Читать книгу Die letzte Zukunft oder Tränen der Galaxie - Holger Rutkiewicz - Страница 5

Kapitel 2 … ein letztes Mal …

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„Tribolt! Bankari! Eure Mutter ist bald zu Hause! Kommt, beendet noch eure Aufgaben von heute Morgen.“

Kotani ist ein liebevoller, aber doch resoluter Vater. Auch wenn seine Sprösslinge kurz vor ihrer zweiten Schlussprüfung stehen und auch das Elternhaus eigentlich bereits verlassen könnten, genießt ihr Vater das bedingungslose Vertrauen, welches ihm entgegengebracht wird. Kotani ist seit vielen Jahren wissenschaftlicher Berater für Analysen und Nachweisen pol-gebündelter Gold-Ionen in der Ionosphäre.

Seit einigen Monaten schon ist Kotani beinahe wie besessen in seine Arbeit vertieft. Seine Kinder vermissen immer häufiger das Rumalbern und Necken mit ihrem Vater.

Viele Tage und Monate waren nun bereits vergangen, als Bankari überaus erfreut von ihrer ersten Arbeitsstelle nach Hause kam. „Ich arbeite ab heute mit einem merkwürdigen Gelehrten zusammen. Nett, aber doch merkwürdig. Als ich fragte, wo er denn studiert habe, meinte er in Soruno. Ich kenne Soruno weder als Ort noch als Fakultät. Und als ich ihn ungläubig ansah, schien es ihm irgendwie unangenehm zu sein.“

„Du musst, dich verhört habe. Na, und wenn du jemanden ansiehst, ist es schon irgendwie unangenehm,“ stichelte Kotani verschmitzt.

„Sein Fachwissen ist für mich einfach nicht greifbar oder gar logisch. Er hatte mich heute flüchtig mit der These konfrontiert: Welcher Zusammenhang bestünde wohl zwischen dem Raumzeitgefüge und den sich schnell bewegenden schwarzen Löchern im Universum. Der Aabe‘ …

„Er ist ein Aabe‘?“, unterbrach Kotani.

„Ja. Der Aabe‘ meinte beiläufig, dass die Kraft, welche von einer unendlichen Vielzahl dieser dunklen Massen ausginge, verantwortlich dafür sei, dass unser Universum in den dafür bestimmten Bahnen zusammengehalten wird. Ein fließender Magnet, deren Eigenschaften genauso manipulierbar wäre wie eine Flüssigkeit. Oder auch feste Elemente, welche sich in einen oder mehreren Zuständen wandeln ließen. Idealerweise Cekanium oder auch Gold. Das Element sollte die Anzahl von Protonen stabil halten, obgleich durch Veränderung der natürlichen Nuklide deren Charaktere wandelbar werden könne.“

„Gold? Hat er Gold gesagt? Wo kam er noch gleich her, Soruno?“ Kotani rieb nachdenklich seine Stirn. „Und was sagtest du, wie sein Name sei?“

„Hm, den habe ich nicht wirklich gehört. Nur, dass er Aabe‘ sei.“

Nochmals folgte Kotani in Gedanken den soeben gehörten Worten und murmelte leise…“Cekanium oder Gold.“

Kann es sein, dass sich die Lösung zum Greifen nah direkt vor mir befindet? Unser eigener Planet -Uribijen- hat allenfalls 250, bestenfalls jedoch noch 300 Zyklen vor sich. Niemand ahnt etwas von dieser sich anbahnenden Katastrophe. Nur eine Handvoll Eingeweihter oder besser Eingeschworener, der fähigsten, die dieser Planet je hervorbrachte. Bestehend aus den klügsten Wissenschaftlern und Querdenkern, welche hilflos, permanent bereits seit einigen Zyklen nach Lösungen suchen.

Noch wenige Zyklen, und dieser Planet wird seiner Atmosphäre beraubt sein. Viel zu spät wurde bemerkt, dass sich die natürliche Umlaufbahn des Heimatplaneten allmählich in eine Exzentrische veränderte. Völlig unverhofft entartete die Galaxie, in der sich Uribijen befand, zu einer durch Raumwellen gebrochenen Liner-Opfergalaxie.

Niemand ahnt, dass diese Raumwellen experimentell und beinahe dem Größenwahn ähnelnd, künstlich erzeugt wurden. Seit einigen Kamlons jagen diese nun zeitversetzt durch Universen und entzünden auf ihrem Weg der Vernichtung jede Galaxie, die ihnen keine Kompatibilität entgegenbringen kann.

Viel zu schnell würde sich nun die Heimatgalaxie zu einer Transformer-Galaxie verändern und schließlich letztendlich zum Quasar wandeln. Das Einzige, was von allen bliebe, wäre ein grelles Aufleuchten, welches über einer unendlichen Entfernung noch zu sehen ist.

… Ich kann und mag mir die kommenden Szenarien nicht vorstellen wollen …

Eine gigantische Menge von kristallinen Cekanium- oder auch Goldnanopartikeln in der Ionosphäre könnte unter Umständen tatsächlich die Lösung bedeuten. Wie aber machbar und woher so eine gigantische Menge beschaffen? Es scheint ein Teufelskreis zu bleiben. Und Zeit ist das, was wir nicht haben.

So in Gedanken versunken wippte Kotani auf seinem Stuhl, als plötzlich eine Übertragung ihn aufschrecken ließ.

„Hast du mich vergessen? Wir wollten uns heute bei meiner Mutter treffen. Wo bleibst du denn?“ Kotanis Partnerin schien ein wenig genervt, denn immer öfter kam es vor, dass er sich mehr der Arbeit verbunden schien als mit der Familie.

„Natürlich habe ich es nicht vergessen, bin bereits unterwegs.“

Anrid, Kotanis Partnerin, war Spezialistin für Linguistik, Morphologie und Syntax an der hiesigen Universität. Selbst sie wurde von Kotani nicht eingeweiht. Gerade als er aus dem Haus ging, schnellte ein Gedanke durch seinen Kopf. Zum Fassen nah und doch wieder fort. Er sah sich um. Für einen unbedeutenden Augenblick schien er sich gegenwärtig in Trance zu befinden. Er glaubte, noch eben eine Gestalt neben sich zu spüren, aber nein, da war niemand.

Viel Zeit war vergangen, doch noch immer war man einer Lösung nicht nähergekommen, um den Planeten zu retten. Stattdessen immer öfter diese Ohnmacht, diese verzerrten Gedankenwelten in Kotanis Kopf.

Er hielt plötzlich eine Dissertation in den Händen und starrte auf Formeln, welche jedoch keinen Sinn ergaben. Was soll das? ging ihm durch den Kopf. Auf der letzten Seite des Dossiers las er Aabe‘ und … Soruno. Hatte nicht vor geraumer Zeit Bankari von einem Aabe‘ aus Soruno gesprochen? Was soll das hier alles, mir platzt der Schädel, und uns läuft die Zeit davon …

Doch das Schlimmste war, Anrid in Unwissenheit lassen zu müssen.

Ein Viertel Zyklus verging, und Kotani war nicht in der Lage, Formeln und die immer wiederkehrenden Gedankenblitze miteinander verknüpfen zu können.

Stattdessen verfiel er zunehmend in eine Hilflosigkeit, die ihn erstarren ließ.

An diesem Nachmittag kam Anrid etwas früher nach Hause, als es sonst üblich war. Aufgedreht und beinahe beschwingt sprach sie mit überlauter und hoher Stimme über den neuen Kollegen in ihrer Universität.

Kotani hörte unkonzentriert und unaufmerksam ihrem beinahe singenden Wortfluss zu. Bis zu dem Augenblick, als er zwei Wortfetzen vernahm: Aabe‘ … und Soruno …

„Entschuldige, ich war nicht ganz bei dir. Was war das mit Soruno und diesem Aabe‘?“

Für einen Moment hielt Anrid inne. „Ein Sprachgenie, und irgendwie scheint er die Fragen zu erahnen, die man ihm stellen möchte, denn die Antwort erfolgt in einer abgewandelten Satzstellung. Der Tag verging heute neben ihm einfach wie im Flug.“

Aufgedreht lief sie durch alle Räume und schien sich nicht beruhigen zu können.

„Was sagtest du noch, wie sein Name sei?“ fragte Kotani begierig.

„Er kommt aus oder von Soruno und ist ein Aabe‘, wirklich, so ein zuvorkommender und intelligenter Gelehrter hat uns immer gefehlt und ist eine echte Bereicherung für unser Institut. Nur schade, dass sein Aufenthalt von kurzer Dauer sein wird.“

Kotani war nun doch etwas genervt, rieb sich erneut die Stirn und sagte unüberhörbar: „Soruno gibt es nicht.“ Da war er auch schon verschwunden, und seine Frau sah ihm nur fragend nach.

Fast ein ganzer Zyklus war bereits vergangen, als die Schleuse von Kotanis Labor unverhofft geöffnet wurde. Zwei Männer wollten gerade eben den Raum betreten und wurden ad hoc gestoppt.

„Nicht jetzt!“, rief Kotani überlaut, während er sein Experiment auf dem Bildschirm verfolgte und sich übermüdet über seine Augen wischte.

Die beiden Herren sahen etwas nervös zu Kotani, und einer von ihnen sagte mit fester Stimme: „Ich stelle Ihnen ab heute diesen neuen Kollegen an die Seite. Zur Unterstützung sozusagen.“

Kotani nickte flüchtig und starrte immer noch auf sein Experiment. Er bemerkte nicht einmal, dass sein Vorgesetzter das Labor bereits verlassen hatte.

Der Neue stand dicht neben ihm und lugte ihm über die Schulter. „Hallo … das wird nicht funktionieren, mein Freund.“

Kotani wurde erst heiß, dann kalt und fiel dann in sich zusammen, so sehr hatte er sich erschrocken. „Wer sind … was machen Sie in meinem Labor?“, stammelte er immer noch ein wenig zitternd.

„Doran, Ihr Vorgesetzter, hatte mich Ihnen doch eben vorgestellt. Ich darf Sie demnach mit all meinen Kräften unterstützen, um unser gemeinsames Ziel zu verwirklichen.“

Alle Hoffnungen lagen seit mehreren Zyklen auf dem Team von Doran, dem obersten Leiter dieses Centers. Wieder und wieder wurden akribisch und beinahe verzweifelt sämtliche Daten gefiltert und scheinbar sinnlose Experimente durchgeführt. Doch das Ende von Uribijen schien unaufhaltsam.

Meere verbrennen, alles Leben zu Partikeln verkommen… nicht vorzustellen.

Die Sonne hatte bereits ihren Zenit erreicht, als sich die Wissenschaftler im Gemeinschaftssaal körperlich stärkten. Nur so war es möglich, dem überdurchschnittlichen Druck standhalten zu können. Während Kotani in seinem Essen stocherte, bemerkte er, dass beinahe jeder um ihn herum auf den Neuen blickte, der ihm gegenübersaß.

„So, so, meine Unterstützung. Das stärkt mein Selbstwertgefühl ja ungemein.“ Gerade wollte er noch ein wenig sarkastischer werden, als ihm vom Nachbartisch ein kaum hörbares tuscheln zu Ohren kam.

„Er ist Aabe‘ und arbeitet nur mit Kotani …“

„Ich hatte mir Ihnen im Labor gegenüber wohl einen kleinen Fehltritt geleistet. Entschuldigung. Ich bin Kotani und Sie sind?“

„Ich komme aus Soruno…“

Doch weiter kam der Neue nicht, als Kotani ihn bereits unterbrach. Ihre Blicke trafen sich, und für einen Augenblick schien die Zeit eingefroren zu sein.

„Ein Aabe‘ an meiner Seite. Oder sollte ich besser sagen, ich an der Seite eines Aabe‘. Wer also sind Sie?“

„Wer ich bin, mein Freund? Ich bin Cyrril, und Soruno kannst du nicht kennen. Nicht mehr und das ist auch besser so.“

Niemand im Raum vernahm auch nur einen Laut. Keiner bemerkte die geringste Geste. Wie denn auch. Ich hatte die Antwort im selbigen Augenblick per Spiegeltunnel platziert.

Kotani wurde blass und brach nun endgültig in sich zusammen.

„Zu lange am Bildschirm gearbeitet, ich bringe ihn an die frische Luft“ rief ich in den Raum.

Es dauerte einige Zeit, bis meinem Wissenschaftler der gewohnte Glanz in seine Augen zurückkehrte.

„Wer, oder sollte ich besser fragen, was bist du? Deine Gestalt, deine Stimme, diese Aura. Alles kommt mir bekannt vor. Aber ich weiß nicht, warum oder woher.“

„Ich sag es dir, mein Freund. Soruno.“

„Es gibt weder eine Universität noch einen Ort, von dem ich gehört hätte, welche diese Namen tragen.“

„Ich weiß, nicht in deinem Universum und auch nicht in diesem Leben, das du hier führst. Es existieren parallele Welten, deren Schicksal auch mit deinem Planeten enger verbunden sind, als du dir es vorstellen magst. Deine eigene Seele ist aus einer nicht mehr existierenden Ebene verdrängt worden. Es war also notwendig, dich hier und jetzt aufzusuchen, mein Freund."

„Du sagst es schon wieder. ‚Mein Freund‘. Wir sind Freunde?“

„Ja. Wir waren und sind Freunde, beinahe wie Brüder. Das Einzige, was uns unterscheidet, war unsere Spezies, die nicht unterschiedlicher hätte sein können. Doch trotz aller meiner Fähigkeiten und meinem Wissen blieb mir nur der Schmerz. Ein Schmerz, sehen zu müssen, dich wieder und wieder nicht retten zu können. Die Asche deines Körpers streifte bereits zu oft durch meine Fühler. Beinahe wie ein kühler Abendwind über die Bergspitzen.“

„Ich verstehe nicht. Warum wieder? Was meinst du mit ‚wieder‘?“

„Ich habe dir bereits zu oft beim Sterben zusehen müssen. Aber dieses Mal wird alles anders werden. Ich habe nach vielen Sprüngen und schier unendlichem Suchen einen stabilen Planeten gefunden. Es war nie einfach, meine Spuren vor den meinigen zu verbergen. Einmal hatte mich sogar eine von diesen Schermo an sich gebunden. Doch es gelang mir, einen verdeckt gedehnten Sprung in dieses Universum zu platzieren. Ich vernahm dann nur noch wie durch einen Nebelfetzen gestückelte zusammenhangslose Worte, die sie in meinem Tunnel spiegelte. Lass … helfen, finde … durch … und Sorymyn.“

„Sie. Du sagst „sie“. Wer oder was ist Schermo - sie? Was wenn - sie- uns wirklich helfen kann. Ich kann wirklich jede Hilfe gebrauchen, denn unserem Planeten gehen die Kamlons aus. Ich weiß gar nichts von dir, du aber anscheinend alles über mich. Ich kenne dich nicht, wir sind uns erst vor wenigen Augenblicken vorgestellt worden. Doch verlangst du, dass ich dir unseren Planeten und unsere Spezies anvertraue. Warum sollte ich?“

„Ganz einfach, ich habe etwas gut zu machen, und du hast keine andere Wahl. Was möchtest du denn noch wissen, was ich dir nicht schon bereits in anderen Welten viele Male erzählt habe. Soll ich wieder dein Entsetzen und die Abscheu mir gegenüber in deinen Augen sehen? Warum?! Dieses Mal wird alles ANDERS, Kotani!“

„Mag sein, dass du recht hast. Ich will es aber wissen.“

„Ein letztes Mal werde ich mir die Zeit dafür nehmen. Ein letztes Mal, denn dich zu finden war mehr als ein glücklicher Umstand. Es muss ein Geschenk an mich sein.

Also, es war bereits das vierte Mal, dass ich dich in einem parallelen Universum ausfindig machen konnte. Schon einige Male öfter als es überhaupt durch Manipulation der Zeit möglich sein sollte. Bei jedem neuen Treffen war die Erleichterung meinerseits noch größer. Wieder erhielt ich eine neue unverhoffte Möglichkeit, deinen Planeten zu retten.“

„Warum du, warum hast du gerade mich gesucht?“

„Ich habe vor vielen, nicht zählbaren Kamlons etwas erschaffen, was einige Sonnensysteme und ein Universum zum Erlöschen gebracht hat. Deine Spezies war nicht immer auf dem heutigen Stand der Wissenschaft. Genauer gesagt, es ist bereits euer vierter Neustart. Deine Kultur, deine Zivilisation … nichts anderes als eine teilinterpretierte Form längst erloschenen Wissens. Skulpturen, unerklärbare Artefakte, nichts anderes als stehende Fakten, die noch immer von zahlreichen Gelehrten verleugnet werden. Aber ich war da, Kotani.

Einst glaubte ich, dass die Zeit reif wäre, einigen Zivilisationen schneller zum Übergang in die nächste Bewusstseinsebene zu verhelfen, um diesem Universum bei der netzartigen Besiedlung zu helfen. Hier eine Erkenntnis, da eine neue Idee. Doch weder beim ersten noch beim zweiten Start war diese Spezies bereit für mein Geschenk.

Und meine damalige Arroganz ließ mich nicht erkennen, dass dieses Geschenk mehr ein Fluch für euch gewesen war. Anfänglich glaubte ich, wenn mir nur mehr Zeit zur Verfügung stünde, würde sich alles geordnet entwickeln. Ihr würdet euch entfalten, würdet lernen, würdet reifen.

Also änderte ich eure biologische Struktur. Es war keine Seltenheit, dass viele von mir der ausgesuchten Gelehrten und Führer weit über sieben Kamlons alt wurden. Heute ein undenkbares Alter … undenkbar und in die Geschichte der Mythen verbannt. Doch zu damaligen Zeiten einfach Normalität.

Aber ich wurde ungeduldig, denn auch mir war es nicht möglich, die Zeit zum Stillstand zu bringen. Ständig und immer wieder wurden dieselben Fehler von euch gemacht. Ganz gleich, ob ich in verschiedenen Epochen auftauchte oder länger unter euch verweilte. Mal waren es nur zwei, ein anderes Mal achttausend Kamlons. Ihr kamt einfach nicht über einen Punkt zum Aufstieg hinweg.“

„Was wäre der nächste Schritt oder Punkt gewesen?“

„Eurer eigenen Vernichtung zu entgehen. Doch leider stets dasselbe Ergebnis. Welchen Neustart und welche Bedingungen ich auch für euch geschaffen hatte, es endete stets mit eurer Vernichtung. Nur ein einziges Mal gab es da diesen Moment, zum Greifen nah. Doch irgendeine Phase der Zeitverkopplung wurde durch etwas oder irgendwen mit einer verzerrten Singularität manipuliert.

Ich brauchte mehr Kraft, mehr Energie. So viel wie ich diesem Planeten nur entreißen konnte. Viele Ideen hatte ich in die Köpfe der Wissenschaftler gespiegelt. Ich musste oftmals schmunzeln. Sie hielten es für eine göttliche Eingabe. Sollen sie nur, dachte ich, und ein wenig genoss ich es auch manchmal.

Später dann entstanden erst kleine technische Wunder. Danach riesige beziehungsweise beinahe unkontrollierbare Kraftwerke. Gewaltige Pyramiden wurden nach meiner Anleitung errichtet, um das Magnetfeld des eigenen Planeten anzuzapfen. Diese Giganten wurden akribisch auf sensible Punkte des Planeten platziert. Nur dadurch konnte man ein Netz dieser Energietransformatoren nutzen. Höchst simpel, aber es war die benötigte Menge der Energie für mich. Kraft, die ich so dringend benötigte, um annähernd das Gleichgewicht in dieser Galaxie wiederherstellen zu können.

Energie, welche wiederum auch notwendig war, um endlich in meine Zeit oder doch wenigstens in mein Universum zu gelangen. Jedes Handeln, all mein Zutun, ständig verbunden mit dieser Angst, entdeckt zu werden.

Gerade in den Anfängen jeder von mir erschaffenen Zivilisation von Primitiven durch eine Unaufmerksamkeit gejagt oder umgebracht zu werden … nicht auszudenken.“

„Was bist du?“ Kotani meinte, sich im Geist selbst verlassen zu wollen.

„Ich spüre deine Ängste, mein Freund. Es ist wie beim letzten Mal, als ich dir davon erzählte. Aber es gab auch Abschnitte, in denen ich Überlegungen traf, ein einfaches Dasein unter euch zu fristen. Wie du hatte ich eine Partnerin. Wie du hatte ich Kinder. Schau nicht so entsetzt. Ich ließ keine Chance verstreichen, um nicht doch noch alles zum Guten zu wenden. Nur durch meine eigene intensive Vervielfältigung, einhergehend mit Manipulationen eures Erbgutes, ist dies alles möglich gewesen“.

„Es wäre doch einfacher, sich mit deiner eigenen, woher du auch kommen magst, Partnerin hier zu vervielfältigen. Diese Schermo oder so…“

„Wohl wahr, aber dann wäre eure Spezies noch weniger unberührt, oder? Nein, es gibt und gab nur immer wenig Möglichkeiten, alles in seinen Ursprung zurückzuversetzen. Und du, mein Freund, wirst mir dabei helfen.“

„Ich kann keinen klaren Gedanken fassen, und überhaupt: meine Frau und meine Kinder?“

„Nicht dieses Mal. Und das mit deinen Gedanken regelt sich von selbst. Spätestens wenn sich dein Geist mit meiner Spieglung arrangiert hat. Vertrau mir, es war bisher immer so.

Für morgen konnte ich einen Flug in das Plaxos-Quandom organisieren. Also sei ausgeschlafen, mein Freund.“

„Plaxos-Quandom? Warum dieses Quandom? Da ist doch nichts, rein gar nichts“.

„Richtig! Ein idealer Ort, um unbemerkt zu springen. Niemand wird etwas bemerken, denn im Grunde genommen sind wir nicht hier beziehungsweise nie da gewesen.“

„Wieso springen, wenn wir doch sowieso schon fliegen? Fliegen wir doch einfach dort hin. Ganz offiziell. Was spricht dagegen, Uribijen ganz offiziell zu retten? Und … was ist mit dieser Schermo?“

„Wir werden dort nicht hinfliegen. Dieser Ort ist nicht einmal für mich unter natürlichen Umständen zu erreichen.“

„Warum?“

„Ganz einfach. Anderes Universum, andere Parallele und Ebene. Auch versetzte Epochen.“

„Mir ist aufgefallen, ‚mein Freund‘, du hast für alles eine Erklärung, doch beantwortest du nicht wirklich meine Fragen, Cyrril. Warum benötigst du gerade meine Hilfe. Und was hast du mit dieser Schermo?“

Für einen winzigen Augenblick schien die Zeit für diesen Ort eingefroren. Cyrril hatte mit all seiner Unbarmherzigkeit Kotani in seinem Gedankenspiegel gefangen.

Erinnerungen, Bilder, Gefühle und sterbende Gedankenstücke ließen Kotanis Seele zerreißen. Er war es selbst, Kotani. Durch ihn war sein eigener Planet Uribijen zum Untergang verurteilt.

Einen Augenblick, kurz bevor Cyrril ihn losließ, sah Kotani sich selbst. Eingefallen, die Finger dünn und eingerissen. Seine Schläfen waren weiß wie der Wüstensand von Umtos und wie ein Hauch von einem Stofffetzen seine gealterte Haut. Die eigene tote Partnerin, deren Körper noch heiß und zerflossen in seinen Armen lag. Auch sah er die gemeinsamen Kinder, die lieber nie geboren hätten werden sollen. Seine Beine zerschmettert und vom Rest des Körpers getrennt. Cyrril sah ihn nun wie einen Fremden an.

„Morgen also, und dieses Mal allein.“

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, und ein sanfter Wind, welcher über den Startkegel wehte, schien heute besondere Partikel von Feuchtigkeit in sich zu tragen.

Cyrril hatte sich auch dieses Mal für eine leichte Pyramiden- beziehungsweise abgestumpfte Kegelform des Flugobjekts entschieden. Er benötigte genau dieses antiquierte Gerät, welches mit schwer isotopischem Quecksilber und einer Heliummembran als Herzstück versehen war. Denn nur mit diesem würde er in einer gekrümmten Gravitationswelle auch im Notfall eine andere Parallele aufsuchen können.

Sie hatten gerade ihre Plätze eingenommen, als sie sich vom Kontrollcenter verabschiedeten und Cyrril ihm zuzwinkerte.

„Dieses Mal wird alles anders. Ganz sicher.“

Kotani sah vor sich auf die lebhafte Bildspiegelung, als ihm ein Déjà-vu ereilte, und ihm ein Schauer über den Körper jagen ließ.

„Also dann, auf nach Plaxos“ murmelte er vor sich hin.

Ungewöhnlich schnell hatten sie Plaxos erreicht. Noch ungewöhnlicher aber war, sie befanden sich an einem Ort, welcher offenbar nichts mit Plaxos zu tun zu haben schien. Plötzlich erschien direkt neben ihnen eine Struktur.

„Was ist das?“

Cyrril blickte lächelnd zu Kotani. „Das fragst du mich jedes Mal. Das, mein Freund, ist Schakun. Unser Transporter und Begleiter.

Es ist das Letzte und das Einzige seiner Art, welches ich vor meiner Spezies oftmals verbergen musste.“

„Warum verstecken?“

Beide standen vor einer großen fast schlangenförmigen, matt schimmernd und pulsierenden Struktur.

„Schakun ist nicht irgendein Schiff. Sie ist ein Teilorganismus, das Letzte ihrer Art, glaube ich. Schakun wird uns absoluten Schutz bieten, selbst gegen verdeckte kosmische Hintergrundstrahlung und andere Überraschungen.“

Er sprach von diesem Schiff wie andere von einer guten Freundin. Wie auf Wolken gehend betraten sie die Haupträume. Nichts, aber auch gar nichts erinnerte im Inneren von Schakun an ein kosmisches Transportmittel.

Im Gegenteil. Weiche Membranschotten, strukturierte Zellwände, und wo man ein aufwendiges Leitpult erwarten würde, eine zylinderartige übergroße Geleewabe.

Scheinbar fluorisierendes Licht, überflutete den weichen Boden. Die Temperatur war angenehm wie an einen späten Sommertag. Eine angenehme Tonsequenz drang an Kotanis Ohr.

„Hallo Kämpfer, bist du bereit für eine erneute Verschmelzung?“

Kotani erschrak, denn das in ihm erweckte Gefühl war zunächst unangenehm. Anscheinend war diese ungewöhnliche Begrüßung nur für ihn bestimmt. Fragend blickte er zu Cyrril.

Der schmunzelte nur und sagte: „Diesen Gesichtsausdruck hattest du immer, wenn sie dich so begrüßte.“

„Schön, dass ich zur guten Stimmung beitragen kann, aber was ist hier meine Aufgabe? Wann wirst du mich endlich einweihen?“

„Gleich, wir warten noch auf einen eingehenden Sprung.“

Die Raumatmosphäre veränderte sich. Ein winziger, schnell wachsender Ball begann sich im Raum neu zu formen. Licht wurde wie in einem Prisma in alle bekannten Farben gebrochen und verzerrte einen Teil des Raums.

Mit weit geöffnetem Mund starrte Kotani auf eine Gestalt, welche sich vor ihm zügig zu wandeln begann. Eine große, sehr große, schlanke, lilafarbige Frau mit zu langen Haaren und übergroßen grünschwarzen Augen stand mit einem Mal vor ihm. Sie roch angenehm nach etwas Süßem und auch irgendwie nach frischen Baumzapfen oder etwas ähnlichem.

„So hast du immer geschaut, wenn ich mich vor dir transformierte.“ Sie lächelte und schien ihm zuzuzwinkern.

„Du bist anders, anders als alles, was ich je gekannt oder gesehen habe.“

„Ich weiß, niemand hat das“ sagte sie, während sie sich noch einmal zu Kotani wandte.

„Ich bin Schermo. Nierik Schermo“

Die letzte Zukunft oder Tränen der Galaxie

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