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Das Modell der Kernbedürfnisse
ОглавлениеSchauen wir uns nun die Kernbedürfnisse im Einzelnen an:
1.Kernbedürfnis Freiheit: Einer unserer stärksten inneren Antreiber ist die Freiheit. Wir alle brauchen Abwechslung in unserem Leben und genießen das Gefühl von Unabhängigkeit, Überraschungen und neuen Reizen. Typische Merkmale sind: Sprunghaftigkeit, regelmäßiger Job- oder Partnerwechsel, sich nicht festlegen wollen, Experimentierfreude und Umsetzungskompetenz. Das Kernbedürfnis in einem Satz lautet: Niemand schreibt mir vor, was ich zu tun oder zu lassen habe.
2.Kernbedürfnis Sicherheit: Genauso intensiv ist unser Sicherheitsbedürfnis, das Streben nach Kontinuität, Stabilität und Beständigkeit, mit dem wir Ruhe, Geborgenheit und Schutz sicherstellen wollen. Typische Merkmale: Routinen, Gewohnheiten, Zögern, Zaghaftigkeit, Verlässlichkeit und Risikoaversion. Das Kernbedürfnis in einem Satz: Alles soll so bleiben, wie es ist.
3.Kernbedürfnis Individualität: Hier geht es um das starke Bedürfnis nach Anerkennung, danach Bedeutung zu erlangen und unsere Einzigartigkeit herauszustellen. Egal, ob im Job oder zu Hause: Jeder von uns will sich einmalig fühlen, wichtig sein und das Gefühl haben, einen Unterschied zu machen. Typische Merkmale: auffällige Kleidung, Extravaganz, Selbstzweifel, Kreativität, im Mittelpunkt stehen wollen, laut sein und Extravertiertheit. Das Kernbedürfnis in einem Satz: Nimm mich wahr, denn ich bin besonders.
4.Kernbedürfnis Gemeinschaft: Genauso brauchen wir aber auch die Zugehörigkeit zu anderen Menschen. Wir streben nach Gemeinsamkeiten, Verbindungen und Beziehungen und sehnen uns nach Liebe, Respekt und Zuneigung. Typische Merkmale: Unterwürfigkeit, Drang nach Harmonie, Gerechtigkeitssinn, leise sein, der Wunsch, es allen recht machen zu wollen, die Bedürfnisse anderer Menschen stehen über den eigenen. Das Kernbedürfnis in einem Satz: Was kann ich für dich tun, damit du mich liebst?
Dies sind die vier grundlegenden Kernbedürfnisse eines jeden Menschen. Ja, wirklich von jedem. Wir alle streben nach Freiheit, Sicherheit, Individualität und Gemeinschaft und versuchen die einzelnen Bedürfnisse durch unsere Verhaltensweisen sicherzustellen. Selbstverständlich laufen auch diese Prozesse automatisiert ab, sodass wir uns unserer Kernbedürfnisse selten bewusst sind. Das klingt erst einmal alles ganz logisch, nicht wahr? Doch es gibt ein paar wichtige Punkte zu beachten:
Jeder Mensch wird von allen vier Kernbedürfnissen angetrieben. Diese vier Motive versuchen wir permanent und so gut wie immer unbewusst durch unser Handeln zu befriedigen.
Die beiden Paare »Freiheit und Sicherheit« sowie »Individualität und Gemeinschaft« stehen miteinander in Konflikt. Wir können keine Freiheit genießen, ohne dafür die Sicherheit aufzugeben. Und das Gefühl von Sicherheit gibt es nur, wenn wir dafür die Freiheit opfern.
Das Gleiche gilt für das nächste Bedürfnispaar. Um individuelle Anerkennung zu genießen, müssen wir uns von der Gemeinschaft lösen. Auf Gemeinsamkeit basierende Beziehungen funktionieren hingegen nur, wenn wir auf das Merkmal der Einzigartigkeit verzichten.
Alle vier Grundbedürfnisse befinden sich hierarchisch auf derselben Stufe, und keines ist besser, wichtiger oder erstrebenswerter als die anderen.
Gleichzeitig besitzt jeder Mensch ein dominantes Kernbedürfnis, das ihn mehr antreibt als der Rest. Diese Dominanz kann dabei sehr extrem oder auch nur in Nuancen vorhanden sein.
Es ist also sehr sinnvoll, das eigene dominierende Kernbedürfnis und auch das seiner Mitmenschen zu kennen. Warum? Ganz einfach. Wenn wir wissen, welches Motiv einen Menschen am stärksten antreibt, dann können wir ihn nicht nur besser verstehen, sondern auch viel besser mit ihm umgehen und kommunizieren. Stellen Sie sich nur einmal vor, Sie haben einen Mitarbeiter, dessen dominierendes Kernbedürfnis die Sicherheit ist. Wenn Sie diesem Menschen keine festen Rahmenbedingungen setzen, dann wird er schnell unzufrieden werden. Wäre hingegen die Freiheit das wichtigste Motiv, dann wären zu viele Routinen, Vorschriften oder Regeln kontraproduktiv. Sowohl für den Job als auch den persönlichen Alltag gilt darum:
Je besser Sie verstehen, was Sie und Ihre Mitmenschen antreibt, desto einfacher erreichen Sie Ihre Ziele.
Es sollte mittlerweile keine große Überraschung mehr sein, dass auch die Kernbedürfnisse keine rationalen Motive sind, sondern auf unbewusster Ebene ihren regelmäßigen und zuverlässigen Dienst tun. Kein Wunder, sind sie doch das Resultat unserer innersten Wünsche, Werte und Träume. Trotzdem kann man sie ziemlich gut an die Oberfläche holen und dann dort – wenn gewünscht – natürlich auch verändern. Achten Sie dann sehr bewusst auf ein konkretes Verhalten – bei Ihnen selbst und auch bei anderen Menschen – und stellen Sie sich dann folgende Frage:
»Welches Kernbedürfnis ist dadurch sichergestellt?«
Sie werden erstaunt sein, wie häufig Sie ab sofort ein Schmunzeln auf den Lippen haben werden. Eine Freundin postet überdurchschnittlich oft Selfies auf Instagram? Ganz klar, dies geschieht wegen ihres Bedürfnisses nach Anerkennung. Ihr bester Freund hat schon wieder ein neues Projekt gestartet, weil ihm langweilig wurde? Die Freiheit lässt grüßen. Ihr Kollege sagt immer wieder Ja, obwohl er eigentlich Nein meint? Logisch, es ist die Angst vor der Ablehnung und das Bedürfnis nach Verbindung zu anderen Menschen. Jemand ist seit Jahren unzufrieden mit dem aktuellen Job, traut sich aber nicht, etwas Neues zu beginnen? Das Sicherheitsbedürfnis ist einfach stärker als der Wunsch nach Veränderung.
Dies sind nur vier Beispiele von tausend anderen, und ich bin mir sicher, dass Ihnen auf Anhieb noch viele weitere aus Ihrem Alltag einfallen werden. Je bewusster Sie darauf achten, desto mehr werden Sie feststellen, dass so gut wie alle Verhaltensweisen dazu dienen, die vier Kernbedürfnisse Freiheit, Sicherheit, Individualität und Gemeinschaft sicherzustellen. Diese Quadriga zeigt: Die Bedürfnisse basieren alle auf einem Mangel, den wir durch unser Verhalten auszugleichen versuchen. Gelingt uns dies dauerhaft und ist insbesondere unser dominantes Kernbedürfnis erfüllt, dann kommen die beiden Wachstumsbedürfnisse ins Spiel.
Entscheidend ist, dass Sie Ihr dominantes Kernbedürfnis erkennen und erfüllen.