegen und geweint. Wenn sie nicht auf dem Klo gekotzt hatte.

Ihre Eltern waren weiterhin verständnisvoll und ließen sie in Ruhe. Wer weiß, was sie dachten, doch sie warteten, bis Jana ihnen freiwillig erzählen würde, was Sache war.

Normalerweise fand Jana das super. Heute hätte sie es anders gebraucht.

Und morgen? Tja, davor hatte Jana die meiste Angst. Morgen begann die Schule. Die Beobachtung, der Spießroutenlauf. Die Angst, etwas falsch zu machen.

Die Angst, Maria zu enttäuschen.

Morgen. Was würde morgen passieren?

Schnell beugte sich Jana wieder über die Kloschüssel…

Was wird morgen sein?

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