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3. Der Klavierunterricht

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Als Dennis die Tür aufschloss, hörte er seine Mutter schon rufen: „Dennis, du bist spät dran. Hast du deinen Klavierunterricht vergessen?“

Dennis schob Guntram durch die Tür. „Mama, ich habe einen Freund mitgebracht. Das ist Guntram von gegenüber.“ Es fühlte sich gut an, als Dennis das Wort Freund über die Lippen kam.

Frau Blauberg eilte herbei. Sie musterte Guntram von oben bis unten und sagte: „Hallo, Günther, schön, dass du Dennis besuchst. Dennis hat sonst nie Freunde da. Aber ausgerechnet heute ist es etwas ungünstig. Dennis hat gleich Klavierunterricht, und danach muss er für den Mathetest lernen.“

Dennis kochte. Warum musste seine Mutter immer alles verpatzen? Wie stand er jetzt vor Guntram da? Als hätte er keine Freunde.

Guntram schien sich daran kein bisschen zu stören. Er verbeugte sich so tief, dass der flaschengrüne Samtumhang über seinen Kopf rutschte: „Guntram. Guntram Mempelsino von Falkenschlag.“

„Es ist vielleicht besser, du kommst an einem anderen Tag wieder. Dann könnt ihr zusammen Ritter spielen“, sagte Frau Blauberg.

„Mama! Wir wollen nicht Ritter spielen. Das ist etwas für Kleinkinder“, motzte Dennis. Er pfefferte seinen Schulranzen in die Ecke.

„Ach so? Ich dachte nur“, erwiderte Frau Blauberg. Ihr Blick glitt über Guntrams Umhang, das Rüschenhemd, die lila Bundhose und die Stulpenstiefel.

„Ich könnte bei Dennis’ Klavierunterricht zuhören, und danach üben wir gemeinsam Mathe. Ich bin ganz gut in Mathe“, schlug Guntram vor. Dabei wedelte er mit seinem Umhang, als wäre es ein Staubtuch.

„Hmm“, machte Frau Blauberg. Sie schien zu überlegen.

„Mama, bitte!“, drängte Dennis.

„Na gut, von mir aus. Wenn ihr or­dentlich für den Mathetest übt, darf Günther bleiben.“

„Guntram“, korrigierte Dennis und zerrte seinen Freund in die Küche.

Frau Blauberg deckte einen zweiten Teller Spagetti auf.

Dennis und Guntram hatten noch nicht zu Ende gegessen, da klingelte Herr Reinecke, der Klavierlehrer. Er war so lang, dass er kaum durch die Tür passte. Herr Reinecke neigte sich zur Seite und sah dabei aus, als würde er gleich umfallen. Seine wenigen Haare trug er sorgfältig über die Glatze gekämmt. Mit Haarcreme hatte er sie festgeklebt.

Dennis mochte Herrn Reinecke nicht besonders. Das lag sicherlich auch daran, dass Dennis Klavierspielen hasste. Bis zu den Sommerferien musste er noch durchhalten, hatte er mit seinen Eltern ausgemacht.

Dennis drehte quietschend den Klavierhocker auf die richtige Höhe. Seine Finger fühlten sich kalt und klamm an. So wie immer, wenn er Herrn Reinecke vorspielen musste.

Guntram ließ sich in den Sessel gegenüber plumpsen.

Herr Reinecke holte einen Stapel Noten aus seiner abgeschabten Aktentasche. Er schob seine Brille zurecht und fragte: „Na, haben wir auch schön geübt?“

Dennis starrte auf das Notenblatt und nickte stumm. Natürlich hatte er wieder einmal viel zu wenig geübt. Genau genommen nur ein einziges Mal, nicht länger als fünf Minuten.

„Herr Reinecke, Sie müssen doch wissen, ob Sie schön geübt haben, oder sind Sie so vergesslich?“, mischte sich Guntram ein und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Äh, nein“, stotterte Herr Reinecke und schüttelte den Kopf. Eine Haarsträhne löste sich. „Natürlich nicht.“

„Was? Sie haben nicht geübt, Herr Reinecke? Wie wollen Sie ein Vorbild für Ihre Schüler sein?“, fragte Guntram und schnalzte mit der Zunge.

Dennis biss sich auf die Unterlippe, um nicht zu kichern.

„Ich meine natürlich, ich bin nicht vergesslich“, sagte Herr Reinecke und wandte sich an Dennis. „Wir wollen jetzt mit dem ersten Lied beginnen. Äh, ich meine, du beginnst mit der Polka auf Seite fünf.“

Herr Reinecke schlug die Noten auf, zog seinen Taktstock aus der Aktentasche und fuchtelte damit herum. „Dein Freund macht mich ganz nervös.“

Doch das schien Guntram nicht zu hören. Seine Augen starrten gebannt auf Herrn Reineckes Taktstock. Sie folgten ihm wie einem Magnet. Fassungslos fragte Guntram: „Sind sie auch Zauberer?“

„Na ja“, wiegelte Herr Reinecke ab und hüstelte verlegen: „Zauberer würde ich es nicht nennen, nein, ein Zauberer der Musik bin ich nicht, aber ich liebe sie, die Musik.“ Es war das erste Mal, dass Herr Reinecke heute ein wenig lächelte.

Da sprang Guntram auf, schrie: „Vorsicht!“ Er klammerte sich an Herrn Reineckes Arm: „Nicht diese Bewegung, sonst verzaubern sie das Klavier in eine kahlköpfige Giraffe. Sie wissen doch, drei Kreise links, eine geschwungene Acht und wieder rechts, das ist der Verwandlungszauber für eine Giraffe – oder war es ein Affe?“

Herr Reinecke war völlig verdattert. Er hielt seinen Arm für einige Sekunden still und schien Guntrams Wunsch zu gehorchen. Der Musiklehrer zitterte. Schließlich riss er sich los und brüllte wie eine verrostete Trompete: „Ruhe, wir wollen endlich, äh ich meine, ich will endlich mit meiner Klavierstunde beginnen. Ich wünsche, dass es leise ist.“

„Wenn Sie nicht so schreien würden, wäre es gleich ein wenig ruhiger“, sagte Guntram und lächelte nachsichtig. Herr Reinecke schnappte wie ein gefangener Fisch nach Luft. Er zerrte den obersten Knopf seines Hemdes auf.

Dennis schielte nach der Uhr. Fast zehn Minuten waren schon vergangen.

Da öffnete Dennis’ Mutter die Tür und fragte, was los sei. Herr Reinecke wiegelte ab. Ihm schien es peinlich zu sein. Er erklärte, er hätte Husten und würde jetzt mit dem Klavierunterricht beginnen. Mit einer Ermahnung an die Kinder verließ Frau Blauberg das Wohnzimmer.

Nun kam Dennis nicht mehr aus. Holperig klimperte er durch die Polka, und Herr Reinecke schwang beherzt seinen Taktstock.

Guntram folgte gebannt dem Taktstock des Klavierlehrers.

Endlich hatte Dennis den letzten Ton der Polka gespielt. Er hatte es geschafft. Aber ihm war klar, dass Herr Reinecke nicht in Begeisterung ausbrechen würde.

Herr Reinecke schüttelte den Kopf und deutete mit dem Taktstock direkt auf Dennis. In diesem Moment hechtete Guntram Mempelsino von Falkenschlag vor und riss Herrn Reinecke den Taktstock aus der Hand. Er blaffte den Klavierlehrer an: „Als Zauberer dürfen Sie mit Ihrem Zauberstab nicht auf Personen zielen. Das ist strengstens verboten: Zauberstabverordnung Paragraf 3b.“

Dennis hatte Herrn Reinecke noch nie so verwirrt erlebt. Dieser murmelte nur „Entschuldigung“ und haspelte weiter, „dein Pokalspiel, äh, ich meine dein Polkaspiel ist genauso schlecht wie letzte Woche. Ich sage immer, wir müssen üben, üben, üben. Äh, du musst üben. Hör einmal zu, mein Junge. So klingt und schwingt eine Polka.“

Da griff Herr Reinecke selbst in die Tasten. Sein langer Oberkörper wiegte hin und her. Mit dem Kopf nickte er bei jedem Ton wie ein Huhn, das nach einem Korn pickt.

Dennis hielt ganz still. So lange Herr Reinecke spielte, war alles in Ordnung.

Als Herr Reinecke die Polka beendet hatte, blickte er Dennis triumphierend an, als würde er Lob erwarten.

Ehe Dennis etwas sagen konnte, platzte Guntram heraus: „Ganz miserabel, das hat mir überhaupt nicht gefallen. Sie sollten ein anderes Instrument wählen. Ein Klavier hat zu viele Schalter. Das bringt Sie durcheinander. Sehen Sie, dieses Radio dort hat nur zwei Knöpfe, und die Musik klingt entschieden besser.“ Guntram drehte das Radio auf. „Na bitte, das ist Musik.“

Herr Reinecke riss die Noten vom Klavier und stopfte sie in seine Aktentasche. Er schlug den Taschendeckel zu. Seine Frisur war endgültig verrutscht. „So ein Affenhaus. Ich gehe. Jawohl, ich gehe“, murmelte er.

„Da haben Sie wahrscheinlich recht. Ihr Versuch vorhin, das war der Verwandlungszauber in einen Affen“, sagte Guntram und verbeugte sich, als Herr Reinecke aus dem Wohnzimmer stürmte.

Halt, wollte Dennis rufen. Herr Reinecke hatte den Taktstock vergessen. Doch Guntram hielt ihn zurück und zischte: „Sei still! Vielleicht merkt er nicht, dass ich seinen Zauberstab habe.“

„Das ist kein Zauberstab, sondern ein Taktstock.“

Guntram hörte nicht zu. Sanft strich er über den Stab. Seine Augen leuchteten. Er zog ein kleines Taschenmesser aus seiner Hosentasche und begann Zeichen in den Taktstock zu schnitzen.

„Spinnst du!“, rief Dennis. Er wollte Guntram den Taktstock aus der Hand reißen. Doch Guntram drehte sich einfach zur Seite und sagte: „Bin noch nicht fertig. Ich muss noch das Zeichen der Falkenschlags einritzen, damit er ordent­lich funktioniert. Siehst du?“

Guntram hielt Dennis den Taktstock unter die Nase. „Erkennst du den Falkenflügel? Das ist unser Wappen!“

Dennis erkannte überhaupt nichts. Da waren nur ein paar Kratzer im Holz.

Guntram hielt den Stab auf das Klavier gerichtet. „Pass auf, ich werde dieses unpraktische Musikinstrument in ein Radio verzaubern.“ Und schon schwang er den Taktstock. Links und rechts in großen Kreisen, dann im Zickzack hin und her. Dabei murmelte er Worte, die Dennis nicht verstand. Guntram Mempelsino von Falkenschlag zielte mit der Spitze des Taktstocks direkt auf das Klavier und rief: „Plombat!“

Nichts geschah.

„Hab ich mir fast gedacht“, murmelte Guntram enttäuscht. „Der Zauberstab des komischen Lehrers taugt überhaupt nichts. Hätte mich auch gewundert.“

Da riss Frau Blauberg die Wohnzimmertür auf: „Kinder, Herr Reinecke hat seinen Taktstock vergessen. Der gute Mann ist ganz durcheinander.“

Guntram gab ihr den Taktstock: „Der ist kaputt. So wird das nie etwas mit dem Zaubern, können Sie Herrn Reinecke ausrichten.“

Frau Blauberg nickte: „Ja, der sieht wirklich schlimm aus. Herr Reinecke sollte sich besser einen neuen kaufen.“

Dennis und Guntram - Zaubern für Anfänger (Band1)

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