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Siebzehn Minuten

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Am Vormittag des 29. Mai 2015 ließen wir die Geräte abschalten, die Beau am Leben hielten. Er war nicht ansprechbar, seine Atmung war schwach. Die Ärzte auf der Intensivstation des Walter-Reed-Militärkrankenhauses in Bethesda, Maryland, erklärten, dass er innerhalb weniger Stunden, nachdem sie die Tracheostomiekanüle gezogen hätten, von uns gehen würde. Ich wusste, dass es länger dauern würde – denn so war Beau. Also saß ich am Bett meines großen Bruders und hielt seine Hand.

Eine ganze Schar von Verwandten war ebenfalls da – vierundzwanzig Bidens, die hereinschauten und wieder verschwanden, die durch die Krankenhauskorridore liefen, ihren Erinnerungen nachhingen, warteten. Ich blieb bei Beau, die ganze Zeit.

Der Vormittag ging schleichend in den Nachmittag über, in den Abend, dann in die Nacht. Die Sonne ging noch einmal auf, ihre Strahlen brachen nur an wenigen Stellen durch die zugezogenen Vorhänge. Es war ein wirres, quälendes Warten: In ein und demselben Gebet hoffte ich auf ein Wunder und wünschte mir, dass das Leiden meines Bruders ein Ende nähme.

Weitere zähe Stunden. Ich redete auf Beau ein, ununterbrochen. Ich flüsterte ihm ins Ohr, wie sehr ich ihn liebte. Ich sagte ihm, dass ich wüsste, wie sehr er mich liebte. Ich sagte ihm, dass wir immer zusammen sein würden, dass es nichts gebe, was uns trennen könne. Ich erklärte ihm, wie stolz ich auf ihn war, wie mutig er gekämpft hatte, durch die Operationen hindurch, die Bestrahlungen und die letzte, experimentelle Behandlung, bei der ein verändertes Virus in seinen Tumor gespritzt worden war – direkt in sein Gehirn.

Er hatte nie eine Chance.

Er war sechsundvierzig.

Doch von der ersten Diagnose an, die weniger als zwei Jahre zurücklag, und während der gesamten Behandlung wiederholte Beau zwei Wörter immer wieder, wie ein Mantra, das er mir schenkte: »Beautiful things, schöne Dinge.« Er verlangte, dass wir, wenn er wieder gesund wäre, unser ganzes Leben der unerschöpflichen Schönheit dieser Welt weihen würden, dass wir sie genießen und fördern würden. »Schöne Dinge« wurde zu einem Sammelbegriff für menschliche Beziehungen und Orte und Augenblicke – für alles. Wenn dies hier vorbei sei, erklärte er, würden wir zusammen eine Anwaltskanzlei gründen und uns gemeinsam nur für »schöne Dinge« einsetzen. Wir würden auf der Veranda unseres elterlichen Hauses in Schaukelstühlen sitzen und die »schönen Dinge« betrachten, die vor uns lägen. Wir würden in den »schönen Dingen« schwelgen, die unsere Kinder und Familien würden, mit jedem Schritt mehr.

Es war unser Geheimcode für das neue Lebensgefühl. Wir wollten nie wieder zulassen, dass wir zu müde würden, zu abgelenkt, zu zynisch. Wir wollten uns nicht mehr vom Weg abbringen lassen durch das, was uns das Leben vor die Füße warf, wir wollten schauen und sehen und lieben.

»Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich.«

Ein einziges Erinnerungsbild blitzt auf aus dem ersten und folgenschwersten Augenblick meines Lebens. Ich bin mir nicht sicher, in welchem Maß dieses Bild aus Zeitungsberichten, die ich gelesen habe, und den Geschichten, die wir uns in der Familie über die Jahre erzählt haben, zusammengesetzt ist, und wie viel davon die tatsächliche, verdrängte Wirklichkeit ist, die sich nun wieder bemerkbar macht.

Aber es ist ein lebhaftes Bild.

Es ist der 18. Dezember 1972. Mein Vater hat gerade den Wahlkampf um den zweiten Senatssitz von Delaware gewonnen. Er ist drei Wochen nach der Wahl dreißig geworden, erst beim Amtseid im Januar wird er das Mindestalter für Senatoren erreicht haben. Er ist an diesem Tag in Washington, D.C., wo er die Bewerbungsgespräche für seinen neuen Mitarbeiterstab führt. Meine Mutter Neilia – wunderschön, hochintelligent und ebenfalls dreißig – hat mich, meinen Bruder Beau und unsere kleine Schwester Naomi mitgenommen, um in der Nähe unseres renovierungsbedürftigen Hauses in Delaware einen Weihnachtsbaum zu kaufen.

Beau wird bald vier. Ich werde bald drei. Ich bin ein Jahr und einen Tag später geboren als er – wir sind beinahe irische Zwillinge.

Vor meinem geistigen Auge passiert jetzt Folgendes:

Ich sitze auf dem Rücksitz unseres geräumigen weißen Chevy-Kombi, hinter meiner Mutter. Beau ist auch da, hinter Naomi, die wir beide Caspy nennen – ein blasses, pummeliges Baby, das dreizehn Monate zuvor wie aus dem Nichts in unserer Familie aufgetaucht ist, weshalb ihr Spitzname von einer unserer Lieblingscomicfiguren abgeleitet ist: Casper, das freundliche Gespenst. Sie schläft tief und fest in einem Babykorb auf dem Vordersitz.

Plötzlich sehe ich, wie sich der Kopf meiner Mutter nach rechts dreht, ich sehe ihr Profil, aber ich erinnere mich weder an den Blick noch an den Gesichtsausdruck. Ihr Kopf schwingt einfach herum. Im selben Moment stürzt oder schleudert mein Bruder auf mich zu.

Das ist alles. Es geht schnell, wie ein Zucken, ein chaotischer Augenblick: Meine Mutter ist langsam auf eine Kreuzung gefahren, ein mit Maiskolben beladener Lastwagen hat uns seitlich getroffen.

Meine Mutter und meine kleine Schwester waren auf der Stelle tot. Beau wurde mit einem gebrochenen Bein und zahllosen weiteren Verletzungen aus dem Autowrack gezogen. Ich erlitt einen schweren Schädelbruch.

Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich im Krankenhaus aufwachte. Beau lag im Bett neben mir, verbunden und geschient, er sah aus, als wäre er auf einem Spielplatz verprügelt worden. Er flüstert immer wieder dieselben drei Wörter in meine Richtung:

»Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich.«

So fing alles an. Beau wurde mit diesen ersten bewussten Momenten meines Lebens mein bester Freund, mein Seelenverwandter, der Stern, der mich führt.

Drei Wochen später wurde Dad in unserem Krankenhauszimmer vereidigt, er war jetzt Senator.

Beau hatte zwei Amtszeiten lang als Generalstaatsanwalt von Delaware gedient, er war der Vater einer kleinen Tochter und eines Sohns, als ihm die Ärzte die Diagnose überbrachten: Glioblastoma multiforme – ein Hirntumor.

Vermutlich breitete sich der Tumor bereits seit drei Jahren in seinem Kopf aus. Im Herbst 2010, etwa ein Jahr nachdem er von einem Einsatz im Irak zurückgekehrt war, hatte er über Kopfschmerzen geklagt, Taubheitsgefühle, Lähmungserscheinungen. Damals hatten die Ärzte seine Symptome auf einen Schlaganfall zurückgeführt.

Wir beobachteten seine Entwicklung danach sehr genau. Etwas schien nicht in Ordnung. Beau scherzte Freunden gegenüber, dass er plötzlich Musik hörte. Ich fand das nicht witzig – eher unheimlich. Er wusste einfach nicht, was los war, aber aus heutiger Sicht bin ich mir sicher, dass es der Tumor war, der auf einen Teil seines Gehirns drückte und dort akustische Halluzinationen auslöste – eine Geschwulst, die eine Nervenzelle anstößt, die eine weitere anstößt, bis man plötzlich im Hintergrund Johnny Cash hört. Das war es, was Beau erlebte.

Schließlich, an einem warmen Spätnachmittag im August 2013, sah ich entsetzt mit an, wie Beau in einem Kleinstadtkrankenhaus in Michigan City, Indiana, einen Grand-mal-Anfall erlitt. Dieser Anfall bestätigte, dass bösere Mächte im Spiel waren. Am Tag zuvor war Beau mit seiner Frau und seinen Kindern elf Stunden von Delaware gefahren, wie jedes Jahr, um mit uns am Lake Michigan, ganz in der Nähe des Ortes, an dem meine damalige Frau Kathleen aufgewachsen war, Urlaub zu machen. Ich selbst war nach einem Wochenende im Reservedienst der U.S. Navy aus Norfolk, Virginia, gekommen und zog mich gerade um – wir wollten bei den Verwandten vorbeisehen, die im Haus von Kathleens Cousine, nur wenige Schritte von unserem Sommerhaus entfernt, versammelt waren –, als ich sah, dass Beau mit unseren Familien die Einfahrt hinaufkam. Alle um ihn herum waren panisch.

Beau behauptete, es gehe ihm gut. Doch es war offensichtlich, dass er kämpfte, er ging gebeugt, mit unsicheren Schritten. Wir fuhren ihn zum Krankenhaus, wo die Radiologieassistenten gerade ein MRT vorbereiteten, als er den Anfall hatte. Es war grausam, wie eine Szene aus dem Film Der Exorzist. Die Gewalt in seinem Körper brach in Zuckungen und Konvulsionen aus ihm heraus, man konnte den Sturm, der in seinem Gehirn wütete, förmlich sehen. Es schien überhaupt nicht mehr aufzuhören. Ich fühlte mich machtlos. Ich wollte den Schmerz meines Bruders in mich aufnehmen, um ihm zu helfen, aber ich konnte nichts tun.

Nichts.

Als sich der Sturm schließlich legte, wurde Beau per Hubschrauber ins Northwestern Memorial Hospital in Chicago überführt. Seine Frau Hallie und ich folgten im Auto, wir rasten und schafften die Strecke in der Hälfte der üblichen siebzig Minuten. Beau hatte bereits sein MRT bekommen, als wir ankamen. Die Ärzte zeigten uns die Bilder.

Ich war erleichtert. Ich hatte seit Beaus Schlaganfall so viele MRT-Bilder angesehen, dass ich genau zu wissen glaubte, was los war.

»Das ist ja nur der Infarkt«, sagte ich und zeigte auf die Region des Gehirns, die durch den Schlaganfall beschädigt war. Auf der Stelle lag ein trüber Schatten.

Der Chirurg, einer der besten des Landes, seufzte mitleidig.

»Hunter«, sagte er ernst, »ich glaube, es ist ein Tumor.«

»Auf gar keinen Fall«, sagte ich. »Das sieht genauso … Ich sehe mir diese Bilder doch seit einem Jahr an. Das ist genau die Stelle, an der der Schlaganfall passiert ist – genau da.«

»Also, dazu kann ich nichts sagen«, meinte der Chirurg. »Aber das hier sieht wie ein Tumor aus.«

Wir flogen Beau nach Hause und brachten ihn ins Thomas Jefferson University Hospital in der Nähe von Philadelphia. Die Diagnose wurde bestätigt, es war ein Tumor.

Einige Tage später stieg ich mit Beau noch einmal in ein Flugzeug, diesmal mit dem Ziel Houston, wo wir einen Hirnchirurgen treffen sollten, der am MD-Anderson-Krebsforschungsinstitut der University of Texas arbeitete.

Ein Glioblastom ist ein gemeines, unerbittliches Grauen. Die erste Operation sei erfolgreich verlaufen, erklärten die Ärzte Beau, sie hätten den Teil des Tumors entfernt, den sie sehen konnten. Zugleich sei aber der Krebs von der aggressivsten Art – eine gefährlichere gebe es nicht. Niemand war bereit, Beau die Zahlen – seine Überlebenschancen – zu nennen, doch als nur noch Dad, der Arzt und ich im Raum waren, fragte ich danach. Später sah ich im Internet nach, um auszuschließen, dass der Arzt uns eine falsche Überlebensrate genannt hatte: unter ein Prozent. Patienten leben nach der Diagnose im Schnitt noch etwa vierzehn bis achtzehn Monate, und von denjenigen, die es länger als fünf Jahre schaffen, haben die wenigsten eine Lebensqualität, die man bestenfalls als erträglich bezeichnen könnte.

Es war ein Todesurteil.

Es dauerte nicht lange, bis aus meiner Fassungslosigkeit Wut wurde, ich war mir sicher, dass die Ärzte den Tumor damals, als Beau angeblich den Schlaganfall gehabt hatte, einfach übersehen hatten. Hätte er bessere Chancen gehabt, wenn man es früher erkannt hätte? Das ist eine andere Frage, die sich so überhaupt nicht beantworten lässt.

Nun fanden sich Beau und wir alle in derselben unlösbaren Situation wieder wie so viele Patienten mit ihren Familien, die eine derart schlechte Prognose erhalten. Wir hatten ein Blatt bekommen, mit dem man praktisch nicht gewinnen konnte, und verdoppelten unseren Einsatz. Da wir nicht imstande waren – möglicherweise auch nicht gewillt –, etwas anderes zu tun, da wir vielleicht auch einfach eine Scheißangst hatten, ließen wir uns mit kämpferischem Optimismus auf jede neue Behandlung ein, die Beaus Ärzte empfahlen. Zu diesen Empfehlungen gehörten in einem Zeitraum von einundzwanzig Monaten zwei weitere große Operationen, eine Chemotherapie und brutale Bestrahlungen – alles letzten Endes vergeblich.

Wenn ich noch einmal von vorn anfangen könnte, würde ich dieser Standardbehandlung niemals zustimmen, besonders nicht der Strahlentherapie. Angesichts der verschwindend geringen Wahrscheinlichkeit, dass er auch nur annähernd wiederhergestellt werden würde, angesichts auch der Schmerzen und der Beeinträchtigungen – er hatte Schwierigkeiten beim Sprechen, konnte seine Schuhe nicht mehr selbst anziehen – war die Behandlung fast schon barbarisch. Doch in dem Augenblick, in dem man diesen herausragenden, höchst engagierten und einfühlsamen Spezialisten ausgeliefert ist, glaubt man, selbst die winzigste Chance ergreifen zu müssen.

Unsere letzte Hoffnung war ein überaus riskanter Eingriff, dessen Ausgang völlig offen war: Ein biologischer Wirkstoff, den ein vom MD-Anderson-Institut finanzierter Krebsforscher entwickelt hatte, wurde Beau direkt ins Gehirn gespritzt. Uns war klar, dass die Wahrscheinlichkeit, den Tumor zurückzudrängen, äußerst gering war, doch wir hofften auf ein Wunder.

Die Hoffnung auf ein Wunder ist ein Widerspruch in sich. Ein Wunder, so wie es gemeinhin verstanden wird, ist etwas, auf das sich ein rational gesteuerter Mensch nicht verlassen sollte. Weshalb eine Art beharrlicher Abschottung verschiedener Lebensbereiche vonnöten ist, um sich zu einem Zeitpunkt vom rationalen Denken zu verabschieden, an dem man eigentlich mit nichts anderem beschäftigt ist als mit Kalkül und rationalen Entscheidungen. Im Fall von Beau betrafen diese von der Planung seiner endlosen Arzttermine über die Überwachung seiner Ernährung bis hin zu der Frage, wer ihm beim Anziehen hilft, alles. Diese Banalitäten türmten sich auf, bis ein provisorischer, dem Mystischen, dem Magischen und dem Unerklärlichen geweihter Altar aus ihnen geworden war. Wir wussten, dass diese Behandlung das letzte Mittel war – weniger als ein Hoffnungsschimmer.

Die Wochen bis zu dieser verzweifelten letzten Maßnahme und die relativ kurze Zeitspanne, die darauf folgte, sollten auch die letzten erhabenen Momente enthalten, die ich mit meinem Bruder verbringen durfte.

Eine Woche vor dieser letzten Operation am MD-Anderson-Krankenhaus flog ich mit Beau nach Houston. Wir wohnten in einer Hotelsuite etwa eine Meile vom Krankenhaus entfernt, und täglich schleppten wir uns hin, damit Beau mit einer ganzen Reihe von Untersuchungen und Medikamenten auf den Eingriff vorbereitet werden konnte. Mom und Dad sollten am Tag der Operation dazustoßen.

Beau war derart beeinträchtigt, dass ich ihm helfen musste, Socken und Schuhe anzuziehen, ich half ihm auf die Toilette, führte ihn in die Dusche und wieder hinaus. Kurz nach der Ankunft in Houston stritten wir uns, weil ich versucht hatte, eine App auf seinem Handy zu installieren, die ihn beim regelmäßigen Atmen unterstützen sollte, was ihm immer schwerer fiel. Beau war frustriert, weil er nicht richtig damit umgehen konnte, und ärgerte sich, weil er glaubte, ich würde die Geduld mit ihm verlieren. Es brach mir das Herz, dass ich genötigt war, ihn vom Gegenteil zu überzeugen: Dem älteren Bruder zuzusehen, wie es ihm nicht gelingen wollte, der Anleitung für eine Sache zu folgen, die so einfach war wie das Ein- und Ausatmen, war niederschmetternd.

Wir verbrachten die gemeinsame Zeit in dieser Woche in einem Wechsel von abwartender Stille und albernem Gelächter. Wir führten keine schwermütigen Gespräche darüber, dass es bald vorbei sein könnte, und versuchten zu keinem Zeitpunkt, die Chancen der Behandlung einzuschätzen. Wir bereiteten uns auch nicht für den Fall der Fälle vor. Wir wussten intuitiv beide, was zu tun war. Beau erlaubte sich einfach nicht, für den schlimmstmöglichen Ausgang zu planen. Und wir anderen richteten uns nach ihm.

Dad rief ständig an, wie üblich, er fragte, ob es Beau gut gehe, ob er etwas tun könne. Ich gab ihm immer dieselbe Antwort: ja – und nein. Das, was wichtig war, konnte er aus diesen Antworten heraushören. In schwierigen Zeiten wie diesen konnten er, Beau und ich auf einer Art nonverbalen Frequenz miteinander kommunizieren, die wir bei früheren Schicksalsschlägen entwickelt hatten. Wenn wir mehr sagten, riskierten wir, den Bann zu brechen und an einen Ort zu gelangen, den wir alle nicht betreten wollten.

Natürlich hatten wir auch realistischere Gedanken zugelassen. Sie brauchten nur in diesem Augenblick nicht ausgesprochen zu werden. Natürlich wusste ich, was sich Beau für mich wünschte, und ich wusste auch, was ich zu tun hatte. Es war ja nicht so, dass er Lösungen parat hatte, die zu begreifen ich nicht imstande gewesen wäre, oder umgekehrt.

Etwas, über das wir sehr wohl sprachen, war die Frage, wie wir den Wahlkampf für den Gouverneursposten in Delaware führen würden, den er nach der Operation aufnehmen wollte. Die Bidens haben Politik im Blut. Der damalige demokratische Gouverneur durfte nicht wieder antreten, und Beau hatte im Jahr zuvor angekündigt, dass er nicht noch einmal als Generalstaatsanwalt kandidieren würde, weil er sich ganz auf die Gouverneurswahlen von 2016 konzentrieren wolle. Die ungewöhnliche Strategie, ein politisches Amt zu verlassen, um sich zwei Jahre später in ein neues wählen zu lassen, heizte Spekulationen über seinen Gesundheitszustand an. Wir wussten alle, wie gering seine Chancen waren, aber Beau tat, als müsste die Behandlung wirken, und wir alle folgten ihm darin – egal, was die Statistik sagte.

Die ganze Woche lang blieben wir mehr als optimistisch. Für Beau war dies eine Haltung, die weit über den üblichen Aberglauben hinausging. Wie ein Pilger, der eine heilige Stätte aufsucht, machte er sich täglich auf den Weg ins Krankenhaus. Er war überzeugt, dass alles gut werden würde – dass er geheilt würde. Die Ärzte und Ärztinnen, die Pfleger und Pflegerinnen, die wir von den beiden vorherigen Operationen fast alle schon kannten, waren beinahe so etwas wie Heilige für ihn, die transzendente Dinge tun konnten.

Ich erinnere mich, dass Beaus besondere Bewunderung dem Anästhesisten galt, einem wunderbaren Mann mit strahlend blauen Augen – Augen, die tatsächlich ebenso blau waren wie die meines Bruders. Beau war fasziniert von ihm, und er erwähnte immer wieder, wie beruhigend diese Augen auf ihn wirkten. Sie waren das Letzte, was er gesehen hatte, bevor die beiden vorangegangenen Kraniotomien begannen, und das Erste, was er nachher sah oder bewusst wahrnahm. Derselbe Anästhesist sedierte ihn auch, bevor er in die MRT-Röhre geschoben wurde, denn Beau hatte Angst vor engen Räumen. Die beiden schienen eine unausgesprochene gemeinsame Erkenntnis zu teilen, während sie sich gegenseitig in die identischen tiefblauen Augen sahen.

Wenn wir im Hotel waren, lachten wir über all die Dinge, über die wir immer gelacht hatten. Wir lagen zusammen auf seinem Bett und sahen uns auf meinem Laptop Filme und Fernsehserien an, und ich blieb so lange bei ihm, bis er langsam in den Schlaf glitt. Wir sahen Folge um Folge von Curb Your Enthusiasm und Eastbound & Down, zwei Serien, die den schrägen Humor auftischten, den Beau liebte. Doch selbst da lachte er nicht ganz so laut wie sonst, es schien ihn etwas weniger zu amüsieren. Es fiel ihm immer schwerer, einer Geschichte zu folgen und sich über einen gewissen Zeitraum auf sie einzulassen.

Wir verließen das Zimmer nur selten – manchmal aßen wir unten im Hotelrestaurant, einmal gingen wir ins Kino, und einmal bekam Beau Überraschungsbesuch von zwei Freunden, die extra eingeflogen waren. An einem Nachmittag gingen wir zu einem Westerngeschäft in der Nähe. Es war ermutigend zu sehen, wie Beaus Humor noch einmal aufblitzte. Er wählte zwei lachhaft knallrote Westernhemden – mit Druckknöpfen, damit er sie leichter selbst anziehen konnte – und dazu zwei Paar Jeans. Ich versuchte ihn zu einem Cowboyhut zu überreden, aber er biss nicht an. So schlimm stand es um ihn noch nicht. Also kaufte ich den Hut selbst.

Diese Woche bedeutete mir verdammt noch mal alles. Wenn ich heute darauf zurückblicke, scheint mir die Zeit wie ein Ritual, das wir gemeinsam durchführten, um uns auf das Kommende vorzubereiten.

Anfangs schien es gut zu laufen. Der Chirurg, der die Operation durchgeführt hatte, hatte uns noch nicht informiert, aber im Aufwachraum redete Beau ganz normal und schien guter Dinge. Mom, Dad und ich waren bei ihm, man hatte uns mit OP-Kitteln und Hauben ausgestattet. Ich blieb im Zimmer, als meine Eltern in einen Tagungsraum in der Nähe geführt wurden, im ganzen Krankenhaus waren die Geheimdienstbeamten postiert, die zu ihrem Schutz abgestellt waren.

Da ich im vergangenen Jahr in so vielen Krankenhauszimmern mit Beau gesessen hatte, bemerkte ich ein blinkendes Licht auf einem Monitor und wusste, dass es nichts Gutes bedeutete. Ich weiß nicht mehr, welchen Wert das Gerät anzeigte, aber ich erinnere mich, dass er zu hoch war. Der Arzt bemerkte es in dem Augenblick, als er ins Zimmer trat. Er sah mich erschrocken an, wurde rot und gab mir ein Zeichen, ihm nach draußen zu folgen.

Auf dem Flur erklärte er, dass er besorgt sei. Die Operation war technisch sehr anspruchsvoll gewesen, im Prinzip musste er eine Nadel von der Schädelbasis durch das ganze Gehirn fädeln, um den Wirkstoff in den Tumor zu injizieren. Jede Abweichung auf dem Weg durch das Gewebe konnte wichtige Teile des Gehirns beschädigen. Er befürchtete, so drückte er es aus, dass »ich irgendwas angeschnitten habe, was ich nicht hätte berühren dürfen«. Er wollte sich mit seinen Kollegen die Auswertungen ansehen und eilte davon.

Während wir auf seine Rückkehr warteten, fragte Beau immer wieder, ob etwas nicht stimme. Ich sagte ihm, es sei nichts, der Arzt würde gleich wiederkommen.

Fünf Minuten vergingen. Dann zehn Minuten. Dann eine halbe Stunde – zumindest schien sich für uns beide, die wir in diesem weißen desinfizierten Raum warteten, die Wartezeit so lange zu dehnen. Ich wollte Beau nicht allein lassen, doch schließlich trat ich auf den Flur hinaus und rief Dad an. Voller Panik sagte ich ihm, dass ich glaubte, es sei etwas komplett schiefgegangen, dass der Arzt verschwunden sei, das sei alles nicht gut. Dad kicherte: Der Arzt stand direkt neben ihm. Das Protokoll des Vizepräsidenten – nach dem mein Vater über Angelegenheiten, die ihn direkt betrafen, vor allen anderen informiert wurde – wurde auch in solchen Situationen eingehalten, manchmal, wie jetzt, ließ es mich im Ungewissen. Der Arzt hatte meinen Eltern gerade die Situation erklärt, er hatte gesagt, dass so weit alles in Ordnung sei.

Es blieb aber nicht lange in Ordnung.

Ein paar Tage später wurde Beau nach Delaware zurückgeflogen, einen Abend konnte er mit Hallie und den Kindern im eigenen Haus genießen. Am nächsten Tag rief mich Hallie panisch in Washington an, sie sagte, Beau sei nicht ansprechbar. Ich fuhr nach Wilmington und ging gleich hinauf ins Schlafzimmer, wo er den ganzen Tag lang auf niemanden reagiert hatte.

Beau wirkte gequält, er schien nicht ganz da zu sein. Als ich hereinkam, sagte er kaum Hallo. Ich gab ihm einen Kuss und fragte, was los sei. Er hob nur ganz leicht die Hand, schüttelte ein wenig den Kopf und krächzte: »Ich weiß nicht.« Ich sagte ihm, er solle aufstehen, aber er weigerte sich. »Steh auf«, sagte ich. »Es ist wunderschön draußen. Komm, wir setzen uns auf die Veranda.«

Er brauchte eine Ewigkeit, um aus dem Bett zu kommen. Er konnte sich kaum bewegen – er hatte eindeutig Schmerzen, und er fürchtete sich, weil die Motorik seiner Arme stark eingeschränkt war. Wir gingen vorsichtig die Treppe hinunter, ich stützte ihn eher wie einen jungen Sohn als wie einen größeren Bruder, ich schob ihn an unseren Eltern vorbei zu einer Doppeltür, die auf die vordere Veranda führte, mit Blick auf einen Teich. Wir setzten uns an der geöffneten Tür auf zwei Sessel, nur wie beide.

Ich sagte nicht viel, nur dass ich glaubte, es werde schon wieder, die Ärzte hätten genau das vorausgesagt, das Virus, das sie gespritzt hätten, würde in seinem Gehirn einen Feuersturm auslösen, bevor es wirkte und die weißen Blutkörperchen den Tumor angreifen würden. Ich erklärte ihm, es sei nur vorübergehend, dass er diese schwierige Phase jetzt überstehen müsse, dann würde es bergauf gehen. Er nickte, wiederum nur ganz leicht. Ich spürte, dass er mir genau zuhörte und dass er all das glauben wollte, was ich ihm sagte.

Ich weiß nicht, wie viel Zeit verging, bis das nächste Wort fiel. Irgendwann schien Beau auf die neue Uhr zu zeigen, die ich trug. Ich brauchte eine Weile, dann glaubte ich zu verstehen, was er wollte. Einmal, mit etwa fünfzehn Jahren, schlich sich Beau vor einem Schulball heimlich in Dads begehbaren Kleiderschrank, wo in der obersten Schublade eine Art Schatzkästchen lag. Er fand dort Manschettenknöpfe aus Edelstahl und eine Omega-Uhr mit Lederarmband aus den sechziger Jahren, von der er glaubte, dass Dad sie von Mommy geschenkt bekommen hatte. Mommy nannten wir bis ins Erwachsenenleben hinein unsere leibliche Mutter Neilia, während Jill, unsere Stiefmutter, Mom war.

Er fand diese Uhr so cool. Er nahm sie, ohne Dad zu fragen, und trug sie am Abend zum Ball. Er wollte sie später in das Kästchen zurücklegen, aber irgendwie verlor er die Uhr beim Tanzen, was er sich niemals verzieh. Er beichtete es Dad nicht, und Dad bemerkte es lange Zeit auch gar nicht. Ich hatte die Geschichte völlig vergessen. Aber Beau erinnerte sich jetzt daran. Er hatte noch immer Schuldgefühle, weil er diese Uhr verloren hatte.

Jahrzehnte später, als wir bei einem dieser endlosen Krankenhaustermine zusammensaßen, begann Beau, nach einer Armbanduhr zu fahnden, die sie ersetzen könnte. Die Suche nach diesem Modell wurde in den folgenden Monaten, in denen wir so viel Zeit mit Warten verbrachten, zu einer Obsession. Er stöberte im Internet, wenn wir im Krankenhaus auf Untersuchungen und Scans warteten oder im Terminal auf unseren Flug. Schließlich suchten wir beide – ohne Erfolg. Wir starrten auf unsere Handys, scrollten uns durch Tausende von Fotos. So konnten wir uns die Zeit vertreiben und auf etwas völlig anderes konzentrieren. Ich wusste nicht einmal mehr, wie das verdammte Ding ausgesehen hatte. Beau allerdings schon, er hatte es noch genau vor Augen.

Jetzt schien er auf die Uhr an meinem Handgelenk zu zeigen. Es war eine Omega Seamaster mit einem Metallarmband. Ich hatte sie einmal für Beau gekauft, wusste aber, dass er sie nicht tragen würde. Jetzt schien er sich zu fragen, warum ich sie gekauft hatte – denn es war ja nicht das Modell, nach dem wir gesucht hatten. Ich lachte. Es tat so gut zu sehen, dass Beaus Gehirn immerhin so weit funktionierte, dass er eine solch beiläufige Bemerkung machen konnte, die mit den Schmerzen und seinem Zustand nichts zu tun hatte.

Wir blieben lange dort sitzen, ernsthaft und still. Wir betrachteten die Landschaft, die sich vor uns ausbreitete – das Grün und Gold des Brandywine Valley in seiner ganzen frischen Frühlingspracht, der gläsern wirkende Teich, die gigantische Roteiche, die als die älteste im ganzen Bundesstaat gilt.

Schließlich sah Beau mich an.

»Nicht die Uhr«, flüsterte er kaum hörbar. Er hatte gar nicht auf meine Omega gezeigt, sondern auf das vor uns liegende Panorama, aber es war ihm nicht gelungen, seine Hand weit genug zu heben.

»Schöne Dinge«, sagte er jetzt und nickte in Richtung Tal. »Wunderschön …«

Es waren die letzten Worte, die mir mein Bruder schenkte.

Ich brachte ihn wieder hinauf, steckte ihn ins Bett, richtete seine Kissen und gab ihm einen Kuss. Ich sagte, dass ich am Morgen wieder da sein würde.

Doch dazu kam es nicht. Ich erhielt vorher einen Anruf. Beau war aufgewühlt und unter großen Schmerzen mit dem Krankenwagen ins Thomas-Jefferson-Krankenhaus in Philadelphia gebracht worden, wo der Mann meiner Schwester Ashley, Howard Krein, als Chirurg arbeitet. Beaus Zustand verschlechterte sich zwar nicht deutlich, er wurde aber auch nicht besser. Einige Tage später wurde Beau ins Walter-Reed-Militärkrankenhaus überführt, man hatte uns Hoffnung gemacht, dass es ihm mit verschiedenen Reha-Maßnahmen etwas besser gehen würde.

Als ich dort in sein Zimmer kam, war ihm das Leiden deutlich anzusehen. Er hielt sich den Bauch, sprach nicht, litt heftigste Schmerzen. Es dauerte unendlich lang, bis die Pfleger kamen und ihm halfen. Wegen einer Darmperforation hatte er einen septischen Schock erlitten und musste notoperiert werden. Kurz darauf wurde er in die neurologische Intensivstation verlegt, wo die Ärzte schließlich beschlossen, ihn zu intubieren.

Seit unserer gemeinsamen Zeit in Houston war erst etwas mehr als ein Monat vergangen, doch es schien eine Ewigkeit her zu sein. Ich setzte mich auf den Stuhl an Beaus Bett. Für seine Frau Hallie war das Nebenzimmer frei gemacht worden. Sie ging gegen Mitternacht hinüber, schlief bis fünf und kehrte zurück.

Die Ärzte erklärten, dass keine Aussicht auf Genesung mehr bestand, und Beaus Tracheostomiekanüle wurde entfernt. Das Warten begann.

Die Zeit glitt vorüber. Beau rührte sich nicht. Ich redete immer weiter. Ich sagte ihm, er könne jetzt loslassen. Ich sagte ihm, dass für seine Kinder, Natalie, die bald elf wurde, und für den neunjährigen Hunter gesorgt sei, die ganze Biden-Verwandtschaft würde sich um sie kümmern, so wie sie sich auch um uns gekümmert hatte, als Mommy und Caspy uns damals verlassen hatten.

Dad würde es auch durchstehen, sagte ich.

»Er ist so unerschütterlich, Beau«, erklärte ich. »Er weiß, dass er für uns alle Stärke zeigen muss.«

Ich versprach ihm, selbst auch meine ganze Willenskraft aufzubringen. Er war mit mir zu meinen ersten AA-Meetings gegangen, den Treffen der Anonymen Alkoholiker, hatte meinen ersten Sponsor gefunden und mich oft genug in die Entziehungskur begleitet, dass er wusste, wie schwierig es für mich war. Ich versprach ihm, nüchtern zu bleiben. Ich versprach ihm, mich um die Familie zu kümmern, wie er es immer getan hatte. Ich versprach ihm, glücklich zu sein und das Leben in Schönheit zu führen, das wir uns zusammen ausgemalt hatten.

Ich hatte damals keine Ahnung, in wie viele Sackgassen ich geraten sollte, bis ich meine Versprechungen tatsächlich einhielt.

Die vierundzwanzig Bidens liefen noch immer durch die Korridore. Einige waren nach Hause gefahren, um zu duschen, sich umzuziehen oder kurz zu schlafen, aber sie waren nie lange fort. Andere schauten im Zimmer vorbei, sagten ihm, was sie zu sagen hatten, sprachen mit den Ärzten und Pflegern und Mitarbeitern – es müssen im Ganzen ein Dutzend Leute gewesen sein, die uns die gesamte Zeit so freundlich beigestanden hatten.

Beau atmete kaum merklich. Ich hielt seine Hand.

Tante Val und Onkel Jim, die Geschwister meines Vaters, die Beau und mich nach dem tödlichen Autounfall mehr oder weniger eigenhändig großgezogen hatten, kamen und wollten mich hinausschicken, um frische Luft zu schnappen, einen kurzen Spaziergang zu machen. Ich lehnte ab. Ich wollte bei meinem Bruder sein, sonst nirgends.

Schließlich, beinahe anderthalb Tage nachdem die Ärzte Beau nur noch Stunden gegeben hatten, bestand Dad darauf, dass ich mit meinem Schwager Howard gehen solle, um Pizza zu holen. Die Bidens hätten Hunger. Ich hatte Angst vor dem, was geschehen konnte, ging aber trotzdem. Nach zehn Minuten, als wir gerade das Restaurant betraten, klingelte mein Telefon. Es war Dad.

»Komm zurück, Junge«, sagte er nur.

Die Verwandten standen gemeinsam mit Freunden, Ärzten und Pflegern dicht gedrängt im Zimmer. Dad war bei Beau, hielt die linke Hand seines ältesten Sohns, drückte sie mit beiden Händen an seine Brust. Meine Mutter stand neben ihm, Hallie und die Kinder klammerten sich aneinander und weinten. Das Licht im Zimmer war aus, aber durch die halb geöffneten Jalousien drang die Sonne des frühen Abends.

Der Herzmonitor schwieg. Dr. Kevin O’Connor, der Arzt des Weißen Hauses, der für meinen Vater zuständig war, trat vor und erklärte mit getragener Stimme den Todeszeitpunkt.

»Neunzehn Uhr vierunddreißig.«

Die Menge, die Beau umgab – seine Kinder, meine drei Töchter, unsere Ehefrauen und Schwiegereltern, die kleine Kolonie der Tanten und Onkel, Cousinen und Cousins –, teilte sich, um eine Gasse für mich frei zu machen. Ich ging hindurch, direkt auf Beau zu. Ich nahm seine rechte Hand, stand meinem Vater gegenüber. Ich drückte meine Wange an die Stirn meines Bruders, küsste sie. Dann nahm ich die Hand meines Vaters, die noch immer Beau hielt. Ich beugte mich herab, legte meinen Kopf auf die Brust meines Bruders und weinte. Dad strich mir durchs Haar und weinte ebenfalls. Dann beugte auch er sich hinab, legte seinen Kopf neben meinen, und die Tränen rannen uns über die Gesichter.

Niemand sprach. Nichts war zu hören, nur unser Schluchzen.

Dann, inmitten dieser tiefsten Verzweiflung, spürte ich, wie sich der Brustkorb meines Bruders ein wenig hob. Dann einen Herzschlag. Ich sah Dad an, seine Augen waren gerötet und wund, und flüsterte: »Er atmet noch.« Ich sah die Ärzte an, um es ihnen ebenfalls zu sagen. Sie betrachteten mich mit einer Mischung aus Sorge und Mitleid. Einer von ihnen antwortete leise: »Nein, Hunter, es tut mir leid, aber Ihr Bruder ist –«

Dann wurde er vom Herzmonitor unterbrochen, der sich regte. Niemand im Zimmer reagierte. Ich glaube, die meisten von ihnen waren so bestürzt, dass sie nicht verstanden, was gerade geschah.

Nein, ich dachte auch nicht, dass Beau wie durch ein Wunder wieder genesen sei. Aber ich hatte das Gefühl, als sei er für einen Augenblick zurückgekehrt – so wie man zurückkehrt, wenn man sein Portemonnaie oder seine Autoschlüssel vergessen hat –, damit wir beide unsere Wege gehen könnten. Er hatte nur noch einmal kurz hereingeschaut, damit ich ihm noch ein einziges Mal sagen konnte, was er längst wusste und was ich schon so oft gesagt hatte.

Dass ich ihn liebte. Dass ich immer bei ihm sein würde. Dass uns nichts würde trennen können, nicht einmal der Tod.

Dann machte er seinen letzten, flachen Atemzug und ging für immer von uns.

Dr. O’Connor gab noch einmal den Todeszeitpunkt an:

»Neunzehn Uhr einundfünfzig.«

Beautiful Things

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