Читать книгу Ursula jagt eine Diebin - Herta Fischer - Страница 7

Ein Armband wird gestohlen

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Das Wetter war auch am folgenden Tage herrlich. Die Sonne schien zu wissen, was sie den Ferienkindern schuldig war, und strahlte und lachte, als freue sie sich mit den Jungen und Mädchen, die sich im Wald und auf der Wiese tummelten. Selbst der Wind hielt es mit den Kindern. Kam eine Wolke und wollte sich vor das Sonnenlicht schieben, so blies er sie schnell davon, sprang dann über den See und kräuselte die Wasserfläche zu glitzernden Wellen. Der Waldsee war wunderschön. Am Nordhang wuchsen junge Fichten, dazwischen hohes Gras und Heidelbeerkraut, in dem man so weich lag wie in einem Bett. Gegen Süden trennte ein schmaler Wiesenstreifen den See vom Hochwald. Dort lagerten sich die Mädchen, nachdem sie sich im Wasser ausgetobt hatten. Ursula ruhte mit geschlossenen Augen, das Gesicht der Sonne zugewandt. »Bin ich schon braun?«, wollte sie wissen.

»Wie eine Schokoladentorte«, spottete Iris, damit beschäftigt, aus Binsenhalmen ein Körbchen zu flechten. Jutta saß am Ufer und zeichnete mit einem Stock Mondgesichter in den Sand. Angelika hatte die Nase wieder im Buche stecken, während die übrigen Mädchen Dora bestürmten, ihnen eine Geschichte zu erzählen.

Plötzlich fuhren alle auf. Den nahen Waldweg entlang kam ein Handwagen gerattert. Zwei Jungen hatten sich vor die Deichsel gespannt, zwei andere schoben, im Wagen aber saßen zwei Mädchen und trieben ihre »Zugtiere« mit lautem »Hü« und »Hott« zu schnellerem Laufe an, fuchtelten dabei mit den Armen, knallten mit eingebildeten Peitschen und kreischten laut und vergnügt, wenn die Fuhre schwankend über Wurzeln und Steine glitt. Wohin sollte die lustige Fuhre denn gehen?


»Wir sammeln Holz für die alten Leute im Dorf«, rief ein Blondkopf, dem die Sommersprossen wie Tintenspritzer um die Nase saßen, »es gibt fünf Rentner, die schon zu alt und zu schwach sind, um selbst zu gehen, denen helfen wir.«

»Achtung! Bahn frei!«, verlangte ein anderer, weil Iris, die auf einem Baumstumpf saß, ihre Storchbeine bis in den Weg hineinstreckte. Sie sprang erschrocken zur Seite. Wie die Wilde Jagd sauste die Fuhre vorbei. Es ging bergab, und das fröhliche Geschrei war noch lange zu vernehmen.

»Was die für Krach machen«, sagte Ursel missbilligend und drehte sich auf den Bauch, weil der Rücken nun auch einmal braun werden sollte. Iris gähnte. Angelika vertiefte sich wieder in ihr Buch.

»Ihr liegt ja immer noch hier!«, rief der sommersprossige Blondkopf, als die Holzsammler zwei Stunden später mit hochbeladenem Handwagen zurückkehrten. Sie ließen den Wagen am Ufer des Waldsees stehen und zogen Kleider und Hemden über den Kopf.

»Erst abkühlen, ehe ihr ins Wasser geht«, rief ihr Gruppenleiter Horst, der langsamer nachgekommen war.

»Dürfen wir auch noch einmal schwimmen?«, bat Jutta.

Dora Mühlberg, die froh war, keine Geschichten mehr erzählen zu müssen, nickte. »Aber nur noch eine Viertelstunde.« Bald danach tobte eine wilde Wasserschlacht. Die Mädchen versuchten, den Blondkopf zu tauchen, doch der schwamm so schnell und spritzte ihnen mit den Beinen so viel Wasser ins Gesicht, dass sie nicht an ihn herankamen. Danach veranstalteten sie ein Wettschwimmen, einmal über den See und zurück. Siegerin war Iris und Zweiter ein Junge, der fast ebenso lange Beine hatte wie sie.

»Schafft ihr das Holz nun gleich nach Sperlingsfeld?«, fragte Karla, als sie alle wieder ans Ufer geklettert waren und sich von der Sonne trocknen ließen.

»Ach wo! Erst holen wir noch mehr. Dann wird es gehackt und gebündelt.«

Am nächsten Morgen, als Gruppe VIII schon dabei war, dort, wo die Hecke hinkommen sollte, die Erde auszuheben, Gruppe VI im Hausgärtchen Unkraut zupfte und die Kleinsten »Faules Ei« spielten, hörte die ehrgeizige Lore zufällig, wie Onkel Max zu Dora sagte: »Wir müssen jemanden zum Postholen schicken.«

Sogleich meldete sie sich: »Gibt’s dafür Punkte für den Wettbewerb? Dann gehe ich.«

Kopfschüttelnd entgegnete der Heimleiter: »Dafür nicht! Tust du denn alles nur noch für Punkte und gar nichts mehr aus gutem Willen, um jemandem eine Freude zu machen?«

Lore schmollte: »Ich will doch mit ins rote Buch.«

»Ach, geh!«

Dora winkte Iris herbei, die in der Nähe stand, und fragte sie: »Willst du die Post holen?«

»Gern!«, rief Iris begeistert, »darf Ursel mitgehen?«

Sehr froh, auf eigene Faust Entdeckungen machen zu können, zogen die beiden ab, spazierten durch den ehemaligen Schlosspark, der einen kleinen halb versumpften, mit Entengrütze überzogenen Teich hatte und in dem Eichen, Ahornbäume und hohe Rotbuchen mit breiten Kronen standen. An den Stämmen huschten Eichhörnchen hinauf. In den dichten Hecken nisteten Vögel. Ein klarer Bach, von Vergissmeinnicht umwachsen, rieselte durchs Gesträuch. Im Schloss, in dem man seit einiger Zeit die Zentralschule untergebracht hatte, herrschte Stille, denn es waren Ferien. Nur ein einziger Mann war zu sehen, der einen Baumstamm zersägte. Er nickte den Kindern freundlich zu, als sie bei ihm stehen blieben, und fragte, woher sie kämen.

»Aus Sternstadt«, erzählte Ursel fröhlich. »Wir sind aus dem Heim vom VEB Bau. Wir sollen uns hier erholen und rote Backen bekommen.«

Der Mann machte eine kleine Pause, stemmte die Fäuste auf die Hüften und grinste. »Ihr zwei kommt mir eigentlich gar nicht erholungsbedürftig vor. Du hast Backen wie ein Spanferkel, und deine Freundin … na, wenn sie auch ein bisschen mager ist, so schaut sie doch gesund aus wie ein Fisch im Wasser.«

Iris behauptete sehr ernsthaft: »Ja, aber die vielen Schularbeiten, die strengen nämlich an!« Dabei kniff sie Ursel übermütig in den Arm. Die musste sich ohnehin schon das Lachen verkneifen, fügte aber ebenso sorgenvoll und bedächtig hinzu: »Jaja, unsere Nerven haben es wirklich sehr nötig.«

Der Hausmeister musterte sie verschmitzt: »Habt ihr denn auch schon Nerven?« Da konnten sie nicht mehr an sich halten, stoben plötzlich wie die Irrwische davon und hörten nicht mehr, wie der Mann am Sägebock ihnen lachend nachrief: »Na wartet, ihr Grünschnäbel, eure Nerven werden wir euch hier schon noch kurieren!«

Nach ein paar Minuten tauchten vor den Mädchen die ersten Häuser des Dorfes auf. »Du, Iris, ich glaube, wir müssen uns jetzt wirklich ein bisschen gesitteter benehmen«, meinte Ursel, »sonst bekommen die Sperlingsfelder einen schlechten Eindruck von uns.«

»Natürlich«, stimmte Iris zu. »Meinst du, dass uns der Mann unsere große Klappe übel genommen hat? Ich glaube nicht. Er hat doch gelacht.«

Sie gingen die Dorfstraße entlang, schauten neugierig in alle Ecken und Winkel und fanden schließlich die Post. Mit einer Tasche voller Briefe und Karten traten sie den Heimweg an. Im Schlosspark stand jetzt der Sägebock verlassen. Der Hausmeister war wohl frühstücken gegangen. Dafür begegneten sie einer alten Frau mit zersorgtem, runzligem Gesicht. Sie trug eine Schürze und ein rotes Umschlagtuch. In der einen Hand hielt sie einen mit Himbeeren gefüllten Krug, mit der anderen stützte sie sich schwer auf einen festen Stock.


Ursula und Iris, ihrer guten Vorsätze eingedenk, grüßten höflich: »Guten Tag!«, erhielten jedoch als Antwort nur ein mürrisches Brummen.

»Die ist aber unfreundlich«, meinte Iris. Gleich darauf fanden die Mädchen einen Bund Schlüssel, der mitten auf dem Parkweg lag. »Ob er der Alten gehört?« vermutete Ursula. »Komm, wir laufen ihr nach.«

Schnell holten sie die Frau ein und reichten ihr den Fund. Mit gedankenverlorenem Kopfnicken nahm ihn die Alte und steckte die Schlüssel in die Schürzentasche. Die Kinder würdigte sie nur eines kurzen Blickes aus ihren grauen, weltfernen Augen. Vor sich hin brummend, schlurfte sie weiter.

»Pu!«, sagte Ursula. »Die mag ich nicht leiden.« Auch Iris schüttelte sich. »Die ist garstig!«

Gleich darauf aber rief sie: »Wollen wir mal über den Bach springen?«

»Der ist zu breit!«, stellte Ursel fest. »Wir kommen nicht drüber. – Aber, du, ich weiß was Besseres!«

»Was denn?«

»Wir könnten schnell mal drin baden.«

»Baden? Meinst du?«, Iris zögerte nicht lange. »Ach ja, es ist so heiß. Ich schwitze fürchterlich.«

»Aber wir haben keine Badeanzüge.«

»Macht nichts!«, Iris zog schon das geblumte Dirndl über den Kopf. »Hier sieht uns doch kein Mensch.«

Sie legten ihre Kleider fein säuberlich über einen Baumstumpf. Die Tasche mit den Postsachen stellten sie daneben. Zuletzt legte Ursula ihr silbernes Armband, das sie von ihrer Tante zum Geburtstag bekommen hatte, obenauf. Zwischen den Holundersträuchern war der Bach am tiefsten. Dort setzten sie sich ins Wasser, kreischten, weil es so kalt war, bespritzten sich lachend und jubelten vor Vergnügen, bis Ursula mahnte: »Nicht so laut. Wenn uns jemand hört! Wir haben doch nichts an.« Nun flüsterten sie nur noch, blickten sich ab und zu um, kicherten unterdrückt und fanden ihr Bad herrlich erquickend.

Endlich kletterten sie ans Ufer, ließen sich von der Sonne trocknen, doch während sie sich wieder ankleideten, rief Ursula plötzlich entsetzt: »Wo ist denn mein Armband hin?«

»Du wirst es runtergeworfen haben«, sagte Iris und suchte mit Blicken den Boden ab. »Das müssen wir finden. Das Gras ist ja hier ganz niedrig.«

Die Kinder sahen das Armband aber nirgends, obwohl sie, auf den Knien hin und her rutschend, eifrig suchten. Grashalme wurden auseinandergebogen, Steine beiseitegeschoben, jedes Erdfleckchen mit den Händen abgetastet. Das Armband war weg.

Iris stand in Hemd und Höschen da und vergaß vor Schreck, das Kleid anzuziehen. Sie biss sich in den Handrücken und sah sich nach allen Seiten um. Ursula behauptete: »Das hat jemand gestohlen!«

»Aber wer denn?«

»Ja, wer wohl? Vielleicht die mürrische Alte?«

»Na klar«, stimmte Iris Ursula zu, »es war ja sonst kein Mensch in der Nähe.«

»Wir müssen ihr nach!«, ereiferte sich Ursula. »Schnell, zieh dich an.«

Eilig zogen sie ihre Kleider über den Kopf und rannten los. Im Laufen rief Iris: »Aber eigentlich war die alte Frau schon an der Stelle vorbei!«

»Vielleicht hat sie uns gesehen und ist nochmals umgekehrt.«

Unversehens standen sie vor dem Mann am Sägebock, der gerade die zersägten Holzblöcke auf eine Schubkarre laden wollte. Wie gut!

Schüchtern erkundigte sich Ursel: »Verzeihen Sie bitte, haben Sie hier irgendwo eine alte Frau mit einem roten Kopftuch gesehen?«

»Schau einer an«, polterte der Mann, »schon wieder der Grünschnabel! Wollt mich wohl wieder foppen?« Aber als er Ursulas ehrliche Aufregung bemerkte, brummte er: »Du meinst wohl die alte Hennigen?«

»Kann schon sein.« Ursula trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. »Ich weiß nicht, wie sie heißt, aber sie ging auf einen Stock gestützt und hatte Himbeeren gepflückt.«

»Und sie war brummig wie eine alte Waldeule«, ergänzte Iris.

»Na ja, ihr meint schon Mutter Hennig«, sagte der Hausmeister, holte einen Kornapfel aus der Hosentasche und drehte ihn nach allen Seiten, ehe er abbiss. »Was wollt ihr denn von ihr? Sie hat sich über euch beschwert, weil ihr solchen Lärm gemacht habt und nichts anhattet beim Baden.«

»Hat sie uns gesehen?«, fragte Ursula atemlos.

»Na, freilich! Ganz in der Nähe eurer Badestelle ist doch ihr Ruheplatz, dort frühstückt die Frau immer, wenn sie aus den Beeren kommt.« Er schob mit einer weit ausholenden Handbewegung das Haar aus der Stirn und fragte: »Aber was geht es euch an?«

Ursel stieß Iris in die Seite und blickte sie vielsagend an: »Na, siehst du nun …« Dann bat sie drängend: »Bitte, sagen Sie uns doch, wohin sie ging. Wir müssen es wissen, und wir haben es eilig.«

»So, eilig habt ihr’s?« Der Mann schien nicht einsehen zu wollen, dass Ferienkinder keine Zeit haben könnten. Er drehte erst wieder ein paarmal den Apfel in der Hand, biss wieder hinein und meinte: »Der schmeckt gut. Schade, dass es mein letzter ist. Ihr hättet sonst gern mal kosten können. Aus meinem Garten. Eigene Ernte.«

So ein langweiliger Kerl. Iris stöhnte. Als ob sie jetzt Verlangen nach Äpfeln hätten!

»Wohin Frau Hennig gegangen ist, möchten wir wissen!«, wiederholte sie ungeduldig. »Ach, lassen Sie uns doch nicht so lange zappeln!«

»Ach so! Ihr wollt ihr wohl nachlaufen? Habt wohl Appetit auf Himbeeren? Na, ich weiß nicht … Versuchen könnt ihr’s ja mal.«

Der Mann warf lässig das Kerngehäuse ins Gebüsch und wies mit der ausgestreckten Hand dem Dorfe zu. »Dort um die Ecke, die Dorfstraße hinunter …« Er hatte das letzte Wort noch nicht zu Ende gesprochen, da sausten die Mädchen schon los. Der Hausmeister blickte ihnen kopfschüttelnd nach, wie sie mit flatternden Röcken hinter den Häusern verschwanden.

Die Dorfstraße war menschenleer. Nur zwei kleine Kinder schoben einen Puppenwagen über die Straße. Ein Junge lief hinter einem Ball her. Auf einem Fensterstock stand eine Frau und putzte die Scheiben. Aber von der alten mit dem Kopftuch war kein Zipfelchen zu sehen.

»So, das haben wir davon! Nun ist sie uns entwischt!«, stellte Ursula empört fest.

»Und nur, weil der Mann uns so hingehalten hat«, entrüstete sich Iris. »Was machen wir nun?« Vom Kirchturm schlug es schon zwölf Uhr. Höchste Zeit, ins Lager zu kommen! »Ich muss mein Armband wiederhaben!« Ursula weinte fast. »Was denkst du, wie meine Mutti sonst zankt, ich sollte es doch gar nicht mitnehmen. Aber ich habe so lange gebettelt und hoch und heilig versprochen, es nicht zu verlieren, bis sie’s erlaubt hat.«

»Au weh«, sagte Iris und nickte voller Verständnis, »und nun ist’s gleich in den ersten Tagen weg.« Zuversichtlich fügte sie hinzu: »Aber wir bekommen es wieder. Verlass dich drauf!«

Weinerlich fragte Ursula: »Wie denn?«

Iris entgegnete entschlossen: »Wir müssen die Diebin finden!«

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