Читать книгу Fahr zur Hölle, Reiniger! N.Y.D. - New York Detectives - Horst Friedrichs - Страница 8

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Aus 300 Fuß Höhe sahen die Straßenschluchten Manhattans erst richtig aus wie Schluchten. Strahlender Sonnenschein lag über dem Gebäudemeer aus Beton und Glas. Die Ketten der Autos, die wie lackglänzende Tausendfüßler durch die Schluchten krochen, wirkten klein und unbedeutend und leicht überwindlich. Es war der Eindruck von Überlegenheit, der Nando Brugione stets dann befiel, wenn er in einem Hubschrauber oder in einem Flugzeug saß und die Welt von oben betrachtete.

Die beiden Männer, die ihm gegenüber hockten, mochten anders denken - wenn sie überhaupt noch denken konnten.

Brugione musterte sie nachdenklich, rieb sich das Kinn mit Daumen und Zeigefinger und versuchte, sich in ihre Lage zu versetzen. Vermutlich nahmen sie außer dem Triebwerkslärm des Hubschraubers nichts Besonderes wahr. Die Todesangst musste ihre Sinne lähmen. Waren sie geistig gelähmt - wie Ratten, von der Katze unentrinnbar in die Enge getrieben?

Möglich.

Brugione bemerkte, dass sie ihn fortwährend anstarrten. Über den breiten weißen Klebestreifen, mit denen Yamamoto ihnen den Mund zugepappt hatte, standen ihre Augen kreisrund und hervorquellend. Die Fesseln erlaubten ihnen kaum, auch nur den kleinen Finger zu bewegen. Die Angst brüllte in ihnen wie ein Tier. Oder waren sie nur erstaunt, ihn zu sehen?

Ihn, den großen Brugione, den ihresgleichen sonst nie zu Gesicht kriegte. Er wusste um sein Erscheinungsbild. Es war das Bild eines erfolgreichen Geschäftsmanns aus den höchsten Regionen des Business. Sein eleganter Nadelstreifenanzug war maßgeschneidert, und er hatte die Figur, die dazu passte - schlank, fünfeinhalb Fuß groß, breit in den Schultern und schmal in den Hüften. Mit den schwarzen Haaren, dem Oberlippenbart und dem markant geschnittenen Gesicht machte sein Erscheinungsbild insbesondere auch auf weibliche Augen starken Eindruck. Er hatte deshalb nie geheiratet. Die Abenteuer, die er erlebte, konnte er als Geknechteter mit Trauring niemals erleben.

Der Hubschrauber hielt Kurs auf Manhattan Downtown, und die mächtigen Türme des World Trade Center wischten bald darauf unter der Maschine weg. Das Wasser der Upper Bay glitzerte im Sonnenschein. Ein Fährschiff legte vom Battery Park Terminal ab und zog eine silbern schimmernde Kielwasserbahn in Richtung Staten Island.

Der Pilot legte die Maschine in einen Bogen nach Südosten und hielt auf die Verrazzano Narrows Bridge zu. Die Umrisse von Staten Island schoben sich breit und wuchtig ins Blickfeld.

Der Hubschrauber näherte sich dem filigranen Gitter und Netzwerk der Brücke, die Brooklyn und Staten Island verbindet. Ein Überseefrachter pflügte von der Lower Bay herein. Die hochbeinige Brücke konnte seinen Aufbauten nicht gefährlich werden.

Über die Schultern des Piloten und des Co-Piloten hinweg konnten Brugione und Yamamoto schon die endlose Weite des Atlantik sehen. Doch im Vordergrund ihres Blickfelds waren unauslöschlich die panikgeweiteten Augen über den weißen Klebestreifen.

Der Pilot änderte erneut den Kurs, ließ die Verrazzano Bridge zurück und flog an der östlichen Küste Staten Islands entlang. Die Hügellandschaft dieses ländlich provinziell anmutenden New Yorker Stadtteils war durchbrochen von weißen Bungalows und Villen. Minuten später änderte sich das Bild jedoch.

Die Mondlandschaft der größten New Yorker Müllhalde wurde sichtbar. Möwenschwärme stiegen auf und senkten sich wieder auf die Tonnenladungen faulender Nahrung hinunter.

Terry Yamamoto öffnete die Leder-Schatulle, die er neben sich auf dem Sitz liegen hatte. Er erledigte jeden Handgriff bewusst langsam, damit die beiden Männer es genau mitkriegten. Auf Samt gebettet lag blau schwarz glänzend ein Colt-Revolver mit sieben Inch langem Lauf. Ein Nachbau des ersten Patronen-Colts als Cavalry Modell, angefertigt von der Firma Colt in Hartford, Connecticut, im Jahr 1973. Auf einem kleinen Messingschild im Deckelinneren stand schlicht »Colt's Patent Centennial 1873 - 1973«.

Als »Peacemaker« war die Zivilversion dieses Revolvers in die Waffengeschichte eingegangen. Yamamoto, der Waffennarr, sammelte kostbare Einzelstücke. Den 45er Colt mit dem langen Lauf hielt er für unübertroffen, was Zielgenauigkeit und Zuverlässigkeit betrafen. Einziger Nachteil war, dass man die große Waffe schlecht mit sich herumtragen konnte.

Brugione beobachtete ihn aus den Augenwinkeln, wie er die Ladeklappe öffnete und sich überzeugte, dass fünf Trommelkammern geladen waren. Nach bewährter Manier der alten Westmänner hatte Yamamoto eine Kammer leer gelassen, in der der Hahn bei Ruherast lag. So funktionierte der einfache Sicherungsmechanismus bei Single Action-Revolvern. Damals, im Westen, hatten sie auf diese Weise verhindert, dass sie sich aus Versehen ins Bein oder in den Fuß schossen.

Terry Yamamoto war schlank und nur mittelgroß. Er hatte jettschwarzes Haar und mandelförmige Augen. Insgesamt wirkte er wie ein zierlicher Asiate. Dennoch war er US-Bürger. Vor allem an der Ostküste hielten ihn viele für einen japanischen Geschäftsmann, der aus Handelsgründen im Finanzzentrum New York zu tun hatte. Doch Yamamoto war Hawaiianer von Geburt an. Sein Vater war aus Japan auf die Pazifikinsel Oahu eingewandert, seine Mutter von den Philippinen.

Für Brugione hatte Yamamoto vor allem einen entscheidenden Vorteil: Er pflegte keinerlei freundschaftliche Beziehungen zu anderen Menschen. Von daher war er unverwundbar. Terry Yamamoto liebte seine Waffen, und er zeichnete sich durch besondere Grausamkeit aus.

Nando Brugione wandte sich an die beiden Gefesselten. Da die Hubschrauberkabine gut schallisoliert war, brauchte er seine Stimme nicht sonderlich anzustrengen.

»Es ist gleich so weit, Freunde«, sagte er. »Dass wir nicht länger zusammenarbeiten können, müsst ihr einsehen. Was ihr euch in der Hotelhalle geleistet habt, war wirklich selten dumm. Ihr hättet Canford zumindest wegschaffen müssen — tot oder lebendig. Euch von einem einzelnen Kerl daran hindern zu lassen, war das Unglaublichste, was ihr euch leisten konntet.«

Sie gaben gurgelnde Laute von sich.

Brugione und Yamamoto sahen sich lachend an. Man brauchte den Bastarden nicht einmal die Knebel abzunehmen, um zu wissen, was sie faseln würden. Alle möglichen faulen Ausreden würden sie vorbringen. Dabei gab es keine einzige, die gezogen hätte. Nicht für Terry Yamamoto, den Killer und Leibwächter. Nicht für Nando Brugione, den Mann an der Spitze des Syndikats. Versager waren eine Gefahr. Und für das Syndikat konnte eine solche Gefahr tödlich werden.

Möglich, dass die Cops über Red Canford, den größten Versager der drei, eine Spur aufnehmen konnten. Vielleicht schafften sie es, Hinweise auf die Organisation zu finden, für die Canford und seine Komplizen gearbeitet hatten.

Rogers war ein tüchtiger Bursche, vor dem man Respekt haben musste. Es hatte keinen Sinn, ihn zu unterschätzen. Allein deshalb mussten die vorhandenen Spuren beseitigt werden.

Die Spuren, die am gefährlichsten werden konnten, hockten gefesselt und geknebelt hier im Hubschrauber.

Der Pilot gab das Zeichen, indem er die rechte Hand mit hochgerecktem Daumen emporstieß. Der Copilot stieg nach hinten, um Yamamoto zu unterstützen. Er öffnete die Kabinenluke auf der Seite des Hawaiianers. Schneidender Wind pfiff herein, doch nicht unerträglich. Die Temperaturen waren hoch genug, um es als Erfrischung zu empfinden.

Brugione verschwendete keinen Gedanken mehr an die Ängste der Todgeweihten. Er dachte an einen kühlen Drink, den er in wenigen Minuten am Rand seines Swimmingpools zu sich nehmen würde.

Die Maschine befand sich im Sinkflug.

Yamamoto sah die riesigen Schuten direkt unter sich. Ein Schlepper zog drei von den Lastkähnen, die mit stinkendem Müll vollgepackt waren. Yamamoto meinte, den Gestank selbst in hundert Fuß Höhe in der Hubschrauberkabine wahrnehmen zu können. Weitere Müllschleppzüge befanden sich in weiter Ferne, am südlichen Horizont, wo sich etwa die Anlegestelle der gigantischen Abfallhalde befinden musste.

Ein Hubschrauber war in New York City nichts Besonderes. City Police und Stadtverwaltung unternahmen des Öfteren Kontrollen von Mülltransporten. Dann ging es vor allem darum, ob gegen irgendwelche Umweltgesetze verstoßen wurde.

Der Copilot packte den ersten der beiden Gefesselten und stieß ihn in die Tiefe.

Ohne eine Sekunde zu verschwenden, warf er auch den zweiten Mann hinunter.

Der Copilot trat zurück.

Yamamoto schob sich bis ans äußere Ende der Sitzbank. Der Flugwind stach ihm ins Gesicht. Er kniff die Augen zusammen und brachte den schweren Colt in Beidhandanschlag. Die Gefesselten lagen im fauligen Unrat und versuchten verzweifelt, sich durch wurmartiges Winden in die stinkende Masse einzugraben. Sie schafften es nicht.

Yamamoto feuerte insgesamt vier Kugel ab - zwei für jeden. Er wäre schon mit je einem Geschoss ziemlich sicher gewesen. Aber er wollte hundertprozentig sicher sein. Keine Schlampigkeit. Nicht in diesem Fall.

Die Schüsse waren im Lärm von Triebwerk und Rotorblättern untergegangen. Yamamoto schloss die Kabinentür, und sofort ging der Pilot wieder auf Höhe, um gleich darauf abzudrehen.

Brugione überzeugte sich mit einem kurzen Blick, dass die Schlepperbesatzung spurte. Drei Männer. Er hatte jedem tausend Bucks dafür zahlen lassen, dass die Leichen ungesehen verschwanden. Sie hatten keinen Mord begangen. Sie beseitigten Abfall. Mehr nicht. Sie brauchten nicht einmal ein schlechtes Gewissen zu haben. Das stand für Nando Brugione fest.

Und bislang hatte es noch nie jemanden gegeben, der ihn von seinen Überzeugungen abbringen konnte. Dabei sollte es bleiben.

Fahr zur Hölle, Reiniger! N.Y.D. - New York Detectives

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