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Wengeln

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Ein kleiner Ort mit vier Bauernhöfen. Kein Hof war größer als 60 Morgen. Wengeln lag im Landkreis Lüben in Niederschlesien. Die Ausläufer der Lübener Heide merkte man auch hier noch, der Boden war leicht sandig.

Außer Fichtenwäldchen mit ein paar Birken eingestreut fand man kaum eine andere Baumart. Das Gelände war leicht hügelig. Der Bauernhof lag an einer großen Waldlichtung. Die Felder verteilten sich nach Norden, Süden und Westen, zwei Kilometer von Wengeln entfernt floss ein kleiner Bach - die Dole -. Dieser Bach diente einer Wassermühle als Antriebskraft für eine Getreidemühle und bediente ein Holzsägewerk.

Wengeln gehörte zum Dorf Jakobsdorf mit etwa 1200 Einwohnern. Außer einigen Geschäften für die tägliche Versorgung, dem Bürgermeisterhaus, einer Grundschule und einem kleinen Feuerwehrhaus, dem „Spritzenhaus“, wie es man nannte, war mitten im Ort noch eine Gastwirtschaft mit einem Tanzsaal. Dort wurde an den Feiertagen, wie zum Beispiel zum Erntedankfest, zum Tanz

aufgespielt

Die Menschen, die hier lebten, konnten allein von der Landwirtschaft nicht existieren. Sie fanden in der nahe gelegenen Ziegelei und der Eisengießerei in Kotzenau eine Arbeit.

Die Hauptstraße, die durch Jakobsdorf von Kotzenau kommend durch den Ort führte, war eine Schotterstrasse. Der Abzweig nach Wengeln war ein Feldweg mit tiefen Furchen von den Ackerwagen, in der Mitte hatte sich ein kleiner Grünstreifen gebildet.

Man schrieb das Jahr 1899. Die Familie Walter nannte einen der Höfe in Wengeln ihr Eigen.

„Reich mir mal die Butter rüber“, bat Bauer Walter mürrisch seine Frau Martha.

Vater Hermann, Mutter Martha und die beiden Töchter Magda, 25 Jahre, und Lina, 17 Jahre saßen beim Abendbrot. Das Vieh war versorgt. Es war Samstagabend. An dem großen blankgescheuerten Tisch in der Küche erhoben sich leicht die Jahresringe des Holzes vom vielen Scheuern des Tisches. In der Küche brannte eine Petroleumlampe, Steinöl nannte man das Petroleum in Schlesien. Elektrisches Licht gab es auf dem Bauernhof in Wengeln nicht.

Hermann Walter war ein stämmiger, weißhaariger Mann. Sein Gesicht war zerfurcht von Wind und Wetter und den Sorgen. Seine Bewegungen waren langsam, er hatte Schmerzen. Der Bauer und Stellmacher war im 61. Jahr. Seine Haltung war trotz der 1,75 m Größe schon leicht gebeugt, auffallend waren seine schwieligen Hände.

Die Stellmacheraufträge gingen sehr stark zurück. Die Zeiten waren für die Bauern nicht die Besten. Die Ernten auf dem sandigen Ackerboden brachten in den letzten Jahren nicht besonders viel ein. Es reichte gerade, um einigermaßen leben zu können.

„Mich schmerzt das Reißen ganz furchtbar, ihr Mädels müsst endlich einen Mann auf den Hof holen, mir wird die Arbeit zu viel“. Magda sah nicht auf, sondern kaute an ihrer Brotschnitte. Magda war fast immer verschlossen und wollte von Männern nichts wissen. Außerdem, wie sollte sie einen Mann kennen lernen. Magda hatte eine stattliche Figur, brünette Haare und ein etwas derbes Gesicht. Sie war 25 Jahre alt und immer sehr ernst und verschlossen, weil es nach ihrer Meinung kaum etwas zu lachen gab. Beim Kirchgang am Sonntag ging man zu Fuß die etwa zwei Kilometer durch einen Waldweg nach Kriegheide. Aber Magda machte immer ein ernstes und verschlossenes Gesicht, so dass auch vor oder nach dem Gottesdienst kaum ein Mann sie ansprach.

Ihre Schwester, Lina, war ganz das Gegenteil. Sie war einen halben Kopf kleiner als Magda, hatte blonde Haare, die zu einem langen Zopf geflochten wurden, den sie bei der Arbeit um den Kopf geknotet trug. Sie lachte über alles und jedes, ihre kastanienbraunen, lustigen Augen guckten voller Neugier und Bewunderung in die Welt. Sie war eine Frohnatur. Mit ihren knapp achtzehn Jahren war Lina noch sehr kindlich.

Der Vater redete weiter.

„ Was soll ich machen, mein Kreuz ist kaputt, in den Armen und Beinen habe ich das Reißen. Es muss so schnell als möglich ein Mann auf den Hof“.

„Aber Hermann“, erwiderte Mutter Martha, „so etwas lässt sich doch nicht übers Knie brechen, wo soll Magda einen Mann hernehmen und Lina ist noch zu jung“.

„Mir ist das egal, Magda soll ja als Älteste den Hof bekommen, ich habe mir das lange überlegt. Die Erste, die einen Mann, einen Bauern, heiratet bekommt den Hof. Dazu stehe ich“, beendete Vater Hermann seine Überlegung. Die Mädchen guckten einander an. Während Magda ziemlich hilflos in die Runde schaute, meinte Lina:

„Ich weiß schon, wo man Männer kriegen kann“, und strahlte über das ganze Gesicht.

„Lina“, rügte die Mutter, „benimm dich“.

„Ich möchte am Samstag vor Erntedank zum Viehmarkt nach Parchau“, erwiderte Lina sehr nachdenklich.

„Wir brauchen keinen Viehmarkt, unsere Kälber und Schweine holt der Viehhändler“, antwortete der Vater.

„Es wäre eine Möglichkeit“, nahm die Mutter das Gespräch wieder auf, „was hältst du davon, wenn ich mit Magda zum Viehmarkt fahre“, richtete sie ihre Frage an ihren Mann.

„Da will ich aber auch mit“, meldete sich Lina.

„Wenn deine Mutter noch genügend Eiergeld dafür hat“, sprach Vater Hermann und guckte in die Petroleumlampe ohne noch ein weiteres Wort zu sagen.

Beim Geschirr abwaschen besprachen die drei Frauen die Einzelheiten dieses großen Ausflugs. Nach Parchau musste man fast eine Stunde mit dem Zug fahren. In fünf Wochen war das Erntedankfest.

Mit der vielen Arbeit auf dem Hof, insbesondere mit dem Einbringen des Weizens, des Roggens und der Gerste war man täglich bis zum Abendläuten vom Kirchturm in Krickheide voll beschäftigt. Vater Hermann mähte das ganze Getreide mit der Sense, denn Maschinen hatte man nicht. Auch die kräftige Magda schwang die Sense, um den Vater zu entlasten. Mutter und Lina banden das gemähte Getreide zu Garben und stellten diese zu „Puppen“ auf, damit es trocknete. Mit zwei Kühen vor einem Leiterwagen wurde das Getreide in die Scheune gefahren. Das war alles schon Vergangenheit. Nun mußten die Kartoffeln gerodet und die Rübenernte erledigt werden.

Sonntagsnachmittags sahen die drei Frauen ihre Kleider durch, damit sie in ihren Sonntagsgewändern in Parchau anständig aussahen. Sie trennten Nähte auf und schneiderten aus schon getragenen Kleidern neue, modernere, wie sie es im Sonntags- beiblatt der „Lübener Rundschau“ gesehen hatten. Auch hatte der Krämer in Jakobsdorf Lina eine Schnittmusterzeitung verkauft.

Lina bekam einen fast neuen Glockenrock welcher 30 cm über dem Boden endete, die Rockbahnen liefen konisch von der Taille nach unten, eine Bahn in dunkelblau und die andere in einer hellblauen Kunstseide. Das Oberteil war eng geschnitten. Die Abnäher sorgten dafür, dass man ihre kleinen, aber wohlgeformten Brüste erahnen konnte. Das Muster der Bluse bestand aus kleinen blauen Blumen auf weißem Grund. Der Kragen war zwar hoch geschlossen, jedoch so geschnitten, dass man ihn als Hemdkragen öffnen konnte, so dass man dann ihren niedlichen Brustansatz sehen konnte. Lina hatte nun ein solides Kleid, in dem sie jugendlich, beinahe kess aussah.

Magdas Kleid war, wie zu erwarten, dunkelblau ohne jeden Zierrat, sie ließ sich von der Mutter überreden wenigsten einen kleinen weißen Kragen und weiße Stulpen unten an die Ärmel anzunähen. Mutter Martha hatte zwei Sonntagskleider mit in die Ehe gebracht, wovon sie eines davon anziehen wollte.

Nun war der große Tag da. Am Samstag, eine Woche vor Erntedank, kamen die drei gegen halb elf Uhr mit der Eisenbahn in Parchau an. Sofort eilten sie zum Viehmarkt. Dort wechselten Pferde, Kühe, Kälber, Schweine, Schafe, Hühner und was sonst noch auf den Höfen gehalten wurde, ihre Besitzer.

Es boten Krämer in ihren Buden Kurzwaren, Kleiderstoffe, Unterwäsche und vieles Andere mehr an.

Ein großes Festzelt stand neben den Buden und Viehkoppeln, hier wurde für das leibliche Wohl der Besucher gesorgt. Da gab es auch einige Buden mit Süßigkeiten, kleine Spiel-zeuge und sogar ein kleines Kinderkarussell war auf der Wiese aufgestellt.

Die drei Frauen gingen durch die Reihen mit all den Händlern. Plötzlich sagte Lina:

„Geht mal schön allein weiter, wenn man euch ansieht, wird ja die Milch sauer“. Sie trällerte ein Liedchen und verschwand in der Menge.

Lina ging dorthin, wo die Pferde und Kühe feilgeboten wurden. Ihre lustigen Augen nahmen alles wahr, was da so vor sich ging. Da beobachtete sie einen jungen Mann, so Mitte bis Ende Zwanzig, der den Pferden ins Maul schaute und die Hufe anhob. Dann ging er zu den Kühen und betrachtete diese fachmännisch.

„Willst du Vieh kaufen“, sprach Lina den jungen Mann an. Er war 1,85 Meter groß, hatte blondes Haar wie Lina, war schlank doch mit ordentlichem Bizeps und rauen, schwieligen Händen.

„Nee, nee, ich interessiere mich halt für das Vieh“, antwortet der junge Mann.

„Bist du ein Bauer?"

„Ja, schon, aber Zweitgeborener, mein Bruder bekommt den Hof“.

„So, so, spendierst du mir eine Limonade“, strahlte Lina ihn an.

„Warum soll ich das?"

„Weil du mir gefällst, oder hat dir dein Bruder nicht ein paar Groschen mitgegeben“, meinte Lina ziemlich kess.

„Bist ja bisserle frech, meinst du nicht auch“.

„Na, das macht nichts, aber ich sag’ halt was ich denk“.

„Bist du etwa allein hier?"

„Nee, nee, meine Mutter und meine Schwester sind auch hier, aber mit denen war’s mir zu langweilig, da hab’ ich mich kurzerhand selbstständig gemacht.

„Du bist mir vielleicht eine, also komm halt, ich könnte auch ein Bier vertragen“.

Sie schlenderten zum Festzelt, wo Lina sofort zwei Plätze ergatterte. Es war ein ungleiches Paar, der junge Mann sehr groß und Lina reichte ihm gerade bis zur Achsel.

Das Festzelt war ziemlich voll. Die beiden, jungen Menschen hatten viel zu erzählen. Lina redete in ihrer lustigen Art munter darauf los. Das löste auch dem jungen Mann langsam die Zunge.

Nach einiger Zeit, die Limonade und das Bier waren ausgetrunken, schlug Lina vor:

„Lass uns ein bisschen spazieren gehen, hier hören zu viele Leute zu“.

Er nickte nur und sie standen auf und gingen. Hinter dem Festzelt auf der Wiese führte ein Feldweg zu einem nahen Fichtenwäldchen. Die Sonne schickte noch ein paar warme Oktobersonnenstrahlen, es war warm für diese Jahreszeit. Lina nahm das Gespräch wieder auf.

„Wie heißt du eigentlich, ich heiße Lina, Lina Walter vom Stellmacherhof in Wengeln?“

„Gustav, Gustav Taudert, meine Ahnen mütterlicherseits sind Hugenotten und kamen aus dem Elsass „

„Schöner Name, passt zu dir“, stellte Lina fest.

„Ich komme aus Wengeln. Weißt du wo das ist“.

„Nein, ich komme aus Großheinzendorf, wo liegt Wengeln?"

„Fünf Kilometer von Kotzenau“.

„Kotzenau habe ich schon gehört, ich war noch nie dort“.

Lina blieb unvermittelt stehen.

„Magst du mich ein bisschen?" Ihr Gesicht lief leicht rot an.

„Ich mag dich nämlich sehr“.

„Du bist ein munteres Mädel“, Gustav kratzte sich am Hinterkopf und redete weiter:

„Ich glaube, ich kann dich auch gut leiden, bist’ ein bisschen forsch und geradezu, das gefällt mir“. Lina nahm Gustav an der Hand und sie gingen weiter.

„Magst’ ein eigener Bauer werden?“ Und nun erzählte sie Gustav die Geschichte, die ihr Vater mit den zwei Mädchen hinsichtlich des Hofes beschlossen hatte. Einige Minuten gingen sie schweigend nebeneinander her.

„Heißt das, ich soll dein Bauer werden?"

„Mein Mann und auch der Bauer auf unsrem Hof, sag ja und du bekommst auf der Stelle dein erstes Busserl“.

„Hoppla, das geht aber schnell, vorstellen könnt ich mir das schon!"

Lina zog den langen Gustav zu sich herunter und gab ihm ein Busserl.

„Am Sonntag nach Erntedank kommst du nach Wengeln, dann stell ich dich meinen Eltern vor und den Hof kannst du dir auch ansehen“. Lina blieb stehen und gab ihm die Hand, nun gab er ihr ein Busserl. Sie gingen Hand in Hand zum Festplatz zurück und besprachen die Einzelheiten des kommenden Sonntags. Trotz Linas Geschäftsmäßigkeit empfanden die beiden jungen Leute immer mehr Zuneigung zueinander. Ab und zu drückten die beiden sich die Hände.

Vor dem Festzelt erblickten sie die Mutter und Magda. Sie unterhielten sich mit einem Bekannten aus Heinzendorf, von dort stammte die Mutter her.

„Mutterle, das ist Gustav, er ist Bauer und mein zukünftiger Mann“. Die Mutter und Magda sahen Gustav mit offenem Mund von oben bis unten an. Es hatte ihnen die Sprache verschlagen. Als sie sich einigermaßen erholt hatten sagte die Mutter.

„Mein Gott, wie geht denn das so schnell?"

„Lina“, sagte der Mann aus Heinzendorf der mit den beiden Frauen gerade gesprochen hatte, „da hast du aber einen guten Griff gemacht. Den Gustav kenne ich schon seit seiner Kindheit, es ist ein guter Mann und zupacken kann er auch. Martha, da gratuliere ich dir recht schön zu so einem Schwiegersohn. So, nun muss ich aber gehen und ihr müsst zum Zug. Lasst es euch gut gehen und grüß Hermann von mir“.

Die Mutter stand immer noch sprachlos da. Sie konnte das alles nicht so schnell verstehen. Da plapperte Lina wieder munter drauf los.

„Mutterle, der Gustav kommt am Sonntag nach Erntedank zum Mittagessen und wird beim Vaterle um meine Hand anhalten“.

„Lina, geht das nicht alles ein bisschen schnell“, sagte Mutter.

Nee, nee, Vaterle will das so“.

Gemeinsam gingen sie zum Bahnhof, wie selbstverständlich ging Gustav mit Lina an der Hand. Als der Zug kam und alle anderen eingestiegen waren, gab Lina wie selbstverständlich ihrem Gustav einen etwas längeren Kuss und rief beim Einsteigen:

„Am Sonntag nach Erntedank gibt’s ein paar mehr, bleib gesund, Gustel“.

Während der Heimfahrt plapperte Lina unaufhörlich. Sie hatte ganz glühende Wangen. Bis die Mutter sagte:

„Nun Lina warten wir’s ab, vielleicht ging es Gustav auch zu schnell. Sicher ist unser Hof zu klein für ihn. Ich weiß, dass die Tauderts in Heinzendorf einen großen Hof haben mit vielen Kühen und mindestens vier Pferden. Ich weiß nicht, ich weiß nicht.“

Am Montag ging die Arbeit ihren gewohnten Gang. Die Arbeit auf den Feldern nahm alle in Anspruch. So vergingen die zwei Wochen wie im Fluge.

Am Samstag nach Erntedank war, wie immer samstags, Badetag. Dazu wurde eine Zinkwanne in die Futterküche gestellt und heißes Wasser im Futterkessel zubereitet. Danach badete man der Reihe nach in der Zinkbadewanne, natürlich wurde immer wieder neues, heißes Wasser in die Wanne geschütte

„Magda“, sagte die Mutter, „morgen gehen wir beide in den Stall, Lina soll nicht nach Kuhmist stinken, wenn ihr Gustav kommt, falls er kommt.“

„Er wird kommen, Mutterle, ich weiß es,“

sagte Lina.

Am Sonntag nach Erntedank kam doch tatsächlich Gustav. Er war ein bisschen verlegen, aber Lina half ihm darüber hinweg, in dem sie sagte:

„Gustel ich freue mich ja so, dass du gekommen bist, die Zeit war mir schon sehr lang, dir auch?“

Gustav stand hilflos in der Gegend herum und sagte gar nichts.

Sie gingen in die gute Stube, die vor Sauberkeit nur so blitzte.

„Erzähl von dir, Gustel, ich möchte alles über dich wissen.“

„Da gibst von mir nicht viel zu erzählen.“

Die Unterhaltung wurde unterbrochen, als der Vater in die gute Stube eintrat, den Gast begrüßte und sich an den Tisch setzte. Die Mutter und Magda trugen das Mittagessen auf. Als selbstverständlichste Sache der Welt platzierte Lina ihren Gustav links von ihr.

Nach der Suppe brachte die Mutter einen duftenden Schweinebraten mit Knödeln und Sauerkraut. Dazu gab es Bier aus der Brauerei Kotzenau. Die Mädchen tranken Malzbier. Danach goss der Vater seinem Gast und sich selbst einen Kornschnaps ein.

Nun war der Zeitpunkt gekommen: Gustav hielt beim Vater Hermann um die Hand von Lina an. Er kam dabei zwar etwas ins Stocken, doch Lina drückte unter dem Tisch ihrem Gustel die Hand. So war die Brautwerbung fast formvollendet. Der Vater stimmte heilfroh zu. Darauf wurde wieder ein Schnaps getrunken. Die Verlobung wurde auf den 26. Oktober festgelegt. An diesem Sonntag sollten Lina und Gustav als Verlobte aufgeboten werden. Ein halbes Jahr später am 06.Mai 1900 sollte die Hochzeit sein.

Die Verlobungszeit musste ein halbes Jahr dauern, sonst wäre es unschicklich gewesen. Eine kürzere Verlobungszeit wäre der Hinweis, das etwas „Kleines“ unterwegs war.

Bis zur Verlobung besuchte Lina die Familie Taudert auf ihrem Hof in Heinzendorf. Die Tauderts nahmen Lina sehr herzlich auf. Man machte einen ausgiebigen Rundgang über den Hof und in die Ställe. Trotzdem fand Lina immer wieder Gelegenheit ihren Gustel zu drücken und zu busseln. Offensichtlich waren die jungen Leute sehr verliebt.

In der Kirche in Krickheide verkündete der Pastor nach der Predigt die Verlobung der Brautleute Lina und Gustav. Die Verlobungsfeier fand in Wengeln im engsten Familienkreis mit den Tauderts statt.

Für Lina war es eine lange Zeit bis zur Hochzeit, obwohl Gustav weiter alle zwei Wochen mit dem Zug nach Wengeln kam. Der Arme musste auf dem Heuboden schlafen, denn das Haus hatte außer dem Elternschlafzimmer nur noch zwei Schlafzimmer für die Mädchen.

Während der Besuche von Gustav lernten sich die beiden Brautleute in langen Spaziergänge näher kennen.

Auch half Gustav seinem künftigen Schwiegervater wo er nur konnte. Dabei erfuhr Hermann, dass Gustav 8000 Taler, sein Erbe, mit in die Ehe bringen würde.

Der Hof in Wengeln hatte noch keine „Auszugswohnung“, so nannte man die Wohnung für das Altenteil der Eltern. Gegenüber dem Wohnhaus waren eine Wagenremise, der Hühner- und Entenstall, eine Stellmacherwerkstatt und das Häuschen mit dem Herzchen untergebracht. Nun wurde in den sechs Monaten bis zur Hochzeit neben der Wagenremise schnell eine Wohnung für die Eltern von Magda und Lina gebaut. Sie wurde auch bis auf ein paar Kleinigkeiten pünktlich zur Hochzeit fertig.

Lina fieberte dem großen Tag entgegen. Wenn die drei Frauen über die bevorstehende Hochzeit sprachen glühten Linas Wangen.

„Du wirst doch nicht etwa krank werden“, sprach die Mutter sie an, und lächelte dabei.

„Nein, nein, Mutterle, ich freue mich nur so sehr auf meinen Gustel“

Etwa vier Wochen vor der Hochzeit holte die Mutter Ihr Trachtenbrautkleid aus der Truhe.

„ Sieh dir das Kleid mal an, Lina, das war mein Brautkleid“. Lina zog sich das wertvolle Kleid an. Bis auf ein paar Abnäher an den Brüsten passte es.

„Wenn es dir gefällt, ist es dein Brautkleid“.

„Es ist wunderschön, darin sehe ich aus wie eine junge Bäuerin“, jubelte Lina. Voller Freude wurde das Brautkleid angepaßt.

Am Vorabend von der Hochzeit bestand die Mutter darauf, dass Lina ein heißes Bad nahm; einen heißen Tee trank und zu Bett ging, damit sie trotz der Aufregung auch tatsächlich schlafen konnte.

Bald war das Haus ruhig. Alle Menschen hatten sich auch zum Schlafen niedergelegt. Mutter Martha lag doch noch lange wach. Sie dachte an die Zeit zurück als sie ihren Herrmann heiratete.

„Ja, ja, die Zeit vergeht. Es wiederholt sich alles im Leben“, dachte sie und schlief dabei zufrieden ein.

Frauenbutter

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