Читать книгу Forschungskreuzer Cimarron - Hubert Haensel - Страница 10
3.
ОглавлениеStunden waren vergangen, die nichts Neues und Aufregendes gebracht hatten. An Bord war die routinemäßige Geschäftigkeit wieder eingezogen, die ein Raumflug über interstellare Entfernungen eben mit sich brachte.
Diana Rossfeldt hatte den Kreuzer wenige Lichtsekunden außerhalb des dahinfließenden Materiestroms gestoppt, um Gelegenheit für ausführliche Beobachtungen und Messungen zu bekommen. Duncan Lemonde hatte sich während dieser Zeit nicht ein einziges Mal von seinen vielfältigen Instrumenten getrennt und auf Fragen meist ausweichend reagiert. Halb verärgert, halb abwartend ließ die Kommandantin ihm die Ruhe, die er sich offensichtlich wünschte.
Für Diana stand schon weitgehend fest, was der XB-18 zugestoßen sein musste. Mit einem einzigen Lasergeschütz an Bord hatte der Frachter sich gegen die schillernden Kugeln nicht erfolgreich zur Wehr setzen können. Vermutlich war es allen verschollenen Schiffen ähnlich ergangen. Waren sie entführt worden?
An diesem Punkt angelangt, drehten sich Dianas Überlegungen im Kreis. Sie fragte sich, wer ein Interesse daran haben konnte, alte Frachtraumschiffe aufzubringen, deren Ladungen womöglich nicht einmal sonderlich wertvoll waren. Gut, sie wusste nichts über die jeweilige Fracht. Aber hinter einem solchen Anschlag konnte ohnehin nur eine Zivilisation stecken, die der Menschheit zumindest auf technischem Gebiet überlegen war.
Innerlich aufgewühlt, trommelte Diana mit den Fingern auf die Armlehnen ihres Sessels. Ihr Blick taxierte einen der vielen Monitore. Die düstere Umgebung der CIMARRON stimmte schwermütig. Zum ersten Mal war die Kommandantin versucht, Ruttloffs Abneigung gegen Dunkelwolken zu teilen. Irgendwo in der Nähe lauerte eine Gefahr, die sie weder erkennen, geschweige denn einschätzen konnte.
»Es hilft nichts«, murmelte Diana mehr im Selbstgespräch als für die Zentralecrew bestimmt. Sie erhob sich und ging zu einem Wandschrank, in dem nicht nur Datenträger mit Speicherkopien lagerten.
Sie öffnete ein unscheinbares Fach, indem sie kurz gegen die Seitenwand drückte, und entnahm ihm eine dickbauchige Flasche, dazu einen von mehreren Kognakschwenkern. Genießerisch schenkte sie sich ein und nippte daran.
»Will einer von euch ebenfalls den schalen Geschmack der Hilflosigkeit loswerden?«, fragte sie. »Ausnahmsweise gestatte ich ein Minimum an Alkohol, bevor wir unseren Auftrag erledigt haben. Wer weiß …« Sie ließ offen, was sie noch hatte sagen wollen, trank einen Schluck und stellte Glas und Flasche zurück.
Lemonde winkte ab, ohne sich umzudrehen. Ruttloff hatte die Aufforderung ohnehin nicht hören können, weil er die Kopfhörer trug und alle Frequenzen nach Funksignalen absuchte. Lediglich Ramirez war nicht der Mann, der sich einen guten Tropfen entgehen ließ.
»Wer weiß«, der Waffentechniker leckte sich über die Lippen, »vielleicht hatten die Kugeln es auf unseren Brandy abgesehen.«
Diana musterte den Spanier erstaunt und nachdenklich zugleich. Ihr Lachen klang gezwungen.
José Ramirez grinste zurück. »Eines Tages wird ein Kontrolleur unser kleines Versteck aufspüren«, meinte er. »Das dann fällige Donnerwetter möchte ich lieber nicht miterleben. Die Admiralität wird uns einen groben Verstoß gegen die Dienstvorschriften anhängen.«
Diana winkte ab. »Hebung der Dienstmoral«, erklärte sie. »Außerdem sind wir keine Säufer. Ein Schluck Medizin beruhigt die Nerven. Vor allem, weil uns der Schreck vorhin enorm auf den Magen geschlagen ist.«
Mit einem nicht zu überhörenden Aufatmen verließ Duncan seinen Platz. »Fertig«, sagte er. »Du kannst deine Fragen stellen, Diana.«
Die Kommandantin verschränkte die Arme vor dem Oberkörper und fixierte ihren Ersten Offizier.
»Was hast du herausgefunden?«
Duncan zögerte. Mit einem knappen Kopfnicken deutete er auf den Wandschrank. »Sagtest du nicht, es gäbe einen guten Tropfen. Meine Kehle ist trocken.«
Diana seufzte ergeben, öffnete das Geheimfach ein zweites Mal und schenkte Duncan ein.
»Also …?«, drängte sie.
»Einige unserer Vermutungen haben sich bestätigt«, sagte Duncan. »Ein begrenzter Bereich der Wolkenmaterie bewegt sich einheitlich in eine Richtung. Ich sollte besser sagen: bewegte. Denn vor knapp zehn Minuten ist die Bewegung zum Stillstand gekommen ‒ zumindest lässt sich mit unseren Mitteln kein Nachweis mehr führen. Vermutlich besteht eine gewisse Abdrift weiterhin. Was ich definitiv feststellen konnte: Große Materiemengen verschwanden im Hyperraum. Über eine stabile Aufrissfront, etwa vierzig Lichtminuten von unserem anfänglichen Standort entfernt.«
»Wozu das alles?« Diana rieb sich mit beiden Händen die Schläfen. »Was ist die Ursache?«
»Ich muss eingestehen, dass ich keine Ahnung habe. Noch nicht«, antwortete Duncan. »Wenn wir weiterhin der Spur folgen, werden wir es sicher bald erfahren.«
Die Kommandantin kniff die Brauen zusammen. »Wie meinst du das?«
Duncan verzog die Mundwinkel. »Die Materie ist keineswegs verschwunden, wie man annehmen könnte. Sie hat den Hyperraum wieder verlassen. Ich konnte den Austrittspunkt einigermaßen genau bestimmen: er liegt fünf Lichtjahre von hier entfernt. Und wenn die Messwerte einigermaßen stimmig sind …«
»Woran ich nicht zweifle«, bemerkte die Kommandantin.
»Richtig. … dann existiert in dem Bereich eine Zone, deren Gegebenheiten ziemlich gut mit den Bedingungen im normalen interstellaren Raum gleichgesetzt werden können.« Duncan hob abwehrend beide Hände, weil Diana ihm erneut ins Wort fallen wollte. »Falls es dort überhaupt Wolkenmaterie gibt, dann nur in verschwindend geringer Dichte.«
»Bist du sicher?«
»Ich zweifle meine Berechnungen nicht an.«
»Du weißt, was das bedeutet?«
»Diese Anomalie kann unterschiedlichste Ursachen haben. Nur gibt es für uns keine Möglichkeit, das aus der Distanz zu klären.«
»Der Erste Offizier schlägt demnach vor, diesen Sektor anzufliegen.« Das war mehr Feststellung als Frage. Und wenn Diana so redete, stand ihre Entscheidung ohnehin schon fest.
»Mit der nötigen Vorsicht ‒ ja«, bestätigte Duncan. »Niemand kann sagen, was uns fünf Lichtjahre entfernt erwartet. Trotzdem: Das Schicksal der verschwundenen Frachter zu klären ist wichtiger als unser eigenes Sicherheitsinteresse. Ich denke, das ist ohnehin jedem an Bord bewusst.«
Die Kommandantin nickte. »Duncan, du hast die Verantwortung, dass exakte Kursdaten programmiert werden. Kleine Hypersprünge, allerhöchstens über jeweils ein halbes Lichtjahr. Nach jeder Etappe ausreichend Zeit für die Neuorientierung. Selbst wenn wir Tage für den Flug brauchen ‒ die Sicherheit der CIMARRON hat Priorität.«
»Aye, aye, Kommandantin!« Duncan grinste anzüglich. »Ihr Wunsch ist mir Befehl.«
Diana spitzte die Lippen, zog es aber doch vor, zu schweigen.
*
Neun Überlichtsprünge, Transition genannt, hatte die CIMARRON bereits hinter sich gebracht, ohne dass es zu neuen Zwischenfällen gekommen wäre. Die Zeitspanne nach jedem Durchgang hatte der Erste Offizier für ausgiebige Messungen genutzt.
Auch diesmal wieder. Alles blieb ruhig.
Der Countdown für den letzten Eintritt in den Hyperraum lief. Knapp vier Minuten.
Ramirez kauerte angespannt hinter den Zielkontrollen der Laserkanonen, bereit, den Forschungskreuzer binnen Sekunden in ein wehrhaftes Ungetüm zu verwandeln.
Diana Rossfeldt lehnte sich in ihrem Sessel zurück. Die Beschleunigung war Routine. Sie hielt die Augen halb geschlossen und lauschte den vielfältigen Geräuschen in der Zentrale, die längst keiner mehr bewusst wahrnahm.
Noch zwei Minuten …
Mit einer Geschwindigkeit von knapp 30.000 Kilometern in der Sekunde raste die CIMARRON dem Sprung entgegen. Das Hypertriebwerk lief an und zog die benötigte Energie von den Speicherbänken ab.
Kurz vor dem Übertritt, als niemand mit einem Zwischenfall rechnete, schrie Lemonde erschrocken auf: »Ortung! Ein Schwarm von Kugeln ist materialisiert. Sie liegen auf Kollisionskurs.«
Es mussten an die fünfzig dieser schillernden Blasen sein.
»Distanz?«, fragte Diana.
»Zu gering. Objektberührung zweifelsfrei vor unserem Übertritt. Wir müssen abbrechen und ausweichen.«
»Nein!«, wehrte die Kommandantin ab. »Countdown läuft weiter! Eine Ahnung sagt mir, dass das Ziel der Kugeln diesmal nicht unser Schiff ist.«
Die letzten Sekunden vor dem Sprung dehnten sich fast unerträglich. Dann, die Kugeln waren bereits greifbar nah …
»Sie, sie sind fort!«, ächzte Duncan. »Offenbar in Transition gegangen. Aus dem Stand heraus! Ich weigere mich, das zu begreifen.«
»Es versteht keiner von uns.« Diana brachte den Satz gerade noch zu Ende, dann trat die CIMARRON in den Hyperraum ein und raste durch das übergeordnete Kontinuum zu ihrem Zielgebiet.
*
Duncan Lemonde hatte recht behalten.
Was eigentlich nicht vorstellbar war, existierte doch. Inmitten der Dunkelwolke war ein nahezu kugelförmiger Sektor frei von kosmischem Staub. Diana fühlte im ersten Moment so etwas wie Enttäuschung. Sie hatte erwartet, eine Sonne vorzufinden, deren Strahlungsdruck stärker war als die anstürmenden Partikel. Stattdessen herrschte hier die gleiche düstere Finsternis wie überall in der Wolke ‒ eine Finsternis, die das Licht der Sterne vermissen ließ und nur einen Schimmer von Helligkeit aus chemischen und physikalischen Umwandlungsprozessen der Wolkenmaterie bezog.
»Ich hätte es wissen müssen und den Ortungen glauben«, murmelte die Kommandantin. »Sie zeigten keinen Himmelskörper an.«
Knapp eine Lichtminute durchmaß die freie Zone. Nichts war zu erkennen, was man als Ursache der Anomalie hätte einstufen können. Vielleicht war Diana deshalb versucht, an eine Bedrohung irgendwo im weiteren Umfeld zu glauben.
Mit relativ geringer Geschwindigkeit trieb die CIMARRON dem Zentrum des kugelförmigen Gebiets entgegen. Minute um Minute verging, ohne dass die Kommandantin ihre Ahnungen hätte präzisieren können.
»Weiterhin nichts, Duncan?«
Lemonde lehnte sich demonstrativ zurück. »Die Ruhe pur, falls wir das glauben dürfen. Das Radar zeigt nicht einmal Asteroiden.«
»Und die Hyperortung?«
»Das Gebiet ist so klein, dass sich der Aufwand dafür nicht lohnt«, gab er verwundert zurück.
»Ich will mir später keine Vorwürfe anhören müssen«, beharrte Diana.
»Später? ‒ Gut, wenn du glaubst, dass die Hypertaster ein anderes Ergebnis liefern könnten.«
»Wir werden sehen.« Die Kommandantin zuckte mit den Schultern.
Sie musste nicht einmal lange warten. Auf einem Monitor zeichnete sich etwas ab – blass und verschwommen zunächst, doch nach einigen Korrekturen scharf umrissen und dreidimensional in der Wiedergabe.
Ein Planet!
Eine Welt ohne Sonne ‒ im Zentrum des staubfreien Bereichs. Ein Irrläufer, der keinesfalls in dieser Umgebung entstanden sein konnte, sondern irgendwann von der Dunkelwolke eingefangen und festgehalten worden war.
»Woher kommt der?«, fragte Ruttloff überrascht.
Der Planet war sehr klein, eigentlich mondgroß, denn er durchmaß kaum dreitausend Kilometer. Schon seine vollkommene Kugelform, ohne leicht abgeplattete Pole und aufgewölbten Äquatorbereich, wäre Grund gewesen, seine Herkunft zu erforschen. Eine Rotation oder überhaupt eine Eigenbewegung war nicht zu erkennen ‒ es gab zudem weit und breit keine Sonne, deren Strahlung diese kleine Welt hätte erwärmen können. Und falls jemals pflanzliches und tierisches Leben auf dem Irrläufer existiert hatte, musste es schon vor Äonen unter einer dicken Schicht aus Schnee und Eis begraben worden sein.
»Was sagen die Messungen nun?«, fragte Diana.
»Nichts«, gab Duncan Lemonde gereizt zurück. Er schien zu überlegen, führte mehrmals hintereinander ein- und dieselbe Schaltung aus, und deutete schließlich wie anklagend auf den Hauptbildschirm. »Kannst du etwas erkennen?«
Die Kommandantin schüttelte den Kopf.
»Eben!«, schnaufte Duncan. »Weshalb wird dieser Planet nur von den Hypertastern erfasst, nicht aber von der Normalortung? Und optisch ist schon gar nichts zu sehen.«
Diana rieb sich das Kinn. »Ich weiß nicht«, bekannte sie. »Wie weit sind wir entfernt?«
Lemonde warf einen flüchtigen Blick auf die Instrumente.
»Sieben Millionen Kilometer.«
»Na also!« Diana Rossfeldt lachte herausfordernd. »Wir sehen uns das Phänomen aus der Nähe an. Binnen einer halben Stunde könnten wir in eine Kreisbahn um den Planeten einschwenken.«
Die CIMARRON beschleunigte wieder. Als schon kurz darauf das erste Bremsmanöver eingeleitet werden musste, waren alle Ortungen auf die Dunkelwelt gerichtet. Obwohl sie keine Atmosphäre aufwies, zeigte die Fernmessung eine nahezu konstante Oberflächentemperatur von plus fünf Grad Celsius an.
»Vermutlich gibt es eine ausgeprägte vulkanische Tätigkeit«, kommentierte Lemonde. »Andernfalls sollten wir eher eine erstarrte Eiswüste nahe dem absoluten Nullpunkt vorfinden. Leider sind wir praktisch blind ‒ die Hypertaster können für die Erkundung der Oberfläche nicht verwendet werden.«
»Es gibt andere Möglichkeiten«, wandte Diana ein. »Was ist mit Infrarot?«
Es dauerte nicht lange, dann schwenkte die CIMARRON in einen stabilen Orbit ein. Auf den Schirmen war mittlerweile ein deutliches Falschfarbenbild des Planeten zu sehen.
»Vermutlich eine sehr alte Welt«, stellte die Kommandantin fest. »Meere und Seen scheinen nivelliert worden zu sein, falls überhaupt jemals Wasser vorhanden war. Ebenso alle Erhebungen. Die höchsten ragen kaum noch wenige hundert Meter auf.«
Es gab weiterhin keine Radartastung. Nur die Infraroterfassung zeichnete. Die Monotonie der Bilder ließ erwarten, dass weite, von Geröll bedeckte Ebenen vorherrschten.
»Diese Welt ist tot«, sagte Ruttloff. »Sie hatte wohl nie eigenes Leben. Wir werden auch keine Station raumfahrender Intelligenzen vorfinden. Würden irgendwo da unter uns Energie erzeugende Anlagen arbeiten, hätten wir es längst festgestellt.«
»Ich wäre mir da nicht so sicher«, widersprach Duncan. »Eher frage ich mich, ob unsere Geräte verlässlich arbeiten.«
»Zweifelst du daran?«
»Wie auch immer, wir landen!«, bestimmte die Kommandantin. »Ich habe zwei Gründe dafür. Zum einen dürften wir auf dem Planeten sicherer sein als im All. Kaum geschützter, aber auf jeden Fall sicherer davor, zufällig entdeckt zu werden. Und vor allem können wir besser beobachten, was um uns herum geschieht.«
*
Die Höhenmesser reagierten nicht mehr. Die Landung musste deshalb auf Sicht ausgeführt werden und fiel dementsprechend ruppig aus. Als endlich die Triebwerke ausliefen, ruhte der Kreuzer jedoch sicher auf seinen Teleskopstützen.
»Wie geht es weiter?«, wollte Ruttloff wissen. »Ich für meine Person bin müde.«
»Sechs Stunden Ruhepause, das sollte genügen!«, entschied Diana. »Wir dürfen das Schiff aber nicht unbewacht lassen.« Sie sah sich um, und ihr Blick blieb an Ramirez hängen, der von allen den muntersten Eindruck machte.
»Übernehmen Sie die erste Wache, José? Der Schutzschirm bleibt aktiviert.«
José Ramirez nickte. »Drei Stunden«, bestätigte er.