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02 Rex Richartz: Begegnung über den Wolken
Оглавление»Und pass gut auf dich auf!«, sagte Clara Steffen, als sie ihren Mann Curd an der Sicherheitsschleuse des Flughafens in die Arme schloss, um sich von ihm zu verabschieden. Curd Steffen küsste seine Frau und spürte, wie ihn eine warme Woge der Liebe durchströmte. So stark wie schon seit Jahren nicht mehr empfand er dieses Gefühl der innigen Zuneigung und Verbundenheit.
»Was ist?« Clara sah ihn verwundert an. »Du zitterst ja!«
»Nichts!«, murmelte Curd mit belegter Stimme.
In der Abflughalle des Flughafens herrschte emsige Betriebsamkeit. In das Stimmengewirr der zahllosen Menschen, die auf ihre Flüge warteten, mischte sich, wie Curd Steffen es schien, immer wieder ein leises, kaum vernehmbares Kinderlachen. Curd sah sich um. Er entdeckte ein paar Kinder, die zu einer Reisegruppe gehörten, aber das Lachen war nicht aus dieser Richtung gekommen.
Zögernd bewegte sich Curd durch das Gate und machte sich auf den Weg zur Maschine.
»Guten Flug!«, sagte die Stewardess beim Einchecken an der Tür der Maschine freundlich, und Curd suchte sich seinen Platz.
Überrascht sah er sich um, als er plötzlich wieder hinter sich eine Kinderstimme zu hören glaubte. Doch auf den Plätzen hinter ihm saß nur eine Gruppe von Geschäftsleuten, die schon mit emsigen Mienen ihre Laptops und Akten auspackten, um während des Flugs zu arbeiten.
Etwas verwirrt von der Täuschung wandte Curd sich wieder den Geschäftsunterlagen zu, die er während des Fluges durcharbeiten wollte.
Doch anders als sonst konnte sich der Geschäftsmann und Logistikspezialist heute nicht auf die Zahlenkolonnen und Tabellen konzentrieren. Düstere Bilder drängten sich vor sein inneres Auge, grelle, lodernde Flammen und zerborstenes Metall schien er plötzlich zu sehen, und ein stechender Geruch reizte seine Nase.
Das Flackern des »Bitte-anschnallen«-Schildes und die Durchsage der Stewardess brachten ihn wieder in die Realität zurück. Er befestigte den Sicherheitsgurt und lehnte sich zurück, um sich während des Starts der Maschine zu entspannen. Der riesige Silbervogel gewann auf der Startbahn an Geschwindigkeit, löste sich vom Boden, hob ab und schwebte davon in den düsteren Vormittagshimmel.
Nachdem sie ihre Reiseflughöhe erreicht und Kurs nach Osten genommen hatten, nahm Curd mit einem dankbaren Lächeln den Drink entgegen, den ihm die blonde Stewardess servierte.
Weiter vorn lachte ein Kind, und gleich darauf sah Curd ein blondes, wohl kaum fünfjähriges Mädchen durch den Mittelgang kommen. Aus großen blauen Augen schaute es ihn an, kam heran und legte ohne Scheu seine kleine Hand auf Curds Arm.
»Ich habe mich verlaufen, Onkel!«, sagte das Mädchen. »Kannst du mir helfen?«
Für einen Augenblick war Curd verwirrt und wollte nach der Stewardess rufen, die sicherlich wusste, wohin das kleine Mädchen gehörte. Doch dann gab er einem unbestimmten Impuls nach und stand auf. »Dann komm. Suchen wir deine Eltern!« Mit dem Mädchen an der Hand ging er durch den Mittelgang.
Als er ein zaghaftes Zupfen an seiner Hand verspürte, blieb er überrascht stehen und sah zu dem Mädchen hinunter.
»Hast du auch eine Tochter?«, fragte das Kind.
Curd schüttelte den Kopf. Er stand mit dem Mädchen in Höhe der kleinen Bordküche, in der die Stewardessen die Speisen vorbereiteten, die sie gleich servieren würden.
»Nein, ich habe keine Tochter«, sagte er und erinnerte sich, dass das kleine Mädchen, das Clara ein Jahr nach ihrer Heirat zur Welt gebracht hatte, jetzt ungefähr so alt gewesen wäre wie das Mädchen an seiner Hand. Das Kind war damals trotz aller Bemühungen der Ärzte unmittelbar nach der Geburt gestorben. Clara hatte den Verlust nie ganz überwunden.
»Komm, wir suchen weiter nach deiner Mutter!«, sagte Curd und wollte weitergehen, doch im nächsten Moment löschte ein ohrenbetäubendes Krachen alles Denken aus.
Die Maschine sackte ab, Curd wurde gegen die Wand der Bordküche geworfen, um ihn herum schrien Menschen in Todesangst.
Seine Hand griff verzweifelt suchend nach dem kleinen Mädchen, er wollte die Kleine festhalten, doch er griff immer wieder ins Leere. Verzweifelt schrie er auf und versuchte sich vor den umherfliegenden Trümmern des zerberstenden Flugzeugs zu schützen.
Und dann raubte ihm plötzlich ein donnerndes Krachen das Bewusstsein.
Langsam nahm hinter der milchig-weißen, flimmernden Wand, die seinen Blick trübte, eine menschliche Gestalt Formen an. Das Licht, in das er blickte, wurde heller, und schließlich erkannte er einen Mann, der ihm mit einer Lampe ins Auge leuchtete. Der Arzt prüfte Curds Reflexe und lächelte dann beruhigend. »Es ist alles in Ordnung, Herr Steffen. Sie waren einige Stunden ohne Bewusstsein, aber außer ein paar Knochenbrüchen und einer Menge Schürfwunden haben Sie keine Verletzungen davongetragen.«
Curd bewegte die Lippen, um zu sprechen. Erst kam nur ein Krächzen aus seinem Hals. »Was ist passiert?«, brachte er schließlich hervor.
»Es ist wie ein Wunder, dass Sie den Flugzeugabsturz überlebt haben«, sagte der Arzt. »Viele Passagiere sind tot, verstehen Sie? Sie hatten unwahrscheinliches Glück, denn Sie standen an der stabilsten Stelle der Maschine und sind auch durch die Bordküche, in die Sie hineingeschleudert wurden, geschützt worden. Das hat Ihnen das Leben gerettet. Wir haben auf dem Plan der Maschine gesehen, wo Sie gesessen haben. Wenn Sie an Ihrem Platz geblieben wären ...«
»Das Kind ...«, flüsterte Steffen kraftlos. »Ein Mädchen, etwa fünf Jahre. Es hat seine Mutter gesucht, es hat mich zu dieser Stelle im Flugzeug geführt ...«
»Sie müssen sich täuschen, Herr Steffen«, meinte der Arzt. »Wir haben die Passagierliste hier. Es war kein Kind an Bord. Und jetzt müssen Sie schlafen.«
Er nickte ihm beruhigend zu und verließ das Zimmer. Und einen Augenblick lang glaubte Curd ein helles Kinderlachen vom Gang des Krankenhauses hereinwehen zu hören.