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Jetzt gehöre ich dazu

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Der Tag, an dem unser Neuzuwachs in die Familie kommt, muss ein besonderer Tag sein. Darüber waren sich alle einig.

Wir verabredeten deshalb ein gemeinsames Wochenende in unserem holländischen Domizil.

Mit dem Züchter hatte ich vereinbart, ASHLEY bis zur zwölften Woche noch bei seinen Geschwistern zu lassen und ihn erst dann zu übernehmen.

Das Aufwachsen in der Gemeinschaft der Meute ermöglicht einem Hund erst die Anpassung an den Menschen. Die Erfahrungen in den ersten Wochen sind äußerst prägend für das spätere Leben. Vergleichbar mit Kleinkindern formt sich in dieser Zeit sehr wichtiges, kaum wieder umzuerziehendes Verhalten.

Dies sollte sein Sozialverhalten positiv beeinflussen, denn so konnte er spielerisch in seinem Rudel erlernen, was für ihn zukünftig wichtig wurde: Futter verteidigen, angreifen, jagen und Beute machen, aber auch den anderen akzeptieren und sich in die Rangfolge einordnen.

Am Eingang begrüßte uns ein Mitarbeiter der Hundezucht VON DER TANN und führte uns ins Haus.

„Hier sind die Hundepapiere mit Stammbaum und der Internationale Impfpass für ihren Hund!“

Er übergab meiner Frau das kleine Wollknäuel und fügte hinzu: „Der Chef war mit ihm gestern beim Tierarzt. Es ist alles bestens, sie können ASHLEY jetzt mitnehmen.“

Als wir den Geschwistern, die noch nicht in ihr neues Zuhause abgeholt worden waren, einen Besuch abstatteten, kam auch der Züchter dazu und erwähnte, die Hundemutter würde seit gestern ihren Nachwuchs bereits teilweise wegbeißen.

„Es ist gut, dass ASHLEY nun ein neues Zuhause bekommt“, stellte er fest und gab uns die letzten gut gemeinten Ratschläge mit auf den Weg.

Beim Abschied bat er uns, ihm in einiger Zeit ein paar Bilder zuzusenden und ihm mitzuteilen, wie ASHLEY sich eingelebt hat. Wir sagten zu und versprachen, Kontakt zu halten.

Die ganze Zeit hatte Malu den kleinen Kerl liebevoll auf dem Arm getragen und übergab ihn nun mir, weil sie auf der ersten Etappe fahren wollte.

Bedachtsam verstaute ich unser neues Familienmitglied oben in meiner Jacke, denn wir hatten leider seine Hunde-Box vergessen.

Neugierig ragte der wunderschöne Kopf des kleinen Kerls aus seinem warmen >Transportcontainer<.

Zur Beruhigung streichelte ich seinen Hals, er brauchte jetzt viel Zuwendung, um die abrupte Trennung von seiner Altfamilie zu vergessen.

Meine Körperwärme tat ihm sichtlich gut.

Anfangs schaute er noch vorwitzig, aber zugleich unsicher, aus dem Wagenfenster, schlief dann jedoch bald ein. Ich vermochte nicht zu sagen, ob vor Erschöpfung oder weil er sich wohl fühlte und ich vielleicht so gut roch.

Nach einer Stunde, ich hatte meine Sitzposition kaum verändert, um meinen neuen Partner nicht durch eine ruckartige Bewegung aus dem Schlaf zu reißen, fuhr Malu einen Autobahn-Parkplatz an.

„Zu spät“, sagte ich, „nimm den nächsten, da kann man duschen!“

Als ich den fragenden Blick meiner Frau bemerkte, fügte ich hinzu: „Unser junger Freund hat mir gerade im Schlaf ein kleines Bächlein geschenkt.“

Wir lachten.

Natürlich nicht zu laut, denn wir wollten ihn ja nicht wecken!

„Ein merkwürdiger Anfang einer Beziehung, wenn er jetzt schon sein Herrchen anpinkelt“, stellte ich verschmitzt fest.

„Aber er hat es doch nicht bewusst getan“, versuchte Malu ihn zu entschuldigen.

„Das wäre ja auch noch schöner!“ antwortete ich.

Zehn Kilometer weiter holte ich den kleinen >Nestbeschmutzer< an der Raststätte SAUERLAND aus seinem markierten Schlafplatz und stellte ihn behutsam unmittelbar neben dem Wagen auf seine staksigen Beinchen.

Sehr zögerlich und etwas tollpatschig wackelte er los.

Nach etwa zwei Metern drehte er sich nach mir um.

Ich ging in die Hocke. Wedelnd kam er zurück und verkroch sich unter meinem rechten Knie. Beruhigend redete ich auf ihn ein und streichelte ihn dabei.

„Willst wohl alles wieder gut machen?“ sagte ich grinsend, hob ihn hoch und übergab ihn an Malu, um mich in der Raststätte frisch zu machen. Im Weggehen fügte ich versöhnlich hinzu:

„Na gut, fangen wir beide noch mal von vorne an!“

Als ich wieder zurückkam, wurde ich von einem leichten Winseln begrüßt.

„Na ich glaube, das ist der Beginn einer großen Liebe“, sagte meine Frau und überließ mir unseren kleinen Jungen wieder.

„Ich fahre schon“, fügte sie großzügig hinzu.

Da der kleine Zottel an der Raststätte kein Bächlein gemacht hatte, vermutlich hatte ihn die unbekannt duftende Frühlingswiese zu sehr abgelenkt, bauten wir ihm, bevor wir weiterfuhren, im Fußraum auf einer kuscheligen Decke ein Ruhelager. Es war mir nun doch zu gefährlich geworden, ihn weiter in meiner Jacke zu transportieren. So lag er sicher zwischen meinen Füßen und schon bald schlief er ein, eingerollt in einen Zipfel der Decke.

Nach längerer Fahrt erreichten wir unsere beliebte Tukan-Raststätte VAN DER FALK in Molenheide.

Wir ließen die kleine Schlafmütze im Wagen liegen, um etwas zu essen und „een Kopje Koffie“ zu trinken.

„Es ist besser, wir lassen ihn mal laufen“, sagte meine Frau, als wir zum Wagen zurückkehrten, „sonst weicht unser junger Freund auch noch sein neues warmes Schlaflager zu deinen Füßen ein.“

Ich hob ihn aus dem Wagen.

Mit aufgestellter Rute schwankte er unsicher ein paar Meter hinter mir her. Dann blieb er stehen, schaute verklärt in die Gegend und senkte sein Hinterteil. Ein kleines goldenes Bächlein kam langsam zwischen seinen Beinen hervor.

„Der weiß auch noch nicht, ob er Männlein oder Weiblein ist“, scherzte ich. Mir war natürlich klar, dass junge Rüden ihr Beinchen beim Pipimachen frühestens nach ungefähr sechs Monaten heben können.

Jetzt würde der kleine Bearded-Mann einfach umfallen!

Wir setzten unsere >Überführungsfahrt< fort.

Schon bald erreichten wir das Grevelinger Meer.

Vom Damm aus konnten wir die flackernden Lichter unseres Yachthafens sehen.

„Wir müssen die Kinder informieren, damit sie zum Parkplatz kommen.“

„Andrea sitzt sicher schon auf heißen Kohlen,“ antwortete ich.

Wir mussten beide schmunzeln.

Gerade steckte ich die Security-Card in den Scanner, um den Schlagbaum zum abgesperrten Hafenterrain zu öffnen, da stürmte Andrea schon aus dem Hauseingang.

Winkend lief sie uns entgegen.

„Das ist ja mal eine Begrüßung!“ sagte meine Frau mit leicht ironischem Unterton.

Dieser stürmische Empfang galt natürlich nicht uns.

Ich ließ die Seitenscheibe herunter.

„Wo ist er? Habt ihr ihn nicht mitgebracht?“ rief sie uns eilig entgegen, mit leicht weinerlichem Unterton.

Sie konnte ihn ja nicht sehen, deshalb zeigte ich rasch nach unten, damit sich die Enttäuschung in Grenzen hielt.

Als sich Andrea durch das geöffnete Wagenfenster beugte, hellte sich ihr Blick sofort auf.

„Gib ihn mir“, sagte sie liebevoll und dann ungeduldig:

„Bitte! Bitte!“

Wie ein kleines Baby nahm sie ASHLEY entgegen und wendete sich glücklich strahlend unserem Sohn zu, der ihr langsam gefolgt war. Marc legte seinen Arm um ihre Schultern und als beide in Richtung Hafen losgehen wollten, rief ich:

„Geht bitte zur Wiese und lasst ihn dort noch mal kurz laufen. Wir treffen uns anschließend in der Wohnung.“

Die >junge Familie< schlenderte los.

Wir entluden den Wagen.

Auf dem Weg nach oben sagte ich zu Malu:

„Hast du gesehen, wie ein Hund Gefühle aktivieren kann? Er verbessert selbst zwischenmenschliche Beziehungen.“

Meine Frau musste schmunzeln und bestätigte meinen Eindruck:

„Du hast Recht! So herzlich haben wir Andrea noch nicht erlebt.“

Etwa eine halbe Stunde später war das >junge Paar mit Kind< zurück.

Unser Sohn Marc war so gut wie abgeschrieben. Andrea hatte nur Augen für das neue vierbeinige Familienmitglied und so war es nicht einfach, ihr verständlich zu machen, dass ASHLEY die kommende Nacht nicht bei ihr im Bett verbringen kann.

„Da musst du dich leider weiter mit Marc begnügen!“ sagte ich freundlich lächelnd, aber bestimmt.

Als die Zeit gekommen war, trug ich ihn nach oben, wo ich neben meinem Bett ein Nachtlager aus seiner Decke gebaut hatte. So war er während der Nacht nicht ganz alleine. Zudem konnte ich ohne Aufwand jeder Zeit nach ihm sehen.

Es war klar, dass der Kleine in den ersten Nächten sehr unruhig schlafen würde, denn das neue Heim war für ihn völlig fremd.

Außerdem fehlten die Geschwister, an die er sich früher hatte ankuscheln können. Es war also nur natürlich, dass er im Schlaf immer mal wieder leicht jammerte.

„Schlaf gut, mein Junge. Jetzt gehörst du dazu!“ dachte ich und musste mich schon überwinden, auf sein Winseln nicht zu reagieren.

Mir war jedoch klar, nach wenigen Nächten würde das vorbei sein. Nach der Eingewöhnungsphase wären derartige Laute schon besorgniserregender, vielleicht auch ein Signal für eine dringende Pipirunde. Jetzt galt es, gelassen zu bleiben.

Weiter sinnierte ich, „es muss klar werden, wer sein erster Bezugspunkt ist“.

Alle Familienmitglieder zollten ihm größte Aufmerksamkeit, für den Kleinen war es also nicht einfach, denn so viel Liebe konnte selbst ihn irritieren.

Da ich den größten Hundeverstand in der Familie hatte, gab ich ihm eine kleine Orientierungshilfe und legte in sein Nachtlager meine getragenen Socken.

Heute kann ich diese hinterhältige Aktion ja zugeben!

„Sicher ist sicher“, hatte ich mir gesagt. Ich wusste natürlich, dass man Vertrauen am besten aufbaut, in dem man zuerst seine Geruchsmerkmale durch den Hund entdecken lässt, mit Sprachsignalen und Gesten kommuniziert man erst danach.

Aber, wie gesagt, ich wollte es ihm dadurch ja nur leichter machen!

Am nächsten Morgen stellte sich prompt die beabsichtigte Wirkung ein. Sobald ich mich bewegte, kam ASHLEY sofort hoch und zottelte hinter mir her.

Andrea konnte noch so sehr um die Zuneigung des Kleinen buhlen, sie hatte keine Chance.

„Warum läuft der immer zu dir? Versteh ich nicht!“

Ich schaute kurz hoch und antwortete ihr dann beiläufig:

„Wo die Liebe nun mal hinfällt...“

Beruhigend konnte das kaum wirken, das war mir schon klar, aber es ging nun mal nicht anders. Die Marken mussten für den Kleinen deutlich gesetzt werden!

Meine kleine intime Duftprise hatte ja eigentlich nur bestätigen helfen, was ASHLEY und ich schon lange wussten, denn wir hatten unsere Wahl schon bei unserem ersten Zusammentreffen getroffen.

Immer wieder suchte er in den nächsten Tagen, sobald irgendetwas Neues auf ihn zukam, was ihn ängstigte, Schutz bei mir.

Eine Seemöwe schoss im Tiefflug an uns vorbei, in der Nähe schrien spielende Kinder laut auf, ein großer Hund wollte uns überschwänglich begrüßen oder ein Auto fuhr quietschend an, mein kleiner Freund suchte sofort meine Nähe und verkroch sich zwischen meinen Beinen.

Ich tat so, als sei das alles nichts Besonderes.

Kurz verharrte ich, damit er zu seiner Beruhigung körperlichen Kontakt aufnehmen konnte, dann ging ich langsam weiter.

So machte ich ihm klar, dass sein >Leittier< in solchen Ereignissen keine Gefahr sieht!

Schon bald verstand er.

Er genoss diesen Schutz, es machte ihn sicher.

Dann folgte er gelassen.

Beim Zusammentreffen mit fremden Hunden war ich allerdings immer besonders vorsichtig, denn Welpenschutz gibt es nur im eigenen Rudel.

Durch sein Verhalten wurde deutlich, dass er meine Autorität anerkannte und er sich an mir orientierte.

Bisweilen stieß er mich mit seiner feuchten Nase oder mit seiner kleinen Pfote an, um meine Hilfe beziehungsweise Aufmerksamkeit einzufordern.

Ich reagierte mit Streicheln.

Das Zusammengehörigkeitsgefühl wurde mit der Zeit immer stärker.

Später, als die >Sozialisierungsphase< vorbei war und er erwachsen wurde, gab er mir diese Sicherheit zurück und passte auf mich auf.

So honorierte er, dass ich ihn von Anfang an als Partner behandelt hatte. Zwischen uns gab es stets ein Wechselspiel zwischen Geben und Nehmen.

Obwohl der Fresstrieb bei Hunden stark ausgeprägt ist, hat die Tatsache, dass meine Frau ihm meistens seine Tagesportionen verabreichte, die Verbindung zu seiner Hauptbezugsperson nicht beeinflusst.

Aus erzieherischen Gründen nahm ich ihm sogar hin und wieder seinen Fressnapf kurz weg. Er gewöhnte sich schnell daran. Wenn sein Leittier in die Nähe seiner Schüssel kam, wich er einen Schritt zurück. Ging ich dann wieder zur Seite, fraß er weiter.

Bis zuletzt war es für mich völlig unproblematisch, selbst die leckersten Happen aus seinem Fang zu holen.

Grundsätzlich ist es durchaus eine gute Methode, auch über den Fresstrieb zu erziehen und zu disziplinieren. Es erleichtert zudem, die Rangfolge deutlich zu machen, denn Hunde kooperieren nicht im Rudel wie das bei Wölfen beobachtet werden kann.

So kann man bei aller Nähe Abstand wahren, denn es kam immer wieder vor, dass ASHLEY sich in den Flegeljahren an mir, seinem Leittier, rieb und sich auflehnte. Ein ganz normales Verhalten, das der Orientierung diente.

Die Beute steht bei domestizierten Hunden vorrangig dem Alpha-Tier zu und dies sollte der Mensch sein!

Es ist bekannt, dass Mensch und Wolf viel Gemeinsames haben.

So kooperieren beide gerne und nachweislich teilen Wölfe sogar.

Unsere gezähmten Hunde tun das nicht. Im Gegenteil, sie verteidigen ihr Fressen und beißen ihren Konkurrenten weg.

Also Vorsicht bei Kleinkindern!

Der wild lebende Alpha-Wolf akzeptiert, wenn ein Niederrangiger zusammen mit ihm fressen will. Man kann dabei lediglich an seiner aufgestellten Rute und an dem eingeräumten Sicherheitsabstand erkennen, wer der Chef im Ring ist. Ein dominanter Haushund würde diese Form der Kooperation nicht zeigen. Selbst in einem häuslichen Rudel muss jeder Hund aus seinem eigenen Napf fressen, ansonsten gibt es ein ständiges Gerangel.

Die Machtkämpfe zwischen uns, wenn auch meist freundschaftlich ausgetragen, flachten bald ab und es wurde eine neue Qualität des Zusammenlebens erreicht. Es kam Ruhe in unsere Beziehung!

Schon früh erarbeiteten wir spielerisch, verbunden mit viel Lob, die erforderlichen Grundregeln des Zusammenlebens.

Durch regelmäßiges Training fanden wir schnell und ohne große Schmerzen eine gemeinsame Sprache.

Ihm dabei nie das Selbstbewusstsein zu nehmen, war wichtig.

Ich setzte zwar klare Signale und wählte mit Bedacht immer den gleichen Ablauf, Tadel und Strafe beschränkte ich jedoch auf eine etwas markantere und nur geringfügig lautere Ansprache.

Die geeignetsten Mittel, einen jungen Hund in die Schranken zu weisen, wirkten auch bei ihm.

Entweder ignorierte ich ihn einfach, brach sein (Lern-) Spiel abrupt ab oder beutelte ihn bei besonders großem Fehlverhalten leicht durch. Jedoch äußerst selten!

Ins Nackenfell greifen, also in der Nackenfalte durchbeuteln, ist für den Hund eine Urerfahrung, die er in seiner Anlage gespeichert hat. Eine Empfindung, die er schon bei seiner Mutter erleben konnte.

ASHLEY reagierte darauf über die Maßen empfindlich, ja er schien regelrecht beleidigt zu sein.

Schläge und Schmerz erzeugende Hilfsmittel, wie beispielsweise Elektro-Halsbänder oder gar Stachel-Halsbänder, sind bei der Erziehung unzweckmäßig.

Sie wurden bei unserem vierbeinigen Partner niemals angewandt.

Bei uns galt die Devise:

„Die Hand ist nur zum Streicheln da!“

Spontan hatte ich ASHLEY mal einen Klaps mit der Zeitung gegeben, als er mit seiner neugierigen Nase über den Couchtisch rutschte. Später reichte schon Rascheln mit der Zeitung aus, um ihn aufmerksam werden zu lassen.

Zur Disziplinierung genügten bereits ein ernster Blick, ein klares „Nein“ oder „Aus“ und insbesondere eindeutige Körpersprache.

Die gewünschte Wirkung trat in den meisten Fällen später allein durch Handzeichen sofort ein.

Grundsätzlich achtete ich darauf, ihn mit ruhiger Miene anzusprechen.

Und ein Verbot verband ich nicht mit seinem Rufnamen, denn sein Name sollte nur bei Positivem fallen!

Bei der Ansprache brüllte ich auch niemals laut herum, wenn etwas nicht auf Anhieb klappte oder machte schnelle unkontrollierte Körperbewegungen.

Es hätte andernfalls die Gefahr bestanden, dass ein ängstlicher oder aggressiver Hund heranwächst.

Oberstes Gebot bei allen Erziehungsbemühungen ist jedoch, bei Fehlverhalten konsequent handeln und ausschließlich zeitnah reagieren, denn es bleiben eigentlich nur wenige Sekunden, damit der Hund eine Verknüpfung vornehmen kann.

Das sinnvolle und Erfolg versprechende Hilfsmittel der >Klicker-Methode< brauchte ich zur Konditionierung unseres gelehrigen Hütehundes nicht anwenden.

>Klick<, es folgt die Belohnung wie „Brav“, Leckerli, Streicheln und dann wieder >Klick< mit Belohnung. Und so weiter!

Der >Knackfrosch< aus den Kindertagen so angewandt, hilft zweifellos bei der Hundeerziehung. Während der Trainings wird die Aufmerksamkeit erhöht und zudem kann durch einzelne Lernschritte, Zwischenziele, eine Übung effektiver gestaltet werden.

Dies ist eine Vorgehensweise, mit der die komplexe Ausbildung zu Blindenhunden oder Spürhunden erfolgreich unterstützt wird.

Selbst Körperpflege wie das Ausbürsten des Fells, die Reinigung der Ohren und Zähne und das Krallenschneiden sind Dinge, die früh schrittweise angegangen und spielerisch eingeübt werden müssen.

Wenn ich später im Garten mit der Bürste in der Hand auf ASHLEY zuging, sprang er unaufgefordert sofort auf den Tisch und legte sich freudig der Länge nach hin.

Dies erreicht man allerdings nur, wenn man tunlichst darauf achtet, seinem Partner dabei nicht weh zu tun.

Er würde es sich merken!

Das Wohlgefühl muss überwiegen und nur das wird in Erinnerung bleiben.

Eine Erkenntnis, die auch in der modernen Verhaltenstherapie Bedeutung gefunden hat.

Positive Erlebnisse müssen zum Zentralerlebnis werden und negative Erfahrungen überlagern. Dies ständig wiederholt, heilt mit der Zeit im wahrsten Sinne selbst tiefste Wunden.

In Holland hatte unser kleiner Freund auf dem für ihn sicheren Balkon sein Geschäft gemacht.

Da ich ihn nach jedem Erwachen und kurz nach jeder Mahlzeit und jedem Trinken und natürlich vor dem Schlafengehen dort absetzte, blieb er zwangsläufig stubenrein.

Ich verband das immer mit einer aufmunternden Ansprache, wie „Gassi gehen“, was sich dann bei jeder >Erleichterung< als ein für ihn angenehmes Kommando einprägte, zumal ich ihn nach erfolgter >Lösung< auch noch ausgiebig lobte:

„Fein gemacht! Guter Junge!“

Als wir wieder zu Hause waren und er eine neue Umgebung erobern musste, passierte dann gleich am ersten Abend das vorhersehbare >Missgeschick<.

Da überall in der Wohnung Bodenfliesen lagen, war das kein Problem. Ich nahm ihn sofort hoch, trug ihn auf die Wiese im Garten und sagte das >Zauberwort<, damit sich diese Stelle als sein neuer >Löseplatz< einprägte.

„Gassi gehen“ war jetzt nicht mehr der Balkon, sondern der Garten!

Bevor wir wieder ins Haus gingen, hatte meine Frau das kleine Rinnsal sorgfältig entfernt und mit Parfüm besprüht, stark riechende Reinigungsmittel erzielen die gleiche Wirkung.

So konnte auch eine so gute Spürnase wie die meines neuen Partners das von ihm kreierte >Hundeklo< nicht mehr wittern.

Die Angewohnheit mancher Hundehalter, in derartigen Fällen den Hund mit der Nase hinein zu drücken, ist eine Tortur, die nicht zu empfehlen ist. Sie stellt kein gutes Erziehungsmittel dar!

In kurzen Abständen, der kleinen Hundeblase angemessen, mindestens zehnmal am Tag >Gassi gehen<, ist die beste Methode, den Hund stubenrein zu bekommen.

Bei Erfolg sollte dann mit Lob nie gespart werden!

Das >feuchte Ereignis< im Haus wiederholte sich noch einmal, danach war unser kleiner Junge stubenrein.

Bearded Collies sind von Natur aus eben saubere Hunde!

Interessant war allerdings, dass er nur im Garten oder in unmittelbarer Nähe unseres Hauses sein Geschäft erledigte.


Je besser er jedoch sein neues Domizil kannte und je erfahrener er wurde, umso weitläufiger wurde sein Revier, somit auch sein >Dunstkreis< ums Haus.

Schon bald, er war zu diesem Zeitpunkt etwa ein halbes Jahr alt, setzte er bei unseren Rundgängen seine Marken ausschließlich außerhalb des Grundstücks.

„Geht der Junge mit?“ war eine Frage, die ich immer im selben ruhigen Tonfall stellte, wenn wir losgingen.

Das hatte Signalwirkung und in seinem ganzen Leben wirkte dies elektrisierend.

Quasi wurde bei ihm ein >Pawlowscher Reflex< ausgelöst, denn sofort sprang er aufgeregt auf und rannte zur Tür. Stand sie auf, raste er zum Auto und es bedurfte schon enormer Anstrengung, wenn man ihn zurückholen wollte.

In den ersten Wochen und Monaten gingen wir nur kleine Runden, höchstens eine halbe Stunde. Dabei vermieden wir am Anfang Treppen steigen und Springen von höheren Positionen.

Außerhalb des eigenen Gartens ist es empfehlenswert, einen Welpen an die Leine zu nehmen. Neben dem Aspekt der Gefahrenabwehr könnte ein Hund, der zu jung bereits die nähere Umgebung als sein Revier erkennt, später zum Streunen neigen.

In diesen Tagen wurde er unser „Großer Junge“.

Alles drehte sich um ihn.

Von der ihm entgegengebrachten Aufmerksamkeit gab er viel zurück. Er brachte nicht nur mehr Leben in die Familie, alle waren auch heiterer und gingen liebevoller miteinander um.

Ja, es war schon ein Glück, dass er jetzt zu uns gehörte!

ASHLEY strotzte vor Energie, war stets in Bewegung und forderte seine Leute auf, mit ihm zu spielen, was sie natürlich taten.

Zwischendurch ließ er sich einfach fallen und schlief ein.

Kleine Hunde sind nämlich >alte Schlafmützen<.

Man sollte sie auch, wie das Sprichwort schon sagt, schlafen lassen, denn sie werden sonst nervös, unausgeglichen und misstrauisch.

Also: „Keine schlafenden Hunde wecken!“

Wenn er dann wieder erwachte, war er sofort wieder zu einer kleinen Dummheit bereit.

Er liebte es, wie alle jungen Hunde wegen des wunderbaren vertrauten Geruchs, sich meiner Hausschuhe zu bemächtigen.

Immer wieder schleppte er sie weg und knabberte daran.

Wollte ich sie dann holen, legte er seine kleine Tatze darauf, um seine Beute festzuhalten.

Deutlich war zu erkennen, dass hier ein Dickkopf heranwuchs, der auch später nie eine Gelegenheit ausließ, seine Dominanz zu zeigen.

„Warum bellt der mich immer so an?“

„Das ist ein Mann! Vielleicht gibt es ein Problem zwischen ASHLEY und dir“, antwortete ich Andrea feixend, fügte dann aber versöhnlich hinzu: „Er fordert dich auf, mit ihm zu spielen!“

Ich wusste allerdings, dass mein Junge bereits versuchte, bei Andrea, die zu weich und zögerlich war, das Kommando zu übernehmen und ihr den Platz in der Rangfolge streitig zu machen.

Damit das bei mir nicht auch passierte, machten wir in dieser >Rudel-Ordnungsphase< öfter einen Rundgang.

Wir spielten in dem nahen Wald, insbesondere bei Dämmerung, auf den recht dunklen Waldwegen das schöne Spiel:

„Hund sucht Herrchen!“

Wenn er zu weit nach vorn gelaufen war, drehte ich mich einfach um und ging auf dem seichten Boden leise in die entgegengesetzte Richtung.

Schon bald schoss er an mir vorbei. Der Stolz, mich so schnell wieder gefunden zu haben, war ihm dabei anzumerken.

Kurz danach, wenn er abermals übermütig vorausgelaufen war, änderte ich erneut meine Richtung.

So musste er sich wiederum neu orientieren, immer wieder und immer wieder.

Als er nach unzähligen Richtungsänderungen auf dem Weg stehen blieb und abwartete, in welche Richtung ich denn jetzt gehen würde, erklärte ich ihm beschwingt:

„Jetzt hast du´s! Die erste Prüfung als Hütehund ist bestanden!“

Durch diese simple Übung hatte ich für die Zukunft sichergestellt, dass ich niemals hinter meinem Hund herlaufen musste, er richtete sich nach mir.

Der Trainingseinstieg „Watch me!“ war beendet.

Er schenkte mir nun grundsätzlich seine Aufmerksamkeit.

Wenn ich ihn rief, reagierte er sofort.

Schaute und kam.

Erfolge belohnte ich unmittelbar durch Streicheleinheiten oder Lieblings-Leckerli.

Fehlverhalten wurde von mir natürlich auch grundsätzlich ohne Zeitverzögerungen geahndet.

Beim Lern-Spiel achtete ich genau darauf, Pausen einzuhalten, denn nach fünfzehn, spätestens zwanzig Minuten lässt die Aufmerksamkeit des Hundes nach.

Er braucht eine Erholungsphase.

Wie er sich dabei beschäftigt, bestimmt er selbst.

War ASHLEY zur Ruhe gekommen oder forderte er erneut Aufmerksamkeit, ging es weiter. Das neue >Spiel< war für ihn wieder interessant, was natürlich bei der >Konditionierung< half.

„Jetzt üben wir auch noch, perfekt an der Leine zu gehen“, munterte ich meinen Jungen auf.

Prompt erfolgte durch freudiges Bellen seine Bestätigung.

So wurde die Leine sehr schnell zum Symbol für Lebensfreude und Signal für einen gemeinsamen Spaziergang. Schon bald konnte mich mein Partner ohne Schwierigkeiten in die Stadt begleiten.


Das neue Revier war für ihn interessant und abwechslungsreich, es bot ein völlig neues Erlebnisfeld und zeigte unbekannte Bewegungsabläufen. Es war jedoch fürchterlich laut.

Doch durch behutsames Gewöhnen wurden anfängliche Ängste abgebaut und Aggressionen verhindert. Binnen kurzem wurde ein Stadtrundgang zur Routine und er blieb völlig entspannt.

Vor jeder Straßenüberquerung blieb ich stehen, wartete bis er sich neben mich setzte und ging dann erst wieder los.

Damit es auch sonst keine Verständigungsprobleme mit unserem Partner gab, übten wir bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit Geduld und Freude die Grundkommandos:

„Steh“, „Sitz“ und „Platz“.

„Bei Fuß“ und „Lauf“.

„Bleib“ und „Komm“.

„Bring“ und „Aus“.

Ich wählte tunlichst immer die gleichen Worte, verbunden mit den entsprechenden Hand-Zeichen.

Man sollte diese Kommandos nicht in den unterschiedlichsten Formulierungen verstecken. Oder gar mit unterschiedlichen Tonhöhen und Lautstärken verbinden.

Hunde sind zwar schlau, aber ganze Sätze können sie nicht verstehen!

Sie merken sich Laute und Tonlagen, insbesondere die dabei eingenommene Körperhaltung und Mimik.

Grundsätzlich beobachten sie aufmerksam ihr Umfeld, speziell den geliebten menschlichen Partner.

Blicke sind also wichtige Kommunikationsmittel!

Hunde haben selbst auch ein ausgeprägtes Mienenspiel, oftmals ziehen sie die Augenbraue hoch und präsentieren den typischen >Hundeblick<.

Generell ist aggressive Ansprache zu vermeiden, sie verunsichert den Partner nur. Sprechen sie ganz normal, immer gleich und ihr Hund versteht sie!

Bleiben sie ruhig und bedächtig.

Insbesondere reagieren unsere vierbeinigen Freunde auf eine deutliche Zeichensprache. Halten sie dabei Blickkontakt.

Hunde können in unseren Gesichtern lesen!

Schon bald können sie als >Alphatier< allein durch Zeichen, Körpersprache, Mimik und Berührungen ihren Hund führen.

Neben den wichtigen Grundkommandos kann man natürlich zur Freude und Beschäftigung des vierbeinigen Lieblings zusätzliche Fertigkeiten einüben.

Beispielsweise >In die Hände klatschen<, ein gutes Signal, um einen weitentfernten Hund zurückzurufen. Er wird sicher sogleich losrennen, weil er glaubt, ein neues Spiel beginnt.

Ja es ist sogar möglich, unseren schlauen trainierten Partnern Aufgaben zu stellen, die differenzierende Wahrnehmungen verlangen.

Eine Demonstration dieses erstaunlichen Könnens wurde von einem Hütehund bei einer Livesendung des Fernsehens gezeigt:

„Wo ist der Beckenbauer?“ war das auslösende Signal.

Schon rannte der Hund los und holte eine Beckenbauer-Puppe aus den im Kreis aufgestellten Stoffpuppen, obwohl er diese vorher noch nie gesehen hatte.

Nur kleine Kinder können das.

Fordern sie ihren Hund, aber überfordern sie ihn nicht.

Übung ist Alles!

Beobachten sie ihn. Er tut es ständig.

Strahlen sie Zuversicht aus.

Wirken sie nicht ängstlich, sondern selbstsicher.

Ihr Hund merkt es!

Ein ängstlicher Hundehalter bekommt einen ängstlichen Hund.

Sie sind der Chef. Ihr Hund freut sich darüber.

Nur so werden sie ein gutes Team!

Gleichgültigkeit und Oberflächlichkeit sind die größten Fehler bei einer Hundeerziehung. So erhalten sie einen hilflosen Hund, denn sie haben keine Spur gelegt bzw. ihm keinerlei Orientierungshilfe gegeben, der er folgen kann, obwohl er ständig danach suchen wird. Auf seiner Suche wird er ewig auf fremde Spuren stoßen, die ihn ablenken und letztlich entfremden.

Erlernte Fertigkeiten wie morgens alleine am Kiosk die Zeitung holen oder nach dem morgendlichen Spaziergang stolz die Brötchentüte im Maul tragen oder gar >Männchen machen< mögen ganz nett sein und formen natürlich auch die Partnerschaft.

Machen sie ihren Hund aber nicht zum Affen!

Er ist ihr treuester Freund und bedarf der gebührenden Anerkennung.

„Wer heult denn da so?“ wollte ich bei einem Besuch von meinen Kindern wissen.

„Ach das ist der FYNN, der liegt im Bett und will zugedeckt werden!“ antwortete mein Sohn.

Stand auf und ging los, seinem Hund den Gefallen zu tun.

Diese Gewohnheiten prägen!

Man soll es auch nicht übertreiben, sonst übernimmt irgendwann der Hund das Kommando...

ICH MUSS SCHON MAL GEHN

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