Читать книгу Mamsellenmord in der Friedrichstadt - Horst Bosetzky, Uwe Schimunek - Страница 6
Zwei
ОглавлениеChristian Philipp von Gontard lief die Dorotheenstraße in einem Tempo hinunter, das sich für einen Major der Königlich Preußischen Artillerie nicht schickte, aber traf er zu spät im Hörsaal ein, dann bekam er wieder Ärger. Nicht zu Unrecht hieß es: Fünf Minuten vor der Zeit ist des Soldaten Pünktlichkeit. Er bog links ab und hetzte auch durch die Schadowstraße, bis er endlich Unter den Linden angekommen war und den Komplex der Vereinigten Artillerie- und Ingenieurschule vor sich hatte. In der vertrat er das Fach Physik. Seine Zöglinge, alles gestandene Offiziere, erwarteten ihn mit einiger Spannung, und manche spotteten sogar, dass es ihnen so erginge wie dem Schüler in Goethes Faust : Ich bin allhier erst kurze Zeit, / Und komme voll Ergebenheit, / Einen Mann zu sprechen und zu kennen, / Den alle mir mit Ehrfurcht nennen. Seinen guten Ruf verdankte Gontard ebenso seinen profunden fachlichen Kenntnissen wie auch seinen Erfolgen bei der Aufklärung mysteriöser Verbrechen. Man klopfte geradezu enthusiastisch auf die Pulte, als er eingetreten war und seine Zuhörer begrüßt hatte. Diese Huldigung war ihm fast ein wenig peinlich, und so kam er schnell zur Tagesordnung, der gegenseitigen Vorstellung. Da hörte er manchen Namen, der ihm geläufig war und dessen Träger sich hervorgetan hatte, seit Albrecht der Bär die lange Liste der brandenburgisch-preußischen Fürsten eröffnet hatte, aber kein Stammbaum war derart verzweigt, dass er einen entfernten Verwandten vor sich hatte. »Und nun in medias res!«, konnte er endlich ausrufen und mit der Einführung in sein Fachgebiet beginnen, nachdem das Präludium eine gute halbe Stunde in Anspruch genommen hatte.
»Was uns in der Theorie primär interessiert, meine Herren, ist die Ballistik, die Lehre von den geworfenen Körpern. Sie ist ein Teilbereich der Physik und beschreibt die Vorgänge, die einen Körper betreffen, der sich durch den Raum bewegt. Als Begründer der Ballistik gilt der Italiener Nicolo Tartaglia, geboren 1499 oder 1500 in Brescia, gestorben 1557 in Venedig. Ihm verdanken wir die Entdeckung der Wurfparabel. Die Wurfparabel ist die Flugbahn, die ein Körper beim schiefen Wurf in einem homogenen Schwerefeld beschreibt, wenn man den Einfluss des Luftwiderstandes vernachlässigt. Der Scheitel der Parabel befindet sich dabei am höchsten Punkt der Flugbahn, die Parabel ist nach unten geöffnet. Die ballistische Kurve dagegen ist die von der idealen Wurfparabel abweichende Kurve unter Einfluss des Luftwiderstandes. Grund für die Parabelform ist die Tatsache, dass während des Fluges nur die Schwerkraft auf den Körper einwirkt. Zur Berechnung wird die Anfangsgeschwindigkeit in die zueinander senkrechten Komponenten x und y zerlegt, die unabhängig voneinander behandelt werden können. Die horizontale x-Komponente ist völlig unabhängig von der vertikalen y-Komponente, die nach oben gerichtet ist.« Er kam nun zu den mathematischen Formeln und registrierte ein allgemeines Aufstöhnen bei seinen Zuhörern. Sie hatten erwartet, dass es in seinem Unterricht vergnüglicher zugehen würde. Er brach ab und sah in die wenig amüsierten Gesichter. »Gibt es Fragen, meine Herren?«
Es meldete sich ein Offizier, der aus dem südlichen Brandenburg kam, sich als Georg von Glombeck vorgestellt hatte und der Schüler war, der Gontard am wenigsten gefiel. Warum das so war, hätte er nicht sagen können, aber in seinem Gesicht, das ihn an eine grinsende Bulldogge erinnerte, stand etwas zu lesen, das Gontard beunruhigend fand.
»Reden wir bei Ihnen auch über Raketen in der Artillerie?«, fragte Glombeck.
»Ja, aber erst am Ende des Semesters.«
Glombeck lachte. »Ah, Sie müssen sich erst auf dieses Thema vorbereiten.«
»Nein, ich muss nur schnell selber eine bauen, um Sie Ihnen vorzuführen.«
Damit hatte er die Lacher auf seiner Seite und konnte sich in sein Bureau zurückziehen. Für heute hatte er seine dienstlichen Pflichten erfüllt und nun endlich die Muße, sich seinen privaten Vergnügungen zu widmen - wenn es denn derzeit welche gegeben hätte. Weder zum Reiten noch zum Fechten trieb es ihn wirklich, und es gab auch kein mysteriöses Verbrechen aufzuklären. So blieb ihm nur das Flanieren und die Causerie, aber jetzt am frühen Nachmittag saß im Roten Zimmer des Café Stehely noch niemand, dessen Gesellschaft ihm zugesagt hätte. Schöngeistige Schwätzer, die es im Leben zu nichts gebracht hatten, waren ihm zuwider.
Gerade als er sein Bureau aufschließen wollte, kam ihm Werner Siemens entgegen. Der Seconde-Lieutenant der Artillerie aus Lenthe bei Hannover war am 1. Oktober 1842 zur Artilleriewerkstatt Berlin versetzt worden, nachdem man ihn begnadigt hatte. Ursprünglich war er aufgrund der Teilnahme an einem Duell zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt worden. Seit dem Tod seiner Mutter musste er als ältester Sohn gegenüber seinen Geschwistern die Vaterstelle vertreten, und das kostete so viel, dass sein staatliches Salär bei weitem nicht ausreichte. So sah er sich gezwungen, mit seinen Erfindungen einiges hinzuzuverdienen, so mit der Versilberung und Vergoldung von Metallen auf galvanischem Wege.
»Woran arbeiten Sie denn gerade?«, fragte Gontard, nachdem man sich kollegial-freundschaftlich begrüßt hatte. »Oder ist das noch ein streng gehütetes Geheimnis?«
»Nein, nein.« Siemens zögerte nicht, darüber zu reden.
»Im Augenblick versuche ich, den Zeigertelegraphen zu verbessern.«
»Was bitte?« Gontard musste da eine Bildungslücke eingestehen.
Werner Siemens holte zu einer längeren Antwort aus.
»Der Zeigertelegraph dient zur Übermittlung von Nachrichten Buchstabe für Buchstabe. Er ist ganz einfach zu bedienen. Im Geber wie im Empfänger kreist gleichlaufend ein Zeiger, der manuell eingestellt wird. Wenn der Zeiger bei dem sendenden Apparat verstellt wird, führt dies zu einer entsprechenden Verstellung des Zeigers bei dem Gerät, das die Nachrichten empfängt. So können die einzelnen Buchstaben eines Textes mühelos übermittelt werden.«
»Ah ja.« Gontard hatte verstanden. »Das ist ja viel einfacher als beim Morsetelegraphen. Man muss nicht erst das Morsealphabet lernen … zum Beispiel die Bedeutung von: dit, dit, dit - dit, dit - dit - da, da - dit - da, dit - dit, dit, dit.«
Siemens lachte und klatschte in die Hände. »Bravo – aber was wollten Sie mir damit sagen?«
»Es war Ihr Name, den ich da gemorst habe.«
»Ich will Ihnen einmal vorführen, wie so ein Zeigertelegraph funktioniert«, sagte Siemens. »Kommen Sie mit in meine Werkstatt!«
Dort angekommen, zeigte er Gontard die beiden Modelle, die er entscheidend zu verbessern suchte: den Zeigertelegraphen, den Charles Wheatstone 1839 konstruiert hatte, und das Gerät von August Ephraim Kramer aus Nordhausen.
»Mein Telegraph gebraucht nur einen Draht, kann dabei wie ein Klavier mit Tasten gespielt werden und übermittelt die Informationen mit der größten Sicherheit und mit einer solchen Schnelligkeit, dass man fast so schnell telegraphieren kann, wie die Tasten nacheinander gedrückt werden. Dabei funktioniert er lächerlich einfach und ganz unabhängig von der Stärke des Stroms«, erklärte ihm Siemens.
Gontard war beeindruckt. »Und Ihren Apparat, den werden Sie dann in einer Fabrik fertigen lassen?«
»Es gibt keine Fabrik, die dafür ausgerüstet ist«, erwiderte Siemens. »Die müsste man erst erschaffen. Und ob ich in Berlin Mechaniker dafür finden werde, ist fraglich.«
»Ich hoffe, das wird Ihnen gelingen«, sagte Gontard.
»Wenn erst alle Menschen solch einen Zeigertelegraphen bei sich zu Hause haben und jeder seine Gedanken derart rasant an alle weitergeben könnte!«
Siemens lächelte hintergründig. »Keine Angst, meine Zeigertelegraphen werden wohl nur in den Amtsstuben und bei der Königlich Preußischen Post zu finden sein.«
»Angst ist das falsche Wort«, murmelte Gontard. »Es ist wohl eher Hoffnung.«
»Unser König ist an mittelalterlichen Vorstellungen orientiert«, sagte Siemens. »Wir haben einen Romantiker auf dem Thron, aber der technische Fortschritt wird nicht aufzuhalten sein und damit …«
»… auch nicht die Revolution«, vollendete Gontard den Satz.
Damit verabschiedete er sich von Werner Siemens und machte sich auf den Weg zum Gensdarmen-Markt, wo er im Café Stehely seinen besten Freund, Dr. Friedrich Kußmaul, zu treffen hoffte.
Der Criminal-Commissarius Waldemar Werpel war schlecht gelaunt, ohne sagen zu können, weshalb. Vielleicht weil es Mai geworden war und er nur seine Minna hatte, mit der er auf die silberne Hochzeit zusteuerte. Acht Kinder hatten sie, und um das neunte zu verhindern, wagte er es schon gar nicht mehr, mit ihr das zu tun, was im Wonnemonat eigentlich nahelag.
Es wurde an die Bureautür geklopft - eigentlich mehr gebummert als geklopft –, und daran konnte Werpel erkennen, dass das nur der einfältigste unter seinen Constablern sein konnte.
»Krause, herein!«, schrie er.
Krause trat ein, knallte die Hacken zusammen und legte die Handkante an die Mütze. »Melde gehorsamst: Es ist eine furchtbare Bluttat geschehen.«
Werpel zuckte zusammen, denn das ließ Arbeit und Ärger erwarten. »Wen hat es denn getroffen?«
»Die Jolanthe aus der Brunnenstraße.«
Jetzt ließ Werpel doch das nötige Mitgefühl erkennen.
»Wie, die Mamsell vom Cigarrenhändler Krummrey?«
»Nein, die Sau vom Tillack.«
Werpel sprang auf. »Krause, wenn Sie mich veralbern wollen … Ich weiß, dass Tillack sein Schwein in dieser Woche schlachten wollte.«
»Ja, aba letzte Nacht is eena jekommen und hat et ihm abjeschlachtet.«
»Wegen des Fleisches?«, wollte Werpel wissen.
»Nee, wejen dem Blutrausch, spricht der Tillack. Sie soll’n bei ihm komm’n und sich det mal anseh’n.«
Werpel reagierte unwirsch. »Wieso denn immer ich? Das ist doch nicht unser Revier.«
»Aba se ham da nur een Commissarius, und der is krank. Und Tillack sagt, det is ’ne schwere Bluttat. Seine Sau is von Mörders Hand jemeuchelt wor’n.«
Werpel zog den Gürtel fester und nahm seinen Rock vom Kleiderhaken. »Los, marschieren wir mal hin!«
Vom Molkenmarkt bis zum Rosenthaler Thor war es ein ganzes Stück zu laufen, die Spandauer Straße entlang, über die Spandauer Brücke und den Hackeschen Markt hinweg und dann die Rosenthaler Straße hinauf.
Werpel schimpfte gewaltig. »Schon der Alte Fritz ist zwischen Rosenthaler Thor und Gesundbrunnen beinahe zu Tode gekommen.«
»Wieso?«, fragte der Constabler Krause. »Hat ihn da eine Kugel der Russen getroffen?«
»Unsinn!«, rief Werpel. »Das passierte 1758 in der Schlacht bei Zorndorf. In der Brunnenstraße ist er mit seiner Kutsche umgestürzt und hätte sich um ein Haar das Genick gebrochen.«
Als Folge des glimpflich verlaufenen Unfalls hatte der König die Straße zur 1760 eröffneten Heilquelle an der Panke, dem späteren Gesundbrunnen, erneuern lassen. Sie hatte zunächst den Namen Straße nach Rosenthal getragen, ab 1801 war sie als Brunnenstraße in den Stadtplänen verzeichnet. Zu Zeiten Friedrichs II. war außerhalb der Stadtmauer östlich vom Rosenthaler Thor Wein angebaut worden, während es westlich davon als Folge eines skrupellos abgeholzten Waldes eine ausgedehnte Sandwüste gegeben hatte. Hier war die Kolonie Neu-Voigtland entstanden. Gedacht als Siedlung für Handwerker aus dem Vogtland, war sie inzwischen zur letzten Zufluchtsstätte für Arme und Obdachlose geworden.
Theodor Tillack war ein Grundbesitzer, der aus billigstem Material eine Reihe von sogenannten Familienhäusern errichtet hatte, in denen es so kalt und feucht war, dass die Bewohner zwangsläufig krank werden mussten. Er selbst lebte auf Höhe von Wollanks Weinberg in einem kleinen Herrenhaus, an dessen Hof sich mehrere Stallungen anschlossen. Und in einem dieser Ställe war die Sau Jolanthe abgestochen worden.
»Das ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Sauerei!«, rief der dicke Tillack, als er Werpel und den Constabler Krause an den Tatort geführt hatte.
Jolanthe lag in einer Lache geronnenen Blutes, und Werpel zählte mehr als ein Dutzend Einstichlöcher.
»Das kann nur ein Irrer aus der Charité gewesen sein!«, rief er.
Der dicke Tillack sah ihn bedeutungsschwer an. »Das sieht ganz nach Rotkappe aus.«
»Wer ist Rotkappe?«, fragte Werpel.
»Rotkappe ist ein Kobold«, belehrte ihn Tillack. »Er hat Krallen und rotglühende Augen und tötet Menschen, um mit deren Blut die Farbe seiner Kappe immer wieder zu erneuern. Vertreiben kann man ihn nur mit einem Bibelzitat.«
Die Chance wollte sich der Constabler Krause nicht entgehen lassen. »In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott!«, rief er. »Der 31. Psalm.«
Werpel fasste sich an den Kopf. »Krause, Sie bringen mich noch ins Irrenhaus!«
»Da sollten Sie mal nachfragen, ob einer entwichen ist!«, sagte Tillack.
Werpel nickte, denn in der Tat sah es ganz danach aus, als hätte ein Irrer im Blutrausch auf Jolanthe eingestochen. »Vielleicht hat er sie für eine Frau gehalten.«
»Das wird es sein!«, rief Krause. »Vielleicht für die Mamsell vom Cigarrenhändler Krummrey?«
»Kann sein«, sagte Tillack, der die Dame kannte. »Die hat wirklich Ähnlichkeit mit einem rosigen Schweinchen und heißt auch Jolanthe.«
»Jetzt reicht es aber!«, rief Werpel, konnte jedoch nicht umhin sich vorzunehmen, zuerst beim Cigarrenhändler am Rosenthaler Thor und dann in der Charité gezielte Nachforschungen anzustellen.
»Was soll mit meiner Jolanthe werden?«, fragte Tillack, als sich Werpel verabschieden wollte.
»Soll ich vielleicht den Leichen-Commissarius holen lassen«, fragte Werpel, »dass sie anschließend ein Staatsbegräbnis kriegt?«
»Machen Se Wurscht aus ihr, Herr Tillack!«, sagte Krause lachend.
Tillack brummte etwas in seinen Bart, was ihm, hätte er es laut geäußert, eine Anzeige wegen Beamtenbeleidigung eingebracht hätte, und führte Werpel und seinen Constabler zur Straße zurück. »Gehen Sie mit Gott, dann gehen Sie mit keinem Spitzbuben.«
»Das wäre nur der Fall, wenn Sie mitkommen würden«, murmelte Werpel, der genau wusste, dass Tillack schon so manchen Menschen übers Ohr gehauen hatte.
Ihre erste Station war also der Tabakwarenhändler Krummrey, den sie baten, seine Hauswirtschafterin zwecks Befragung nach vorn ins Ladenlocal zu holen. Die Mamsell Jolanthe Junge erschien auch sogleich, konnte sich aber nicht erinnern, dass sie in letzter Zeit von einem Kerl lüstern angeguckt oder gar bedrängt worden wäre.
»Da war nüscht mehr, Herr Kumsargus, seit ick ma dem Bölzke ’n paar jescheuert habe.«
»Wer ist das, Bölzke?«
»Eena von die Eckensteha.«
»Nun gut.« Werpel machte sich eine Notiz und verzichtete auf irgendwelche Nachfragen. Sich in der Charité umzuhören erschien ihm erfolgversprechender.
In einem Flügel der Alten Charité, erbaut von 1785 bis 1800, war die größte Abteilung für Irre und Wahnwitzige im deutschen Raum entstanden, und Ernst Horn war als erster Professor für Psychiatrie in Deutschland berufen worden. Obwohl Horn der Ansicht gewesen war, dass Geisteskrankheiten körperliche Leiden waren, hatte er versucht, die Kranken mit Zwangsmaßnahmen wie Drehstuhl, Drehbrett und Tretmühle zu therapieren, aber auch dadurch, dass er sie für längere Zeit in einem Sack unterbrachte und damit isolierte. Seit 1828 leitete Karl Wilhelm Ideler unter weitgehender Übernahme dieser Behandlungsprinzipien die Irren-, Deliranten-, Krampfabteilung der Charité. 1834 war man in die Neue Charité umgezogen, ohne dass sich die Bedingungen verbessert hätten.
»Wer hier landet, kann jede Hoffnung fahrenlassen«, sagte Werpel, als sie das Gebäude betraten.
»Denn vadufte ick mal lieba!«, rief Krause. »Sie brauchen mir ja nich mehr.«
Werpel ließ ihn ziehen. Die Gefahr, sich mit ihm bei Professor Ideler zu blamieren, erschien ihm zu groß.
Karl Wilhelm Ideler, der aus Bentwisch bei Wittenberge stammte, war mit seinem Grundriss der Seelenheilkunde, erschienen 1835, bekannt geworden. Werpel ließ sich von einem Assistenten bei ihm melden. Nach einer Viertelstunde wurde er vorgelassen.
»Was führt Sie zu mir?«, fragte Ideler.
Werpel fühlte sich gar nicht wohl dabei, wie ihn der Irrenarzt musterte, und redete deswegen ein wenig wirr.
»Ja, wegen der Rotkappe … Die soll die Jolanthe abgestochen haben. Also die Sau vom Tillack. Das soll ein Kobold gewesen sein. Nicht der Tillack, das ist ein Grundbesitzer, sondern der Mann, der seine Sau …«
»Machen Sie sich einmal frei!«, befahl ihm der Professor.
»Ich bin kein Irrer«, rief Werpel, »ich bin Criminal-Commissarius!«
»Ja, ja, gestern war einer hier, der hat sich als Kronprinz Wilhelm ausgegeben«, sagte der Assistent.
Es dauerte Minuten, bis das Missverständnis ausgeräumt worden war und Werpel endlich fragen konnte, ob man einen Insassen vermisse, dem zuzutrauen sei, Tiere, insbesondere Schweine, abstechen zu wollen. »Vielleicht um sich in einen Blutrausch zu versetzen.«
»Nein, von unseren Kranken ist keiner entwichen«, antwortete Ideler. »Aber derjenige, von dem Sie berichten, dass er auf das Schwein eingestochen hat, wird alsbald bei uns eingeliefert werden. Denn unser Gott bestraft alle Sünden, und sei es dadurch, dass er einen Menschen irre werden lässt und damit auf die unterste Stufe des Menschseins setzt.«
Als Werpel die Charité verließ, war er noch immer etwas verstört.
Bäume gab es nur wenige auf Berlins Straßen und Plätzen, da aber, wo sie zu finden waren, Unter den Linden zum Beispiel, im Thiergarten oder an den Ufern der Spree, erfreuten sie das Auge mit ihrem frischen hellen Grün. In so manchem Hof blühten die Apfel-, Kirsch- und Birnbäume, und wenn die Fenster offen standen, um die reine Frühlingsluft in die muffigen Zimmer zu lassen, hörte Gontard die Kinder singen:
Der Mai ist gekommen
Die Bäume schlagen aus,
Da bleibe, wer Lust hat,
Mit Sorgen zu Haus!
Wie die Wolken wandern
Am himmlischen Zelt,
So steht auch mir der Sinn
In die weite, weite Welt.
Das Lied war neu, die Musik stammte von Justus Wilhelm Lyra, der Text von Emanuel Geibel, dem Liebling des Königs. Trotzdem hörte Gontard es gern, und die letzte Zeile ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Auch ihm stand der Sinn nach der weiten, weiten Welt, vor allem nach Amerika. Immer wieder trug er sich mit dem Gedanken auszuwandern, dem engstirnigen Preußen zu entfliehen, wo alles demokratische und liberale Denken, wenn es laut geäußert wurde, mit Verbannung oder Festungshaft endete. Das Verfassungsversprechen, das Friedrich Wilhelm III. im Jahre 1815 gegeben hatte, war auch dreißig Jahre später noch nicht eingelöst worden. Kein Wunder war es also, dass das Auswanderungsfieber in Preußen ebenso wie in den anderen deutschen Landen immer weiter um sich griff, hervorgerufen natürlich auch durch die elende Lage, in der sich Arbeiter und Handwerker befanden, und die Tatsache, dass immer nur der älteste Sohn einen Bauernhof erben konnte.
Gontard hatte den richtigen Animus gehabt: Kußmaul saß schon im Café Stehely, blätterte in einem Roman und wartete auf ihn. Man begrüßte sich mit gewohnter Herzlichkeit.
»Was liest du denn da?«, fragte Gontard.
Kußmaul lachte. »Das, was die bevorzugte Lektüre unseres Königs ist: August Lafontaines Klara du Plessis und Klairant. Eine Familiengeschichte französischer Emigrierter.«
Gontard verzog das Gesicht. »Lafontaine ist ein eitler und oberflächlicher Schwätzer.«
August Heinrich Julius Lafontaine, 1758 in Braunschweig geboren und 1831 in Halle an der Saale gestorben, war von Haus aus Theologe und 1792 dem preußischen Heer als Feldprediger in die Champagne gefolgt. Danach hatte er sich auf sein Landgut zurückgezogen, über sechzig triviale wie auch sentimentale Romane verfasst und es zu einem der meistgelesenen Schriftsteller in den deutschsprachigen Ländern gebracht.
Der Freund verteidigte seine Lektüre. »Ich muss mich mit den Hugenotten vertraut machen, denn Luise ist nicht wenig stolz auf ihre Herkunft.«
Diese Bemerkung bezog sich auf seine Braut Luise Kahlbaum, deren Großmutter eine Cathérine Gillieux gewesen war. Sie konnten dieses ergiebige Thema aber nicht weiter vertiefen, denn in diesem Augenblick trat Kußmauls Bruder Adolf an den Tisch. Er hatte gerade sein medicinisches Staatsexamen abgelegt und war in Heidelberg Assistent von Karl von Pfeufer geworden.
»Pfeufer ist ein interessanter Mann«, erklärte er. »Vor zwei Jahren hat er die Zeitschrift für rationelle Medicin mitbegründet. Gemeinsam haben wir uns die Aufgabe gestellt, physiologische und pathologische Tatsachen auf physikalische und chemische Prozesse zurückzuführen.«
»Und was ist mit der Seele?«, fragte Gontard.
»Haben Sie jemals eine Seele gesehen? Hat Daguerre jemals eine Seele auf seine photographischen Platten gebannt?«, kam die Gegenfrage.
So uneinig sie sich in dieser Frage waren, so einig waren sie sich in der Einschätzung der politischen Lage und in der Forderung nach einer demokratischen Verfassung.
»Aber die bekommen wir nicht unter diesem König«, sagte Adolf Kußmaul. »Bei Friedrich Wilhelm IV. kann ja die Abneigung gegen alle Reformen nur als pathologisch bezeichnet werden.«
»Pst!«, machte Gontard, denn die Politische Polizei hatte ihre Schnüffler überall sitzen.
»Hoffen können wir nur auf den Sohn unseres Königs«, erklärte Friedrich Kußmaul.
Sein Bruder staunte. »Ich denke, er ist impotent?«
»Pst!«, wiederholte Gontard und fügte in Richtung eines Mannes, den er für einen Spion Dr. Wiesenburgs hielt, laut hinzu: »Unser König hat die Kraft, das wilde Tier der Revolution zu bändigen.«
»Und zwar mit Hilfe des Herrn von Bunsen«, fügte Adolf Kußmaul hinzu.
Der König hatte den Theologen, Philosophen und Weltmann Christian Karl Josias von Bunsen 1828 auf einer Italienreise kennen und schätzen gelernt. Bunsen, damals preußischer Ministerresident beim Heiligen Stuhl, wurde verspottet, dass er - wie der König auch - unter dem Verhängnis einer vielseitigen Begabung litte, die Großes versprechen und stolze Entwürfe hervorbringen würde, ohne dass es aber je zu einem vollendeten Werk gereicht hätte.
»Alles liegt in Gottes Gnade«, sagte Friedrich Kußmaul in Anspielung darauf, dass sich Friedrich Wilhelm IV. immer wieder auf sein Gottesgnadentum berief. »Fatal ist es allerdings, wenn dieser Gott die Zeichen der Zeit partout nicht erkennen will.«
Ihr Diskurs wurde unterbrochen, als aus der Küche die Mamsell Johanna Kuschnowski herbeigeeilt kam, um sich bei Dr. Friedrich Kußmaul zu bedanken.
»Sie haben mir wirklich jeheilt, Herr Jeheimer Sanitätsrat!«, rief sie und schüttelte dem ein wenig entsetzten Arzt die Hand. »Et is würklich nüscht mehr zu sehen von allet. Mir war ja dreiste schon mein Bräutijam wegjeloofen, denn alßa mir mal anjefasst hat, da …«
»Lassen Sie’s gut sein, mein verehrtes Fräulein!« Friedrich Kußmaul war wenig erbaut davon, dass der Fall hier in aller Öffentlichkeit diskutiert werden sollte, denn die korpulente Mamsell hatte unter einem mächtigen Herpes zoster gelitten, den er mit seiner medicinischen Kunst nicht in den Griff bekommen hatte, so dass er sie in seiner Hilflosigkeit zu einer alten Frau geschickt hatte, die sich auf das Besprechen von Gürtelrosen verstand - und Erfolg gehabt hatte. Das musste sein Bruder aber nicht unbedingt wissen.
Gontard grinste und empfahl sich. »Ich muss noch zu Willibald Alexis. Er feiert mit seinen Freunden aus der Mittwochgesellschaft das Erscheinen seines neuesten Romans - Die Hosen des Herrn von Bredow.«
Willibald Alexis war am 29. Juni 1789 in Breslau auf die Welt gekommen, in der Stadt, aus der dem Volksmund zufolge jeder echte Berliner kam. 1806 war er mit seiner Mutter nach Berlin gezogen, 1815 hatte er als Freiwilliger an den Befreiungskriegen teilgenommen. Danach hatte er begonnen, Rechtswissenschaft und Geschichte zu studieren, unter anderem bei Friedrich Carl von Savigny und Friedrich von Raumer, und war 1820 Referendar am Criminalsenat des Kammergerichts geworden. Nach dem Erfolg seiner ersten Romane schied er aus der Beamtenlaufbahn aus und errang mit Cabanis, in dessen Mittelpunkt Friedrich der Große stand, mit Der Roland von Berlin und mit Der falsche Waldemar einen Erfolg nach dem anderen. Alle seine Stoffe waren der märkisch-brandenburgischen und preußischen Geschichte entnommen. Eigentlich hieß er Georg Wilhelm Heinrich Häring, aber um zu vermeiden, dass man Witze über seinen Namen machte, hatte er sich ein Pseudonym zugelegt. Seit 1836 lebte er in der Friedrichstadt, genauer in der Wilhelmstraße 97, also zwischen Leipziger und Zimmerstraße. 1838 hatte er Laetitia Perceval geheiratet, deren Vorfahren aus England stammten. Sein Haus war zu einem Treffpunkt des literarischen Berlin geworden.
Nun hatte Christian Philipp von Gontard nichts weiter geschrieben als ein kleines Gedicht zum dreißigsten Geburtstag seiner Frau, aber Henriette war über drei Ecken mit der Familie der Edlen Herren Gans zu Putlitz verwandt, und der Schriftsteller und Theatermann Gustav Gans war mit Willibald Alexis befreundet und hatte Gontard im letzten Winter zu einem Treffen mitgenommen.
Auch heute wieder hatte sich eine illustre Gesellschaft in der Wilhelmstraße versammelt, an ihrer Spitze Ludwig Tieck und Julius Eduard Hitzig, dann Konrad von Sandkirchen, ein hoher Beamter des Hofes, und Daniel Grahsen, ein Schreiber der Vossischen Zeitung.
Auf dessen Wohl hob Willibald Alexis sein Glas. »Herzlichen Dank für Ihre Wertschätzung meiner Romane und in der Hoffnung, dass auch Die Hosen des Herrn von Bredow Ihre Wertschätzung finden werden.«
Grahsen verneigte sich. »Ehre, wem Ehre gebührt.« Gontard hatte gelesen, was Grahsen geschrieben hatte:
Alle seine Romane sind von wärmsten Patriotismus durchdrun gen und bieten meisterhaft ausgeführte geschichtliche Zeit und Sittenbilder, so dass Willibald Alexis mit Recht der märkische Walter Scott genannt worden ist.
»Hoffentlich hat es der König auch gelesen«, sagte Julius Eduard Hitzig.
Das war eine Anspielung auf einen Brief, den der König Willibald Alexis geschrieben hatte, nachdem er mit seiner harten Kritik an der Zensur bei Hofe unangenehm aufgefallen war.
Es fiel noch keinem Regenten von Neapel ein, den Krater des Vesuv zu verstopfen, weil er Feuer speit - so hatte Willibald Alexis in der Vossischen Zeitung die preußische Zensur gegeißelt. Pressefreiheit liege nun einmal im Blut, in der Luft, in der Vernunft.
Der Brief des Königs war nicht weniger eindeutig gewesen: Mit Widerwillen habe ich einen Mann von Ihrer Bildung und literarischer Bekanntheit in der Klasse derer gefunden, die es sich zum Geschäft machen, die Verwaltung des Landes durch hoh le Beurteilung ihres Tuns, durch unüberlegte Verdächtigung ihres nicht von ihnen begriffenen Geistes vor der großen meist urteils losen Menge herabzusetzen und dadurch ihren schweren Beruf noch schwerer machen.
Gontard sah Konrad von Sandhausen, den Obergewandkämmerer Friedrich Wilhelms IV., an. »Was sagen Sie denn dazu, dass der Romantiker auf dem Thron einen Mann, den andere anklagen, er verherrliche die Hohenzollern und die Preußen, derart abkanzelt? Einen überzeugten Monarchisten!«
Der Hofbeamte wand sich ein wenig. »Bitte verstehen Sie, dass der König keine Verfassung zwischen sich und dem Volke dulden will. Er hat die Gnade Gottes, und der Herr weist ihm jedes Mal den rechten Weg, das Volk aber kann niemals wissen, was richtig ist.«
»Weil es seit Jahrhunderten dumm gehalten wird«, sagte Grahsen.
»Mit Verlaub, mein Herr, Preußen hat bereits 1717 die allgemeine Schulpflicht eingeführt.«
»Ohne jedoch auf dem flachen Lande ausreichend für Schulen und Lehrer zu sorgen. Abgehalfterte Feldwebel werden auf die Kinder losgelassen.« Grahsen erregte sich immer mehr.
»Denken Sie aber an die Bildungsreformen Wilhelm von Humboldts«, hielt ihm von Sandhausen entgegen, »und an unser humanistisches Gymnasium!«
Ludwig Tieck beteuerte mit schwacher Stimme, dass der König ein guter Mann sei.
»Kein Wunder«, sagte Gontard, »hat er Sie doch vor vier Jahren als König der Romantik von Dresden nach Berlin zurückgeholt.«
»Wie?« Tieck, immerhin schon 73 Jahre alt, ging es gesundheitlich sehr schlecht, und Willibald Alexis hatte viel Mühe aufwenden müssen, ihn zum Besuch in der Wilhelmstraße zu bewegen. Sein letzter großer Roman, Vittoria Accorombona, der vom Untergang einer römischen Familie handelt, war schon vor sechs Jahren erschienen, und er schien langsam zu verstummen.
Jeder bekam nun aufgetragen, auf die Stellen einzugehen, die ihm in Willibald Alexis’ neuestem Roman am besten gefallen hatten, und Gontard wurde als Erster aufgerufen. Schnell hatte er im aufgeschlagenen Buch seine Passage gefunden:
Überall war Ordnung und das wartende Auge der Hausfrau sicht bar. Jeder, Mägde, Knechte, Töchter, Verwandte und Freunde, bis auf die Hunde hinab, schien sein besonderes Geschäft zu haben. Die begossen mit Kannen, die schöpften aus dem Fließ, die trugen das Wasser. Jene nestelten an den Stricken, welche zwischen den Kieferstämmen angespannt waren; sie prüften die Klammern, sie sorgten, dass die nassen Stücke sich nicht überschlugen. Dort hingen gewaltige Kessel über ausgebrannten Feuerstellen, und daneben standen Tonnen und Fässer. Aber diese Arbeit schien vorüber; nur auf den einzelnen Waschbänken, die in das schilfige Ufer des Fließes hineingebaut waren, spülten noch die Mägde mit hochaufgeschürzten Röcken und zurückgekrempelten Ärmeln. Es war die feinere Arbeit, die man bis auf die Letzt gelassen, die jede für sich mit besonderer Emsigkeit betrieb. Da gab es mancherlei Neckereien zwischen dem Schilf. Wollte aber ein Mann in die Nähe dringen, ward er unbarmherzig bespritzt.
»Das erinnert mich sehr an Szenen aus meiner Heimat«, sagte Konrad von Sandhausen, als ein jeder um Kommentare gebeten wurde. »Bei uns wurde immer am Flusse Szeszuppe gewaschen.«
Julius Eduard Hitzig schüttelte sich. »Wenn ich einen Fluss vor Augen habe, denn sehe ich immer nur eine Wasserleiche stromabwärts treiben.«
»Das ist eben Ihre professionelle Deformation«, hielt ihm Grahsen vor.
Das bezog sich darauf, dass Julius Eduard Hitzig, 1780 in Berlin als Isaac Elias Itzig auf die Welt gekommen, vor dem Ruhestand dem Staat als Justizbeamter, Director des Inquisitoriats und Mitglied im Criminal-Rat gedient hatte und neben Zeitschriften zur Strafjustiz auch - gemeinsam mit Willibald Alexis - den Neuen Pitaval herausgab, in dem Hunderte von Criminalfällen veröffentlicht wurden.
Hitzig konnte nichts mehr erwidern, denn in diesem Augenblick brachte die Mamsell einen kleinen Imbiss ins Zimmer, und die Herren schwiegen erst einmal, denn mit vollem Munde sprach man nicht. Danach wurde munter weiterdebattiert, bis Ludwig Tieck die Augen zufielen und mit ihm auch Daniel Grahsen und Konrad von Sandhausen die gastliche Stätte verließen. Gontard, Hitzig und sieben andere Männer blieben noch. Zwei weitere Stunden vergingen, und als Letzter war Julius Eduard Hitzig an der Reihe. Er hatte sich eine recht deftige Stelle ausgesucht.
»Wer wäscht die Nebel fort am Herbstmorgen, wer das schmutzi ge Winterkleid der Erde, und der Frühling steht da vor dem Herrn in seinem reinen Blumenkleide, von würzigen Düften umsäuselt. Des Menschen Hand hat nichts dazu getan.«
»Dechant, ich meine, in jedem guten Haus ist Reinlichkeit die erste Tugend, und wer sich auf Erden nicht gewaschen hat, der kommt auch nicht rein in den Himmel. Wie’s in einem geistlichen Haus steht, das weiß ich nicht, dafür lass ich andere sorgen. Aber wenn ich zu sorgen hätte, wisst Ihr, was ich täte?«
»Nur zu, Base,«, rief der Junker, die Hände reibend, »steckt ihn in den Waschkessel!«
»Ach was, ihn allein! Das müsste ein Kessel sein wie der Müggelsee, und die ganze Klerisei hinein mit allen euren Salben und Öl, Äbte, Bischöfe, Klöster, Nonnen und Mönche. Und Lauge dazu, bitter salzige, und umrühren wollte ich.«
»Kochen, Base! Ein Feuer darunter, das der Gottseibeiuns heizen müsste, sonst werden sie nicht rein.«
»Das Wasser würde schwarz werden schon von euren kleinen Verstecksünden, von der Eitelkeit, der Hoffart, dem Fraß, der Gleisnerei und Spiel und Trunk. Aber Wasser ist genug in der Mark. Abgeschäumt, ich würfe euch in einen neuen See. Da sötte ich aus eure Fleischessünden, doch das ist noch nicht das Größte, eure Habsucht und Herrschsucht und wie ihr verredet und verlästert, und nun wieder umgerührt.«
»Da kann ich den König schon verstehen, lieber Willibald Alexis, dass er Sie nicht sonderlich schätzt«, begann Gontard die Diskussion dieser Textpassage. »Da hat er gerade für die Katholiken den Weiterbau des Kölner Doms auf den Weg gebracht und will nun uns Protestanten mit einem gewaltigen Berliner Dom beglücken - und Sie polemisieren gegen den geistlichen Stand. Da möchte man doch …«
Weiter kam er nicht, denn in diesem Augenblick kam Laetitia Perceval völlig aufgelöst ins Zimmer gestürzt und rief, ehe sie in Ohnmacht fiel: »Man hat unsere Mamsell erstochen! Im Keller! Schrecklich zugerichtet liegt sie da in ihrem Blut.«