Читать книгу Fahr zur Hölle, Reiniger! N.Y.D. - New York Detectives - Horst Friedrichs - Страница 7
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ОглавлениеBount Reiniger glaubte, dass sie ihn umrennen wollten. Drei Kerle. Sie stürmten aus der Bar in die große Lobby des Hotels an ihm vorbei, als wäre er Luft. Er wirbelte herum, denn er erkannte die Absicht an dem, was sie unter den eleganten Jacketts hervorholten. Maschinenpistolen, klein und handlich.
Und die Lobby war voll von Menschen. Eine Touristengruppe von jenseits des Atlantik wurde von einem deutsch sprechenden Reiseführer auf die New Yorker Alltagsgefahren hingewiesen. Eine Schulklasse, dem Akzent nach aus dem Mittleren Westen, lärmte um ihren Lehrer herum, der vergeblich versuchte, etwas zu erklären. Ein grauhaariges Ehepaar durchsuchte Taschen und Koffer verzweifelt nach Schlüsseln oder Papieren. Bedienstete eilten zwischen Fahrstühlen und Rezeption hin und her.
Die Eleganten mit den MPis spazierten in das Durcheinander und schwärmten aus ...
Bount Reiniger zog die Automatic.
»Halt, stehenbleiben!«, brüllte er, obwohl es Wahnsinn war, mit der 38er gegen drei Maschinenpistolen angehen zu wollen.
Alles starrte ihn an. Sogar die Schulkinder aus dem Mittleren Westen. Und das ältere Ehepaar unterbrach seine Sucharbeit. Nur die MPi-Schießer taten, als ginge sie die ganze Sache nichts an.
Einer marschierte auf die Rezeption zu und hämmerte die erste Bleigarbe in die Schlüsselfächer hinter dem Tresen. Schreie gellten. Die Bediensteten warfen sich hin.
Auch die beiden anderen Kerle feuerten jetzt. Das Hämmern der Schüsse hallte von den hohen Wänden zurück und verdichtete sich zu einem Donnern. Panik entstand.
Die Schreie vermehrten sich. Menschen hasteten durcheinander. Einige, so das ältere Ehepaar, ließen sich einfach zu Boden sinken. Die meisten aber behinderten sich gegenseitig und steigerten das Durcheinander mit ihren Angstschreien zum Chaos.
Die Schießer jagten ihr Blei in Wandschränke, Vitrinen und Bilder. Sie zerschossen Blumenvasen und stanzten in Polstermöbel faserige Lochmuster. Der Lärm von zu Bruch gehendem Glas, Porzellan und Steingut erreichte fast den Geräuschpegel der Schüsse.
Bount war nicht der Typ, der immer und überall im Mittelpunkt stehen wollte. Es störte ihn jedoch mächtig, dass die Kerle ihn nach wie vor nicht beachteten. Sie fühlten sich als die Herren der Szene. Klar, dass sie genau ausgerechnet hatten, wie viele Minuten sie zur Verfügung hatten, bis jemand die Cops alarmierte.
Bount drang in das Gewühl und das Geschrei vor. Zehn Schritte. Dann hatte er freies Feld zwischen sich und dem Kerl, der sich auf das Zertrümmern von Blumenbehältern spezialisiert hatte.
Es schien ihm geradezu diebische Freude zu bereiten, eine Bodenvase nach der anderen mit kurzen Feuerstößen zu zerhacken. Porzellan und Steingutsplitter flogen, und Leute, die davon getroffen wurden, schrien gellend, obwohl sie nur Schrammen abkriegten.
Bount jagte dem Schießer eine Kugel über den Kopf hinweg. Das trockene Bellen der Automatic hob sich scharf und deutlich vom Hämmern der MPi’s ab. Der Vasenhasser ruckte herum. Seine MPi flog in die neue Visierlinie. Eine Linie, die für Bount Reiniger tödlich sein konnte.
Er feuerte um einen Sekundenbruchteil eher. Die MPi-Garbe des Gangsters wanderte hoch und sägte Putz aus der Decke.
Erst jetzt wurden die anderen aufmerksam. Sie ließen das Trümmerfeld außer Acht, das sie schon fabriziert hatten. Sirenen heulten in fernen Straßenschluchten.
Bount feuerte Warnschüsse ab, hoch genug, um ihnen nur zu erklären, dass er sich nicht verkriechen würde. Noch während er die zweite Kugel hinausjagte, warf er sich hinter einen von Scherben umkränzten Erdhügel, aus dem eine traurig schiefhängende Washingtonia Palme ragte.
Nur ein kurzer Feuerstoß war die Reaktion der Kerle. Die vier oder fünf Kugeln fetzten durch die faserigen Palmenblätter und wurden von einem dick gepolsterten Sessel aufgehalten.
Als Bount hochfederte, rannten die Kerle bereits zum Ausgang. Bount sprintete ihnen nach. Die Sonne erreichte nicht die Tiefe der Straßenschlucht. Im Schatten auf der anderen Seite warfen sich die Gangster in einen tintenblauen Buick Riviera.
Ein Taxi schob sich in Bounts Blickfeld. Dann, als er wieder frei sehen konnte, wedelte der Buick mit seinem dicken Heck in die nächste Einmündung Eighth Avenue, Richtung Uptown.
Es würde den Cops wenig helfen. Wer Manhattan kennt, kann sich in diesem brodelnden Lebensnerv New Yorks besser verstecken als die Nadel im Heuhaufen.
Bount wandte sich ab, und kehrte in die Hotelhalle zurück. Er sicherte die Automatic und verstaute sie in der Schulterhalfter. Das Sirenengeheul näherte sich.
Stille empfing ihn. Alles, was vorher ein Stimmensummen wie in einem riesigen Bienenkorb verursacht hatte, gab jetzt keinen Ton mehr von sich. Bount ging auf den am Boden liegenden Gangster zu. Die Blicke folgten ihm. Das ältere Ehepaar rappelte sich erst jetzt auf.
Bount brauchte nicht zweimal hinzusehen. Seine Kugel hatte den Mann tödlich getroffen. Er hatte keine andere Wahl gehabt. In der Hast des Geschehens war ein anderer Schuss nicht möglich gewesen. Die Maschinenpistole, die jetzt ein Stück von dem Toten entfernt lag, hätte sonst ihn getötet.
Sirenengeheul stach in die West 46th Street und endete vor dem Hoteleingang. Vier Cops stürmten mit gezogenen Dienstrevolvern herein. Zwei Streifenwagenbesatzungen. Sie stießen die Waffen in die Gürtelhalfter, als sie sahen, dass schon alles vorbei war.
Bount zeigte ihnen seine Lizenzkarte und erklärte, was sich abgespielt hatte. Die Bar, rechts vom Eingang, und das Restaurant auf der linken Seite hatten jeweils einen eigenen Eingang von der Straße her.
Wer zu den Öffnungszeiten der beiden Lokale das Hotel betreten wollte, konnte dies nicht nur durch den Haupteingang, sondern auch durch das Restaurant oder die Bar tun. Möglich, dass die Gangster einen Whisky gekippt hatten, bevor sie ihrer Zerstörungswut freien Lauf ließen.
Ein Warnzeichen, völlig klar.
Bount Reiniger erklärte den uniformierten Beamten, dass er mit Miss Gillian Clarke verabredet sei, und er sagte ihnen, dass er das Hotel nicht verlassen werde, bevor die Tatortermittlungen abgeschlossen seien. Während er zur Rezeption ging, trafen weitere Streifenwagen ein. Es ging jetzt Schlag auf Schlag.
Innerhalb von weniger als einer Minute bevölkerten zwei Dutzend Cops die Lobby und fingen an, Personalien aufzunehmen und erste Protokolle aufzusetzen. Bis zum Abend würde der Erkennungsdienst garantiert noch an Ort und Stelle zu tun haben.
Das Stimmengewirr setzte wieder ein, wenn auch zögernd. Hauptsächlich die Cops waren es, die die Gespräche in Gang brachten.
Die Mahagoni-Einrichtung hinter dem Tresen bot ein Bild des Jammers. Weißfaserige Holzsplitter bestimmten das Bild. Es war, als hätte eine große eiserne Kralle alles zerhackt. Die Angestellten hatten sich wieder aus der Deckung hinter dem Tresen hervorgewagt. Ihre Gesichter waren bleich. Keiner von ihnen war alt genug, um die Zeiten miterlebt zu haben, in denen Bandenkriege in New York noch an der Tagesordnung gewesen waren. Damals waren Ereignisse wie diese gewissermaßen als Kriegserklärung gewertet worden.
Aber wen interessierte das heute noch, da die alltägliche Kriminalität der City Police wesentlich mehr Kopfzerbrechen bereitete? Terror in den Subways, Handtaschendiebstähle auf offener Straße, Vergewaltigungen in den Parks, Raubüberfälle auf Tankstellen, Supermärkte und Imbissbuden. Das war es, womit ein durchschnittlicher New Yorker Cop den größten Teil seiner Dienstzeit verbrachte.
Bount Reiniger hatte die Zeit der bekannten alten Gangster selbst nicht miterlebt. Aber er kannte jene, die sich als ihre Nachfolger fühlten. Sie arbeiteten mit eleganteren Mitteln als die Alten, die manchmal ihre großen Vorbilder genannt wurden.
Unglaublich, dass sie jetzt in die Mottenkiste griffen.
Bount schob seine Lizenzkarte über den Tresen und wandte sich an einen jungen Clerk, der den Schreck so weit überwunden zu haben schien, dass er aufnahmefähig schien.
»Ich habe eine Verabredung mit Miss Clarke«, sagte er und brauchte nicht zu erklären, wen er meinte.
Auch den Cops hatte er das nicht erklären müssen. Gillian wurde innerhalb und außerhalb ihrer Branche bewundert. Sie hatte aus dem Hotel »Westside Stars« ein Unternehmen geschaffen, das nach zeitgemäßen Marketingmethoden arbeitete. Der verstaubte Laden aus der Gründerzeit um die Jahrhundertwende existierte nicht mehr. Gillian hatte innerhalb von drei Jahren bewiesen, was sich aus einem Geschäft machen ließ, wenn man mutig war und eingefahrene Gleise verließ.
Der Clerk deutete auf einen Punkt hinter Bount. Bount Reiniger drehte sich um. Er erkannte die Inhaberin des Hotels sofort. Er hatte ihr Bild in Zusammenhang mit der Illustriertenreportage über die erfolgreichste Unternehmerin des Jahres gesehen. Sie sprach mit einem Cop, musste also schon vorher in der Lobby gewesen sein. Es entsprach ihrer Art, den Kontakt mit den Gästen ihres Hauses zu suchen. Sie war nicht die graue Eminenz, die unnahbar in einem holzgetäfelten Büro residierte.
Toby Rogers und die Beamten seiner Abteilung erschienen auf der Bildfläche. Die Spurensicherer gingen ans Werk, während sich der Captain nur kurz umsah und zwangsläufig Bount Reiniger als Blickfang fand. Er wuchtete seinen Körperumfang auf den Privatdetektiv zu.
»Keine Erklärung«, sagte Rogers und winkte ab. »Ich habe schon über Funk erfahren, dass du dich mal wieder hervortun musstest.«
»Ich hatte nicht den Eindruck«, entgegnete Bount. »Wenn mich die Kerle ernst genommen hätten, wäre es vielleicht nicht so schlimm geworden.« Er wurde ernst. »Toby, ich musste einen von ihnen erschießen. Aber wir können von Glück reden, dass sonst niemand schwerer verletzt wurde.«
Der Captain nickte.
»Ich will mit der Inhaberin sprechen.«
»Das hatte ich auch vor«, sagte Bount.
Rogers schickte einen Blick zur Decke und seufzte: »Mit anderen Worten, du willst mir wieder auf die Nerven gehen, während ich eine offizielle Vernehmung führe.«
»Miss Clarke hat mich eingeladen«, entgegnete Bount lächelnd. »Ich weiß zwar noch nicht, was für ein Auftrag es ist, den sie mir erteilen will. Aber ich weiß jetzt, dass ich ihn annehme.«
»Kann ich mir denken«, knurrte Toby, als sein Freund ihn zu der Inhaberin des Hotels führte. »Dein Beschützerinstinkt ist wachgekitzelt, stimmt’s?«
Bount überlegte, ob Toby Rogers mit seiner Bemerkung recht hatte, als Gillian Clarke mit ihnen in den Fahrstuhl stieg.
Gillian war so schön wie auf dem Foto in der Illustrierten. Es war keins von diesen vorteilhaft schmeichelnd aufgenommenen Fotos gewesen. Ihr schmales, fein geschnittenes Gesicht wurde von schwarzem Haar eingerahmt, das sie in einer dezenten Dauerwelle trug. Mit ihrer blütenweißen Pikeebluse und einer Bundfaltenhose in feinem schwarzweißem Karodessin unterstrich sie ihren geradezu modellhaften Körperbau. Ihre schmale Taille wurde von einem handtellerbreiten schwarzen Gürtel unterstrichen. Nur die kleine Ledermappe, die sie in der Hand hielt, und ein Namensschild auf ihrer Bluse wiesen darauf hin, dass sie nicht zu den Hotelgästen gehörte. Zurückhaltende Eleganz war Gillians positives äußeres Merkmal, die Offenheit ihres Gesichtsausdrucks bestätigte das.
Sie blickte Bount Reiniger an, und er gelangte zu der Überzeugung, dass er sich selbst bei Windstärke zehn in die tobende See stürzen würde, falls sie über Bord gegangen sein sollte.
»Ich glaube«, sagte sie leise, während der Fahrstuhl abwärts sank, »dass ich Sie nicht mehr überzeugen muss, Mister Reiniger. Ich meine, davon, wie wichtig mein Auftrag ist.«
Er lächelte sanft und schüttelte den Kopf.
»Erst einmal«, erklärte Toby Rogers mit rostiger Stimme, »möchte ich Sie bitten, Miss Clarke, mir alles zu schildern, was Ihrer Meinung nach mit dem Vorfall in der Lobby zu tun haben könnte.«
Ihre Miene spiegelte Erstaunen, als sie ihn ansah.
»Aber deshalb bin ich mit Ihnen unterwegs in den Keller, Captain. Ich sagte doch, dass ich am besten an Ort und Stelle alles erklären kann.«
Toby zog die Schultern hoch.
»Entschuldigung, Miss. Ich muss wohl etwas abgelenkt gewesen sein.«
Bount grinste. Wenn sie unter sich gewesen wären, hätte er seinem beleibten Freund empfohlen, noch heute mit der Abmagerungskur anzufangen, statt neidisch zu werden, wenn andere Männer die Blicke von hübschen Ladys auf sich lenkten.
Der Fahrstuhl hielt weich ruckend an.
»Wir befinden uns hier im Kellergeschoss unter dem Basement«, erklärte Gillian, während sie ausstiegen. »Sie sehen, ich habe Renovierungsarbeiten vorbereiten lassen. Und das ist auch der Kern der Sache.« Ihre Stimme senkte sich zu einem gepressten Flüsterton. »Ich hätte nie geglaubt, dass sie gleich mit Maschinenpistolen in meinem Haus auftauchen. Mein Gott, wie leicht hätte ein Blutbad daraus werden können!« Ihr Blick richtete sich auf Bount. »Ich glaube, Mister Reiniger, ich bin mir noch gar nicht richtig klar darüber, was passiert ist. Ich hätte mich bei Ihnen bedanken müssen. Schließlich haben Sie das Schlimmste verhindert.«
Toby Rogers schickte einen Blick nach oben, legte die Hände auf den Rücken und schlenderte voraus. Bount wartete, bis Gillian die Lichtschalter betätigt hatte, die das gesamte Kellergewölbe in gleißende Helligkeit tauchten. Die Notbeleuchtung hatte nur den vorderen Teil der Gerüste erhellt. Es roch nach frischem Mörtel und nach dem Staub alter Steine, die herausgeschlagen worden waren. Eine ungewöhnliche Geruchsmischung.
»Sie irren sich«, sagte Bount. »Es wäre auf keinen Fall mehr passiert. Diese Männer hatten nur den Auftrag, Schaden anzurichten. Niemand sollte verletzt werden. So weit geht man nicht, wenn man erst am Anfang steht.«
Toby Rogers' Stimme klang hohl von den Gerüsten her.
»Sie hörten Lektion eins zum Thema Methoden des organisierten Verbrechens.«
»Captain!«, rief Gillian. »Wenn ich noch eine Frage habe, werde ich sie ganz bestimmt Ihnen stellen. Andererseits werde ich Mister Reiniger bitten, für mich zu arbeiten. Ich halte ihn also durchaus für einen kompetenten Gesprächspartner.«
»Sonst hätte ich ihn längst weggeschickt«, sagte Rogers brummig. Er musste an diesem Tag mit dem linken Bein zuerst aufgestanden sein.
Gillian Clarke führte die beiden Männer durch ein Labyrinth von Kellerräumen, das insgesamt so groß war wie die Tiefgarage im Basement. Überall war die Betondecke mit zusätzlichen Stahlpfeilern abgestützt. Die alten Betonpfeiler, die in die Fundamente ragten, sollten größtenteils erneuert werden. Diese ältesten Bestandteile des Kellers waren überwiegend noch aus Brownstones gemauert worden. Den heutigen statischen Erfordernissen wurde das nicht mehr gerecht.
»Hier unten soll eine zweite Tiefgarage entstehen«, erklärte Gillian Clarke, während sie Bount Reiniger und Toby Rogers in den entlegensten Teil des Gewölbes führte.
Ein Mauerdurchbruch war noch nicht vollendet worden. In dem Raum hinter dem gut mannsgroßen Loch hing nur eine einsame Handlampe. Ein Betonklotz reichte vom Fußboden bis zur Decke und nahm etwa ein Viertel der Gesamtgröße des Raums ein.
Die rassige Frau und ihre Begleiter blieben stehen.
»Können Sie sich vorstellen, was das ist?«, fragte Gillian und wies auf den Betonklotz.
»Ein Teil vom Fundament«, sagte Toby Rogers. »Obwohl die Stützpfeiler anders aussahen. Und sie wurden aus Backsteinen gemauert.«
Gillian nickte und blickte Bount Reiniger fragend an.
»Es scheint keine Tür gegeben zu haben«, murmelte Bount mit einem Blick auf den gezackten Rand des Mauerdurchbruchs.
»Genau das ist es«, sagte Gillian. »Die Bauhandwerker haben diesen Durchbruch nur entdeckt, weil sie morsche Steine entfernten. Plötzlich stellten sie fest, dass der Keller weiter reichte als ursprünglich angenommen. Und der Betonklotz«, sie wandte sich dem fülligen Captain zu, »ist kein Teil des Fundaments. Ich habe mit dem Architekten gesprochen. Nach den statischen Berechnungen ist dieser Sockel absolut überflüssig.«
Toby Rogers zog die Brauen zusammen.
»Ich bin sicher, Sie werden uns gleich eine interessante Geschichte erzählen, Miss Clarke.«
»Das hängt davon ab, was für Sie interessant ist und was nicht«, entgegnete Gillian schlagfertig. Sie holte Luft und zeigte noch einmal mit ausgestrecktem Arm in den Nebenraum. »In diesen Betonklotz soll Tony Scaloppo sein schwarzes Geld eingegossen haben. Sein Erbe. Geld, an dem Blut klebt.«
Bount Reiniger und Toby Rogers starrten sich an.
»Woher wollen Sie das wissen?«, stieß der Captain hervor. »Außerdem - so etwas dürfte doch wohl in den Bereich der Märchen gehören. Scaloppo! Ausgerechnet Scaloppo!«
»Ihm hat dieses Hotel einmal gehört«, entgegnete Gillian auftrumpfend. »Und das Gerücht von seinem einbetonierten Schatz ist älter als ich. Die Bauarbeiter haben jedenfalls sofort Bescheid gewusst, als sie den zugemauerten Keller fanden.«
»Wer weiß außer Ihnen von diesem Fund«, fragte Bount.
»Der Architekt, die Bauarbeiter«, erwiderte Gillian und zog die Schultern hoch. »Natürlich habe ich sie zu Stillschweigen verpflichtet. Aber das ist wohl keine Garantie. Hier unten haben etwa dreißig Mann gearbeitet, und der Architekt sah jeden Tag nach dem Rechten.«
»Das neue Gerücht dürfte sich also wie ein Lauffeuer verbreitet haben«, folgerte Toby Rogers. »Scaloppos Bargeldmillionen im Keller des Hotels Westside Stars! Wenn die Presse das erfährt, strickt sie daraus die Geschichte des Jahres.« Er wies mit einer Kopfbewegung auf den Betonklotz. »Wann ist das entdeckt worden?«
»Gestern Nachmittag«, erwiderte Gillian. »Ich habe dann noch am Abend Mister Reiniger angerufen, nachdem ich von dem Scaloppo-Gerücht erfahren hatte.«
»Diese Aussage kann ich bestätigen«, erklärte Bount Reiniger feierlich und sandte Tony Rogers einen schmaläugigen Blick zu. Dann sah er wieder die Inhaberin des Hotels an.
»Ich werde unsere Experten auf die Sache ansetzen, Miss Clarke. So einen Betonklotz müsste man röntgen können, denke ich.«
»Ist das wahr?«, rief Gillian. »Dann könnten Sie die Probleme ja im Handumdrehen aus der Welt schaffen, Captain.«
Zum ersten Male lächelte Toby geschmeichelt.
»Ich will nicht zu viel versprechen«, sagte er abschwächend. »Aber das Mögliche wird getan, darauf gebe ich Ihnen mein Wort.« Er klemmte sich eine Havanna zwischen die Zähne und zündete sie an, »Haben Sie eine Ahnung, wer hinter Scaloppos Schatz her ist?«
»Bis vor einer Stunde habe ich noch nicht einmal an eine solche Möglichkeit gedacht«, erwiderte Gillian. »Gut, ich hatte Mister Reiniger angerufen, weil ich Schwierigkeiten erwartete. Schließlich ist es kein Lotteriegewinn, den ich verheimlichen muss. Scaloppos Schatz - das klingt nach Blutgeld, nicht wahr? Ich habe befürchtet, mit Dingen konfrontiert zu werden, von denen ich nicht die leiseste Ahnung habe.«
»In dem Punkt haben Sie sich nicht getäuscht«, erklärte Bount Reiniger. »Ich schlage vor, wir begeben uns wieder nach oben. Toby, wenn du meine Klientin im Moment nicht mehr brauchst, würde ich mich gern unter vier Augen mit ihr unterhalten.« Er sah Gillian dabei an, und sie bestätigte ihm mit einem Nicken, dass sie einverstanden sei.
Toby Rogers brummte etwas, das sich anhörte wie »Ich kann euch nicht daran hindern«. Gillian erklärte ihm, dass sie sich mit Bount Reiniger in ihrem Büro aufhalten werde.
Das Office der Hotelchefin befand sich im Erdgeschoss, im Bereich hinter der Rezeption. Ein mahagonigetäfelter Raum, mit dunkelgrünem Teppichboden ausgelegt, von gediegener Eleganz. Keine überladene Prunkeinrichtung. Dunkles Holz und Messing überwogen.
Bount blieb in der Mitte des Büros stehen und versenkte die Hände in die Taschen. Gillian war für einen Atemzug sehr nahe, als sie an ihm vorbeiging und ein Barfach öffnete. Der Duft ihres Parfüms war dezent, doch wie mit einem anhaltenden Nachklang ausgestattet. Bount stimmte zu, als sie ihm einen Drink anbot. Sie hantierte mit Eiswürfeln und Flaschenverschlüssen. Mit zwei Gläsern wandte sie sich um. Eine fingerbreite Whisky umspülte kantige, glasige Kälte.
»Captain Rogers scheint keine besondere Freude an seinem Beruf zu haben«, sagte sie mit hochgezogenen Brauen.
»Der Schein trügt«, entgegnete Bount und nahm sein Glas entgegen. »Toby und ich sind seit Jahren befreundet. Manchmal stellt er sich meinen Job als Traumjob vor, weil er als Cop zu sehr an Dienstvorschriften gebunden ist — aber nur manchmal, wenn ihm eine Laus über die Leber gekrochen ist.«
Gillian lachte. Sie prosteten sich zu.
»Es ist nicht gut, über Menschen ein vorschnelles Urteil zu fällen. Das habe ich nun schon sooft erfahren, aber ich kann mich noch immer nicht ganz danach richten.«
»Betrachten Sie das nicht als Fehler«, entgegnete Bount lächelnd. »Und da Sie die Konsequenzen letzten Endes selbst tragen müssen, wird es auch kaum jemanden besonders stören.«
»Sie verstehen es, die Sache auf den Punkt zu bringen«, sagte Gillian. »Wenn ich es auch nicht gern zugeben möchte Sie haben recht.« Sie bedankte sich mit einem Nicken für die Pall Mall, die er ihr anbot, und sie ließ sich von ihm Feuer geben. »Zur eigentlichen Sache: Haben Sie sich ein bisschen informiert? Aber nein ...« Sie schlug sich die Hand vor den Mund. »Ich bin unhöflich. Wir sollten als Erstes die Honorarfrage besprechen.«
Bount schüttelte den Kopf.
»Überflüssig. Sie haben mein Angebot. Wir rechnen später nach den Sätzen ab, die ich genannt habe. Einverstanden?«
»Gern. Ich will Sie nicht beleidigen, aber ich dachte, Privatdetektive müssten immer einen Vorschuss erhalten.«
»Schon wieder ein vorschnelles Urteil, das Sie zu den Akten legen sollten.« Er zündete seine eigene Zigarette an. »Nun aber doch zur Sache.« Er schilderte, was er in seinem Archiv über Tony Scaloppo gefunden hatte.
In den dreißiger Jahren war Scaloppo die Nummer eins unter den New Yorker Syndikatsbossen gewesen. Bauernschläue und eiskalte Brutalität hatten ihn an die Spitze gebracht. Das ging aus den vielen Berichten hervor, die während der Gerichtsverfahren über ihn geschrieben worden waren.
Kein Gericht hatte ihn indessen jemals verurteilt. Immer hatte er es verstanden, die Kette seiner Befehle so zu gestalten, dass sie niemals bis zu ihm zurückverfolgt werden konnten. Seine Mordbefehle hatten sich stets gegen die Konkurrenz in der Unterwelt gerichtet Aus den blutigen New Yorker Bandenkriegen der damaligen Zeit war Scaloppo stets als überlegen grinsender Sieger hervorgegangen. Er war ein rundgesichtiger Mann mit gescheiteltem schwarzem Haar gewesen, das wie Lack auf seinem Kopf klebte. Auf Zeitungsfotos war er immer mit diesem Grinsen erschienen, und eine dicke Zigarre hatte zwischen seinen Wulstlippen gesteckt.
Er war gestorben, wie ein Mann seines Schlages hatte sterben müssen: Im Kugelhagel eines gegnerischen Rollkommandos hatte er sein Leben ausgehaucht, als er vor dem Hotel »Westside Stars« aus seinem Wagen ausgestiegen war. Das Hotel hatte ihm gehört.
»Harriet Clarke, geborene Scaloppo, war meine Tante«, erklärte Gillian, nachdem Bounts Wissensstand erschöpft war.
»Tonys Tochter?«, fragte Bount Reiniger.
»So ist es. Eine ziemlich einfache Familiengeschichte. Tony Scaloppo hatte ein ordentliches Testament aufgesetzt, und er war auch rechtmäßiger Eigentümer dieses Hotels. Seine einzige Tochter erbte es. Sie war mit einem verarmten Großgrundbesitzer aus England verheiratet. Ihm verdankte sie ihren Namen und das Privileg, sich als Frau auf ein Geschäft stürzen zu dürfen, das zu ihrer Zeit wohl kaum einer anderen Frau möglich war. Ihrem englischen Ehegatten war das gerade recht. Er konnte sich darauf beschränken, ihr beim Lunch oder beim Five o’clock tea weise Ratschläge zu geben. Im Übrigen hatte er endlich den beruhigenden finanziellen Hintergrund, um sich dem Golfspiel, Tennis und Segeln widmen zu können. Die Eheleute sollen sehr zufrieden gewesen sein. Jeder hatte für sich das, was er immer hatte haben wollen. Gemeinsamkeiten hatten sie kaum.« Gillian lächelte und stellte ihr Glas, an dem sie nur genippt hatte, auf den Schreibtisch.
»Sie heißen auch Clarke«, sagte Bount. »Aber es klingt so, als ob Sie von Ihrer Familie nicht sehr begeistert seien.«
»Es sind eher gemischte Gefühle, Mister Reiniger. Meine Eltern sind früh gestorben, bei einem Verkehrsunfall. Mein Vater und Harriets Ehemann waren Brüder. Tante Harriet hat mich nach dem Tod meiner Eltern aufgenommen. Später hat sie mich in Internate gesteckt. Es war eine gute Sache. Ich habe davon profitiert, und ich bin nicht unzufrieden. Ihr Mann starb, und ich habe Tante Harriet oft besucht. Später habe ich Volkswirtschaft studiert und bin danach als Abteilungsleiterin in eine Handelsagentur eingestiegen.«
»Vor drei Jahren starb Harriet Clarke«, vervollständigte Bount den Bericht mit dem, was er wusste. »Alleinerbin waren Sie, Miss Clarke.«
Sie nickte. »Bitte sagen Sie Gillian zu mir.«
»Unter der Bedingung, dass ich für Sie ab sofort Bount bin.«
»Einverstanden.« Sie lächelte und reichte ihm die Hand. Eine feinnervige, doch energische Hand. Gillian war als geschäftsführende Inhaberin des Hotels »Westside Stars« außerordentlich erfolgreich gewesen. Sie hatte dem Hotel, das nur einen Katzensprung vom Broadway entfernt war, wieder einen wohlklingenden Namen verschafft.
Harriet Clarke hatte sich in all den Jahren zuvor zwar nach Kräften bemüht, aber ihr hatten letztlich die Fachkenntnisse gefehlt. Für Tony Scaloppo war das Hotel nur ein Aushängeschild gewesen, eine Geldwäscherei, um seine illegal verdienten Dollars in legales Geld zu verwandeln. Im Anschluss war es seiner Tochter nicht gelungen, das Haus einem größeren Kundenkreis zu eröffnen.
Heute beherbergte das »Westside Stars« Geschäftsleute aus den wichtigsten amerikanischen Handels- und Industriezentren ebenso wie Touristengruppen aus Europa, die sich von der Broadwaynähe des Hotels beeindrucken ließen.
Bount Reiniger und Gillian Clarke gingen in die Lobby zurück. Spurensicherer und Protokollanten waren noch immer bei der Arbeit. Den toten Gangster hatte man abtransportiert. Die Lage seines Körpers war mit Kreidestrichen markiert worden. Durch den offen stehenden Eingang des Restaurants war Toby Rogers zu sehen. Er saß allein an einem Tisch und werkte mit Messer und Gabel.
Bount Reiniger und die Hotelinhaberin bahnten sich ihren Weg durch das Menschengewühl aus Uniformierten und Zivilgekleideten.
Captain Rogers verzehrte die Reste eines mächtigen Steaks und schaufelte die Beilagen in sich hinein - Champigons, Pommes frites und frischen Salat.
»Alle Achtung«, sagte Toby kauend und nickte Gillian zu. »Die Küche kann sich sehen lassen.«
»Ich bin zwar nicht dafür verantwortlich, weil es ein Eigenbetrieb ist«, entgegnete Gillian. »Aber ich achte schon darauf, wem ich das Restaurant verpachte.
»Sehen Sie«, erklärte Toby, »also haben Sie doch maßgeblichen Anteil an der Qualität dieser Genüsse.« Er deutete mit dem Messer auf seinen fast leeren Teller. »Übrigens würde ich mich gern noch einmal mit Ihnen unterhalten, wenn mein Freund Bount so nett ist, Sie freizugeben.«
»Ich denke, er wird nichts dagegen einzuwenden haben«, entgegnete Gillian mit einem lächelnden Seitenblick.
Bount schüttelte den Kopf und grinste zustimmend. Toby musste mit knurrendem Magen zum Einsatz gerufen worden sein. Das war der Grund gewesen. Jetzt hatte sich seine Laune wesentlich gebessert.
Bount leistete der hübschen Hotelinhaberin und seinem Freund noch eine Zigarettenlänge Gesellschaft. Dabei erfuhr er, dass der getötete Gangster identifiziert worden war. Red Canford. Ein kleines Licht in der Unterwelt. Ein Handlanger, der auch die schlechtesten Jobs übernahm, weil er keine besonderen Qualitäten aufweisen konnte,
Toby Rogers war überzeugt, mit Hilfe von V-Leuten herauskriegen zu können, für welches Syndikat Canford in die Hotelhalle spaziert war und gemeinsam mit den beiden anderen Kerlen die halbe Einrichtung zu Bruch geschossen hatte.
Bount verabschiedete sich. Sein Auftrag lautete, Gillian Clarke vor weiteren Schwierigkeiten zu bewahren. Er wollte seine eigenen Wege gehen, um das zu erreichen.