Читать книгу Dennis und Guntram - Zaubern für Fortgeschrittene (Band2) - Hubert Wiest - Страница 5

1. Die Halloweenbeute

Оглавление

Guntram war weiß wie Mehl. Blut tropfte aus seinem Mund. Die eiszapfengroßen Vampirzähne glitzerten im Licht der Straßenlaternen. Mit seinem dunkelgrünen Samtumhang und dem weißen Rü¬schenhemd sah er aus wie Graf Dracula.

„Echt gruselig“, meinte Dennis und setzte seine Monstermaske auf. Giftgrüne Plastikwürmer bohrten sich durch die Stirn der Maske, die Augen leuchteten rot, und aus dem eingebauten Lautsprecher drang ein Schluchzen.

Guntram schulterte den Einkaufsbeutel. „Meinst du, er ist groß genug?“

Dennis nickte. Die Würmer wackelten auf seiner Stirn hin und her. „Wir starten beim Bäcker. Dort bekommen wir sicher Süßigkeiten.“

Dennis konnte nur trippeln, denn sein weißes Gespenstergewand reichte bis zum Boden und war unten so eng, dass er kaum einen Fuß vor den anderen setzen konnte.

Vor der Bäckerei fragte Guntram: „Wie geht das noch mal? Was müssen wir sagen, damit wir Süßigkeiten bekommen?“

„Süßes oder Saures“, sagte Dennis. Er hatte es Guntram heute Nachmittag schon ein Dutzend Mal erklärt. „Und wir müssen grimmig sein. Nur keine Freundlichkeiten.“

Die Glocke bimmelte, als sie die Ladentür aufdrückten. Die Bäckerin kam aus dem Nebenraum. Sie wischte ihre mehligen Hände an der Schürze ab. Fröhlich lachte sie Guntram und Dennis an: „Meine Herren, ist Ihnen nicht gut? Sie sehen blass aus.“

Guntram knurrte wie ein Tiger.

„Sie klingen erkältet“, sagte die Bäckerin und griff nach einem großen Glas, gefüllt mit kirschroten Hustenbonbons.

Guntram hörte nicht auf zu knurren.

„Nun sag schon“, zischte Dennis seinem Freund zu, der den Text offensichtlich schon wieder vergessen hatte.

„Was wünschen die Herren?“, fragte die Bäckerin. Sie hielt die Hand voll köstlich duftender Kirschbonbons.

Dennis nahm seinen ganzen Mut zusammen. Noch nie hatte er an Halloween Bonbons gefordert. Er war immer nur mitgegangen, hatte hinterher seinen Teil abbekommen, aber jetzt musste er es über die Lippen bringen. Guntram knurrte nur. Er war heute zu nichts zu gebrauchen.

Dennis holte tief Luft, dann haspelte er: „Süßes oder Saußes.“ Auch noch versprochen. Mann, war das peinlich, aber in der Verkleidung würde ihn die Bäckerin wenigstens nicht erkennen.

Die Frau lachte. Sie gab ihnen reichlich Bonbons. Auch noch zwei Schokoriegel und ein paar Kaugummis warf sie in den Beutel.

Als die beiden gingen, rief die Bäckerin ihnen nach: „Und richte deiner Mama noch schöne Grüße aus, Dennis.“

Dennis lief knallrot an. Aber wenigstens sah man das nicht unter der Maske. Guntram knurrte immer noch.

„Hör endlich auf mit dem Mist“, zischte Dennis und schob seinen Freund voran. Endlich fiel die Ladentür hinter ihnen ins Schloss.

„Super“, strahlte Guntram mit seinem Draculagesicht. „Das hat hervorragend geklappt, auch wenn ich den Spruch irgendwie anders in Erinnerung hatte.“ Dennis knuffte Guntram in die Seite. Sie mussten beide lachen.

Auch in den nächsten Geschäften machten Dennis und Guntram fette Beute. Sie wechselten sich ab und wenn Dennis knurrte, rief Guntram voller Begeisterung: „Süßes oder Saußes.“ Es klappte hervorragend.

Ihr Beutel war bald zum Platzen voll mit den herrlichsten Süßigkeiten. Als sie aus der Metzgerei kamen, beschlossen sie, ihre Beute nach Hause zu bringen und in Dennis' kuschelig warmem Zimmer zu genießen. Es nieselte jetzt, und der ganze Heimweg lag noch vor ihnen. Dennis schlotterte unter seinem Gespenstergewand. Es war viel zu dünn. Er hätte seinen Daunenanorak darunter anziehen sollen, wie seine Mutter gesagt hatte. Die Monstermaske fühlte sich an, als wäre sie festgefroren. Er schob sie nach oben wie einen Hut. Die Plastikwürmer nickten im Takt seiner Trippelschritte.

Guntram nieste. Das künstliche Draculablut hatte sich inzwischen mit der weißen Schminke zu einem rosafarbenen Brei vermischt. Er klapperte mit den Zähnen.

„Für heute reicht es“, schniefte Guntram.

Der Gehweg war kaum zu erkennen. Die Straßenlampen auf ihrer Seite waren ausgefallen. Plötzlich sprangen drei Gestalten hinter einer Gartenmauer hervor. Sie trugen schreckliche Masken ohne Augen und Nasen, dafür mit riesigen Mäulern. Rotes Licht glühte aus ihren Rachen und beleuchtete die messerspitzen Zähne. Der Größte von ihnen trug einen riesigen Sack auf dem Rücken.

„Süßes oder Saures“, grunzte er.

Das sind auch nur Kinder, versuchte sich Dennis zu beruhigen. Trotzdem zitterte er jetzt mehr vor Angst als vor Kälte. Aus dem Lautsprecher seiner Maske kam jetzt ein klagendes Seufzen.

„He, das geht nicht. Wir sind selbst gruselige Monster“, rief Guntram erbost und begann zu knurren. Er fletschte sein kleines Draculagebiss und drückte Dennis die Monstermaske wieder ins Gesicht. Die Würmer zappelten aufgeregt hin und her, und die roten Augen blinkten.

Die drei Gestalten lachten schaurig.

„Her mit dem Krempel“, grunzte einer. Die beiden anderen sagten kein Wort und traten einen Schritt auf Dennis und Guntram zu. Sie hoben ihre Fäuste.

„Niemals“, schrie Guntram Mempelsino von Falkenschlag und holte mit dem Beutel aus, um zuzuschlagen. Er fauchte wie ein Tiger. „Nichts bekommt ihr von uns. Nichts Süßes und nichts Saußes.“

Doch ehe er einen Treffer landen konnte, packten ihn die zwei Gestalten und hoben Guntram einfach hoch. Mit höhnischem Grunzen entriss ihm der dritte den Süßigkeitenbeutel. Guntram zappelte und schrie, aber die beiden anderen hielten ihn einfach fest. Dennis stand wie festgewachsen daneben. Er schaffte es nicht, sich zu bewegen.

Die schwarze Gestalt leerte den Beutel mit allen Süßigkeiten in den riesigen Sack. Dieser war viel größer als ihr eigener Beutel und fast schon voll. Mit einem dicken Strick band er den Sack zu und wuchtete ihn auf die Schulter. Wie eine leer gesaugte Milchtüte warf er Dennis' Einkaufsbeutel weg. Dann ließen die zwei Gestalten Guntram los. Er stürzte auf den Gehweg direkt in eine Pfütze.

Mit grunzendem Grölen drehten sich die drei Monster um und rannten davon.

„Bis morgen“, kicherte einer. Und in diesem Moment erkannte Dennis die Schuhe der drei. Schwarze Stiefel mit silbernen Haien: „Kalle, Eddie und Bruno“, stotterte er.

Noch im Liegen zückte Guntram Mempelsino von Falkenschlag seinen Zauberstab. Er richtete ihn auf den Sack und murmelte wütend einen Zauberspruch. Nur das letzte Wort verstand Dennis: Plombat. Für einen Moment kam es ihm so vor, als würde der Strick, der oben um den Sack gebunden war, rosafarben aufblinken. Aber sonst geschah nichts. Unbeirrt rannten die drei von der Haibande weiter. Sie nahmen die Beute einfach mit. Selten hatte Guntram so schwach gezaubert.

Guntram rappelte sich auf. Wasser tropfte aus seinen Kniebundhosen. Er nieste. „Mir ist schrecklich kalt. Lass uns nach Hause gehen.“

„Die haben unsere Süßigkeiten einfach gestohlen!“ Dennis standen die Tränen in den Augen.

„Das geht schon in Ordnung“, sagte Guntram und schnäuzte in sein Taschentuch.

Dennis verstand nicht. Er war schrecklich wütend. Es war zu spät, um noch einmal durch die Geschäfte zu ziehen. Und so gingen sie ohne ein einziges Bonbon nach Hause.

Am nächsten Tag, als der Schulgong zur großen Pause läutete, lungerten ausgerechnet die drei von der Haibande vor Dennis' und Guntrams Klassenzimmer herum. Dennis sah nicht hin. Diese Idioten wollte er nicht sehen. Er drängte in die entgegengesetzte Richtung.

„He“, hörte er Kalle rufen, „Guntram, Dennis, kommt mal her.“

Dennis wollte nicht zu ihnen gehen, selbst wenn sie darum baten. Doch er spürte, wie Guntram ihm die Hand auf die Schulter legte und ihn sanft zur Haibande hinüberschob.

Kalle wartete noch einen Augenblick, bis sich der Gang geleert hatte und die anderen Kinder auf den Pausenhof verschwunden waren. Dennis starrte auf die schwarzen Stiefel mit den Haiabzeichen.

„Was wollt ihr?“, sagte Guntram und sah die drei herausfordernd an. Dennis stand einen halben Schritt hinter Guntram. Er hätte am liebsten umgedreht.

„Es tut uns leid“, murmelte Kalle. Dabei sah er auf den Boden.

„Aha“, sagte Guntram und dann wartete er.

Dennis wollte etwas sagen, irgendjemand musste etwas sagen, aber Guntram hielt ihn zurück.

„Es tut uns leid, dass wir eure Süßigkeiten geklaut haben“, sagte Kalle ganz kleinlaut.

„Dann gebt sie zurück und die Sache ist vergessen“, erklärte Guntram.

Kalle knetete seine Hände. Auch Eddie und Bruno sahen zu Boden.

„Das geht nicht“, sagte Kalle. „Wir bekommen den Sack nicht auf.“

„So, so“, sagte Guntram und sah aus, als wäre er furchtbar verblüfft.

Dennis schmunzelte. Er ahnte, warum der Strick gestern Abend rosafarben geblinkt hatte.

„Der Knoten ist zu fest zugezogen“, sagte Eddie. Kalle knuffte Eddie mit dem Ellenbogen in die Seite.

„Wir haben den Sack oben im Werkraum. Vielleicht könnt ihr ihn euch ansehen?“, meinte Kalle.

Guntram nickte. Sie schlichen zu fünft nach ganz oben in den Werkraum, direkt unter dem Dach. Sie mussten aufpassen. Natürlich war es in der Pause verboten, den Werkraum zu betreten.

Der Sack, oben mit einem rosafarbenen Strick zusammengebunden, stand auf der Werkbank direkt vor dem offenen Fenster. Ein stürmischer Wind pfiff herein, doch der Sack bewegte sich keinen Millimeter. Wie aus Stahl stand er da.

„Nicht einmal aufschneiden konnten wir ihn“, sagte Kalle und klang verzweifelt. Eine Schere lag zerbrochen daneben.

Dennis legte seine Hand auf den Strick. Er fühlte sich an wie eine Panzerkette.

„Aufsägen ging auch nicht“, murmelte Eddie und zog eine völlig verbogene Säge aus dem Werkzeugregal. Die Hälfte der Zähne war abgebrochen.

Kalle legte Guntram die Hand auf die Schulter und sagte: „Vielleicht kannst du den Sack mit einem Zaubertrick öffnen. Dann teilen wir die Beute, machen halbe-halbe.“

Dennis jubelte innerlich. Die Hälfte der ganzen Beute, das war viel mehr als ihr Anteil. Doch dann hörte er Guntram Mempelsino von Falkenschlag mit strenger Stimme fragen: „Habt ihr den Rest der Beute auch anderen Kindern abgenommen?“

Kalle nahm seine Hand von Guntrams Schulter und fuhr sich über die Stirn, als müsse er überlegen.

„Sag's doch, Chef“, platzte Bruno dazwischen. „Natürlich haben wir das den anderen Gnomen abgenommen. War eine Riesengaudi. Die haben sich vor Angst fast in die Hosen gemacht.“ Eddie kicherte.

Kalle kratzte sich weiter an der Stirn. Schließlich murmelte er bedrückt: „Ja, okay, das meiste haben wir anderen Kindern abgenommen. Das ging viel schneller. Und außerdem ist das an Halloween erlaubt. Da darf man Leute erschrecken.“ Und schon wieder etwas großspuriger fügte er hinzu: „Öffnest du jetzt unseren Sack, oder kannst du das gar nicht?“

Guntram stellte sich breitbeinig hin. Seine roten Locken und der Samtumhang wehten im Wind. Er sah Kalle mit zusammengekniffenen Augen an und sagte: „Ich helfe euch, aber ihr müsst versprechen, den anderen Kindern ihre Süßigkeiten zurückzugeben.“

Dennis zuckte. Wie Himbeereis in der Mikrowelle sah er den Berg der Süßigkeiten dahinschmelzen, aber natürlich hatte Guntram recht.

„Niemals, das kommt überhaupt nicht infrage“, polterte Eddie.

„Der spinnt doch. Dafür haben wir uns nicht die Mühe gemacht“, schimpfte Bruno.

„Gut, dann gehen wir“, erklärte Guntram, drehte sich um und ging zur Tür. Dennis folgte ihm.

Gerade drückte Guntram die Türklinke, da rief Kalle: „In Ordnung, wir geben die Süßigkeiten zurück. Versprochen.“

Eddie grunzte ungläubig, und Bruno glotzte den Chef der Haibande an.

Ohne ein Wort zu sagen, kam Guntram zurück. Er stellte sich vor den Sack und zückte seinen Zauberstab.

Dennis zweifelte, ob Kalle sein Versprechen einhalten würde.

Doch Guntram schwang beherzt den Zauberstab und murmelte eine komplizierte Formel. Dann deutete er mit dem Zauberstab auf den Sack und schloss lächelnd mit einem leisen Plombat.

Der Sack blähte sich immer weiter auf, begann rosa zu glühen und schließlich platzte er mit einem ohrenbetäubenden Knall. Im gleichen Moment pfiff eine kräftige Bö durchs Fenster und riss fast alle Süßigkeiten hinunter in den Pausenhof.

Fassungslos starrten Kalle, Eddie und Bruno hinterher.

Dennis rief noch aus dem Fenster: „Achtung, Süßes oder Saußes.“ Da kreischten und jubelten die Kinder schon im Pausenhof.

Guntram steckte ein übrig gebliebenes Kirschbonbon ein und zuckte bedauernd mit den Schultern. „War wohl der falsche Zauberspruch, aber auch nicht übel.“

Dennis und Guntram - Zaubern für Fortgeschrittene (Band2)

Подняться наверх