Читать книгу Die letzte Zukunft oder Tränen der Galaxie - Holger Rutkiewicz - Страница 4

Kapitel 1 … gefunden…

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Die Sonne verliert schleichend ihre unerträgliche Kraft. Endlich verwöhnen wieder Gestalt und Farben des wachsenden Riesen meine Augen. Schluss mit dem mühevollen Replizieren längst verlorener Daten. Ich zwinge mich jedes Mal, die Notwendigkeit und den Verlauf ernsthaft erkennbar und sichtbar zu machen. In meinem Gehirn verblassen langsam die Bilder des Sensorenspiegels, und Kühle umschlingt meinen Kopf, um mich wieder in die reale Welt zurückzudrängen.

Beinahe unmerklich öffnet sich ein Teil des Kraftfeldes, welches meine Station vom Habitat trennt. Drei schlanke Neulinge, die ihre ersten Diensteinheiten für eine lange Zeit antreten möchten, schlüpfen unsicher in die Zentrale.

Die Öffnung ist bereits erneut am Versiegeln, da drängt sich eine große hagere Gestalt in den Raum. Ist sie es wirklich? Dieser Gedanke schleicht plötzlich in meinem Kopf umher.

Ja, es scheint so. Sie muss es sein. „Schermo.“

Ohne einen Gedanken an mich oder die Neulinge zu richten, schmiegt sie sich in die abgelegenste Ecke meiner Station. Ich möchte eben beginnen, den Datentunnel den „Frischlingen“ zugänglich zu machen, als ich eine alte Art der Kommunikation vernehme, die mir nur aus längst vergessenen Tagen in Erinnerung geblieben ist.

Was war das? Töne? Frequenzen, Syntax ähnlich einer gestückelten M e l o d i e? Sprache … ich glaube, sie nannten es Sprache.

Längst in Vergessenheit geratener Austausch von Informationen und Mittel, aufsteigenden Emotionen Nachdruck zu verleihen. Doch heute völlig überflüssig und unangebracht. Unangebracht, weil diese Kommunikationsart von Missverständnissen geprägt und zu energieaufwendig ist.

Ich spüre ihre Blicke, die an mir haften, und ich weiß, diese Worte - ihre Worte - sind für mich bestimmt. Doch warum ich, warum heute?

Seit undenkbaren Zeiten hatte die Familie der Schermo stets nur ihresgleichen diese verschlüsselte Kenntnis von Sammlungen an Manipulationen aufgezwungen. Warum also ich.

„Warum?“, kommt es aus meinem Mund. „Ich gehöre nicht der Familie an. Es wäre kein Geschenk, wohl eher eine Bürde. Warum also?“

Ihre dunkelgrünen, fast schwarzen Augen deuten auf die Neulinge und lassen mich verstummen. Ich befreie meinen Geist, um einen weiten Gedankentunnel zu öffnen, und lasse den Frischlingen, die immer noch verdutzt im Raum stehen, die Flut aller gebündelten Spieglungen zuteil.

Am Ende restlos erschöpft atme ich tief und erleichtert durch. Ich bemerke, dass Schermo die Frischlinge mit einem Keritong (transparente symbiotische Ummantelung) umhüllt und sie sanft durchs Kraftfeld in die angrenzende Nebenstation führt. Schermo gehört einer uralten Zwischenspezies an, welche uns bis heute erhalten geblieben ist.

Nach vielen Generationen paarten sich einige mit denen der Cyrril. Die Cyrril wiederum hatten vor etwa 12 Kamlons (312 Millionen Jahre) wahrscheinlich durch Experimentieren mit wandernden Zeitknoten einen Zugang gefunden, um jeden Punkt im Zeitgeflecht aufsuchen zu können. Streng wurde dieses Geheimnis über alle Kamlons gehütet. Anfänglich verfügten nur zwei Eingeschworene von ihnen über dieses Wissen und nutzten diese Fähigkeit nicht immer zum Vorteil unserer Galaxie. Sie dehnten und manipulierten mehrere Zeitachsen und änderten dadurch womöglich die Geschichte. Für uns schienen diese Wesen jedenfalls unsterblich.

Doch heute gibt es nur noch eine aus der Familie, welche gar nicht oder äußerst selten anzutreffen ist. Es ist Schermo. Sie gehörte von Beginn an zu den „Gemäßigten dieses Bündnisses.“ Man traf sie niemals persönlich im Geflecht der Ereignisse des Universums. Bis auf ein einziges Mal. Dann, vor sehr langer Zeit, unterlief den Cyrril ein verheerender Fehler.

Das Resultat: Die Struktur eines oder sogar mehrere Sonnensysteme hörte innerhalb eines Bruchteils der uns bekannten Zeit auf zu existieren.

Und genau hier war er. Dieser kurze Augenblick. Verschwommen wie durch eine Schicht von Plasmawolken glaubte ich damals, diese eine Schermo, Verbündete der Cyrril, gesehen zu haben. Aber nein, das konnte nicht sein, oder etwa doch?

Ihr Gesicht, ihre Augen - ich fange wieder an mich zu erinnern. Ja, sie muss da gewesen sein.

Plötzlich werde ich aus meinen Gedanken gerissen.

Was soll das? Ich mag es nicht, wenn sie Gedankenfetzen zum Erlöschen bringt.

Mach das nicht noch mal, flute ich meinen Gedankentunnel, welcher an sie gerichtet ist. Doch auch dieser Gedanke wird verstümmelt und verliert sich in den Weiten des gelösten Raums.

Ich warte auf dich in den verborgenden Höhlen.

Heute, wenn alles zur Ruhe gekommen ist.

Wo, wann?

Man nennt sie nicht umsonst verborgen, denn niemand weiß eigentlich davon, ging es mir durch den Kopf. Doch da wurde schon die Antwort in mein Bewusstsein geprägt. Wie schon gesagt, ich hasse es, wenn sie das tut.

***

Kühler, feuchter Wind streift durch die dunklen Bergspitzen und fängt sich in der Tiefe des kargen, weiten Tals. Längst sind die letzten Strahlen des sterbenden Riesen verschwunden, und ich suche immer noch den Weg zu den verborgenen Höhlen. Immer öfter und in kürzer werdenden Abständen durchdringt ein frostiger Schauer meinen Körper. Und wieder und wieder. Auf keinen Fall möchte ich mich an diese Art von Treffen gewöhnen wollen.

Ein mich zwanghaft treibender Impuls lässt mich unerwartet zu Boden fallen, während meine Hand unter Schmerzen in einen schroffen Felsspalt hineingleitet. Das Atmen fällt mir schwer. Meine Augen können nur verschwommen meine aufgerissene schlanke Hand erkennen. Die Finger suchen verzweifelt, Halt im scharfkörnigen und gläsernen Untergrund zu finden. Es scheint, als läge die gesamte Last der umliegenden Bergkette auf meinem Körper. Ein Rauschen rast durch meinen Kopf und ich vernehme weit entfernt - wie in einem schlechten Traum - ihre Stimme.

„Steh auf, Cyrril, steh auf! JETZT!“

Das Atmen fällt mir immer noch schwer, doch allmählich erkenne ich ihre immer deutlicher werdende Statur.

„Wo sind wir?“

Nicht wo, sondern wann zischt ihre überhohe Stimme in meinem Kopf.

„Diorosy. Was weißt du darüber?“, vernehme ich nur unwirklich. Warum spricht sie mit mir und spiegelt nicht ihren Gedankentunnel? Immer noch schwingt wie in einem Magnetfeld gefangen mein scheinbar zerrissener Körper.

Sie zerrt mich hinter einen steinigen Vorsprung. „Trink das, es wird dein Gleichgewicht zurück in die benötigte Zeitresonanz verlagern.“

Ihre Hand stützt meinen Kopf, und mit den Fingern führt sie ein zerbrechlich wirkendes Gefäß an meine Lippen.

„Sorymyn. Trink das.“

Ich sträube mich mit aller Kraft, meine Lippen mit diesem stinkenden Zeug zu benetzen.

„Überwinde die Abwehrhaltung deines Körpers, denn es wird wirklich tödlich schmecken.“

Eine schwarze, kristalline und faserig klebende Flüssigkeit kriecht meine Kehle entlang. Wie ein schwerer modriger Stein versucht diese Masse, Platz in meinem Körper zu finden. Ich weiß nicht, was mich mehr zerreißen will, dieses laute, dumpf schwingende Rauschen in meinem Kopf oder das Sorymyn.

„Diorosy, was weißt du.“

Wieder dringen diese Worte nur undeutlich zu mir durch. Mit bebender Stimme höre ich mich selbst stammeln: „Es ist mir gleich, wie du die Masse in der nächsten Phiole nennen wirst, ich werde sie auf keinen Fall zu mir nehmen.“

Meine Augen fallen wie blind seitwärts. In meinem Kopf tobt immer noch ein Plasmasturm, und ich vernehme nur noch Fetzen ihrer Worte.

Eine Ewigkeit ist vergangen, da erkenne ich in ihren großen grünschwarzen Augen mein Spiegelbild.

„Ist es vorbei, kannst du mir nun deine volle Aufmerksamkeit schenken?“

„Weiß nicht. Ich denke schon. Aber warum nur benutzt du diese Form der Kommunikation? Es kostet Kraft, mit dir zu sprechen. Außerdem kenne ich nicht mehr alle diese gesprochenen Worte. Dazu noch diese Emotionen, die ich nicht zu greifen vermag. Und nenne mich nicht Cyrril, ich gehöre nicht zu dieser verachteten Zwischenspezies.“

So hat es keinen Sinn, ich kann mit dir nichts anfangen. Du bist schwerer und tiefer in diese Ebene des Universums eingetaucht, als es überhaupt notwendig gewesen wäre.

Wir müssen noch warten.

Diesen fremden Gedankenimpuls lässt sie in meinem Kopf aufblitzen.

„Ich bin durch eine Vielzahl von Strömungen gesprungen, um dich zu finden …“

„Dann spring doch einfach wieder weiter …“ stammele ich.

Die Syntax ihrer Stimme verändert sich abrupt. „Du hast dich vielleicht 5 Kamlons oder mehr nach deinem Strom der Zeit mit irrsinnigem Erfassen von gesammelten Anomalien und Fragmenten von zerfallenen Atomen beschäftigt. Zerfallene Atome und verbrannte Partikel, die scheinbar zufällig und unkontrolliert durch etliche Galaxien schweben. Staub, welcher wegen deiner Gleichgültigkeit durch eine Vielzahl von Universen rast und den milliardenfachen Tod in sich trägt.

Währenddessen habe ich in derselben Spanne unzählige Paralleluniversen durchstreift, um dich zu finden.

Für dich waren es vielleicht einige fragmentierte Zeitabschnitte. 826.000 aufreibende Kamlons dagegen für mich. Nein, du wirst mit mir diesen Bruch im Zeitgefüge und die damit einhergehende Welle des sinnlosen Sterbens beenden.

Auch geht mir langsam das Sorymyn aus. Und ohne das Sorymyn zerfällt mein Körper seit einiger Zeit zunehmend, denn ich gehöre weder in dieses Universum noch in diese Zeit“.

„Na dann mische dir doch einfach erneut das modrig schmeckende Zeug zusammen.“

„Das ist nicht möglich. Es fehlt mir in dieser Ebene ein so dringend dafür benötigtes Element dieser Zusammensetzung.“

In meinem Kopf zischt und wütet es immer noch. Nur allmählich verliert sich dieser Zustand, und ich versuche, mich wieder zu fassen. Meine Knie rutschen kraftlos unter meinen Oberkörper. Mit zittrigen Bewegungen versuche ich erneut mich aufzurichten.

„Ich höre deine Worte, doch ich verstehe sie immer noch nicht. Warum bist du hier. Und warum ich. Was meinst du mit ‘gefallen … tiefere Ebene‘?“

„Ich hatte schon mehrmals alles für diesen Punkt im Zeitgeflecht vorbereitet. Aber so bist du genauso nutzbringend wie die Asche von Kambal. Hier, wir müssen in diese Richtung.“

Sie umschlingt mit ihren langen schlanken Fingern meinen Arm. In meinem Kopf blitzt ein Gedanke auf: Atme noch nicht so tief.

Diese Weiche im Zeitenwandel ist mit fadem, gelblichem Licht gesättigt.

Mit fester werdenden Schritten durchpflügen wir den dunklen, gläsernen Sand, welcher uns an diesen Ort fesseln möchte. Vorspringende Felsformationen scheinen mit jedem getakteten Augenblick ihre Struktur zu wandeln. Befinden wir uns immer noch im Sprung? Meine eigene Realität ist nicht greifbar. Auch vermag ich nicht die Zusammenhänge des körperlich-geistigen Gleichgewichts herzustellen.

„Hier, dieser Gang, duck dich, halte dir die Augen zu … warum fällt es dir so schwer …“ höre ich noch ihre Stimme dumpf in meinem Kopf, und wieder springen wir. Doch dieses Mal ist es anders. Es scheint mir vertraut, beängstigend vertraut. Wieder dieser scharf-gläserne Sand und dieses Blitzen in meinem Gedankengeflecht.

„Geh aus meinem Kopf und diesmal kein Sorymyn,“ stammele ich.

„Nur noch fünf Mal.“

„Nein, auch nicht zwei- oder einmal. Du sagst mir endlich, was los ist!“, kommt es überlaut aus meinem Mund.

„Oh, ich sehe, deine Lippen und deine Stimme erinnern sich an ihr früheres Dasein. Aber gut, es mag so sein. Schließlich gehorcht uns endlich dieser Tunnel der Zeit, denn wir gehören zu ihm. Wo fange ich für dich an, oder besser: Was möchtest du, nein, willst du davon glauben?“

Wieder scheinen ihre großen Augen mich verschlingen zu wollen. Auch ist mir ihr Geruch vertraut. Ich fühle mich, als wäre ich bereits seit Zeiten in diesem dumpf-gelblichen Zwielicht gefangen.

Mir wird kalt, dieser Zustand der Phasenverschiebung lässt mich beinahe erstarren. Viele verwirrende Gedanken schweben durch meinen Kopf und lassen mich ermüden.

Ruhe, ich benötige nur Schlaf. Ich mag meine Augen einfach nicht öffnen. Auch gehorchen meine Gliedmaßen mir nicht mehr.

Die letzte Zukunft oder Tränen der Galaxie

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