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Vier Mädchen ohne Anhang

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Während Clusius mit strenger Miene die vier Frauen gleichzeitig einem Verhör unterzog, wühlte Krause in den vier Handkoffern, Taschen und Körben der verschwundenen Mädchen. Was die vor dem tintenbeklecksten Schreibtisch stehenden aufgeregten Weiber erzählten, schien ihn nicht zu interessieren. Die nervösen Blicke, die sein Chef zu ihm hinüber warf, ließen ihn ebenso kalt, wie sein kräftiges Räuspern.

Vier Bündel und vier Schicksale, dachte Krause. Dieser schäbige schwarze Holzkoffer, diese verschlissene Tasche aus Segeltuch, dieser zerbeulte Strohkorb, diese Tasche aus Lederersatz sind mit ihrem trostlosen Inhalt an ordinärer Wäsche, verschwitzten Blusen, abgetretenen Schuhen Lebensgeschichten. Es waren die irdischen Reste armer, dummer Mädchen, die in ihrer irren Angst vor dem einsamen Alter und der ungestillten Gier nach Liebe, Zweisamkeit und Mutterschaft dem erstbesten Schurken auf den Leim gehen und sich, bis zum letzten Augenblick voll süßen Sehnens, von ihm irgendwo im Wald oder an einem öden Flussufer haben abschlachten lassen.

Eben hatte Dr. Clusius das Verhör mit der Witwe Klappholz aus Charlottenburg, beendet, als Krause plötzlich kehrtmachte und eingriff. »Meine Damen, ich werde jetzt kurz alles das, was Sie mitgeteilt haben, rekapitulieren.«

»Wiederholen«, unterbrach ihn der Chef, der Fremdwörter nicht leiden mochte, mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Also nicht rekapitulieren, sondern wiederholen«, lächelte Krause boshaft. »Zunächst das Fräulein Trude Müller, das bei Ihnen, Frau Wendler, gewohnt hat. Mittelgroß, schlank, hochdeutsch mit Berliner Betonung, braune Haare à la Cleo de Merode, schöne Zähne, große Augen, deren Farbe Sie nicht genau angeben können. Ein auffallend hübsches und sympathisches Mädchen, scheinbar verliebter Natur. Sie hat Ihnen des Öfteren von Ihrem Bräutigam erzählt. Diesen Bräutigam haben Sie nur einmal gesehen, auch er machte auf Sie einen trefflichen Eindruck und ist ein hübscher, blonder, bartloser Mann mit Kneifer.«

Bei diesen Worten nickten alle vier Frauen und man hörte ein »Jawoll« in verschiedenen Tonarten.

»Von Verwandten in Berlin oder anderswo, von Freunden und Bekannten dieser Trude Müller wissen Sie nichts?«

»Ne«, erwiderte Frau Wendler, »das arme Fräulein hat ja nie von sich, sondern immer nur von ihrem Bräutigam, dem Lumpen, den Gott strafen soll, gesprochen, und nu schwimmt ihre Leiche sicher irgendwo im Wasser herum und der Kerl vergnügt sich mit anderen Mädchen, die er dann ooch umbringen wird.«

Frau Wendler schluchzte und die anderen drei schnäuzten sich. Kapott- und Federhüte flogen aufgeregt auf und ab.

»Bei Ihnen, Frau Zinkenbach, hat nur zwei Tage die verschwundene Grete Möller aus Hamburg gewohnt. Hellbraune Gretchenzöpfe, volle Erscheinung, ausgesprochener Hamburger Dialekt. Auch sie hat von einem Bräutigam erzählt, mit dem sie einen Ausflug an die Havel unternehmen wolle. Sie wurde auch von dem Bräutigam abgeholt, aber nur der Portier hat ihn gesehen. Lassen wir jetzt den Mann hereinkommen.«

Der Portier, Herr Zimmermann aus der Nürnberger Straße, trat ein. Krause winkte, als sein Chef das Verhör aufnehmen wollte, ab und fragte selbst. »Der Herr, mit dem am fünften Juli ein Fräulein wegfuhr, welches bei Frau Zinkenbach wohnte, war blond und hatte einen kleinen Schnurrbart, nicht wahr?«

Zimmermann verneinte heftig. »Ne, soweit Ich mir erinnern kann, war sein janzes Jesicht glatt rasiert, wie es so die dämlichen Engländer an sich haben.«

Krause nickte lächelnd. »Trug er Brille oder Kneifer?«

»Kneifer, wenn ick mir nicht irre.«

»Können Sie sonst etwas über ihn aussagen?«

»Nischt, was von Belang wäre. Schien mir ein jemütlicher Herr zu sein. Det Fräulein, was nu verschwunden is, drückte mir dafür, dass ich die kleine Handtasche beim Einsteigen hielt, fünf Märker in die Hand.«

»Gut, Sie können gehen.«

»Bei Ihnen, Frau Lestikow, hat Fräulein Annemarie Jensen aus Hamburg ebenfalls, gewohnt. Rötliche Haare, glatt gescheitelt, mager, Zwicker reines Hochdeutsch. Sie war redselig, hat viel von ihrem Verehrer erzählt, der Naturforscher sei und Ihnen abends vor ihrer Abreise gesagt, sie habe sich verlobt und wolle nun mit dem Bräutigam nach Ketzin, um dort ein Haus zu besichtigen. Sie schildern den Bräutigam genau wie die anderen, sodass wir es ganz ohne Zweifel mit ein und demselben Person zu tun haben. Bei Ihnen aber, Frau Klappholz, hat Fräulein Käthe Pfeiffer, die aus Bayern kam, gewohnt. Sie haben das Mädchen nur zwei- oder dreimal und dann immer nur im Hut gesehen, sodass Sie nicht einmal wissen, ob es blond oder dunkel war. Sie sprach mit süddeutschem Dialekt und hat ihre Abreise in dem uns übergebenen Briefe mitgeteilt. Und nun, meine Damen, bitte ich Sie, intensiv … Pardon, eifrig nachzudenken: Ist Ihnen an Ihrer auf so mysteriöse, ich meine geheimnisvolle Weise verschwundenen Mieterin irgendetwas aufgefallen? Ein Muttermal, eine bestimmte Geste, ein sonderbares Wort oder ein Kleidungsstück?«

Die Frauen schwiegen, bemühten sich auffallend, nachzudenken, und dann ergriff Frau Lestikow das Wort.

»Jawohl, Herr Inspektor, etwas ist mir, oder eigentlich meiner Minna, die mein Mädchen ist, schon aufgefallen. Fräulein Jensen hat so niedliche, kleine Füße gehabt, wie sie gerade bei Hamburgerinnen eine rechte Seltenheit sind. Einmal hat mir Minna die Schuhe vom Fräulein Jensen, die abends vor die Türe gestellt wurden, gebracht und gesagt: ›Madameken, sehen Sie nur eenmal die Schuhchen an! Die reinsten Kinderstiebel3‹«

»Das Fräulein Müller hat, wenn ich mich recht besinne, auch recht niedliche Füße jehabt«, konkurrierte die ein wenig erboste Frau Wendler, während Krause langsam die Gegenstände aus der Handtasche, die bei Frau Lestikow zurückgeblieben war, durch die Hände gleiten ließ und scheinbar gedankenlos einen alles eher als eleganten schwarzen Strumpf über die Finger zog und dann einen Halbschuh besichtigte.

»Noch etwas, meine Damen: Hat keine von Ihnen gefragt oder sonst wie erfahren, wie Ihre Mieterin zu diesem Bräutigam gekommen ist?«

Wieder war es Frau Lestikow, die Antwort wusste. »Jawohl, ich habe am Abend, als sie mir von der Verlobung erzählt hatte, gefragt, wo sie den Herrn Bräutigam eigentlich kennengelernt habe. Also, mir kommt es jetzt vor, als wenn Fräulein Jensen ein wenig verlegen geworden wäre. Sie hat gesagt, durch einen ganz komischen Zufall, und dann von etwas anderem gesprochen.«

Rot im Gesicht, erregt und verlegen zogen die vier Damen ab und Dr. Clusius blieb mit Krause allein zurück.

»Nun?«, fragte Clusius gespannt.

Krause ließ nochmals den Blick über die vier vor ihm liegenden Meldescheine und den Brief des Fräuleins Pfeiffer gleiten. Steile, aufrechte, naive, gotische oder lateinische, schlecht gekritzelte, undeutliche Buchstaben tanzten vor seinen Augen. Die Fältchen im Gesicht verdichteten, glätteten und verdichteten sich wieder. Dann ging er, die Hände in den Hosentaschen, auf und ab und hielt so eine Art Vortrag.

»Wohl der schwierigste Fall, den Sie mir bisher übergeben haben, Herr Doktor. Vier Mädchen verschwinden, von denen jede einen der banalsten und häufigsten Namen hat, den man sonst nur erfinden könnte. Müller, Möller, Jensen, Pfeiffer! Dergleichen laufen im Deutschen Reiche zu Zehntausenden umher. Keine hat eine frühere Adresse angegeben oder von Freunden oder Verwandten erzählt. Ferner: Alle vier scheinen sogenannte bessere, halb oder ganz gebildete Personen, aber keineswegs mit Glücksgütern gesegnet gewesen zu sein. Direkt arm waren sie aber auch nicht, trotz der Armseligkeit ihrer Hinterlassenschaft. Dafür, dass sie nicht ganz arm waren, spricht die Tatsache, dass sie alle vorausbezahlt haben und, wie jede der vier Vermieterinnen erzählt, entweder Ohrringe oder hübsche Fingerringe, die eine goldene Uhr mit Kette, eine sogar eine Brillantbrosche besaßen.«

»Zu welcher Schlussfolgerung kommen Sie daraus?«

»Oberflächlich betrachtet, könnte man aus diesen gewissen Gleichartigkeiten auf sonderbare Zufälligkeiten schließen. In Wirklichkeit könnten aber die Gleichartigkeiten, die primitiven Namen, der Mangel an Anhang in Berlin, nicht völlige Mittellosigkeit und bessere Art, die Umstände gewesen sein, die sie eben zu Opfern eines Mordbuben machten.«

»Versteh ich nicht ganz!«

»Ist doch sehr einfach, Herr Doktor! Der saubere Bräutigam hat sich eben prinzipiell nur mit Mädchen, die hier keine Familie haben, gewöhnliche Namen tragen und etwas Geld sowie Schmuck besitzen, verlobt, weil er bei diesen Mädchen einerseits auf genügende Beute rechnen durfte, andererseits sich vor Entdeckung sicherer fühlte, als wenn er mit Mädchen aus Berliner Häusern angeknüpft hätte.«

»Und was nun, Herr Krause?«

»Die nächsten Schritte, Herr Doktor, werden Ihre Beamten machen müssen. Aufrufe in den Berliner, Hamburger und bayerischen Zeitungen nach Personen, die über die Vermissten etwas sagen können, Ausschreibungen von hohen Belohnungen, Nachforschungen in Ketzin und Umgebung und in den transatlantischen Passagierlisten nach Fräulein Jensen, die im Frühling aus New York zurückgekehrt sein will. In der Zeit, die darüber vergehen wird, werde ich einiges zu besorgen haben. Jedenfalls bitte ich Sie, heute noch die Reporter aller Zeitungen bei sich zu versammeln, damit die ganze Öffentlichkeit informiert und aufmerksam wird. Wer weiß, vielleicht werden noch andere Vermisstenanzeigen erstattet oder es kommen wichtige Spuren zutage. Natürlich sollte sofort ein Steckbrief nach dem blonden Schuller, Schullern oder Schindler mit dem Kneifer erlassen werden.«

Dr. Clusius sprang nervös auf. »Krause, die Geschichte wird ungeheuer viel Staub aufwirbeln, und wehe uns, wenn wir nichts herausbekommen. Ich muss mich wieder einmal ganz auf Sie verlassen.«

Der Frauenmörder

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