Читать книгу Der Schwarze Stier - Holger Steiner - Страница 6
Ein Zauberer
ОглавлениеZurück in der Höhle hatte sich Aaronimus vorgenommen, die Gänge und Gewölbe der Grotte zu untersuchen. Irgendwer oder etwas musste verantwortlich sein für diese wohltuende Wärme, das Wohlbehagen und die Sicherheit, die er hier verspürte. Also wagte er sich immer weiter in die Tiefe des Felsen.
Artus, sein kleiner Fluglöwe, begleitete ihn, ohne einen Schritt von ihm zu weichen. Der Weg, den sie nahmen, sollte eigentlich immer dunkler werden. Aber dort wo sie gingen, gab es immer genug Licht, um Kanten in Boden, Wand und Decke rechtzeitig zu erkennen.
Als sie einige Schritte unterwegs waren, weitete sich der Gang und wurde zu einer riesigen Halle.
Aaronimus konnte nur einen Teil des Raumes überschauen. Der Lichtkegel, der ihn umgab und ihm den bisherigen Weg leuchtete, reichte nicht, um den gesamten Ort zu erhellen.
Er erkannte allerdings einige Meter vor sich, einen weißen Lichtpunkt der jetzt auf ihn zugerast kam.
Artus stellte sich schützend vor den Jungen und versuchte zu brüllen.
Es war mehr ein grimmiges Miauen.
Auch reichte er dem Bub gerade bis zum Knie.
Einen Schritt vor den beiden hielt der Lichtpunkt an und verlor ein wenig von seiner Leuchtkraft. Aaronimus konnte sehen, dass es sich bei dem Licht um einen winzigen weiblichen Körper handelte, der an zwei Paar, libellenähnlichen Flügeln hing, die schnell schlagend, den kleinen Körper vor ihm in der Luft hielten.
„ Na endlich! Ich dachte schon, ihr kommt gar nicht mehr!“
sagte das kleine Wesen.
Völlig verdutzt fragte Aaronimus: „Wer bist du?“
„Mein Name ist Bianca Sara Libella Illuminas! Und ich bin eine Feenelfe! Ich sorge für etwas Ordnung in der Kathedrale der Quelle!
Warum machst du uns eigentlich nicht etwas Licht?“
„Ich?“
Verwirrt schaute er die Kleine an.
„Klar! “ sagte die Feenelfe. „Das ist die Kathedrale der Quelle und du bist ein Quellzauberer!“
„Was? Ich bin kein Zauberer! Und ich habe keine Ahnung wie ich das machen soll!“
„Glaubst du, du hast dir den Weg hierher mit deinem sonnigen Gemüt erleuchtet? Dir war es bestimmt den Eingang zu finden. Warum meinst du, dass ausgerechnet du einen verschollenen Eingang zur Kathedrale findest?
Du bist der Quellzauberer! Und jetzt mach´ endlich Licht!“, befahl die kleine Feenelfe.
„Vielleicht braucht es bei so kleinen Blinkern wie dir etwas länger, aber: Ich weiß nicht wie!“ schrie der Junge Bianca jetzt an.
„Bitte!“ säuselte sie mit ihrer zärtlichsten Stimme. „Tue einfach was dir im Moment in den Sinn kommt!“
Aaronimus wollte davonlaufen. Aber noch viel mehr wäre er gerne der Zauberer, für den das Lichtlein ihn hielt. „Aquarius Solaris!“ flüsterte er.
Dieses Kauderwelsch hatte sich in seinem Kopf festgesetzt, seit er die Feenelfe getroffen hatte. Die Worte blockierten alle anderen Gedanken. Um endlich wieder einen freien Kopf zu bekommen musste er sie aussprechen.
Sofort, als die Worte über seine Lippen flossen, blinkte die gesamte Halle kurz auf.
„Lauter! Lauter!“ schrie Bianca saltoschlagend. „Du bist es! Du bist es! Endlich!“
Artus hatte sich nach dem kurzen Aufleuchten der Halle hinter Aaronimus in Sicherheit gebracht.
Der fasste sich ein Herz und sprach nun laut und mit fester Stimme:
„Aquarius Solaris!“
Wie durch tausend Kerzen erleuchtet, erstrahlte der Raum in hellem Glanz. Nun konnte man erkennen, warum Bianca hier von der Kathedrale der Quelle sprach. Das Gewölbe hatte nichts mit einer Höhle gemeinsam. Es waren gemauerte Steine aus denen sie bestand. Schwere Steine, wie von Burgmauern. Auch besaß der Raum Decken, Tor- und Fensterbögen.
Inmitten der Halle war ein sehr großes, ovales, mit Wasser gefülltes Becken in den Boden eingelassen. Mindestens zwanzig Schritte lang und fünfzehn breit. Aus dem strahlte das Licht, welches den Raum erleuchtete. Aber auch von den wassergefüllten Schalen, die an den Wänden angebracht waren, kam helles Licht. Überall glühte das Wasser, als würde es Sonnenlicht reflektieren.
Allerdings gab es hier unten keine Sonne.
Die Fenster waren aus farbigem Glas, doch völlig überflüssig, denn kein Lichtstrahl schien hindurch. Wandteppiche mit Sagengestalten zierten den Innenraum. Es gab eine Empore. Dort reihte sich ein Regal an das nächste. Über und über gefüllt mit Büchern und Schriftrollen.
„Nachdem wir jetzt ein wenig Licht ins Dunkel gebracht haben möchte ich feststellen, dass die Frage ob du ein Zauberer bist nun wohl gegenstandslos ist!
Des Weiteren möchte ich festgehalten wissen, dass du die Überreste der Akademie des Guten gefunden hast. Sowie den tatsächlichen Ursprung der Quelle über uns.
Mach´ deinen Mund zu. Das ständige weite Öffnen des Mundes kann über längere Zeit zum Austrocknen desselben, sowie zu Muskelüberlastungen im Kieferbereich führen!“ erklärte die Feenelfe in streng wissenschaftlichem Ton. Nur um kurz darauf schallend zu lachen.
Aaronimus stand nur da.
Er hatte so etwas Schönes und Unglaubliches noch nie gesehen.
„Woher weißt Du das alles?“ fragte er Bianca, als die Sprachlosigkeit ihn langsam wieder verließ.
„Na, steht doch alles hier drin!“ sagte sie und deutete auf ein Buch, welches an der Stirnseite des ovalen Beckens, aufgeschlagen auf einem Stehpult lag.
Er ging auf das Buch zu und schaute sich die Seiten an. Bis zur letzten Seite waren die Buchstaben gleichmäßig und sorgfältig aufgeschrieben worden. Erst ab der zweiten Hälfte der letzten Seite wurde das Schriftbild etwas unregelmäßiger.
„Siehst Du? Da steht es Schwarz auf Weiß!“ erklärte die Feenelfe.
„Mag sein!“ antwortete er. „Aber ich kann doch überhaupt nicht lesen!“
„Oje! Na gut! Ich werde dir die letzte Seite vorlesen!“ Sie begann: „Vierter, im Monat der Ernte, im Jahr des großen Feldzuges.
Die Erdmänner haben mit den Felsenriesen ganze Hügelketten auf die Akademie des Guten stürzen lassen. Wir sind verschüttet unter Tonnen von Gestein und Dreck. Viele Räume abseits der Kathedrale wurden zerstört. Die Schüler sind mit ihren Lehrern über den letzten Fluchtweg am östlichen Tor ins Freie gekommen und kämpfen mit unseren Verbündeten aus den anderen Dörfern Mittenlands gegen die Brut des Bösen unter der Führung des Schwarzen Stiers. Ich hoffe, dass der oder die Blockade, Block.. irgendwie, us oder uns, in der Kathedrale der Quelle schützt, um dem, dem der Weg leuchtet genug Wissen zu geben, dass Gute zu erhalten. Hier scheint Flüssigkeit auf das Papier gekommen zu sein“ ergänzte sie und las weiter: „Möge die Quelle stets klares Wasser führen!
Ich muss mich nun dem Fürst des Bösen stellen und werde meinen Bericht morgen fortsetzen.
Kein weiterer Eintrag!“ schloss das geflügelte Fabelwesen ihre Vorlesung.
Aaronimus hatte nur halb zugehört, nickte aber verstehend als Bianca geendet hatte. Er konnte nicht glauben, dass er tatsächlich ein großer Zauberer sein sollte.