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Kapitel 2

Die Enkel haben einen Plan

Im Räuberzivil vom letzten Jahr, das ihnen noch passte, und frisch geduscht saßen nun Josef und Friedrich mit ihrem Opa im Esszimmer. Das alte Gemälde eines röhrenden Hirsches hing schon sechzig Jahre über der Anrichte, es stammte noch aus Dortmund.

Zum Mittagessen hatte Erasmus die Lieblingsspeise seiner Enkel angerichtet, Speckpfannkuchen. Erasmus als Vegetarier bevorzugte sie mit Äpfeln. Während die lecker duftenden Pfannkuchen verzehrt wurden, erzählten die Zwillinge, dass es ihren Eltern und Oma Eulalia gut gehe, die Zugfahrt von Frankfurt nach Bad König kurzweilig, aber der Fußmarsch zu Erasmus verdammt anstrengend gewesen sei, weil sie unbedingt vor dem Gewitter bei ihm sein wollten und einen Schritt schneller gegangen seien als gewöhnlich. „Warum habt ihr kein Taxi genommen“? , fragte Erasmus, der diesen anstrengenden Weg noch gut aus seiner Lehrzeit in Frankfurt kannte. „Der Schulbus hat uns bis nach Brombachtal mitgenommen, für die letzten paar Kilometer wollten wir uns das Taxengeld sparen“, antwortete Friedrich. „Jungs, das spricht für eure Sparsamkeit“, lobte Erasmus.

Als Dessert gab es Erdbeeren a la Erasmus mit gehacktem grünem Pfeffer, Limettensaft und Joghurt. „Opa, du hast mal wieder ein köstliches Mahl für uns bereitet, vielen Dank“, sagte Josef. Friedrich nickte zustimmend, während Erasmus zur Feier des Tages einen Sektkorken knallen ließ. Seine mittlerweile achtzehnjährigen Enkel ließen ihren Opa euphorisch hochleben.

Josef und Friedrich hatten sich für diesen Tag vorgenommen, die Erzählfreude ihres Opas in besonderem Maße herauszufordern, zu gern hörten sie ihn mit seiner sonoren Stimme reden und argumentieren. Mit Unterstützung ihrer Eltern hatten sie in den zurückliegenden beiden Wochen einen umfangreichen Fragenkatalog zusammengestellt und einen Glückspfeil-Plan ausgearbeitet, um zu versuchen, Opas Kontakt zu ihrem Elternhaus und Oma Eulalia wieder zu beleben. Bei passender Gelegenheit wollten sie mit der Aktion starten.

Zunächst fragte Erasmus nach Neuigkeiten: „Sagt mal, wie ist denn euer Abitur ausgefallen, und wie stellt ihr euch eure Zukunft vor?“ Josef erwiderte, dass seine Abi-Note eine glatte drei sei, und er gerne BWL studieren wolle, aber vorher auf Anraten seines Vaters noch ein Jahr im Sozialen Dienst tätig sein solle. „Woran denkst du dabei“?, wollte Erasmus wissen. „Entweder in der Altenpflege oder in der Uni-Klinik in Frankfurt, genau habe ich mich noch nicht festgelegt“, antwortete Josef. Friedrich konnte stolz eine zwei als Abi-Note präsentieren, hatte aber noch keine Zukunftspläne. Er meinte: „Ich habe jetzt lange genug die Schulbank gedrückt und gebüffelt, ich möchte mir erstmal eine Auszeit nehmen, bevor ich ein Studium beginne.“ „Was meinst du mit einer Auszeit“?, fragte Opa erschrocken. „Ich möchte ein Jahr durch Europa trampen, möchte die Menschen und ihre Gewohnheiten, ihre Kultur, ihre Art zu denken näher kennenlernen, vielleicht bekomme ich dabei auch eine Idee für mein Studium.“ „Hört sich besser an, als ich es befürchtete“, war Opas Reaktion und fuhr fort: „Wenn ich mich recht erinnere, hattest du schon immer ein Faible für das Leben in und mit der Natur, und dir traue ich zu, ein positiver Mosaikstein für eine bessere Welt zu werden.“ „Danke, Opa, aber mein Bruder wird der zweite Mosaikstein sein, denn wir beide sind bemüht, von dir zu lernen.“ und ergänzte: „Es hat aufgehört zu gewittern, ein Rundgang durch deinen Garten wird uns bestimmt guttun. Ist dir das recht, Opa?“ „Na klar, nur raus aus den Puschen und rein in die Holzschuhe“, war Opas klare Ansage.

Erasmus hielt sich durch tägliche Gymnastik und Ausdauertraining auf dem Hometrainer in Form. Er trug einen alten Trainingsanzug; die Zwillinge hatten ihn noch als stets elegant sportlich gekleideten Pensionär in Erinnerung.

Im Haus war unverkennbar, dass Staubwischen und Ordnung halten nicht Opas Stärken waren, der Garten war ein Prunkstück für Liebhaber sich selbst überlassener Naturparadiese, all dies fanden Josef und Friedrich stinknormal. Mit den Ansichten ihrer Eltern waren die beiden diesbezüglich eh nicht immer einer Meinung.

„Jetzt müsst ihr euch meine neueste Errungenschaft ansehen, denn seit eurem letzten Besuch vor drei Monaten hat sich schon wieder etwas verändert“, frohlockte Erasmus und ging mit den beiden in die Nähe des Hühnerstalls. „Schaut mal, mein neuestes Prachtstück in meinem Paradies!“ Er zeigte auf ein schneeweißes Kaninchen, das in einem kleinen Gehege genüsslich an einer Mohrrübe knabberte. „Wie bist du denn jetzt noch auf diese Idee gekommen“? , fragte Friedrich erstaunt. „Als ich neulich bei meinem Freund Ludwig auf dem Bauernhof war, hüpfte mir Hansi im Kuhstall entgegen. Ich erinnerte mich sofort an die Flucht aus Schlesien. Damals musste ich mich von meinem geliebten Hansi unter Tränen verabschieden. Das und meine Fluchterlebnisse erzählte ich dem interessierten Ludwig und zu meiner Überraschung schenkte er mir Hansi.“ „Ich befürchtete schon, dass Hansi der nächste Sonntagsbraten wird“, scherzte Josef, der Opas vegetarische Lebensweise mittlerweile kannte.

„Josef, schlauer Bruder, da gibst du mir ein Stichwort“, sagte Friedrich und fragte seinen Opa: „Wie und wovon ernährst du dich in deinem, wie du immer so schön sagst, Paradies?“

„Als Vegetarier benötige ich nur die Grundnahrungsmittel, wie Wasser, Gemüse, Obst, Vollkorngetreide und Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Nüsse pflanzliche Öle und Fette, Milch und Käse, sowie Eier.“ „Nun könnt ihr mir bestimmt verraten, was meine Umgebung davon nicht hergibt?“ Josef reagierte schnell und antwortete: „Opa, das können nur pflanzliche Öle, Fette und Käse sein, alles andere hast du im Wald, in deinem Garten und im Hühnerstall.“ „Du hast Recht, dafür und für andere Kleinigkeiten, wie Waschmittel etc. fahre ich einmal im Monat mit meinem Fahrrad ins Dorf, um sie zu besorgen.“ „Aber wie verarbeitest du die Lebensmittel“? , wollte nun Friedrich wissen.

„Ihr könnt euch bestimmt daran erinnern, dass ich eure Oma zuhause einmal in der Woche vom Küchendienst befreite. Das war kurz nach meiner Pensionierung, und nachdem ich einen Kochkursus für Männer in der Volkshochschule besucht hatte. Ohne Grundkenntnisse im Kochen hätte mich übrigens meine pingelige Eulalia nie an ihren Herd gelassen.

Hier im Küchenregal meiner Eltern entdeckte ich zu meiner Freude Dr. Oetkers Back- und Kochbuch meiner Mutter. So konnte ich mir auch Speisen aus meiner Kindheit zubereiten. Euer heutiges Mittagessen stammt auch aus diesem Kochbuch.“

„Kompliment, Opa, nicht nur Oma hast du vorzüglich bekocht, sondern jetzt auch uns, das hatte ich dir nicht zugetraut“, meinte Friedrich. „Jungs, das hatte Oma auch verdient, nachdem sie den ganzen Haushalt über vierzig Jahre alleine im Griff hatte.“

„Könnt ihr euch eigentlich vorstellen, dass ich hier niemals über Langeweile klagen muss, obwohl ich weder Radio noch Fernseher oder Telefon besitze?“

„Nein, Opa, mit wem redest du denn, wenn nicht mit uns“? ,fragte Josef neugierig.

„Da ist die ältere Dame, Brunhilde, im Dorfladen, mit der ich schon während meiner Lehrzeit flirtete, mal ein Spaziergänger, der sich hierher verläuft, der Förster oder Bauer Ludwig. Aber damit ich das Reden nicht verlerne, spreche ich mit Gott und der Natur, mit meinen robusten, zutraulichen Lachs-Hühnern, die alle sechs einen Namen haben, mit den Blumen, Bäumen, Vögeln und den Rehen, die sich ab und zu hier blicken lassen.“ „Aber das ist auf Dauer doch langweilig, Opa, du bekommst doch keine Antworten“, war Josef überzeugt. „Da irrst du dich, Josef, mit etwas Fantasie höre ich am Gackern von Lisa, meinem ältesten Huhn, dass sie wieder ein Ei gelegt hat, und ich bedanke mich bei ihr. Meinem Hansi erzähle ich Geschichten aus Schlesien, und er nickt unentwegt. Wenn ich morgens vom Vogelgezwitscher geweckt werde, gehe ich ans offene Fenster, erfreue mich des neuen Tages und bedanke mich bei den Vögeln. Wenn nach einem langen, kalten Winter die Bäume und Sträucher im Frühjahr wieder ausschlagen, wandere ich durch den Wald und bete laut, dass sie auch dieses Jahr ohne Klimaschäden überstehen. Und jedem Würmchen, das ich beim Umgraben des Gemüsegartens entdecke, zolle ich Anerkennung, weil es den Boden durchmischt, belüftet und stabilisiert, zusätzlich verbessern die Tiere mit ihren Ausscheidungen die Erde. Wenn dann im Frühjahr die Aussaat im Gemüsegarten erste Keime sprießen lässt, und sie mir im Sommer und Herbst Früchte beschert, dann bin ich der glücklichste Mensch dieser Welt. So könnte ich euch noch hunderte Dinge der Natur aufzählen, die euch vielleicht spleenig vorkommen, in mir aber immer wieder Dankbarkeit und Demut hervorrufen. Denkt einmal darüber nach!“

„Ja, Opa, zugegeben, das hat mich schon fasziniert, was du uns soeben vermittelt hast, alles Dinge, über die ich mir tatsächlich noch nie Gedanken gemacht habe. Danke, Opa“, war Josef tief beeindruckt. Friedrich drängte zum Weitergehen, er wollte Opas Garten weiter inspizieren. „Kinder, ist das nicht eine herrlich klare Luft nach dem Gewitter“, sagte Erasmus und atmete dabei demonstrativ tief ein und aus. Sie setzten ihren Rundgang fort, vorbei an den ungepflegten Blumen- und Gemüsebeeten und dem Kartoffelacker. An der Beerenstrauchhecke, vor dem ein Meter hohen Holzzaun stand ihnen das Gras bis zu den Knien. Friedhelm, Erasmus Vater, und nach seinem Tod Maria hingegen hatten den Rasen stets kurz gehalten. Dort naschten sie nach Herzenslust Johannis- und Stachelbeeren, zur Freude ihres Opas. Währenddessen stellte Friedrich fest, dass es gar nicht ungewöhnlich sei, so naturnah zu leben, seien dies doch die Lebensumstände der Menschen bis weit nach dem Mittelalter gewesen. „Friedrich, ich bewundere deinen Scharfsinn. Erst nach Beginn der Industrialisierung, etwa ab 1850, wurde der Lebensraum auf der Erde für viele Menschen zusehends enger. So lebten beispielsweise 10000 Jahre vor Christus etwa zwei Millionen, zur Zeitenwende im Jahre Null, etwa 188 Millionen, und um 1900 1,65 Milliarden Menschen auf der Erde, heute sind es schon etwa 7,8 Milliarden und im Jahr 2050 werden es schätzungsweise bereits 9,7 Milliarden Erdenbürger sein, die ernährt und menschenwürdig untergebracht werden möchten. Und wenn es der Menschheit nicht gelingt, den Hebel auf mehr Umwelt- und Klimaschutz, Völkerverständigung sowie Beseitigung der Hungersnöte in vielen Ländern der Erde umzulegen, sehe ich schwarz für eure und nachfolgende Generationen“, sagte Erasmus nachdenklich. Wie eine Bombe schlugen die Zahlen bei den Jungs ein, und diesmal war es Friedrich, der sich für diese Erleuchtung bedankte.

„Opa, waren es all diese Erkenntnisse, die dich bewogen haben, deine Lebensweise zu ändern“? , wollte er wissen.

„Das kann man so sagen, aber eigentlich war mein Burnout vor zwei Jahren der Auslöser zum Schritt in ein sinnvolleres Leben. Das Leben mit und in der Natur hat mich ausgeglichener, zufriedener und fröhlicher gemacht, aber nicht glücklicher. Dazu fehlt mir mein Sohn Justus zu sehr. Seit über dreißig Jahren haben wir keinen Kontakt, ich frage mich immer wieder, was aus ihm geworden ist?“

Erasmus bat sie zur Kaffeetafel ins Wohnzimmer. „Opa, darauf freue ich mich schon seit Wochen. Gibt es den leckeren Splitterkuchen nach Uroma Marias Rezept?“ Josef lief schon bei der Frage das Wasser im Mund zusammen. „Er ist mir gestern noch besser gelungen als sonst“, lächelte Erasmus und servierte das Tablett mit Kuchen und Kakao.

Nach der gemütlichen Kaffeerunde, während der die Jungs mit Komplimenten nicht sparten, lud Erasmus die beiden in seine Kuschelecke ein. Sie bestand aus einem gepolsterten Schaukelstuhl, einem kleinen runden Tischchen und zwei wuchtigen Sesseln, die zwar nicht zu dem Tisch passten, aber sehr bequem waren und ebenfalls direkt am Fenster zum Garten standen. Opa kredenzte sein köstliches Brunnenwasser, von dem er behauptete, dass es reiner und schmackhafter als übliches Leitungswasser sei.

Jetzt sah Friedrich die Gelegenheit gekommen, den vorbereiteten Fragenkatalog mit Opa anzugehen, aber ehe er sich versah, hatte Erasmus sein Lieblingsthema angesprochen. Die beiden waren überzeugt, es in allen Einzelheiten schon hundertmal gehört zu haben, nämlich Opas Geschichten aus dem Berufsleben.

„Ich weiß nicht, ob ich euch das schon einmal erzählt habe“, begann Erasmus mit sichtbarer Freude und dennoch nachdenklich wirkend. „Opa, ganz bestimmt nicht“, log Josef, „und wenn schon, deine Erlebnisse sind immer so interessant, dass ich sie mir gerne auch zweimal anhöre“, ergänzte Friedrich.

„Ihr wisst, ich war über vierzig Jahre in einem Warenhauskonzern tätig. Die letzten zwölf Jahre als Einkäufer waren zwar die anstrengendsten, aber auch die spannendsten. Meine Eulalia, eure Oma, hat mich selten Zuhause gesehen, denn über sechs Monate eines Jahres war ich unterwegs in Europa und Asien. Damals, in den 80er, 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, standen leider die Themen Klima- und Umweltschutz längst nicht so im Fokus, wie das heute der Fall ist. Und im Nachhinein mache ich mir schwere Vorwürfe, dass ich das bei meiner Arbeit zu wenig oder gar nicht berücksichtigt habe.“ Da unterbrach ihn Friedrich: „Opa, was hättest du denn damals bewirken können?“ „Für mich stand der Profit für die Firma an oberster Stelle. Mich haben weder die Arbeitsbedingungen noch Energieaufwand für die Produktion der Artikel interessiert. Einzelverpackungen mussten kaufanregend gestaltet werden, egal wie groß und aus welchem Material, an Vermüllung dachte ich überhaupt nicht.“ „Aber, Opa, deswegen musst du dir jetzt keine Vorwürfe mehr machen, das entsprach doch dem Zeitgeist“, meinte Josef beschwichtigend. „Ja, Josef, genau das ist die Krux. In dreißig Jahren, wenn, durch den Klimawandel verursacht, die Gletscherschmelze den Meeresspiegel weiter so rasant ansteigen lässt, werden ganze Inselstaaten und riesige Uferregionen verschwunden sein. Und euer Vater, der heute noch seinen dicken Mercedes mit Verbrennungsmotor fährt, wird in dreißig Jahren, auf seine Umweltsünden angesprochen, antworten, das entsprach damals dem Zeitgeist, heute fahre ich doch ein klimaneutrales, wasserstoffbetriebenes Auto.“ „Opa, das leuchtet mir ein, und eines muss ich dir sagen, so selbstanklagend hast du noch nie über deinen Job gesprochen“, war Friedrich sichtlich erstaunt. Josef setzte noch einen drauf: „Opa, ich ernenne dich zum Umwelt-Opa des Jahres 2016 für besondere Verdienste hinsichtlich der Aufklärung deiner Enkel!“ „Das ehrt mich, lieber Josef, noch mehr würde es mich freuen, diese Botschaft auch euren Eltern und Oma Eulalia kundzutun, denn deren Nachholbedarf in Sachen Klima- und Umweltschutz ist noch ausbaufähig“, schmunzelte Erasmus augenzwinkernd.

Umwelt-Opa Erasmus

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