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Prolog, 27.05.1970

Als Inspektor der hiesigen Polizei war ich natürlich an den Anblick von Toten gewöhnt. Falls wir von der Tatsache ausgehen, dass man sich jemals wirklich daran gewöhnen kann.

„Wie sieht’s aus, Doc?“, fragte ich den Polizeiarzt, Doktor Jan Koehler. Er strich sich eine seiner grauen Haarsträhnen aus der Stirn.

„Mit einem Gürtel erwürgt, würde ich sagen. Und dann einfach hier in der Garage abgestellt.“

Die wollen das ja nicht mal ansatzweise als Selbstmord durchgehen lassen, dachte ich mürrisch. Das konnte ja heiter werden.

„Tja, Herr Oberinspektor Kühn. Das wird ein harter Brocken für Dich, mein Junge“, sagte der Arzt mit einer nonchalanten Vertraulichkeit, die meinen bereits angespannten Geduldsfaden einer ziemlichen Zerreißprobe unterzog. „Den Bericht kriegst Du später. Ich weiß noch nicht genau, wann ich ...“

„Schon gut, Jan“, unterbrach ich ihn kurz angebunden. Wir waren vor die Garage getreten. „Jetzt sind erst mal die Herrschaften von der Spurensicherung dran.“

Entnervt zündete ich mir eine Zigarette an und zog den tröstlich beißenden Rauch ein. Es war einfach nicht mein Tag.

„Naja, so wie ich die feinfühligen Herren kenne, werden die den Wagen auseinandernehmen bis auf die letzte Mutter. Und dabei ein so schöner BMW. Können wir uns nicht leisten, was?“

„Ach was, Jan. ‘n bisschen was auf die hohe Kante, aber ... lassen wir das. Sonst hast Du nichts feststellen können?“

„Wart erst mal auf den Bericht, Du Sklaventreiber.“

Mit diesen Worten wandte er sich ab. Ich betrat wieder die Garage. Inzwischen war die Tote, deren Identität unbekannt war - wie man mir mitteilte - aus dem Wagen geholt worden.

„Habt ihr sie gründlich durchsucht?“, fragte ich.

„Ja, sicher. Keine Papiere. Weder Ausweis, Pass ...“

„Gut, OK.“

Vor der Garage kündigten scharf quietschende Bremsen den Wagen meines

Vorgesetzten an, Kommissar Neureiter. Der korrekt in einen schwarzen Anzug gekleidete Mann, der dem grünen Mercedes entstieg, sah trotz der frühen Morgenstunde unverschämt munter aus.

„Morgen, Randy“, sagte er. „Was ist hier passiert?“

„Eine Tote in diesem Wagen dort. Keine Papiere, also Identität unbekannt. Die Hausbesitzerin bemerkte, dass das Garagentor offenstand. Nachdem sie Licht gemacht hatte, entdeckte sie den Wagen dort. ...“

„OK, OK. Wo steckt die Frau jetzt?“, winkte der Kommissar ab. Die Details schienen ihn nicht zu interessieren, er war mit seinen Gedanken bereits einen Schritt weiter.

„Sie wird gerade vernommen. In der Küche. Sollen wir reingehen?“

„Du und ich, wir beide, ja“, nickte er.

„Also eins können Sie mir glauben, Herr Kommissar. So was habe ich noch nie erlebt, und ich wohne schon lange hier. Mein Mann, der vor vier Jahren verstorben ist, hat das Haus gebaut. Noch nie, ... das ist ja ungeheuerlich, stimmt doch, oder? ... Und noch dazu gehört mir der Wagen nicht mal. Und auch keinem der Mieter im ersten oder zweiten Stock. Ich kann mir das Ganze nicht erklären. So eine Unverschämtheit, einfach seinen Wagen in meiner Garage ...“

„Frau Korn. ... Schildern Sie uns bitte noch mal, was Sie beobachtet haben“, unterbrach sie mein Vorgesetzter.

Die alte Dame schüttelte verwundert den Kopf.

„Nein, so was. Das hab ich doch schon Ihren Kollegen erklärt.“

„Naja, nun, dann erzählen Sie’s mir eben noch mal“, befand der Kommissar mit künstlicher Freundlichkeit.

„Wie Sie meinen. Also: ... Ich bin, wie übrigens jeden Tag, um 04.00 Uhr aufgestanden. Dafür brauche ich keinen Wecker. Meine innere Uhr, Sie verstehen? Ich kann nicht gut schlafen, deshalb bin ich schon so früh auf den Beinen. Mein Arzt hat mir zwar Schlaftabletten verschrieben, aber ...“

„Frau Korn“, unterbrach sie der Kommissar fast ungeduldig. „Wann haben Sie das Haus verlassen?“

„Wie bitte? Sie haben doch gesagt, ich soll Ihnen noch mal erzählen, was passiert ist.“

Himmel, dachte ich. Das kann ja heiter werden.

Neureiter verzog keine Miene. Ich musste seine Geduld bewundern.

„Beantworten Sie meine Frage, Frau Korn“, ermahnte er die alte Dame freundlich.

„Also, ... ich bin so gegen halb fünf raus, um die Zeitung zu holen. Und dabei ist mir dann aufgefallen, ... nein, ich darf gar nicht daran denken. Wenn das mein Mann noch erlebt hätte. Nicht mal in seinem Haus ist man sicher vor so was. Das darf doch wohl nicht wahr sein. ...“

„Was ist Ihnen aufgefallen?“, fragte Neureiter mit einem geduldigen Nicken.

„Das offene Garagentor. Ich hab sofort Licht gemacht, um nachzusehen, ob alle Wagen auf ihrem Stellplatz stehen. Es ist zwar eigentlich noch nie vorgekommen, dass einer der Mieter quasi vergessen hat, das Tor zu schließen, aber ...“, sie unterbrach sich für einen Moment, „man weiß ja nie, stimmt doch, oder? Tja, und dann hab ich diesen Wagen da drin gesehen. Geärgert hab ich mich zuerst. Ich hab zwar die Garagenstellplätze vermietet, aber Besucher meiner Mieter sollen gefälligst ihre Wagen draußen abstellen! Ich bin also rein, um mir den Wagen anzusehen.“

„Weshalb das, Frau Korn?“, wollte er weiter wissen.

„Naja, um die Mieter heute Abend, wenn sie von der Arbeit kommen, danach zu fragen“, antwortete sie ungeduldig. Ihre faltigen Hände machten fahrige Bewegungen. „Denen werde ich was erzählen, dachte ich noch. Und dann hab ich die ... Frau entdeckt. Sie saß auf dem Fahrersitz und hatte diesen Gürtel um den Hals.“

„Und dann? Was haben Sie dann gemacht?“

„Ich habe Sie sofort verständigt, ... äh ... die Polizei ...“

Einige Sekunden herrschte Schweigen.

„Nun, Frau Korn, Sie haben eben erwähnt, dass Sie die anderen Wohnungen vermietet haben. Ist doch richtig so, ja?“, half Neureiter ihr weiter. Ich zog es vor zu schweigen.

„Richtig. Aber von denen hat keiner einen solchen Wagen. Ich kenn’ die Wagen doch alle.“ Sie schüttelte verbissen den Kopf. „An der Farbe wenigstens. Tja, wie gesagt, denen gehört der Wagen nicht.“

„Und wäre es nicht doch möglich, dass einer Ihrer Mieter Besuch erhalten hat ...?“, stellte Neureiter eine Vermutung in den Raum.

„Ich hab’ Ihnen doch grade erklärt, dass ich meinen Mietern strengstens untersagt habe, dass ihre Besucher meine Garage als Stellplatz für ihre Autos verwenden. Da hat man ja dann überhaupt keinen Überblick mehr!“

„Sie haben nichts Ungewöhnliches gehört oder bemerkt?“, wechselte Bernd Neureiter abrupt das Thema.

„Wie kommen Sie darauf?“

„Weil Sie doch an Schlafstörungen leiden, Frau Korn. Haben Sie selbst ausgesagt“, erinnerte er sie.

„Also das ist doch die Höhe! Stehe ich jetzt unter Anklage, nur weil ich Schlafstörungen habe?!“, empörte sich die alte Dame. „Das kann ja wohl nicht wahr sein! Da wird auf eigenem Grund und Boden ein Mord verübt ...“

„Woher wollen Sie eigentlich wissen, dass es ein Mord war?“, fragte ich ungerührt. „Es wäre ja auch möglich, dass sich die Frau selbst erdrosselt hat.“

Eine Vermutung, die zwar grundsätzlich nicht auszuschließen, aber im Moment ohne Grundlage war. Ja, die Leiche hatte einen Gürtel um den Hals getragen, aber warum sollte jemand in einer fremden Garage Selbstmord begehen? So einfach war es nicht. Doch der Einwand verfehlte sowieso seine Wirkung. Frau Korns Augen flackerten erst unsicher und dann trotzig.

„Also, ... brauche ich jetzt einen Rechtsbeistand?“ Das war das Einzige, was sie zu interessieren schien – ihre eigene Haut zu schützen.

So kommen wir hier nicht weiter, dachte ich. Aus dem Gesichtsausdruck meines Chefs entnahm ich, dass er ganz ähnliche Gedanken wälzte.

„Wir verdächtigen Sie nicht, Frau Korn. ...“, versuchte ich sie zu beschwichtigen. „Geben Sie uns die Namen Ihrer Mieter. Wir werden sie heute Abend persönlich zu dieser Sache befragen. Das wär’s eigentlich.“

Die Befragung der Mieter wurde noch am selben Abend vorgenommen, führte jedoch zu keinen weiteren Erkenntnissen. Die Identität der Toten blieb fürs Erste ungeklärt. Keine der aktuellen Vermisstenmeldungen passten auf die Frau. Sie war weder unter Fingerabdrücken noch in den Registern der Zahnabdrücke zu finden. Es hieß die Frau war nie auffällig geworden und hatte offensichtlich den Zahnarzt gemieden wie der Teufel das Weihwasser – von klein an.

Doch zwei Tage später erschien mein Vorgesetzter mit einem Foto in meinem Büro. Er knallte es mir auf den Schreibtisch.

„Anna Krüger, 29 Jahre, keine lebenden Verwandten, ledig ...“

„Und der Wagen?“

„Ist auf ihren Namen zugelassen. Ich hab’ so das Gefühl, der Fall landet bei den unaufgeklärten Fällen.“

Bernd Neureiter sollte Recht behalten. Der Fall wanderte tatsächlich nach einigen Wochen ins Archiv. Kein Glanzstück an Wertarbeit.

Tödliche Gier

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