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Man nehme, so man hat

Man nehme, so man hat, ein wohlig geheiztes Zimmer, möglichst mit offenem Kamin und flackerndem Holzfeuer, mit dezenter Kerzenbeleuchtung und meditativer Musik. Dazu trinke man ein Glas guten Rotwein und überlasse sich wenigstens ein Mal im Jahr zwei, drei Stunden einer sentimentalen Stimmung. Erstes Rezept für einen gelungenen Advent.

Man schlendere, so man kann, über einen Weihnachtsmarkt, schnuppere den Duft von Glühwein, Zimt und Räuchermännchen, esse kandierte Früchte und gebrannte Mandeln und hoffe bei einbrechender Dunkelheit in all dem Rummel auf leichten Schneefall. Zweites Rezept für einen gelungenen Advent.

Man stürze sich, so es irgend geht, in einen vorweihnachtlichen Kaufrausch mit Geschenke-Besorgungs-Manie und gebe sich bunte Reklamen, blinkende Lichterketten, grünblättrige Tannenbäume, rauschebärtige Weihnachtsmänner und süßer-nie-klingende Weihnachtslieder in Megawattlautstärke. Drittes Rezept für einen gelungenen Advent.


Nach solchen und ähnlichen Rezepten gehen viele Menschen Jahr für Jahr die Wochen vor Weihnachten an. Die Adventszeit als religiös geprägte Zeit ist heutzutage weitgehend aus der Mode gekommen. Vom Advent sind allenfalls noch Relikte vorhanden – wenigstens der Name hat sich im Adventskranz noch erhalten. Die Adventszeit ist zur Vorweihnachtszeit mutiert, wobei die Übergänge zum eigentlichen Weihnachten, was immer man genau darunter auch verstehen mag, mehr als fließend geworden sind. Eine Weihnachtszeit gibt es heute ohnehin nicht mehr. Was früher liturgisch bis zum 2. Februar, dem Fest Mariä Lichtmess, dauerte, ist heute in der Regel am Zweiten Weihnachtsfeiertag, also am 26. Dezember, schon zu Ende. Denn dann beginnen die Rennereien um den großen Geschenkeumtausch, die Vorbereitungen für die Silvesterpartys und natürlich bald auch die nächste Karnevalssession. Auch der Weihnachtsbaum, im letzten Moment besorgt, landet nicht selten schon drei Tage nach dem Heiligen Abend wieder auf der Straße.

Die Adventszeit dient der Einstimmung auf die Menschwerdung Gottes

Eine Weihnachtsfeier – wie heute aller Orten üblich – mitten in der Adventszeit abzuhalten, mit festlichem Essen, besten Weinen und im guten Zwirn, ist nach der genuin christlichen Vorstellung von Advent eigentlich nicht denkbar. Schließlich gäbe es ohne die Botschaft vom adventus, von der Ankunft Gottes in dem Menschen Jesus von Nazareth, in dem Kind im Stall von Bethlehem, weder Advent noch Weihnachten. Die Adventszeit ist deshalb, religiös gesehen, genau wie die Fastenzeit vor Ostern als Vorbereitungszeit auf die zentralen Ereignisse der Heilsgeschichte konzipiert. Sie dient der Einstimmung auf die Menschwerdung Gottes, die Annahme unserer menschlichen Natur durch den ewigen Gott, die Fastenzeit der Einstimmung auf die Auferweckung des gekreuzigten Jesus und damit den endgültigen Sieg des Lebens über den Tod.

Beide Zeiten der Vorbereitung auf die christlichen Hochfeste Ostern und Weihnachten sind als Fastenzeiten im eigentlichen Wortsinn angelegt. Die adventliche Fastenzeit begann ursprünglich am 12. November, einen Tag nach dem Fest des heiligen Martin von Tours. Der 11. November entsprach somit genau dem Karnevalsdienstag, dem Vorabend der österlichen Bußzeit. Dies war der Tag, an dem noch einmal richtig über die Stränge geschlagen, Fleisch und in Fett Gebackenes bis zum Abwinken gegessen sowie Bier und Wein in Fülle getrunken werden durfte. Dann begann die strenge Fastenzeit, die den ganzen Tag des 24. Dezembers noch miteinbezog. In ihr war der Verzehr von Fleisch, Fett und Eiern streng verboten. Sie war erst nach der Mitternachtsmesse in den Morgenstunden des Ersten Weihnachtstages vorbei. Der Heilige Abend mit Tannenbaum, Bescherung im Familienkreis und Weihnachtsmenü ist hingegen eine Erfindung des bürgerlichen neunzehnten Jahrhunderts.

Man mache sich geistig und geistlich frei und bereit für den Advent

Das adventliche Rezept aus der Sicht einer klassischen christlichen Glaubenslehre lautet deshalb: Man faste, so gut man kann, und verzichte nicht nur auf Rausch und Völlerei. Vielmehr mache man sich geistig und geistlich frei und bereit für den Advent, die Ankunft Jesu Christi des Herrn – nicht nur als Kind in Bethlehems Stall, sondern vor allem als Richter über Leben und Tod.

Doch darf man die typischen heutigen Adventsrezepte angesichts dieses klaren dogmatischen Rezepts aus christlicher Sicht vorschnell verwerfen, nur weil man in ihnen keine religiöse Basis mehr erkennt und ihnen das Gewürz des Glaubens fehlt? Kommt in ihnen nicht vielleicht doch eine tiefe Sehnsucht der Menschen zum Ausdruck, die ausbrechen wollen aus dem Alltagstrott mit seinen oft geistlosen Zwangsläufigkeiten? Eine Hoffnung darauf, dass unser Leben letztlich mehr ist als bloßes Funktionieren im biologischen, politischen oder ökonomischen Sinn?

Diese an sich areligiösen Rezepte sind in der Tat ein Zeichen für das Warten darauf, dass etwas ankommt in unserem Leben, dass wir uns lösen können aus dem Alltagstrott, gelöst werden aus den Zwängen und selbst geschaffenen Hamsterrädern, dass Hoffnungen eingelöst werden, vielleicht sogar, dass wir einmal völlig losgelöst sein dürfen. Hinter all den Lösungsangeboten der säkularen Adventsrezepte steckt im letzten wohl doch ein eminent christliches Anliegen, die Hoffnung auf Erlösung. Menschen, auch moderne, scheinen letztlich unheilbar religiös zu sein, ob sie es wollen oder nicht. Sie bringen aber ihre Erlösungsbedürftigkeit und ihre Sehnsucht nach Glück nicht mehr unbedingt in christlicher Sprache und kirchlichen Formen zum Ausdruck.

Erlösung können wir uns selber nicht schaffen, sie muss uns geschenkt werden

Die entscheidende Erfahrung bei all den modernen Adventsrezepten ist aber die: So sehr wir uns auch anstrengen, Erlösung können wir uns selber nicht schaffen. Sie muss uns geschenkt werden, muss an uns geschehen, muss von außen auf uns zukommen, so wie wir uns auch nur selbst annehmen und lieben können, wenn andere uns vorher und zuerst angenommen und geliebt haben. Das ist wie der Aufbau des Grundvertrauens bei einem Kind: Erst müssen die Eltern tausend Mal „Du“ sagen, bevor das Kind „Ich“ sagen kann. Auch Geschenke, die man sich selbst macht, reichen an Geschenke, die wir von anderen erhalten und gespannt auspacken dürfen, nicht heran.

Wir erwarten Erlösung oder besser: Wir warten auf das Kommen des Erlösers, auch wenn wir diese Hoffnung vielleicht nicht mehr in religiöser Sprache formulieren können.

Interessanterweise taucht in vielen Filmen, Gedichten und Theaterstücken diese christlich-adventliche Grundhaltung des Wartens und Erwartens in profanem Gewand immer wieder auf. Ein sprechendes Beispiel dafür ist das Theaterstück „Warten auf Godot“ von Samuel Beckett. Hier unterhalten sich zwei Landstreicher:

„Komm wir gehen.

Wir können nicht. Warum nicht? Wir warten auf Godot.“

Später nehmen sie ihren Dialog wieder auf:

„Er müsste eigentlich hier sein.

Hat er nicht gesagt, er käme? Und wenn er nicht kommt? Kommen wir morgen wieder. Und dann übermorgen. Vielleicht? … Und dann hängen wir uns auf! Es sei denn, Godot käme. Und wenn er kommt? Sind wir gerettet.“

Nichtkommen oder Kommen, Resignation oder Hoffnung, Auf-der-Stelle-Treten oder Advent, Sich-Aufhängen oder Gerettet-Werden, Nicht-Sein oder Sein: Das ist hier die Frage. Das ist die große Alternative unseres Lebens, auch wenn zunächst alles Warten sinnlos erscheint. Und es absurd wäre, wenn der Retter wirklich käme.

Das Warten der beiden Landstreicher macht aber mehr als deutlich: Es geht nicht um abstrakte Erlösung, sondern um das Kommen einer erlösenden Person.


Vom Kommen des Menschensohnes

25 Es werden Zeichen sichtbar werden an Sonne, Mond und Sternen, und auf der Erde werden die Völker bestürzt und ratlos sein über das Toben und Donnern des Meeres.

26 Die Menschen werden vor Angst vergehen in der Erwartung der Dinge, die über die Erde kommen; denn die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden.

27 Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf einer Wolke kommen sehen.

28 Wenn all das beginnt, dann richtet euch auf, und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe.

34 Nehmt euch in Acht, dass Rausch und Trunkenheit und die Sorgen des Alltags euch nicht verwirren und dass jener Tag euch nicht plötzlich überrascht,

35 so wie man in eine Falle gerät; denn er wird über alle Bewohner der ganzen Erde hereinbrechen.

36 Wacht und betet allezeit, damit ihr allem, was geschehen wird, entrinnen und vor den Menschensohn hintreten könnt.

Lukas 21,25–28.34–36


Unsere Hoffnung auf eine klare Antwort über unsere Zukunft und das Kommen des Erlösers wird auch durch den Blick in die Heilige Schrift nicht selten enttäuscht. Die einschlägige Bibelstelle ist die Rede Jesu über die Endzeit, die sich im 21. Kapitel des Lukas-Evangeliums findet, und die auch in der kirchlichen Adventsliturgie eine wichtige Rolle spielt.

Gott ist frei in seinem Tun und Lassen. Er lässt sich nicht von Menschen ausrechnen

Diese Rede Jesu bleibt aber unklar, zumindest beim ersten Hören. Die dort getroffenen Aussagen über den Advent des Menschensohnes sind nur schwer verständlich: Eine dunkle Rede von Zeichen am Himmel, Sturmfluten, Kometeneinschlägen, Erschütterungen der Erde in ihren Grundfesten. Manche Unheilspropheten glaubten immer wieder, daraus das bevorstehende Ende der Welt ableiten zu können. Wer Jesu Endzeitrede so interpretiert, hat wenig verstanden. Die Katastrophenrede Jesu bezieht sich nämlich auf die Zerstörung Jerusalems und vor allem auf die Vernichtung des Tempels mit der Bundeslade als Symbol der Gegenwart Gottes durch die Römer im Jahre 70. Für gläubige Juden musste das wirklich wie das Ende der Zeit erscheinen. Es geht hier aber nicht um das Ende der Welt, denn „ihr kennt weder den Tag noch die Stunde“. Gott ist frei in seinem Tun und Lassen. Er lässt sich nicht von Menschen ausrechnen.

Wenn Jesus vom Ende der Welt hätte sprechen wollen, hätte er der Schilderung der Katastrophe ein Drohwort folgen lassen müssen. Aber das genaue Gegenteil ist der Fall: Jesus spricht uns Heil zu. Wenn es drunter und drüber geht, wenn andere wieder einmal in Weltuntergangsstimmung machen, dann, ihr Christinnen und Christen, „richtet euch auf und erhebt euer Haupt, denn eure Erlösung ist nahe“. Bei all dem Geschwätz über Endzeitszenarien und entsprechender Angstmacherei könnt ihr gelassen bleiben, die „Sorgen des Alltags brauchen euch nicht zu verwirren“, ihr müsst auch keine Drogen nehmen, euch „keinen Rausch und keine Trunkenheit“ antrinken, um damit in eine Scheinwelt zu fliehen, denn euch kann gar nichts passieren. Gott ist immer im Kommen, immer ist sein Advent, immer ist er euch nahe, immer seid ihr in seiner Hand. Ihr braucht ihn nur ankommen lassen bei euch, vorkommenlassen in euren Gedanken, aufkommen lassen gegen euren Unglauben.

Advent ist eine Grundhaltung von Christen

Advent ist daher nicht zuerst eine Zeit des Kirchenjahres, sondern eine Grundhaltung von Christen. Advent Gottes geschah vor zweitausend Jahren in Bethlehems Stall und geschieht heute in der Krippe an Weihnachten. Gott kommt am Ende der Zeit und er begegnet jedem im Tod. Gottes Advent findet statt im Wort des Evangeliums, in der Feier des Heiligen Mahles und im sozialen Tun. Daher hat Angelus Silesius recht, wenn er schreibt: „Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren und nicht in dir, du bleibst noch verloren.“

Mein Adventsrezept lautet daher: Man nehme, so man irgend kann, Advent nicht nur als eine Zeit, sondern als eine Haltung. Man nehme, so man hat, den Glauben, dass wir zeitlebens auf etwas hin unterwegs sind, was wir in dieser brüchigen und vieldeutigen Welt allein nicht finden können. Man gebe die Überzeugung hinzu, dass wir uns Erlösung nicht selber schaffen können, sondern dass sie ein Geschenk ist, das uns zukommt, im Kommen des adventlichen Gottes. Man schalte aber die eigenen Antennen auf Empfang, damit Gottes Sendung bei uns ankommen kann. Dann würde Christus nicht nur in Bethlehem, sondern auch in uns geboren. Und dann wäre alles gewonnen.

Ankunft 24. Dezember

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