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Sie sind bei uns als Stammkunde registriert

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Über meinen Hang zum Taxifahren

Dass ich so gern Taxe fahre, hängt mit meiner frühkindlichen Prägung zusammen. Meine Eltern wohnten zur Zeit meiner Zeugung und meiner nahenden Geburt am Weichselplatz in Berlin-Neukölln. Eine Hausgeburt stand Ende Januar, Anfang Februar 1938 nicht zur Debatte, und mein Vater hatte von einer guten Klinik in Köpenick gehört, am grünen Ufer der Spree gelegen. Dort habe ich dann auch am 1. Februar 1938, einem Dienstag, das Licht der Welt erblickt. Meine Eltern hatten weder ein Auto noch Geld für eine Taxe. Wie denn auch bei ihrem geringen Einkommen? Und so wäre ich denn wohl mit der Straßenbahn von Köpenick nach Neukölln verbracht worden, wenn nicht meine Kohlenoma, die Mutter meines Vaters, die Kohlenhändlerin Anna B., einen Taxiunternehmer als Kunden gehabt hätte. Der bot nun an, ihren neugeborenen Enkel Horst Otto Oskar Bosetzky kostenlos in einer seiner Taxen von Köpenick nach Neukölln zu befördern, rund zwölf Kilometer. Das also war meine erste innerstädtische Reise, und sie muss mir sehr gefallen haben.

Bis heute habe ich ein Wohlgefühl beim Taxifahren. Wähle ich die Nummer unseres Taxiunternehmens, tönt es sofort: »Sie sind bei uns als Stammkunde registriert.« Da zucke ich erst einmal kurz zusammen, weil sich das fast wie »Stammfreier« anhört, und befolge blitzschnell, was mir angeraten wird: »Wünschen Sie eine Taxe für sofort, drücken Sie die Eins.« Das tue ich, und mir wird versprochen, dass der Wagen mit der Nummer soundso in zwei Minuten vor meiner Haustür stehen wird. Ich beeile mich nicht sonderlich, denn meistens werden aus den zwei Minuten vier, sechs oder, wenn gerade ein Müllauto die Straße versperrt, auch schon einmal zehn.

Etwa 22 Jahre nach meiner Geburt wurde mir von meiner Mutter nahegelegt, mich selbst ans Steuer einer Taxe zu setzen. Zu dieser Zeit hatte ich angefangen, Soziologie zu studieren. »Was soll denn das? Damit kannst du doch nur Taxifahrer werden!«

Ja, warum denn nicht? Nur habe ich nie einen Führerschein gemacht. Wieso nicht? Zunächst aus Angst davor, dann von meinen Eltern ein Auto geschenkt zu bekommen und über Jahrzehnte hinweg ihren Chauffeur spielen zu müssen (»Kannst du uns bitte um vier Uhr morgens aus Kladow von Irma und Max abholen?«). Vielleicht auch aus ökologischen und ideologischen Gründen (»Zurück zur Natur«, Konsumverzicht). Vielleicht war es aber auch schlicht so, dass ich mich aufgrund meines fehlenden Fahrtalents nicht blamieren wollte. Die Liebe zu Straßen-, U- und S-Bahn kann es natürlich auch gewesen sein. Diesen Fortbewegungsmitteln wollte ich nicht untreu werden, sie nicht schnöde verraten.

Jetzt muss ich aber ein Geständnis ablegen: Vier Autos habe ich in meinem langen Leben dennoch gekauft – einen Käfer, einen Golf und zwei Passat. Denn meine erste Frau hatte einen Führerschein, und als unsere beiden Kinder zur Welt kamen, schien ein eigenes Fahrzeug unverzichtbar zu werden, zumal wir in Wilmersdorf wohnten und eine Laube in Heiligensee gepachtet hatten. Das aber war einmal. Heute haben die Gefährtin meines Lebens und ich weder einen Führerschein noch ein Auto.

Worum es sich bei einem Taxi überhaupt handelt, erfahre ich bei Wikipedia: um ein von einem Kraftfahrer mit Personenbeförderungsschein gegen Bezahlung gesteuertes Individualverkehrsmittel zur Personenbeförderung.

Und was passiert, wenn man einen Koffer befördern möchte?

Gegen Bezahlung – es wundert mich, dass es beim Taxifahren keine Vorkasse gibt wie etwa bei jeder chemischen Reinigung. Woher will der Fahrer wissen, ob ich beim Erreichen des angegebenen Ziels den vom Taxameter angezeigten Preis wirklich zahlen kann und will? Das ist ja bei längeren Fahrten ein ganz schönes Sümmchen. Man vertraut mir, und das ist schön, denn als Soziologe habe ich im Hörsaal oft genug erklärt, dass Vertrauen in der Systemtheorie von Niklas Luhmann eine wichtige Funktion innehat: die der Reduktion von Komplexität. Der Taxifahrer vertraut mir, dass ich ihn nicht berauben oder möglicherweise ermorden will, ich vertraue ihm, dass er vernünftig Auto fahren kann und sich in Berlin einigermaßen auskennt. Wobei: Letzteres scheint mir nicht immer der Fall zu sein.

Ich steige am Bahnhof Zoo in eine Taxe und sage: »Nach Frohnau bitte!« Dann schließe ich die Augen, nicht für immer, sondern nur für ein paar Minuten, weil ich furchtbar müde bin. Als ich sie wieder öffne, fahren wir gerade durch den Straßentunnel Bundesallee / ​Berliner Straße. Ich schreie: »Entschuldigung, das ist die falsche Richtung!«

»Nein, das ist die richtige Richtung!«, beharrt der Taxifahrer. »Ich lebe schon seit fünfzehn Jahren in Berlin.«

»Und ich schon seit über siebzig«, kontere ich.

»Vor uns, hinterm Bundesplatz, da liegt doch Friedenau!«, schreit der Taxifahrer.

»Zweifellos, aber ich möchte nach Frohnau.«

Manche Taxifahrer schalten, wenn sie sich geirrt haben, die Uhr aus. Meiner tut es nicht.

»Gut«, beende ich unseren Streit, »dann setzen Sie mich bitte gleich hinter dem Bahnhof Bundesplatz ab, da, wo Friedenau beginnt, und ich fahre dann mit der S-Bahn nach Frohnau.«

Ach ja, man hat es schwer mit mir, denn ich bilde mir ein, Berlin ganz gut zu kennen. Und da immer wieder zu hören ist, dass in Berlin viele Taxen sozusagen schwarz unterwegs sind, das heißt dass die Fahrer keine Prüfung abgelegt haben und über keine Konzession verfügen, bin ich misstrauisch. Oft befrage ich auch vor einer Fahrt Google Maps und lasse mir die optimale Route auf den Bildschirm zaubern. Egal, ob der Fahrer ein Navi hat oder nicht, ich gebe ihm dann höflich, aber bestimmt die Strecke vor. Die meisten nehmen das kommentarlos hin, andere fühlen sich in ihrer Ehre gekränkt. Es gibt auch welche, die sich für den guten Rat bedanken. Aber keiner beschimpft mich. Das tun dafür meine Tochter und meine Lebensgefährtin, wenn sie hinten im Wagen sitzen.

»Papa, peinlich!«

»Horst, lass das doch! Der Mann ist schließlich Profi, und du magst es auch nicht, wenn dir jemand in deine Arbeit hineinredet!«

Ich mache einen Test. In der »Buchkantine« in Moabit habe ich eine Lesung. Auf der Hinfahrt gebe ich dem Fahrer die Route vor und bezahle fünfzehn Euro, auf der Rückfahrt lasse ich dem Fachmann freien Lauf – und bezahle siebzehn Euro. Das spricht für sich.

Als Verfasser von Kriminalromanen muss ich eigentlich immer eine Taxe nehmen, denn Taxi nach Leipzig lautete der Titel des ersten Tatort, erstmals ausgestrahlt am 29. November 1970. Paul Trimmel hieß der Kommissar. Das Drehbuch lehnt sich an einen Roman meines alten Freundes Friedhelm Werremeier an, der in Witten geboren ist.

Erinnert sei auch an den Kinofilm Taxi Driver von Martin Scorsese aus dem Jahr 1976 und an Senta Berger, die als Die schnelle Gerdi in einer Fernsehserie mit ihrem Taxi in München unterwegs gewesen ist. Ja sicher – ehe ich es mit den Feministinnen zu tun kriege –, es gibt auch tüchtige Taxifahrerinnen, aber die begegnen mir höchstens zweimal im Jahr.

Zweifellos ist es schwer, den Taxischein zu machen und x optimale Routen im Kopf zu haben, vor allem die zu Krankenhäusern und Hotels. Ein alter Freund, geborener Berliner, der jahrelang in den USA Trucker war, in Berlin Waren ausgefahren hat und zudem ein »pfiffiges Kerlchen« mit einem hohen IQ ist, fiel bei der Prüfung für den Taxischein durch. Also, Hut ab vor allen, die einen haben!

Es ist immer wieder spannend, wenn man die Tür eines Taxis öffnet und den ersten Blick auf die Person hinter dem Steuer wirft. Ohne eine längere empirische Untersuchung durchgeführt zu haben, zu der ich als Soziologe eigentlich verpflichtet wäre, möchte ich hier eine grobe Typologie der Taxifahrer aufstellen:

> Der hässliche Deutsche

Ihm sieht man seine Nähe zu »Pegida« auf den ersten Blick an. Er beginnt sofort, gegen alles Fremdländische zu hetzen. Einmal war ein Fahrer so schlimm, dass ich fast vorzeitig ausgestiegen wäre. Zum Glück gibt es immer weniger Taxifahrer dieser Art.

> Der Aussteiger

Der hasst alles, was nach Bürgertum aussieht, kleidet sich wie auf einem Campingplatz und hat sich seit Wochen nicht richtig gewaschen. Darunter gibt es einige Ausnahmen, so wie Herrn M., der uns oft gefahren hat und vorher Lehrer war.

> Der Student

Er verdient sich sein Studium mit Taxifahren, plaudert gern von seinem Fach und verachtet als künftiger Akademiker den Fahrgast ein wenig.

> Der Neuberliner aus fernen Landen

Er lebt gern in dieser Stadt und lobt uns Deutsche derart, dass es schon peinlich ist und einen an den Slogan »Am deutschen Wesen soll die Welt genesen« erinnert.

> Der gewesene Ost-Berliner

Er fühlt sich im Westteil der Stadt immer noch ein wenig fremd und fährt lieber von Schmöckwitz nach Pankow als von Wilmersdorf nach Kladow.

> Der ganz normale Mensch

An ihm fällt nur auf, dass nichts an ihm auffällt. Er macht vermutlich die absolute Mehrheit aus.

Steht »meine« Taxe endlich vor mir, habe ich mich zu entscheiden, ob ich auf dem Beifahrersitz Platz nehmen möchte oder im Fond. Vorn liegen meist Seltersflaschen und Zeitungen herum, die erst weggeräumt werden müssen. Zudem muss der Sitz etliche Zentimeter nach hinten gerückt werden, damit ich einsteigen kann. Wie auch immer, es ist ein komisches Gefühl, plötzlich mit einem wildfremden Menschen auf engem Raum eingesperrt zu sein. Sitzt man auf der Rückbank und der Fahrer schräg vor einem, ist es nicht ganz so schlimm. Aber auch dort ist man oftmals Gerüchen ausgesetzt, die an einen Zoobesuch erinnern. Mit der Nennung des Ziels gibt man nach dem Einsteigen ungewollt einen Stichpunkt für eine kleine Plauderei. »Schmöckwitz … Dahin sind wir immer zum Baden rausgefahren …«

Ab und an trifft man auf einen Fahrer mit ausgesprochener Logorrhö. Mir passiert das zumeist, wenn ich von einer anstrengenden Lesung komme und nur noch meine Ruhe haben will. Die einsilbigen Fahrer scheinen jedoch zu überwiegen. Viele schalten auch das Radio ein. Oft hören sie zu meiner Überraschung klassische Musik.

Von 1967 bis 1968 wurde aufgrund vieler Taxifahrermorde eine »Trennwandverordnung« in Kraft gesetzt, die vorschrieb, dass zwischen Fahrer- und Rücksitz eine Panzerglasscheibe eingebaut werden musste. Diese Konstruktion wurde von vielen verflucht, denn große Fahrer konnten ihren Sitz nicht mehr weit genug nach hinten schieben, im Sommer wurde es in beiden Abteilungen unerträglich heiß, und beim plötzlichen Bremsen verletzten sich die Fahrgäste nicht selten an der »Gedächtnisgondel«. Schnell verschwand der Unsinn wieder.

An einer »Halte«, an der viele Taxis auf Kunden warten, hat man die Qual der Wahl. Zwar kann man sich den Wagen aussuchen, in den man einsteigen will, man hat aber ein schlechtes Gefühl, wenn man nicht den ersten in der langen Schlange nimmt. Aber was macht man, wenn das nun ein kleiner Wagen vom Typ Schlaglochsuchgerät ist und man die schlechten Fahrbahnen kennt? Und wenn man nur eine kurze Strecke fahren will? Der Vorderste wartet vielleicht schon eine Stunde und bekommt dann eine Tour, bei der er nur fünf Euro zwanzig verdient. Soll man in solch einem Fall doch den Letzten nehmen, der nur zehn Minuten gewartet hat? Eine schwere Entscheidung …

Bei Regen, Glatteis oder wenn ich schlecht zu Fuß bin, bestelle ich mir telefonisch eine Taxe. Wenn ich dann nicht nach Frohnau, sondern nur zum Funkhaus am Hans-Rosenthal-Platz will, erlebe ich oft einen fluchenden oder aber den Tränen nahen Fahrer. Denn diese Fahrt bringt mit Trinkgeld nur sieben Euro. Da wage ich es erst gar nicht, den »Winketarif« in Anspruch zu nehmen.

Vor fünfzehn Jahren, als wir mit unserer kleinen Tochter unterwegs waren, gab es noch das Problem des Kindersitzes: Oft war keiner an Bord. Deshalb haben wir uns eigens für Taxifahrten einen gekauft. Aber ehe der dann auf der Rückbank sicher verankert war …

Bequemer als mit Bahn und Bus ist man mit der Taxe allemal unterwegs – aber auch schneller? Bestimmt nicht, wenn es zur Hauptverkehrszeit, der HVZ, durch die Innenstadt geht oder man nach Feierabend eine der Ausfallstraßen benutzen muss. Bei den vielen Staus nicht ausfallend zu werden ist schon verdammt schwierig.

Einmal, als ich mit einem schweren Koffer am Hauptbahnhof ankam und zu einem Termin nach Charlottenburg wollte, war die Tiergartenstraße so verstopft, dass ich den Taxifahrer bat, mich aussteigen zu lassen, um einen kleinen Spaziergang unternehmen zu können. Ich legte ihm einen Geldschein hin (»Als Anzahlung …«), und er hatte ja auch noch meinen Koffer an Bord. So bin ich dann mehr als einen Kilometer neben meiner Taxe hergelaufen und war zeitweise schneller als sie.

Im Tagesspiegel vom 15. Mai 2015 finden sich unter der Überschrift Och nee, det is mir zu weit Schilderungen von Lesern über ihre Erlebnisse mit Berliner Taxifahrern. Und da kommt einiges an Klagen zusammen: übermüdete Fahrer, schlechte Luft in Fahrzeugen, aggressives Verhalten Radfahrern gegenüber, geringe Ortskenntnisse, mieser Service, was das Ein- und Ausladen von Koffern betrifft, und die Ablehnung, Fahrgäste über kurze Strecken zu befördern.

Ich habe seit Jahren ein festes Prinzip: Hin, wenn es früh am Tag und hell ist, mit Bahn und Bus – zurück, wenn es spät und dunkel geworden ist, mit der Taxe.

Laut ADAC kostet ein Auto um die sechshundert Euro im Monat, das sind mehr als siebentausend Euro im Jahr. Dennoch gibt es Freunde und Verwandte, die oft zwei Autos besitzen, mich aber vorwurfsvoll ansehen, wenn ich mit der Taxe von ihnen nach Hause fahre und vierzig Euro zahlen muss. »So eine Verschwendung! Na, du musst es ja dicke haben!«, heißt es dann immer.

Mit Genuss in Taxe, Bahn und Bus

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