Читать книгу So sah ich Mein Leben. Life is a story - story.one - Hugo Portisch - Страница 8
Nie wieder Diktatur!
ОглавлениеAm 19. Februar 1945 wird Hugo 18 Jahre alt. Die Sowjettruppen stehen bereits im Osten der Slowakei. Seine Mitschüler und er bekommen einen Blitzlehrgang und im März 45 ein Maturazeugnis ausgehändigt. Gekoppelt ist es per Vermerk an die sofortige Einberufung zur Waffen-SS, weil „Volksdeutsche“ zu dieser und nicht zur Wehrmacht eingezogen werden – eine schreckliche Aussicht, praktisch ein Todesurteil! Die Burschen werden per Eisenbahn nach Wien geschickt, um sich im „Arsenal“, einem großen militärischen Gebäudekomplex, zur SS zu melden. Ein älterer Freund gibt ihm einen Tipp:
Er schrieb: „Im Arsenal gibt es einen SS-Offizier namens Heilig“ – ausgerechnet Heilig! – „der stellt die Marschbefehle aus. Der ist bestechlich. Dem musst du für einen Marschbefehl deines Wunsches einen Liter Schnaps und hundert Zigaretten geben!“ Also hab ich den Koffer mit zehn Schnapsflaschen und tausend Zigaretten angefüllt. Das war mein einziges Gepäck. So bin ich im Arsenal eingerückt. Und habe dem Heilig glatt gesagt: „Kann ich mir einen Befehl aussuchen? Ich habe Schnaps und Zigaretten mit.“ – „Jaja“, hat er geantwortet. „Haben Sie ein paar Kameraden, die Sie mitnehmen wollen?“ Habe ich gesagt: „Ja, natürlich habe ich Kameraden, die ich mitnehmen will. Meine drei Freunde.“ – „Ich gebe Ihnen einen Marschbefehl nach Prag, dass Sie sich dort melden müssen. Aber ich schreibe kein Datum drauf.“ So gingen wir also mit dem Marschbefehl nach Prag ohne Datum – in Zivil, völlig unangetastet. Dabei waren wir eigentlich schon reif zum Erschießen.
Auf abenteuerlichen Wegen fahren die vier Freunde wochenlang in überfüllten Zügen kreuz und quer durch Böhmen und Mähren, entkommen mit dem fragwürdigen Dokument mehrmals der Verhaftung und Liquidierung als Deserteure. Dazwischen versteckt sich Hugo in Niederösterreich bei einem Onkel:
Von der Scheune des Bauernhofs aus sah ich auf der Straße von Rekawinkel nach St. Pölten einen langen Zug von fürchterlich aussehenden Leuten, abgefetzt, mager bis auf die Knochen. Die Frau meines Onkels hat ihnen Wasser gegeben. Dann kam ein Wachposten, hat sie mit dem Gewehrkolben vertrieben und das Wasser ausgeschüttet. Dieses Bild verfolgt mich bis zum heutigen Tag. Es war ein Zug der Todesmärsche von KZ-Insassen. Und ich habe einen solchen gesehen. Unglaublich.
In Böhmen erlebt der 18-jährige Hugo das Kriegsende und flieht, diesmal als „Deutscher“, vor den Tschechen nach Österreich. Sein Fazit:
Ich hatte jeden Tag eine solche Freude, am Leben zu sein. Jeden Tag wie ein Morgen- und Abendgebet war das für mich. Freiheit! Du kannst tun und lassen, was du willst. Und nie wieder Diktatur! Das ist mir in Fleisch und Blut übergegangen!