Читать книгу Dennis und Guntram - Zaubern für Anfänger (Band1) - Hubert Wiest - Страница 4
1. Die Neuen
ОглавлениеDennis Blauberg sah sogar hinter der Mülltonne nach, aber es war weg – einfach verschwunden. Immer stellte er es vor dem Haus ab. Meistens schloss er es am Gartenzaun fest. Wer klaute so eine alte Möhre? Es war kein tolles Fahrrad gewesen, aber er brauchte es doch.
Obwohl, vielleicht war das gar nicht so übel, überlegte Dennis. Seine Eltern würden ihm ein neues Fahrrad kaufen – ein richtiges Mountainbike mit 27 Gängen, ohne Schutzbleche und ohne bescheuerten Gepäckträger. Aber er musste es geschickt einfädeln. Mama und Papa benahmen sich in solchen Dingen ziemlich komisch. Beim Abendessen würde er es versuchen, wenn Papa nicht so gestresst war. Den ganzen Nachmittag überlegte Dennis, wie er es am besten anstellen würde.
„Dennis, was ist heute mit dir los?“, fragte Frau Blauberg und legte sich noch eine Tomatenscheibe aufs Käsebrot.
„Gar nichts. Wieso?“
Frau Blauberg deutete auf Dennis’ Teller: „Du isst doch sonst dein Wurstbrot nicht mit Messer und Gabel.“
„Ich finde das so viel appetitlicher.“
Herr Blauberg grinste: „Man merkt, dass unser Dennis schon ein Großer ist und in die vierte Klasse geht.“
Dennis jubelte im Stillen. Seine Eltern hatten angebissen. Jetzt durfte er keinen Fehler machen: langsam essen, gerade sitzen, nicht schmatzen und dieser ganze Erwachsenenkram. Er tupfte sich den Mund mit der Serviette ab und nahm einen Schluck Mineralwasser.
„In das alte Haus schräg gegenüber sind Leute eingezogen“, sagte Frau Blauberg. „Ich dachte eigentlich, die reißen es ab und bauen etwas Vernünftiges hin.“
Herr Blauberg wischte sich mit der Hand über den Mund. „Ist doch gar nicht so übel. So haben wir keinen Baulärm. Und wer weiß, was die gebaut hätten – vielleicht irgend so ein Hochhaus.“
„Ja schon, aber die neuen Nachbarn laufen wie an Fasching herum: Rüschenhemden, Samtumhänge und die Frau trägt ein grell buntes Kleid – richtige Hippies.“
Dennis stopfte ein viel zu großes Stück Brot in den Mund. Das Gespräch nahm keine gute Wendung. Er wollte doch über sein neues Fahrrad sprechen.
Herr Blauberg nickte und murmelte mit leuchtenden Augen: „Die fahren einen Porsche und ihr Sohn ist fast so groß wie Dennis.“
„Das ist doch kein Auto. Diese lila Rostlaube ist bestimmt 20 Jahre alt und hat lauter Dellen und Schrammen“, sagte Frau Blauberg. Sie fuchtelte mit dem Messer durch die Luft.
„Schon, aber der Sound“, seufzte Herr Blauberg.
Dennis’ Gehirn ratterte auf Hochtouren. Wie bekam er das Gespräch jetzt wieder in die richtige Bahn? Die neuen Nachbarn waren ihm wirklich egal.
„Bernd, mit so einem Auto kann man nicht einmal in den Urlaub fahren. Es hat keinen Platz für Gepäck.“
Da nahm Dennis seinen ganzen Mut zusammen. Er schluckte seinen Bissen hinunter und sagte trocken: „Mein Fahrrad ist weg.“ Sonst nichts.
Seine Eltern hörten auf zu essen. Sie sahen Dennis an.
„Ich sperre es immer ab.“
Herr Blauberg wiegte seinen Kopf hin und her.
„Na ja, meistens.“
Frau Blauberg bekam rote Flecken im Gesicht. „Ich will wirklich niemand verdächtigen, aber …“
Dennis konnte sich auch nicht vorstellen, warum die Neuen das tun sollten. Überhaupt konnte er sich nicht vorstellen, dass irgendjemand sein Klapperfahrrad klauen würde. Aber wenn Mama das glauben wollte – bitte schön.
„Bestimmt nicht“, sagte Herr Blauberg und schüttelte seinen Kopf.
„Bernd, kannst du mir bitte den Brotkorb geben.“ Frau Blaubergs Stimme klang spitz.
„Ich brauche ein neues Fahrrad. Und da dachte ich mir, so ein richtiges Mountainbike wäre praktisch.“
„Wie bitte?“, fragte Frau Blauberg ungläubig, als hätte Dennis vorgeschlagen, den nächsten Sommerurlaub auf dem Mond zu verbringen.
„So ein Mountainbike hat ja nicht einmal einen Gepäckträger“, wandte Herr Blauberg ein.
„Ich könnte die Abkürzung über den matschigen Wiesenpfad in die Schule nehmen. Und wäre auch schneller bei Oma“, fügte Dennis hastig hinzu.
„Jetzt schauen wir erst einmal, ob dein altes Fahrrad wieder auftaucht“, sagte Frau Blauberg, und Herr Blauberg fügte hinzu: „Ein neues Mountainbike ist viel zu teuer.“
Dennis ärgerte sich, dass seine Eltern ausgerechnet heute so einen miesen Tag hatten. Sie konnten doch nicht ernsthaft erwarten, dass er mit dem Bus in die Schule fuhr. Kalle und die anderen von der Haibande würden ihn fertigmachen. Dennis pfefferte sein Besteck auf den Tisch und beschloss, mit den Fingern weiterzuessen. Warum sollte er sich jetzt noch bemühen?
Da klingelte es an der Haustür.
„Dennis, kannst du aufmachen?“, fragte Frau Blauberg.
„Hab den Mund noch voll“, murmelte Dennis und pustete dabei ein paar Brotkrümel über den Teller.
Seufzend stand Herr Blauberg auf und ging zur Tür. Es dauerte nicht lange. Er kam zurück und sagte: „Dennis, Besuch für dich.“
Dennis verstand nicht. Wer sollte ihn besuchen? Er bekam fast nie Besuch.
„Der neue Nachbarsjunge von gegenüber.“
Frau Blauberg rollte vielsagend mit den Augen. „Geh schon“, seufzte sie.
Mürrisch stand Dennis auf. Die Sache mit dem Mountainbike war total schiefgelaufen.
Vor der Haustür wartete ein blasser Junge. Seine roten Locken standen wirr ab. Er hatte sie bestimmt seit Tagen nicht mehr gekämmt. Der Junge grinste die ganze Zeit. Aber das Sonderbarste war seine Kleidung. Er trug eine lilafarbene Kniebundhose, dazu Stulpenstiefel und ein weißes Hemd, vorne mit fuddeligen Rüschen. Über seine Schultern hatte er einen flaschengrünen Samtumhang geschwungen. Das sah wirklich peinlich aus. Fasching war längst vorbei.
„Guntram“, sagte der Junge und streckte Dennis seine bleiche Hand entgegen. „Ich heiße Guntram Mempelsino von Falkenschlag.“
„Aha.“
„Und du?“
„Dennis, Dennis Blauberg.“ Im nächsten Augenblick ärgerte sich Dennis. Warum antwortete er überhaupt?
„Ich geh schon in die Vierte“, sagte Dennis und versuchte, so cool zu klingen wie Kalle von der Haibande.
Jetzt strahlte der Junge mit den roten Locken, als hätte er Fernlicht angeknipst.
„Ich gehe auch in die Vierte.“
„Na wunderbar“, murmelte Dennis. Jetzt schickten sie schon Kleinkinder in die Vierte. Mit dem durfte sich Dennis nicht sehen lassen, sonst wäre sein Image total ruiniert. Die von der Haibande machten sich sowieso über ihn lustig.
„Und?“, fragte Dennis.
„Ich wollte hallo sagen. Wir wohnen gegenüber. Wir sind Nachbarn.“ Guntram lächelte Dennis an, als wären sie beste Freunde.
„Warum trägst du Faschingsklamotten?“, fragte Dennis.
Guntram strich über seinen Samtumhang und zupfte die Rüschen zurecht. „Ich bin Zauberer.“
„Ach ja?“ Dennis kannte sich mit Zaubererklamotten aus. Harry Potter würde niemals so komische Sachen anziehen.
„Du hast heute schlechte Laune“, sagte Guntram und sah Dennis mit Röntgenblick an. Dennis fühlte sich ertappt.
„Mein Fahrrad ist weg. Jemand hat es gestohlen.“ Dennis zog eine Augenbraue hoch, wie er es von Mama kannte.
„Wie sieht denn dein Fahrrad aus?“
„Ein Mountainbike mit 27 Gängen ohne Gepäckträger und …“ Dennis schüttelte sich. „Äh nein, ein hellblaues Kinderfahrrad mit Batman-Aufkleber.“
„Und einem Pumuckel-Wimpel?“, fragte Guntram.
Dennis nickte. Diesen blöden Wimpel hätte er längst abschrauben sollen. Dafür war er viel zu alt. Aber woher wusste der Junge das? Außer … Dennis stemmte seine Arme in die Hüften.
„Das Fahrrad steht vorne beim Bäcker, schon seit gestern“, sagte Guntram.
Au Mann, fiel es Dennis siedend heiß ein. Er selbst hatte das Fahrrad dort stehen lassen, um den Kuchen nach Hause zu tragen. Auf dem Gepäckträger hätte er ihn nur zerquetscht.
Der rothaarige Junge lächelte.
Dennis kochte vor Wut. Jetzt hatte ihm der Junge auch noch das Mountainbike vermasselt. Er war so dicht dran gewesen, seine Eltern zu überzeugen.
„Soll ich mitkommen, dein Fahrrad beim Bäcker abzuholen?“
„Danke, nicht nötig“, sagte Dennis und drückte die Tür vor Guntrams Nase zu.
Der hatte es wirklich nicht anders verdient. Ist doch wahr. Aber dann kroch ein seltsames Gefühl in ihm hoch und begann zu nagen. Quatsch, er musste kein schlechtes Gewissen haben. Obwohl, Guntram wollte ihm helfen. Und überhaupt kam fast nie jemand vorbei, um ihn zu besuchen.
Aber mit Guntram durfte er sich nicht sehen lassen. Sonst wäre er bei der Haibande unten durch.
„Alles in Ordnung?“, fragte Frau Blauberg.
„Der Neue von gegenüber hat mein Fahrrad gefunden.“
„Ach ja?“, Frau Blauberg zog eine Augenbraue nach oben.