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„Mir gefällt die Blondine“, sagte der borstenhaarige Mann. „Mon Dieu, was für ein Weib!“ Er sprach dieses kehlige Cajun-Französisch, das die Leute in der Umgebung vom Klang her wohl kannten, aber nicht verstehen konnten.

Der andere setzte das Fernglas an die Augen und spähte über ein paar taugend Publikumsköpfe hinweg zur Bühne. Die schwarzhaarige Musikerin, die gerade ihre Geige stimmte, war keine geringere Klasse. Was ihn ärgerte, war die selbstherrliche Art seines Bruders.

„Dann werden wir uns wohl um Blondy streiten müssen“, knurrte er herausfordernd. Der Borstenhaarige grinste, hob seine Bierdose und schlürfte den lauwarmen Rest. „Abwarten, wer bei den Puppen zuerst am Ball ist.“

Der andere lachte plötzlich. „Mann, da hast du keine Chance, Bruderherz! Von Musik verstehe ich mehr als du!“ Er sprang auf, hob die Linke über den Kopf, legte die Rechte in die Hüfte, drehte sich tanzend im Kreis und brüllte in schaurigem Englisch: „There’s a yellow rose in Texas that I am goin’ to see …“

Im Umkreis von zehn Yards drehten sich nach und nach alle um. Auf Decken und Gummikissen unter freiem Himmel hockend, beobachteten sie den sehnigen Mann in Jeans und Shirt, der mehr hüpfte als tanzte und dazu sein Lied zum Besten gab. Die meisten fingen an zu grinsen. Vereinzelt klang Applaus auf.

Eustache Pavageau, der Borstenhaarige, wurde rot vor Wut.

„… no other soldier knows her. No soldier, only me!“ Hilaire Pavageau, der Tanzende, stieß einen langgezogenen schrillen Schrei aus, so, wie er sich den Freudenschrei eines einsamen Cowboys vorstellte, der nach Wochen auf dem Trail endlich eine Stadt mit all ihren Annehmlichkeiten vor sich sah.

„Schluss jetzt!“, fauchte Eustache. „Lass den Unsinn, Hilaire!“

Hilaire hörte nicht.

„She cried so when I left her, it nearly broke my heart …“

Die ersten Jugendlichen in der Nähe klatschten im Takt mit. Dann fielen auch Ältere mit ein. Anfeuernde Rufe erschollen.

Und Hilaire Pavageau ließ sich anfeuern. Erneut stimmte der Schrei des einsamen Reiters an, und er drehte sich schneller. Die Girls auf der Bühne schienen auch bereits aufmerksam zu werden. Er war auf dem besten Weg, seinem Bruderherz den Rang abzulaufen. Er grölte seinen Text weiter.

„And if I ever find her, we never more will part!“

Eustache schleuderte die leere Bierdose. Das Leichtmetallgeschoss traf Hilaire mit einem dumpfen Laut am Kopf.

Der Sehnige tat, als erstarrte er jäh. Ruckartig fasste er sich mit beiden Händen an die Stirn und in den dunkelblonden Haarschopf. Nur noch sein Schnauzbart war zu sehen. Er stöhnte laut und wie unter furchtbaren Schmerzen. Dann sank er mit einer schraubenden Bewegung in sich zusammen, ächzte noch einmal und streckte sich auf der bunten Decke neben dem Karton mit den Bierdosen und der angebrochenen Stange Zigaretten aus.

Erneut gab es Applaus für Hilaires filmreife Darstellung.

Auf der Bühne, einem großen hölzernen Podium mit einem Dach aus hellem Segeltuch, fand die erste Mikrofonprobe statt. An beiden Seiten türmten sich Lautsprecherboxen gut drei Yards hoch. Jessica James, Belle Fortune und die Band waren vollzählig versammelt.

Das Interesse an den ungleichen Brüdern ließ nach. Eustache, den hässlicheren der beiden, hatte ohnehin kaum jemand beachtet. Er zog die zusammengerollte Baskenmütze aus der Beintasche seiner Army-Hose. Umständlich rückte er die flache Kopfbedeckung auf seinem Borstenhaar zurecht. Über den Muskeln seines Oberkörpers spannte sich ein weißes T-Shirt mit Schmutzflecken. Das untere Ende seiner Hose steckte in Springerstiefeln, die nachlässig geschnürt waren.

Eustache packte seinen Bruder am Oberarm und riss ihn hoch. Die grauen Augen des Borstenhaarigen funkelten schmal und tückisch. „Es reicht jetzt“, sagte er leise und drohend. „Willst du hier den großen Houdini spielen, oder was? Am besten schreist du gleich in der Gegend herum, was wir vorhaben. Kann ja jeder wissen, oder?“ Er schüttelte wütend und verständnislos den Kopf.

Hilaire zog die Brauen zusammen. „Wer hat denn angefangen!“, knurrte er beleidigt. „Du hast es doch rausposaunt, dass du die Blondine haben willst, die süße Jessica!“

Eustache winkte mürrisch ab. „Den Unterschied zwischen Spaß und Ernst kapierst du wohl nie. Und dass einer, der nur so tut als ob, meistens nie ernst macht, begreifen die meisten Leute, bloß du natürlich nicht.“

„Non“, entgegnete Hilaire entschieden. „Was bei dir Spaß ist und was nicht, habe ich noch nie richtig kapiert.“

Ihr Wortwechsel ging im Lärm unter. Das Publikum, gut zehntausend Personen stark, stimmte einen Beifallschor an, als Jessica James probeweise ein paar Gitarrenakkorde anschlug. Belle Fortune, die dunkelhäutige Kreolin mit der aufregenden Figur, steuerte schmachtende Geigentöne bei. Die übrigen Mitglieder der „Yellow Rose Ramblers“ hatten ihre Instrumente bereits gestimmt: Barney Wellman am Piano, Geo Delbert an der Rhythmusgitarre, Dennis Huffman am Bass und Calvin Kyles am Schlagzeug.

Jessica James trat an den vorderen Rand der Bühne, hielt die Gitarre am Hals und hob beide Arme zur Begrüßung. Das Johlen des Publikums verdoppelte seine Lautstärke. Zu ihrem seidenweichen blonden Haar trug Jessica einen weißen Hosenanzug; die bestickte und fransenbesetzte Jacke und die hochhackigen Boots vermittelten gerade so viel Western-Stil, wie nötig war. Jessicas richtiger Name war Brenda Johnson, aber die wenigsten ihrer nach Millionen zählenden Fans wussten das. Die Zeitschriften nährten immer wieder das Gerücht, Jessica sei entfernt mit dem legendären Western-Helden Jesse James verwandt. Ihr Promotion-Büro in Dallas hatte wesentlichen Anteil daran, dass dieses Gerücht überhaupt entstanden war.

„Hi, Freunde des Country-Swing!“, rief Jessica mit ihrer rauchigen Stimme und winkte ins Publikum.

Zehntausend Stimmen formierten sich zu einem donnernden: „Hi, Jessica!“

Jessica James schwenkte das Mikrofon mit der freien Hand und hob es wieder vor den Mund. „Sieht so aus, Freunde, als ob ihr hier in Tyler große Stücke auf texanische Rosen haltet!“

„Yeah, Jessica!“, dröhnte der Zehntausender-Chor“

Hilaire Pavageau bekam vor Stolz rote Ohren.

,Texas Rose Festival“ hieß das berühmte Open-Air-Ereignis in Tyler, Ost Texas. Und jede Band, die vor den Publikumsmassen auftrat, steuerte traditionsgemäß ihre Version des alten Soldatenlieds bei.

„The Yellow Rose of Texas!“, rief Jessica James. „Was haltet ihr davon, wenn wir euch diesen Song zuerst liefern?“

Das zustimmende Gebrüll steigerte sich noch einmal.

Jessica lächelte, winkte noch einmal und schob das Mikro in die Stativhalterung. Sie hängte die Gitarre um und gab der Band das Zeichen. Die Rhythmusgruppe setzte sanft swingend ein, und Barney Wellman leitete mit einem lässig synkopierten Vorspiel zum Gesang über. Jessica und Belle sangen das Lied im Duett. Ihre Stimmen ergänzten sich in jenem etwas heiser wirkenden Alt, der das Publikum schon nach den ersten Takten zur Begeisterung hinriss. Der Rhythmus, den die Band lieferte, ging den Zuhörern in die Beine. Hilaire Pavageau war versucht, aufzuspringen und einen neuen Tanz zu starten. Aber er ließ es, nachdem er seinem Bruder einen Seitenblick zugeworfen und dessen drohende Miene gesehen hatte.

Nach der Referenz an die texanischen Folklore-Traditionen ging die Band zu jenen Eigenkompositionen von Jessica James und Barney Wellman über, durch die sie berühmt geworden war.

Tödliche Tournee

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