Читать книгу Religion und Strafe - I. M. Rahimov - Страница 5
ОглавлениеVORWORT
Bevor ich mit der essentiellen Analyse des neuen Werkes von Professor I.M. Rahimov beginne, ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass dies der abschließende Band einer Pentalogie sei, die der Untersuchung des Phänomens „Verbrechen und Strafe“ gewidmet ist1. Deshalb sollte man die vorliegende Monographie im Kontext von vier Abhandlungen betrachten, die ihr vorangegangen sind.
Die Begriffe „Verbrechen“ und „Strafe“ gehören zusammen. Das eine kann ohne das andere nicht existieren. Dasselbe lässt sich auch über das Strafrecht insgesamt sagen: ohne das „Verbrechen“ wäre das Kriminalrecht gegenstandslos und ohne die „Strafe“ Das strafrechtliche Verbot einer für die Gesellschaft gefährlichen Tat setzt voraus, das diese nicht nur als kriminell, sondern auch als strafbar gilt. Daraus ergibt sich, dass unter den grundlegenden, systemrelevanten Kategorien der Strafrechts-Theorie nach der Institution Verbrechen an zweiter Stelle die gleichwertige Institution Strafe genannt wird.
Bis dato wurde eine Vielzahl verschiedenster Lehren über das Verbrechen in Umlauf gesetzt. Noch zahlreicher sind jedoch diverse Bestrafungs-Theorien. Das ist leicht zu erklären: die Vertreter des Menschengeschlechts haben doch immer versucht, mittels der Strafe das soziale Übel „Verbrechen“ einzudämmen, auszumerzen und zu vernichten.
Aus der Geschichte ist uns wohlbekannt, dass zu Beginn der Menschheitsentwicklung ausschließlich Vergeltung und Gotteslohn, d.h. die Ahndung in Reinform bevorzugt angewendet wurden. Später verlagerte sich der Akzent auf ein anderes Mittel: die Unabwendbarkeit der Haftung gemäß dem geflügelten Wort „Die Wirksamkeit der Strafe ist nicht durch deren Härte, sondern durch deren Unabwendbarkeit bedingt“. Aber auch dieser Weg brachte nicht die erwarteten Ergebnisse. Neuerdings wurden etliche neue Maßregeln vorgeschlagen. Dazu gehören die empfohlene Erweiterung der sozialrechtlichen Kontrolle über das Verhalten der Bevölkerung (W.W. Lunejev), die vorgeschlagene Nutzung der Restitutions-Rechtsprechung als eine Art Alternative zum herkömmlichen Modell beim Kampf gegen die Schmälerung von Privatinteressen (Standpunkt des 12. UN-Kongresses für Verbrechensverhütung und Strafrechtspflege) und sogar der Vorschlag, jene Rechte und Interessen von Bürgern, die durch das Verbrechen verletzt wurden, auf dem schnellsten Wege zu gewährleisten (A.I. Boiko).
Manche romantisch veranlagte Rechtswissenschaftler – obwohl sie dessen bewusst sind, dass „die Verhängung der Strafe in Übereinstimmung mit den geltenden Rechtsvorschriften das Zufügen von Schmerz bedeute und gerade dafür bestimmt sei –, behaupten trotzdem: „Falls Schmerz zugefügt werden muss, dann nicht zwecks Manipulation, sondern in solchen sozialen Formen, zu denen die Menschen greifen, wenn sie tiefe Trauer empfinden. Dies könnte eine Situation herbeiführen, bei der die Strafe für ein Verbrechen verschwinden würde. Sobald das passiert, verschwinden auch die Haupteigenschaften des Staates. Auch wenn das nur eine Idealvorstellung sei, lohnt es sich, so eine Situation als das Reich der Menschengüte und Menschlichkeit zu vergegenwärtigen und im Auge zu behalten: ein unerreichbares aber erstrebenswertes Ziel“2.
In Russland gilt dem Thema Strafe traditionsgemäß ein großes Augenmerk, und zwar auf verschiedenen Ebenen. Angefangen bei der Wahrnehmung der genannten Probleme im alltäglichen Rechtsbewusstsein („Gegen Bettelsack und Gefängnis ist keiner gefeit.“ „Verurteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet.“ „Mitgefangen, mitgehangen!“ „Gott bestraft gerade denjenigen, den er liebt.“) bis zu deren philosophischen Erfassung. Auch die Suche nach dem tieferen Sinn einer Kriminalstrafe kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Das Leben und Schaffen zahlreicher herausragender russischer und ausländischer Kriminalwissenschaftler waren der Erforschung dieser Fragestellungen gewidmet. Auch die Gesetzgeber sind nicht abseits geblieben und haben nach Kräften und Möglichkeiten an der Kriminalstrafen-Leiter gebastelt.
Als Ergebnis jahrhundertelanger gemeinsamer Bemühungen einer ganzen Plejade von Wissenschaftlern und Praktikern wurde das geschaffen, was wir heute „Bestrafungslehre im Kriminalrecht“ nennen.
Kann aber etwa gesagt werden, das Ziel sei erreicht, die Arbeit komplett abgeschlossen und die genannte Lehre wahr geworden? Natürlich nicht. Anschaulicher Beweis dafür ist die neue Monographie von Prof. I.M. Rahimov, die hier den Lesern vorgestellt wird.
Am gnoseologischen Fundament, auf welches sich die von ihm entwickelte Bestrafungslehre stützt, sowie an deren Ursprungsquellen hat bisher ein einziger Grundstein bzw. eine einzige Schrifttafel gefehlt, und zwar die religiösen Grundlagen der Kriminalstrafe. Die vorliegende Monographie hat nun diese Lücke geschlossen.
Nach philosophischen und sittlichen Komponenten der Bestrafungslehre wurden vom Autor minutiös deren religiösen Grundprinzipien untersucht. Dabei ist es gesetzmäßig, denn der vielfältige Charakter des Phänomens Strafe führt zur Diversität von Ansätzen zwecks deren Verständnis unter verschiedenen Betrachtungsweisen. Zu diesen Richtungen gehört ein Ansatz, der auf religiösen, also göttlichen Grundfesten der Strafe beruht.
Hinsichtlich des gewählten Themas, des Riesenumfangs von gesammeltem und ausgewertetem Material sowie dessen Eindringtiefe ist dieses Buch unbestritten das erste und bisher einzige Werk in der zeitgenössischen strafrechtlichen Literatur, welches eine so gründliche und vielseitige Untersuchung des religiösen Vorläufers vom Phänomen Strafe liefert.
Beeindruckend ist vor allem die Dimension der geleisteten Arbeit. Der Forscher hat sämtliche heilige Schriften (Bibel, Koran, Karma-Gesetz etc.) der wichtigsten Weltreligionen (Judaismus, Christentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus) untersucht.
Auch wenn der Autor in seinen anderen Schriften davon ausgeht, dass unter den Kräften, von denen die Wirklichkeit geprägt wird, die Sittlichkeit die allererste sei, weil sie den öffentlichen Anfangsgrund im Menschen bildet; sie verbindet die Menschen zu einer Gemeinschaft verbindet noch bevor all deren sonstigen Bande entstehen. Die Sittlichkeit umreißt jenes Universum, in deren Grenzen das menschliche Sein sich überhaupt in menschlicher Form zu entwickeln vermag. In der vorliegenden Monographie versetzt sich der Autor in dieselben von uns weit entfernten Zeiten, aber diesmal mit dem Ziel, die religiösen Wurzeln des menschlichen Verhaltens zu entdecken. Dies betrifft sowohl gesetzeskonformes Verhalten als auch die Abweichungen von den Sittlichkeitsnormen und religiösen Verboten. Der Wissenschaftler geht auf die biblische Herkunftsgeschichte der Strafe und den göttlichen Ursprung des Bestrafungsrechts ein, zeigt dessen Wesen, Ziele und Arten. Gestützt auf die Leitidee in punkto Strafbarkeit, die der jeweiligen Weltreligion zugrunde liegt, nimmt er dann unter die Lupe den Judaismus mit dessen Vergeltungsgesetz nach dem Motto «Auge für Auge, Zahn für Zahn», das Christentum (die Lehre Christi) mit dessen Glückseligkeits- und Liebesgesetz nach dem Motto „Du sollst dem Bösen nicht widerstehen“, den Islam mit dessen goldenen Allahs´ Regeln in Form der „widerfahrenden Gerechtigkeit“, den Hinduismus mit dem Karma-Gesetz – „Sündentilgung und Errettung“, den Buddhismus mit dem Postulat „Verbrechen sei eine Krankheit und die Lehre des Buddha eine Medizin anstelle der Strafe“.
Der Leitgedanke des Buches und zugleich die entscheidende Schlussfolgerung aus der Untersuchung besteht unseres Erachtens darin, zu zeigen, wie in drei wichtigsten Weltreligionen die Evolution des Phänomens Strafe von den zwei Extremen (ausgedrückt in den Formeln „Auge um Auge“ und „Wenn dir jemand auf die rechte Wange schlägt, dann halt auch die andere hin.“) zur Goldenen Regel gelangt war, die lautet: „Es sei die Vergebung möglich, falls das sowohl für den Straftäter als auch für das Gemeinwohl sinnvoll sei.“
Laut I.M. Rahimov wird die Institution Strafe in den heiligen Schriften (Altes und Neues Testament und der Koran) vom Allerhöchsten identisch verstanden. Es ist auch nicht erstaunlich, denn nach Ansicht der Verfechter theologischer Richtung der Schöpfer all der obengenannten Botschaften untrennbarer und ungeteilter Gott sei. Gerade deshalb kann man dem Autor beipflichten: das Wesen der Strafe entsprach grundsätzlich immer den jeweiligen Sitten und herrschenden Religionen, entwickelte und änderte sich gemeinsam mit der Entwicklung und Vervollkommnung von Völkern. Selbstverständlich war damit nicht ausgeschlossen die Evolution des Strafgedankens unter Berücksichtigung unterschiedlicher Entwicklungsebenen dieser Völker sowie der Besonderheiten von deren Religion, Kultur, Psychologie und Mentalität.
Nach Lektüre der neuen Monographie von Professor I.M. Rahimov erwischt man sich beim Gedanken: egal, zu welcher Religion wir uns bekennen und welcher Konfession angehören (bzw. weiterhin Atheisten bleiben), können wir unmöglich die unbestrittene Tatsache leugnen, dass die Weltreligionen einen gewaltigen Einfluss auf die Herausbildung und Entwicklung der Institutionen Verbrechen und Strafe ausgeübt haben.
Aufmerksame Leser werden ohne Zweifel auch zahlreiche weitere Vorzüge der vorliegenden Monographie entdecken. Sie findet ganz bestimmt starkes Interesse bei den russischen Wissenschaftlern, die das „ewige“ und „unsterbliche“ Thema Bestrafungslehre erforschen.
A.I. Korobejev,
Prof., Dr. Dr. jur.,
Verdienter Wissenschaftler
der Russischen Föderation
1 Rahimov I.M.: 1) Kriminalität und Strafe. („Prestupnostj i nakasanije“), Moskau, 2012; 2) Philosophie von Verbrechen und Strafe („Filosofija prestuplenija i nakasanija“), Sankt Petersburg, 2013; 3) Über die Sittlichkeit der Strafe („O nrawstwennosti nakasanija“), Sankt Petersburg, 2016; 4) Unsterbliche Todesstrafe („Bessmertnaja smertnaja kasn'“), Sankt Petersburg, 2017.
2 Kristi N. Indem man Schmerzen zufügt. Die Rolle der Strafe in der Kriminalpolitik. („Pritschinjaja bol'. Rol' nakasanija w ugolownoj politike“), Sankt Petersburg, 2011. S. 18.