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1. (K)ein schöner Tag
ОглавлениеAmadeus Heine lächelt. Er klappt die Sonnenblende herunter. Für Anfang September ist es noch recht warm. Pärchen haben es sich unter den Sonnenschirmen der Rheinsberger Straßencafés bequem gemacht. Heine ist Krankenpfleger. Als der 93-jährige August Bachmann ihn vorhin erkannte, sogar ein Gespräch über diesen ungewöhnlich milden Spätsommertag mit ihm begann, war Heine warm ums Herz geworden. Es kommt nur noch selten vor, dass der schwer an Alzheimer erkrankte Rentner seine Umgebung versteht und sich ihr mitteilt. Bachmanns ein paar Jahre jüngere Ehefrau Agnes strahlte förmlich, dass ihr geliebter Mann endlich wieder einmal bei vollem Verstand zu sein schien. Obwohl Heine wusste, dass es sich nur um einen jener Lichtblicke handelte, die typisch für die Krankheit sind, freute sich der Pfleger vorhin sehr und hielt dem alten Mann die Hand.
Dass der 34-jährige Krankenpfleger heute sehr guter Laune ist, hat noch einen weiteren Grund, der viel wichtiger ist, als der Sonnenschein und das Lächeln des Greises. Seine Lebensgefährtin Jenny hatte ihm gestern kurz nach dem Abendbrot mitgeteilt, dass es etwas zu feiern gebe. Er wollte schon mal den Sekt aus dem Kühlschrank holen. Doch sie lehnte ab: „Keinen Sekt, wir bekommen ein Kind. Das soll doch gesund zur Welt kommen.“
Er umarmte Jenny. Beide schluchzten vor Freude. Dann hob der gut einen Meter neunzig große Amadeus seine viel kleinere Freundin unvermittelt auf die Platte des Küchentisches. Sie jauchzte. Er sang: „Hoch soll sie leben, hoch soll sie leben, dreimal hoch.“
Schon bald würde er die schöne zierliche Jenny mit den langen naturblonden Haaren bitten, seine Frau zu werden. Aus Jenny Dorfmann würde dann Jenny Dorfmann-Heine. Oder sollte er ganz auf seinen Familiennamen verzichten? Amadeus Dorfmann? Nein, doch besser nicht.
Spötter hatten bei ihm in der Kindheit keine Chance gehabt. Schon damals war er größer und stärker als die meisten Gleichaltrigen. Wenn sich doch mal jemand über den Vornamen lustig machte, den er seinem musikliebenden Großvater zu verdanken hatte, dann ballte Amadeus die Faust. Zuzuschlagen brauchte er so gut wie nie. Und Heine, den Namen gab es öfter mal. Nur im Doppelpack mit Amadeus bot er Anlass zum Spott. Über den speziellen Titel „Kultur-Fuzzi“ konnte Amadeus Heine damals nur müde lächeln. Den Namen des großen Dichters würde er auch nach der Hochzeit behalten wollen.
Hochzeit, nur nicht mit der Tür ins Haus fallen. Heute Abend würde er Jenny erst einmal einen riesigen Strauß Herbstblumen als Zeichen seiner übergroßen Liebe schenken. Ein Stück weiter hinten ist ein Blumenladen. Er kennt die beiden Verkäuferinnen. Sie werden sich bestimmt große Mühe beim Zusammenstellen geben.
Amadeus Heine lenkt den kleinen Dienstwagen langsam durch die Innenstadt. Die Menschen lächeln ihn an. Er lächelt gern zurück. Schon heute Abend wird er Jenny sagen, dass er einen Großteil seiner Ersparnisse äußerst gewinnbringend angelegt hat. Er fährt nach rechts, um den Wagen in einer Parklücke abzustellen, ganz in der Nähe des Blumengeschäftes.
Irrsinnig lautes Krachen. Dämonisches Dröhnen. Zerstörerische Hitze. Gleißende Helligkeit. Unendlicher Schmerz. Amadeus Heine will schreien, doch ihm bleibt keine Zeit mehr für eine Gefühlsäußerung. Sein letzter Gedanke gilt Jenny. Vorbei. Binnen weniger Sekunden hat sich alles geändert.
Der Kleinwagen wurde in Hunderttausende von Teilchen zerrissen. Verletzte Menschen schreien. Helfer eilen herbei.