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2.

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Nicht Omicron, eines der relativ seltenen Doppelgestirne, sondern eine kleine, gelbe Sonne, als deren Begleiter drei Planeten auszumachen waren, leuchtete von den Bildschirmen herab.

»Fehltransition!«, konstatierte der Captain niedergeschlagen. »Wenn wir nicht rechtzeitig auf Omicron II eintreffen, werden wir unser blaues Wunder erleben.«

»Ich kann keinen Fehler in den Berechnungen finden«, seufzte Swensson nach einer Weile. »Der Kontrollstreifen ist ebenfalls in Ordnung. Die Kursdaten sind exakt.«

Finch winkte mürrisch ab. »Lass es gut sein. Wir haben keine Zeit, uns lange mit Fragen herumzuschlagen, die wir nicht beantworten können. Unsere Position …«

Ein Anruf aus dem Triebwerksraum unterbrach ihn. Das Gesicht von Wilson Kane erschien auf dem Monitor des Bordrundrufs. Der Techniker war sichtlich erregt.

»Was denkt ihr da oben euch eigentlich?«, platzte Kane heraus. »Ich soll den ganzen Schlamassel wieder in Ordnung bringen, was? Diesmal nicht. Ich sage dir, Sam, da ist nichts zu reparieren.«

»Der Reihe nach!«, bat der Captain. »Wovon redest du überhaupt?«

Der Techniker riss vor Überraschung der Mund und Augen auf. »Du bist gut. Erst fliegt ihr den Hyperantrieb in Klumpen, und dann will es keiner gewesen sein. Der Umwandler ist ein einziger riesiger Schrotthaufen. Wir können von Glück reden, dass er uns nicht um die Ohren geflogen ist, sonst wären wir …« Kane schnippte mit den Fingern.

Der Captain holte tief Luft. Schweiß perlte auf seiner Stirn. »Willst du ernsthaft behaupten, dass unser Antrieb nach einem Sprung von knapp zweihundert Lichtjahren Schrottwert hat?«

»Zweihundert?« Kane winkte heftig ab. »Du hast Nerven. Dreitausend – trifft die Sache weit eher. Ich halte es für ein Wunder, dass die MADELEINE den Gewaltakt überstanden hat.«

»Sag’ das noch einmal!« Finch hatte sich vornübergebeugt, die Ellenbogen auf seiner Konsole aufgestützt und das Gesicht in beiden Händen vergraben. So starrte er auf die Wiedergabe der Außenbeobachtung und den Monitor zugleich. »Besteht eine Gefahr für das Schiff?«

Wilson Kane schüttelte den Kopf. »Die Energiezufuhr ist komplett unterbrochen. An dem Aggregat kannst du dir nicht einmal mehr die Finger verbrennen.«

»Okay, dann komm rauf in die Zentrale.« Der Monitor erlosch und Finch wandte sich an den Ersten Offizier: »Steht unsere Position fest?«

»Ich fürchte, Wilson hat recht, wenn er von dreitausend Lichtjahren spricht«, antwortete der Erste tonlos. »Für diesen Sektor liegt keine Sternkarte vor. Wir befinden uns in unerforschtem Gebiet.«

»Wir haben hier eine Sonne vom G-Typ vor uns. Wie weit ist das nächste Sonnensystem entfernt?«

Swensson benötigte einige Minuten, um das festzustellen.

»Etwa vier bis fünf Lichtjahre …«

»Also derzeit unerreichbar für uns. Ebenso, wie wir mit unserer Funkanlage keine dreitausend Lichtjahre überbrücken können ‒ es sei denn, wir hätten drei Jahrtausende Zeit.« Finch ließ eine wüste Verwünschung folgen.

»Warten bringt noch weniger«, kommentierte Kincaid. »Es gibt zu viele weiße Flecke auf den Karten der Galaxis. Bis hier eines unserer Schiffe aufkreuzt, kann ein Menschenleben vergehen …«

Wilson Kane betrat die Zentrale. Sofort wandten sich die drei Männer dem Techniker zu. Kane reagierte mit einem Achselzucken darauf.

»In der Schwerelosigkeit ist eine Reparatur undenkbar, das wisst ihr«, sagte er. »Zudem fehlen einige Ersatzteile, die wir in mühevoller Kleinarbeit erst selbst herstellen müssen. Jeder weiß doch, wie es um unseren Kahn steht.«

»Also bleibt uns keine Wahl«, stellte Finch fest. »Hoffentlich bietet einer der drei Planeten günstige Bedingungen. ‒ Welche Metalle benötigen wir für die Ersatzteile?«

*

Nach fünf Stunden Flugzeit ‒ wenigstens der Normalantrieb rechtfertigte die in ihn gesetzten Erwartungen ‒ passierte die MADELEINE die sonnennächste Welt, einen stark abgeplatteten, zerfurchten Kleinplaneten. Mangels eigener Rotation herrschte auf der sonnenabgewandten Seite eisige Nacht, während die Fernthermometer auf der anderen Hälfte Temperaturen bis zu fünfhundert Grad Celsius anmaßen.

»Ungeeignet«, sagte Swensson bedauernd. »Wer kann sich schon für Seen aus geschmolzenem Blei begeistern?«

Planet Nummer zwei zeigte sich kaum besser. Wegen der fehlenden Lufthülle war er für eine Landung denkbar ungeeignet. Die MADELEINE raste mittlerweile mit nahezu fünfzigtausend Kilometern in der Sekunde durch das Sonnensystem und musste bereits auf Gegenschub gehen.

Schließlich näherte sich der Frachter dem dritten und äußersten Planeten.

»Zwölftausend Kilometer Äquatordurchmesser!«, meldete Swensson. »Die Schwerkraft beträgt null Komma neun fünf Gravos. Stark ausgeprägte Polkappen. Nahezu die gesamte Oberfläche liegt unter dichten Wolkenfeldern verborgen.«

Knapp zwanzigtausend Kilometer über dem Planeten schwenkte die MADELEINE in einen Orbit ein.

»Sauerstoff, Stickstoff, Edelgase!« Vor Begeisterung platzte Swensson lauthals heraus. »Die Atmosphäre ist für uns atembar ‒ hört ihr?«

Die Welt, die sich nun langsam unter ihnen drehte, schien unbewohnt. Falls sie intelligentes Leben hervorgebracht hatte, stand es bestenfalls auf einer vor-technischen Entwicklungsstufe. Die Antennen des Frachters fingen nicht die einfachsten Funksignale auf.

Wo die Wolkendecke aufriss, wurde für kurze Zeit erkennbar, was sie sonst schamhaft verborgen hielt: die tiefblauen Wogen eines Ozeans und die schmutzig braune Vegetation weiter Landstriche.

Der Landeflug erfolgte nur mithilfe des Antigravs. In knapp acht Kilometern Höhe tauchte die MADELEINE in die ersten dichten Wolkenbänke ein. Ringsum tobte ein Chaos aus Blitzen und dröhnenden Donnerschlägen. Faustgroßer Hagel prasselte gegen das Schiff.

Obwohl die Morgendämmerung über diesem Bereich des Planeten schon einige Stunden zurücklag, herrschte finsterste Nacht. Captain Finch flog den Frachter ohne Sicht. Unaufhörlich zerrte und rüttelte der Sturm an der MADELEINE, als wolle er sie vom Kurs abbringen.

Dann ‒ Bodenkontakt.

Ein letztes Knistern und Knacken, mit dem Spanten und Verstrebungen zur Ruhe kamen, ein leichtes Nachfedern der mächtigen Landebeine. Das Dröhnen des Antigravs brach unvermittelt ab.

Minuten später begann der Orkan abzuflauen. Es dauerte nicht lange, dann verklang das Donnergrollen in der Ferne. Am östlichen Horizont durchbrachen vereinzelte Lichtfinger das Schwarz der Wolken. Keine zehn Minuten später schien für kurze Zeit die Sonne.

*

Eine weite Steppe erstreckte sich bis an den Horizont. Das Land war so gleichmäßig eben, dass es eigentlich nur während einer Eiszeit entstanden sein konnte. In der Nähe der MADELEINE plätscherte ein weit mäandernder Fluss gemächlich dahin.

Etwa zehn Kilometer südlich erhob sich eine bewaldete Hügelkette aus der Ebene. Nicht besonders hoch, aber den Messungen zufolge reich an Bodenschätzen.

»Wir sehen uns die Sache aus der Nähe an«, entschied der Captain. »Je eher wir dieser Welt ade sagen können, desto besser.« Er wandte sich an Swensson: »Jack, du bleibst an Bord. Bis zu unserer Rückkehr sollte alles vorbereitet sein; vielleicht können wir schon morgen oder übermorgen mit der eigentlichen Arbeit beginnen. Ach ja ‒ und setze alles daran, herauszufinden, was für unseren Fehlsprung verantwortlich war. Das lässt mir keine Ruhe.«

Eine Viertelstunde später verließen der Captain, Dave Quinger und der Lagerist Walter Küber die MADELEINE durch die Heckschleuse. Sie führten einen hochmodernen Bodentaster mit sich, der Probebohrungen bis zu fünfzig Metern Tiefe ermöglichte. Zu ihrem Selbstschutz trugen sie die üblichen handlichen Laserpistolen. Auch wenn es unnötig erschien, die generellen Vorschriften für Raumfahrer enthielten in der Hinsicht eindeutige Passagen.

Es war eine lautlose Landschaft, die sie auf ihren Antigravkissen überflogen. Eine in Reglosigkeit erstarrte Natur.

»Es ist seltsam hier«, kommentierte Quinger. »Eine unwirkliche Welt. Ich vermisse Insekten, Vögel und überhaupt …«

»Sei froh, dass wir uns nicht mit einer bedrohlichen Tierwelt herumschlagen müssen«, fiel der Captain dem Funker ins Wort. »So friedvoll ist es mir bedeutend lieber. Im Übrigen werden wir gleich die nötigen Messungen vornehmen. Schon um die Daten zu präzisieren, die wir vom Schiff aus bekommen haben.«

Sie landeten auf einem sanft ansteigenden Hang, rund hundert Meter über dem Niveau der Ebene. Vor ihnen begann ein dichter werdender Wald.

Bereits die ersten detaillierten Analysen bestätigten größere Erzvorkommen. Sie begannen in einer Tiefe von etwa dreißig Metern und setzten sich weit in die Kruste des Planeten hinein fort.

Eine Probebohrung wurde niedergebracht. Mühelos fraß sich der wenige Zentimeter dicke Desintegratorstrahl in den Untergrund. Allerdings kam er schon nach wenigen Minuten zum Stillstand. Der stete Strom ihrer molekularen Bindungen beraubter Materie versiegte jäh. Daran änderte sich auch nichts, als der Captain die Energieleistung erhöhte und den Durchmesser des Bohrstrahls vergrößerte.

»Unmöglich.« Kopfschüttelnd schaltete Finch das Gerät ab. »Es gibt nicht viel, was einem Desintegrator widerstehen kann.«

»Metatol«, sagte Quinger. »Vor allem das künstliche Metall hat diese Widerstandskraft. Gerade deshalb und wegen seines geringen spezifischen Gewichts findet es im modernen Raumschiffsbau Verwendung.«

Wer das langwierige, technisch aufwändige Herstellungsverfahren von Metatol kannte, dem musste sich eine Frage geradezu aufdrängen: Wie kam das Kunstmetall, das der Menschheit erst seit wenigen Jahren bekannt war, unter die Oberfläche einer offenbar unbewohnten Welt?

»Es kann dort seit Jahrtausenden liegen«, überlegte Dave Quinger.

»Das Wrack eines abgestürzten Raumschiffs?«, fragte der Captain. Er stutzte, weil Quinger auf eine einzelne Baumgruppe zuging. »Dave, was hast du vor?«

Quinger hielt nur kurz inne und sah sich um. »Ich ‒ weiß nicht recht.« Er wirkte nervös. »Ich habe den Eindruck, wir werden seit einigen Minuten beobachtet.«

»Hier ist niemand außer uns.« Finch winkte ab, doch wie er das tat, indem er sich halb um die eigene Achse drehte, verriet seine eigene Unsicherheit. Nach wie vor war alles ruhig ‒ zu ruhig, wie er mit einem Mal fand.

»Zurück zur MADELEINE?«, fragte Küber.

Dave Quinger stieß einen unterdrückten Schrei aus. Seine Rechte hatte er ohnehin schon nahe an der Laserpistole gehalten, nun riss er die Waffe vom Magnetholster und löste sie aus.

Fauchend entlud sich der Strahlschuss. Dreißig Meter entfernt ließ die gebündelte Energie einen umgestürzten Baum aufglühen. Das feuchte Holz bot den aufzuckenden Flammen aber wenig Nahrung.

Zweimal hintereinander betätigte Quinger den Auslöser. Die zweite Schussbahn lag etwas weiter links. Für den Bruchteil einer Sekunde traf der Laserstrahl auf ein bisher unsichtbares Hindernis, floss daran auseinander und zeichnete dessen Konturen nach. Die Umrisse schienen einer menschlichen Gestalt zu gehören.

Gleichzeitig rissen auch der Captain und Walter Küber ihre Waffen hoch.

»Also doch!«, stöhnte Quinger. »Jemand verfolgt uns, womöglich schon seit wir das Schiff verlassen haben. Es war nicht mehr als ein Zufall, dass ich dieses Wesen, oder was immer es sein mag, bemerkte.«

»Wir sind also nicht allein hier«, bestätigte Finch. »Wer immer das ist, sein Versteckspiel lässt nicht das Beste ahnen. Gut, wenn es so sein muss: Wir schießen, sobald etwas verdächtig erscheint. Fragen stellen wir hinterher.«

Der Captain hielt seinen Laser schussbereit und griff mit der linken Hand nach dem Bodentaster. Gemeinsam mit Küber hob er das Gerät an.

»Wir gehen zurück«, entschied er.

Der Erste Offizier meldete sich Sekunden später über Funk: »Wir haben Laserschüsse angemessen. Was ist bei euch los?«

»Eine Begegnung mit etwas Unsichtbarem«, antwortete Finch. »Mehr kann ich dazu nicht sagen. Ist bei euch alles ruhig?«

»Keinerlei Vorfälle.« Jack Swensson klang überrascht. »Soll ich den Schutzschirm aufbauen?«

Finch entschied sich dagegen. Der Energieverlust, den ein aktives Prallfeld für die MADELEINE bedeuten würde, eben weil der Umwandler ausgefallen war, erschien ihm zu hoch.

»In Ordnung«, bestätigte Swensson. »Und das Wichtigste: Wir haben die Ursache unseres Fehlsprungs herausgefunden. ‒ Jemand hat am Bordrechner herumgespielt!«

Weil der Captain nicht sofort darauf reagierte, fuhr der Erste Offizier fort: »Die Zielkoordinaten wurden für dieses Sonnensystem programmiert. Wer immer uns das eingebrockt hat, ist dabei äußerst geschickt vorgegangen. Eine Rückkopplung löschte alle zu einem späteren Zeitpunkt eingegebenen Werte, aber erst, nachdem diese auf dem Kontrollstreifen ausgedruckt worden waren. Einen raffinierteren Trick kann ich mir kaum vorstellen.«

Der Captain und seine beiden Begleiter sahen einander erschrocken an.

»Wer könnte die Programmierung ausgeführt haben?«, fragte Finch.

Swensson hatte sich die Frage schon gestellt, denn er antwortete ohne zu zögern: »Außer uns beiden vielleicht Wilson. Jeder andere müsste spätestens an der Überbrückungsschaltung scheitern.«

Der Captain rieb sich das Kinn. »Ich war es nicht, du sicher auch nicht, und Wilson …?«

»Für ihn lege ich meine Hand ins Feuer«, antwortete der Erste Offizier.

»Ich bin ganz deiner Meinung.« Der Captain seufzte. »Also, was bleibt? Kann der Rechner während unseres letzten Aufenthalts frisiert worden sein? Ich meine, Universe-City ist ein heißes Pflaster.«

»Ausgeschlossen!«, wehrte Swensson ab. »Die falsche Programmierung muss zeitnah vor dem letzten Hypersprung erfolgt sein, also erst nach unserem Orientierungsaustritt. Andernfalls wären wir nie im Debair-Sektor angekommen. Ich kann mir auch nicht vorstellen …« Mitten im Satz brach die Verbindung ab.

»Jack!«, rief Finch in böser Vorahnung. »Jack, was ist los?«

Swensson antwortete nicht.

Augenblicke später wussten der Captain und seine Begleiter, was geschehen war. Die MADELEINE war verschwunden!

Das Geisterschiff

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