Читать книгу Aus den letzten Jahren der Kaiserin Elisabeth - Imra Gräfin Sztaray - Страница 5

I.

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August 1894.

Ein Brief aus Ischl. Noch niemals brachte mir die Post eine freudigere Botschaft. Was ich nach dem Lesen dieses Briefes empfand, kann nur der ermessen, dem es zumindest einmal gegeben ward, ein stillgehegtes heißes Verlangen urplötzlich, wie auf ein Zauberwort, erfüllt zu sehen.

Immer wieder durchlas ich den Brief und ich fühlte, dass meine Sonne den Zenit erreicht hatte.

Hätte in diesem Augenblicke das Buch des Schicksals vor mir gelegen, es wäre mir vielleicht gar nicht eingefallen, hineinzublicken, so sehr bemächtigte sich meiner die Fülle der Gegenwart. Und doch gestaltete sich der Tag, an dem dieser Brief in mein stilles Szobränczer Heim flog, fast verhängnisvoll.

Ich machte in heiterer Gesellschaft einen Ausflug nach dem nahegelegenen lieblichen Meerauge. Bergab fahrend, wurde mein Kleid vom Rade erfasst, das mich mit sich fortschleifte. Ich schwebte in Lebensgefahr. Glücklicherweise gelang es noch rechtzeitig, den Wagen zum Stillstande zu bringen. Mein Kleid war zerrissen, sonst kam ich mit dem bloßen Schreck davon.

Ich stand noch ganz unter dem Eindrucke dieses Erlebnisses, als ich, zu Hause angekommen, glücklich bewegt, den Ischler Brief las. Ihre Majestät die Kaiserin und Königin ließ mich zu sich berufen und gleichzeitig befragen, ob ich Kraft genug in mir fühlte, um sie auf ihren für diesen Winter geplanten weiten Reisen zu begleiten. Ach, ich fühlte in diesem Augenblicke die Kraft, mit ihr bis ans Ende der Welt zu gehen!

Was ich antwortete?

Am nächsten Tage reiste ich nach Ischl.

In begreiflicher Befangenheit stieg ich auf dem Ischler Perron aus, von wo mich ein Hofwagen in die kaiserliche Villa brachte. Der Hof dinierte eben. Ich begab mich daher zu Frau Ida v. Ferenczy, der Vorleserin Ihrer Majestät der Kaiserin, deren tiefinnerliches Wesen und herzlicher Empfang sehr beruhigend auf mich wirkten.

Ist es denn auch zu verwundern, dachte ich bei mir, dass ich jetzt so überaus bewegt bin? Wie aus einem Traume erwachend, stehe ich da am ersehnten Ziele! Ihr werde ich dienen dürfen, die ich bisher nur aus der Ferne mit verehrenden Gedanken begleitete! Und da ich mich heute an ihre Seite stelle, fühle ich die ganze Bedeutung dieses Augenblickes; mein Herz pocht und meine Seele bebt. Ich kenne ja die Kaiserin gar nicht.

Den Nachmittag verbrachte ich mit Gräfin Mikes, Hofdame Ihrer Majestät. Dankbar gedenke ich dessen, dass sie es war, die mir während der Spazierfahrt die ersten Weisungen für meinen künftigen Dienst erteilte.

Ich erinnere mich, dass sich mir aus dieser, auch die Details erörternden gütigen Belehrung zwei charakteristische Momente sofort in die Seele prägten.

Erstens, dass Ihre Majestät nur mit geraden, aufrichtigen Menschen sympathisiere und gerne auch ein unangenehmes Wort gestatte, wenn es nur wahr sei; weiters, dass sie mit Rücksicht auf ihre empfindlichen Nerven von ihrer Umgebung unbedingte Selbstbeherrschung und eine wohltuend wirkende Ruhe erwarte. Der ersten Bedingung glaubte ich leicht entsprechen zu können, hinsichtlich der zweiten aber vertraute ich auf Gott und gelobte mir die größte Selbstbeherrschung. Am nächsten Morgen empfing mich Gräfin Mikes mit dem Bedeuten, dass ich aller Wahrscheinlichkeit nach noch im Laufe des Vormittags vorgestellt werden würde, es sich daher empfehle, mich rechtzeitig bereit zu halten. Doch kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, kam schon der Befehl, wir sollten unverzüglich kommen, Ihre Majestät erwarte uns.

So geschah es, dass ich nicht einmal mehr in meine Wohnung gehen konnte; die Gräfin half mir mit ihrer Toilette aus und ich trat in fremden Kleidern zum ersten Male vor die Kaiserin.

Der große Augenblick war nun da.

Pochenden Herzens stand ich mit meiner Gefährtin an der Ecke der Villa und gleich darauf erblickte ich Ihre Majestät; sie promenierte. Unter ihrem großen weißen Schirme ergoss sich das Licht auf das aufgelöst herabwallende Haar, das wie eine schimmernde Hülle ihre königliche Gestalt umfloss. Jetzt wandte sie sich, wir näherten uns und ich wurde vorgestellt.

Sie hatte etwas in ihrem Wesen, das faszinierte. Während ihr leuchtendes trauriges Auge zum ersten Male auf mir ruhte, stand ich wie im Banne eines überirdischen Wesens und meine Seele empfand gleichsam schmerzlich ihre Minderwertigkeit und Alltäglichkeit. Ob sie es wahrnahm, weiß ich nicht, doch kam sie mir selbst zu Hilfe mit ihrem holdseligen Lächeln, das bezauberte und — befreite. Es war eine einzig unvergessliche Audienz.

Durch Fragen, die sie an mich richtete, und durch Antworten auf meine Fragen suchte mich die hohe Frau in entzückend freundlicher Unmittelbarkeit kennen zu lernen.

Meine Befangenheit schwand wie Nebeldünste im Sonnenschein. Ich fühlte die Nähe einer großen und guten Seele, die mich ermutigte, ja erhob.

Ich empfand, dass ich die Höhe ihres Fluges niemals erreichen würde, und doch fühlte ich mich durch ihre Güte wie mit emporgehoben.

Ich fühlte ihre sieghafte Macht, und schon hier, bei der ersten Begegnung, gab ich ihr meine ganze Seele zu eigen, kraft jener unwiderstehlichen Anziehungskraft der Seelen, die nach höheren Regionen streben.

Beim Abschied küsste mich die Kaiserin. Wie glücklich war ich!

Wenn sich in diesem Augenblicke der Schleier des Schicksals gehoben und ich die letzte Station dieses Kalvarienberges erblickt hätte! — Aber auch dann wäre ich mit ihr gegangen.

Noch lange sah ich der 'herrlichen Gestalt nach, die sich entfernte, dann ging auch ich. Und in dieser glücklichen Stunde wurde mein Schicksal besiegelt — mit schwarzem Siegel besiegelt.

Am selben Tage war ich zur Hoftafel geladen, an der jedoch die Kaiserin nicht teilnahm. Ich saß neben dem kleinen bayrischen Prinzen Konrad und ergötzte mich an ihm, denn er war ein ebenso unverfälschter kleiner Schelm wie andere Schelmchen dieses Alters, die nicht im Purpur geboren sind. Seine Erziehung war sehr streng. Er bekam keine Mehlspeise, bis er seinen Braten nicht verzehrt hatte, und mich belustigte gerade die Spitzfindigkeit, mit der Konrad diesem Zwange teils auswich, teils ihm ein Schnippchen schlug.

Einen tiefen Eindruck machte auf mich die außerordentliche Zuvorkommenheit unseres erhabenen Kaisers Damen gegenüber; er lässt diesen stets den Vortritt in den Saal und nimmt aus der Schüssel immer erst nach der präsidierenden Dame, wäre diese auch die jüngste Diensttuende. Mit Rücksicht auf dieses Gehaben hörte ich oft die Bemerkung, dass Seine Majestät nicht nur ein großer Herrscher, sondern auch der erste Ritter sei. Aber es ist mehr als das: es ist die ihm angeborene kaiserliche Vornehmheit!


Unsere Abreise fiel auf den ersten Tag des Dezembers. Die Burg verlassend, fuhr ich, von den guten Wünschen meiner Kolleginnen und Bekannten begleitet, zum Bahnhofe, wo einige Minuten später auch Ihre Majestäten eintrafen.

Der Kaiser verabschiedete sich mit Wärme und Herzlichkeit von der hohen Frau und reichte mir dann mit einigen gütigen Worten die Hand, worauf wir abreisten.

Mir war's, als ob mit dem Sonderzuge das Rad des Schicksals mich dahintrüge und von diesem Augenblicke ab mein Geschick mit der Kaiserin für immer unzertrennlich verbunden wäre.

Ich erwachte an einem herrlichen Morgen. Himmel und Erde strahlten, selbst der Karst glitzerte und glänzte mit beschneitem Haupte herab auf die sommerlich lächelnde Gegend.

Ein voller Strahl dieses Leuchtens fiel auf das Tuskulum des verewigten Kaisers Maximilian, das schöne Miramare, wo wir jetzt anlangten. Noch blühten in voller Pracht die Rosen. Wie schön wäre es, hier länger zu weilen, wo die poesievolle Umgebung dem Wesen der Kaiserin so sehr entspricht! Leider blieben wir nur wenige Stunden; denn dort in der kleinen Bucht unter dem Schloss wiegt sich schon die weiße Jacht, die "Miramare." Sie harrt unser, uns hinauszutragen in die azurne Unendlichkeit.

Der Augenblick der Einschiffung war gekommen. Zwischen dem Spalier der Offiziere bestiegen wir das Verdeck.

Kommandant Wachtel stellt die Herren der hohen Frau vor, die für jeden einzelnen ein freundliches Wort hat, und erbittet dann die Erlaubnis, das Zeichen zur Abfahrt geben zu dürfen.

Die Kaiserin gab die Erlaubnis und begab sich sofort auf das für sie reservierte Promenadendeck, von wo sie die Abfahrt mit ansah.

Von dieser ungefähr fünfzig Schritte langen Brücke betrachtete die Kaiserin das friedliche Spiel und die tosenden Kämpfe der Elemente; hier pflegte sie sich auch vorlesen zu lassen, wenn sie im Auf- und Niedergehen ermüdete oder ihrer immer regen Phantasie eine andere Richtung zu geben wünschte.

Wie ich sie jetzt dort oben auf- und niederschweben sah, vermochte ich nicht das Auge von ihr zu wenden. Ihrer schlanken Gestalt schienen Fittiche zu wachsen und ihr leuchtender Blick verriet, dass ihre Seele hier an der Schwelle der Unendlichkeit fessellos sich erhob, hinaus in das Unermessliche, in das Geheimnisvolle.

Jetzt wurden die Anker gelichtet. Als ob diese Kette in meinem Herzen erklirrt wäre und mich hinweggerissen hätte aus einem sicheren ruhigen Hafen. Der schwimmende Palast verlässt leicht schaukelnd und majestätisch die Bucht, während Wasservögel in auffallend großer Zahl ruhelos das Schiff umkreisen.

Dieses geräuschvolle Flattern der Möwen und der sich soeben erhebende Wind, der noch keine Wellen wirft, aber doch schon das Meer erzittern macht, wecken meine schlimmsten Ahnungen.

Was da wohl kommen mag? Nur zu bald kam ein Sturm heran. Der Himmel weiß, woher urplötzlich die vielen Wanderwolken kamen und woher mit so wilder Kraft die Bora heranbrauste; ich sah nur, dass es brauste, stürmte und wogte, und nach kaum einer Stunde hatte unsere Jacht gegen den wütendsten Seesturm anzukämpfen.

Ihre Majestät mochte wohl fühlen, welch schwere Augenblicke ich jetzt durchlebte. Ich riss mich von meiner Vergangenheit los, fort von meinem ruhig dahinfließenden Leben, und vor mir lag die Ungewissheit, und das Meer, das große unbekannte, ist mir nicht freundlich gesinnt.

Die Kaiserin sah in meine Seele. Sie rief mich zu sich. An ihrer Seite, auf dem Verdeck auf- und abwandelnd, lauschte ich mit Ergriffenheit ihren Worten. Ich fühlte, dass sie mein Gemüt erhellen wollte. Ihre Stimme war einschmeichelnd milde, ihr Wort ermutigend und liebkosend. Sie blickte mich mit gütigen Augen an, wie man es mit einem scheuen Kinde tut, wenn man mit einigen lieben Worten aus seiner Seele Kummer und Angst bannen will. Nur große, gütige Seelen verstehen es wie sie, befreiend auf das Gemüt einzuwirken. Und dies genügte ihr nicht; sie erhob meine Seele, um sie an den Ausbrüchen der Natur bewundernd teilnehmen zu lassen.

Zum Lobe des herrlichen Anblickes fand sie die köstlichsten Worte, sie sprach als geweihte Priesterin der Natur, die mit durchgeistigtem Antlitz in Sturm und Gefahr ihrer Meisterin seelenbewegendes Evangelium verkündet. "Wenden Sie sich nur ihr zu, erkennen Sie die erhabene große Vermittlerin! Sie allein spricht mir würdig von Gott. Sie allein ist meine einzige Fürsprecherin bei ihm!"

Und der Sturm tobte fort, gleichsam als eine erhabene würdige Begleitung dieser herrlichen Offenbarung. Die "Miramare" hielt sich tapfer, obschon die Situation gefahrdrohend schien, wie dies in den besorgten Mienen des wackeren Kommandanten Wachtel deutlich zu lesen war. Und hier hatte ich wieder Gelegenheit, einen Blick in die Seele der Kaiserin zu tun. Man sah, wie sie im Sturme gleichsam auflebte, dass ihr Auge bewundernd an dem wechselvollen Farbenspiele hing, das sich ihr ringsum bot, allein in Kenntnis der Verantwortlichkeit, die den Kommandanten belastete, beraubte sie sich dieses seltenen Naturschauspieles und gestattete, dass wir umkehrten und uns in den Hafen von Pola flüchteten. Hier warteten wir zwei Tage.

Der Sturm aber tobte immer stärker. Die hohe Frau wurde des Wartens müde und so kam es, dass unsere so poetisch begonnene Seereise in Form einer alltäglichen Eisenbahnfahrt von Pola nach Marseille endete, die mit dem Expreßzuge fast drei Tage währte. Die Kaiserin liebte Eisenbahnfahrten überhaupt nicht, weil sie der Bewegung und der reinen frischen Luft entbehren musste. Sie schritt im Gange des Schlafwagens auf und nieder und blickte, unbekümmert um die Reisenden, durch die Fenster auf die vorüberziehenden, abwechslungsreichen Bilder. Oberitalien mit Venedig und dem alten Campanile, Romeos und Julias Geburtsstadt, der herrliche Gardasee mit dem Hintergrunde der Alpen, dann Mailand mit seinen schlanken Türmen erschienen und entschwanden im Nebelschleier des Herbsttages. Ab und zu kam Ihre Majestät in mein Coupé und erkundigte sich mit Interesse, ob mich die lange Reise nicht ermüde.

Sie selbst ermüdeten derlei Reisen nicht, doch machten sie sie zuweilen ungeduldig; dann ließ sie sich von ihrem griechischen Vorleser einiges vorlesen.

In Marseille kamen wir um 6 Uhr früh an. Am Abend vorher ließ mir Ihre Majestät sagen, ich sollte bereit sein, da wir in der Stadt einen größeren Spaziergang machen würden. Bei dieser Gelegenheit prüfte sie mich zum ersten Male auf meine touristische Befähigung. Wir gingen mit einem Führer nach Notre Dame de la Garde, der Wallfahrtskirche der Seeleute. Auf einem hohen Berge steht sie da, wie ein Pharos die schneebedeckten Berge und die Stadt beherrschend, weit hinausblickend ins Meer, ermutigend und jenen den Weg weisend, die mit den Wellen kämpfen.

Unser Führer machte uns auf den bereitstehenden Lift aufmerksam, allein wir erstiegen die Höhe zu Fuß.

Als wir die Kirche betraten, ließ Ihre Majestät durch mich zwei große Kerzen kaufen, zündete sie an und stellte sie wortlos vor das Bild der Mutter Gottes hin: für den Kaiser und für Valerie.

Wir traten dann hinaus auf den Platz vor der Kirche, von wo sich uns ein herrlicher Ausblick darbot. Die Kaiserin blickte nur flüchtig auf die Stadt; der Hafen und das Meer nahmen ihre Aufmerksamkeit gefangen. Sie wandte sich zu mir und wies mit der Hand auf das tief unter uns gelegene Schloss If: "Sehen Sie, dieses inspirierte Dumas zu seinem Monte Christo."

Abwärtssteigend erfragte Ihre Majestät von unserem Führer ein Restaurant, wo wir frühstücken könnten. Der gute Mann nannte nach einigem Zögern ein solches, das hieß "zum blutigen Beefsteak" und empfahl es wärmstens. Er hielt uns natürlich für Engländer. Hieraus entwickelte sich dann eine spaßige Szene. Wir treten in das Restaurant. Ich blicke um mich und sehe mit Besorgnis, dass man hier an vornehme Damenbesuche nicht gewöhnt ist und die Anwesenden uns staunend anblicken. Es war eine echte Matrosenkneipe.

Dessen ungeachtet frühstückten wir sehr gut, die Sache amüsierte Ihre Majestät und so vergaß ich meine Besorgnisse. Auch später lachten wir noch viel über diesen Fall, und ich muss gestehen, dass unsere Mitgäste, vielleicht infolge der Überraschung, oder wegen einer gewissen Empfindung, sich recht anständig betragen haben.

Nach diesem intimen Frühstück blieb uns nur mehr Zeit, an Bord zu gelangen, damit sagten wir Europa Lebewohl! Auf gute Landung in Afrika.

Der "General Chanzy" war ein großes und schönes Schiff, das bis Algier nicht mehr als 26 Stunden brauchte.

Wir standen mit der hohen Frau auf dem Verdeck. Langsam entschwindet die Stadt unseren Augen, das Ufer zeigt sich nur mehr als ein langer schwarzer Streifen; doch von dem Turme der Notre Dame de la Garde sehen wir noch deutlich die weithin leuchtende Marienstatue mit der Krone auf dem Haupte und dem Jesuskind im Arme.

Der Golfe du Lyon verdient mit Recht seinen Ruf der Gefährlichkeit und Unverlässlichkeit. Das Meer, zuvor noch spiegelglatt, ließ nach kaum einer Stunde unser Schiff schon ganz gehörig tanzen.

Ich hielt mich möglichst lange tapfer, das Schäumen und das wechselnde Farbenspiel der Wogen betrachtend, bis ich selbst die Farbe wechselte und an den schleunigen Rückzug denken musste. Ihre Majestät bemitleidete mich mit gütigem Lächeln, namentlich weil ich mein Auge an den wilden Szenen des Sturmes nicht mehr weiden konnte. Sie widerstand wunderbar der Wellenbewegung und Seekrankheit war ihr unbekannt.

Es kam vor, dass sie sich anbinden ließ, um nicht hinweggespült zu werden und so unbehindert die Großartigkeit des Wellenkampfes bewundern zu können.

Afrika empfing uns nicht mit sonderlicher Gastfreundschaft. Das Ufer verbarg sich im Nebel, das nahe Gebirge in den Wolken, bloß der vom Bergeshange her weißleuchtende arabische Stadtteil Algiers bietet dem Auge einen Ruhepunkt. Unsere Wohnung war in dem auf Mustapha superieur gelegenen Hotel Splendide bestellt, wohin wir uns jetzt zu Wagen, auf einer schön geführten, aber stellenweise etwas steilen Serpentine begaben. Gelegentlich dieser etwa halbstündigen Wagenfahrt gewahrte ich mit Überraschung, dass unsere Kaiserin, die bekannt kühne Reiterin, im Wagen sitzend, nervöse Ängstlichkeit verriet. Es gab einen Augenblick, da hing es nur an einem Haare, dass sie nicht aus dem Wagen sprang, aus quälender Angst, die Pferde könnten den Dienst versagen und der Wagen die abschüssige Bahn zurückrollen.

In solchen Momenten musste ihre Begleiterin umso mehr Kaltblütigkeit bewahren. Die Nerven haben eben ihre Idiosynkrasien. Es gibt Nerven, die dem Sturme der Elemente trotzen, die aber ein unangenehmer Ton, ein aufdringlicher Duft oder das momentane Gefühl der Unsicherheit sofort aus dem Gleichgewichte bringt. So war auch das Nervensystem unserer Kaiserin beschaffen, das gleichsam ihrem Wesen zu entsprechen schien. Starken Eindrücken widerstand es, einzelnen geringfügigen Angriffen gegenüber aber zeigte es große Empfindlichkeit und Schwäche.

Zwischen Tropenpflanzen halb verborgene, von Bougainvillea umrankte Villen ließen wir hinter uns. Links von der mit Eukalyptus, Mimosen und Brotbäumen umsäumten Straße taucht die herrliche Sommerresidenz des Gouverneurs auf und über ihr das in einem Gemisch von arabischem und modernem Stil, aber schlossähnlich erbaute Hotel Splendide.

Soweit das Auge blickt, werfen Palmen, Kakteen und mir noch unbekannte südliche Pflanzen ihre Schatten auf den blendend weißen Weg und diese große, üppige Vegetation verwandelt die ganze Gegend in ein Paradies. Wie herrlich wird es sein, all dies im Mondschein zu bewundern!

Die Wohnung der Kaiserin bestand, wie immer, wenn sie auf Reisen war, aus drei Räumen. Ihre Fenster blickten auf das Meer, unten breiteten sich Gärten aus, westwärts fiel ihr Blick auf die Stadt und unfern auf den herrlichen Jardin d'Essai. Das Hotel war ringsum von Terrassen umgeben, die sich der Kaiserin gleichsam als Promenade boten. Meine Wohnung trug innen und außen arabischen Charakter, was ich sehr reizend fand.

Der erste Eindruck war sehr günstig und ich sah daher mit umso größeren Erwartungen den hier zu verlebenden zwei Monaten entgegen.

Einige Tage war ich dienstfrei. Diese Zeit benützte ich, um mich im Gehen zu üben. General Berzeviczy, der derzeitige Obersthofmeister-Stellvertreter, war mein gefälliger und freundlicher Trainer. Ich erprobte mich auf Höhen und Ebenen und fühlte schließlich unbedingtes Vertrauen zu meiner Marschfähigkeit.

Am 12. Dezember durchstreifte die Kaiserin mit mir die Stadt. Wir gingen geradeaus auf das Zentrum los. Nach der Rue de la Lyre, Rue Bab Azoun, Rue de la Republique und dem Quai d' Alger. Der Gegensatz zwischen dem elegant modernen Stadtviertel und dem darin sich abspielenden eiligen, geschäftig pulsierenden Leben von echt orientalischem Charakter ist packend. Geräusch, ohrenbetäubendes Geschrei schwirren durcheinander und ein buntes Gewirre herrscht überall, dass man in ein Riesenkaleidoskop zu blicken vermeint und von den ewig wechselnden Farbenbildern geblendet wird.

Und über diese lärmende, ab und zu stockende bunte Menschenflut breiten wohltuend Dattelpalmen, Pinien und Bambus ihre schattenspendenden Schirme aus, die hier in den Straßen ebenso üppig gedeihen wie in der taufeuchten Atmosphäre des Urwaldes. Von einem solchen schattigen Platze betrachteten wir nun das auf- und niederwogende Treiben.

Die Kaiserin war ganz entzückt; aus einem Lächeln oder einem heiteren Blick erkannte ich gleich, wenn ihr etwas gefiel oder irgendeine Kuriosität ihre Aufmerksamkeit erregte.

Namentlich interessierten sie die Araber. Wahrlich ein schöner und edler Menschenschlag! Wie sie an uns vorüberschritten in ihren weißen Burnussen, den stolzen Ausdruck im braunen Antlitz, mit ihrer stattlichen Gestalt, würdevollen Haltung, glich jeder einem Fürsten — auch wenn der Burnus etwas zerfetzt und abgenützt war, was häufig genug vorkam.

Einen minder guten Eindruck machten die reichen Araber. Ihre aufgeputzte, glänzende Gewandung und das selbstbewusste Gehaben sind widerwärtig und erinnern an den Pfau. Was soll ich von den Frauen sagen? Wir bekamen ihrer gar wenige zu sehen. Vom Kopf bis zu den Füßen in weißes Linnen gehüllt, schritten einige träge an uns vorüber und machten den Eindruck wandelnder Säcke.

Des Straßengewühles müde, verließen wir den Platz, um einige bemerkenswertere Bauten zu besichtigen. Wir besuchten die katholische Kirche und die Moschee, in diese fanden jedoch Damen keinen Einlass. Überraschend war die Schönheit der bischöflichen Residenz und noch mehr die des Winterpalastes des Gouverneurs, mit ihren geschwungenen Formen, ihren säulengetragenen Vorhöfen, wo jeder Bogen und jede Säule mit steingehauenen Spitzenmotiven geschmückt ist, so fein und zart, dass man meint, ein Windhauch könne sie bewegen.

Nach dem wir hier lange genug geweilt hatten, gab Ihre Majestät die Parole aus: Machen wir Einkäufe.

Auch das war sehr interessant. Unter den Arkaden reihten sich die herrlichsten Kaufläden, aber die Kaiserin interessierten zumeist die dortigen Spezialitäten und die Industrie der Eingeborenen. Wir gingen von Laden zu Laden, kauften fast überall einiges und weideten unseren Blick an den vielen wundervollen Dingen. Bezaubernde Stickereien, Seidenstoffe, in allen Farben des Regenbogens schimmernde Gewebe, Meisterstücke der Goldschmiedekunst und alles, was aus Gold und Silber, besonders aber aus Bronze geschmiedet und modelliert werden kann, in einer originellen feinen Technik, die dieses Volk vielleicht von den Ägyptern erlernt hat. Wir ließen selbst die mit Gold und Silber beschlagenen, mit Edelsteinen besetzten Waffen nicht unbesichtigt.

Der Einkauf ging aber nicht so ohneweiters vonstatten. Bei uns zulande streicht wohl nicht einmal der Zigeuner sein Ross so eifrig heraus wie der Araber seine Ware, für die er ungeheure Preise fordert. Nun, sie lassen mit sich reden, und die hohe Frau eiferte mich fortwährend zum Handeln an. Sie, die kaum den Wert des Geldes kannte, erwies sich bei solchen Einkäufen als überraschend vorsichtig, und wenn wir dann mit dem Gekauften zum Laden hinausgingen, bemerkte sie lächelnd: "Wir sind ja wieder hereingefallen."

Nachdem unsere Einkäufe besorgt waren, nahmen wir Eis. Diese Erfrischung liebte die Kaiserin ganz besonders, sie war überhaupt in der Wahl ihrer Nahrung eher exzentrisch. Milch genoss sie am ständigsten. Es gab Tage, an denen sie ausschließlich von Milch lebte, an anderen Tagen wieder aß sie nur Orangen. Gebratenes Fleisch nahm sie zumeist kalt, den Süßigkeiten sprach sie nur wenig zu, weil sie das Stärkerwerden fürchtete.

Diese launenhafte Ernährungsweise hatte aber nichts mit ihrer Gesundheit zu tun, denn es kam nicht selten vor, dass sie, wenn es ihr passte, ein ganzes Diner mit gutem Appetit verspeiste.

Ihr Frühstück, zu dem in der Regel Tee oder Milch, Butter, Eier und kaltes Fleisch serviert wurden, nahm sie gegen 9 Uhr; ihr Diner, um 5 oder halb 6 Uhr, bestand aus Braten, Gemüse und dem unvermeidlichen Eis.

Sie nahm ihre Mahlzeiten stets allein und von dieser Regel wich sie nur im Familienkreise der Erzherzogin Marie Valerie ab.

Es mochte 5 Uhr gewesen sein, als wir in das Hotel Splendide zurückkehrten.

Mir schien es, als ob Ihre Majestät zum Schlüsse dieses Spazierganges wortloser und verschlossener geworden wäre. Dies berührte mich gar oft schmerzlichst. Ich wusste, die Kaiserin gewöhne sich nur sehr schwer an neue Menschen und ich fragte mich mit Besorgnis, ob ich ihr nicht zur Last wäre, ob ich ihr wohl genügen könnte.

In der Nähe unseres Hotels liegt das Bois de Boulogne, Algiers prächtiger immergrüner Garten, dessen Eukalyptusbäume, wenn die Seeluft deren Blätter bewegt, die ganze Gegend mit Duft erfüllen.

Hier promenierte die Kaiserin des Öfteren. In Gedanken versunken schritt sie die sorgsam gepflegten, meist einsamen Pfade dahin und ließ sich von ihrem griechischen Vorleser griechische, englische und französische Werke vortragen. Wissenschaftliches wechselte mit Belletristischem ab, in den seltensten Fällen wurde ein Roman, viel häufiger Gedichte vorgenommen. Auch die Kaiserin schrieb Gedichte, meines Wissens aber zeigte sie sie niemand.

Das Bois de Boulogne musste uns für viele Genüsse entschädigen, die der Regen, der gleichzeitig mit uns hier einzog, zunichtemachte. Wenn Ausflüge unmöglich waren, promenierten wir hier. Dies war auch heute der Fall.

Ihre Majestät erkundigte sich mit außerordentlicher Wärme über den bisherigen Verlauf meines Lebens.

Haarklein musste ich alles erzählen, was mir im Leben Gutes oder Böses bisher begegnet war; namentlich musste ich viel über Familie, Geschwister und ganz besonders über meine Mutter berichten.

Wenn ich schwieg, ermutigte sie mich mit neuen Fragen zum Weiterreden und tat dies mit so warmem Interesse, als wäre von den ihr Nächststehenden die Rede gewesen.

Wenn diese verschlossene große Seele sich einmal erschloss, überströmte sie von Wärme und Sympathie.

An einem Regentage trafen wir, gleichfalls im verlassenen Bois de Boulogne, eine Schwämme suchende alte Frau an, und ich erzählte der Kaiserin, die Algierer Blätter wüssten zu berichten, dass die Kaiserin sich täglich ins Bois begebe, um Schwämme zu suchen. "Journalisten bleiben sich überall gleich," bemerkte hell lachend die Kaiserin, "was die schon für — Schwämme über mich in die Welt gesetzt haben! So viel könnte diese gute Frau gar nicht sammeln, selbst wenn sie hundert Jahre alt würde. Sehen Sie nur," fuhr sie nach einer Weile fort, "wie schwer der guten Alten das Bücken wird. Nein, dies wäre für mich, die ich mich weder zu bücken liebe, noch gerne still verweile, eine unerträgliche Beschäftigung. Und doch bin ich nicht ungelenk — sehen Sie nur!" Sie blickte hierauf umher und als sie sah, dass fern und nah keine Seele zu sehen war, produzierte sie plötzlich mit großer Grazie ein Turnerstückchen, das einem Parterregymnastiker zur Ehre gereicht hätte. "Jetzt versuchen Sie es mal" sprach sie und lachte herzlich, als der Versuch mir durchaus nicht gelingen wollte.

Eines Morgens, als sich die Wolken zerteilten und wir die Sonne Afrikas zu sehen bekamen, ging ich mit Ihrer Majestät in den Jardin d'Essai, Algiers botanischen Garten. Der Weg dahin fuhrt im Schatten riesiger Platanen, gegen die unsere heimischen Bäume Baumschulexemplaren gleichen. Der Garten überraschte mich höchlich. Hier bekam ich erst einen Begriff, was südliche Vegetation ist. Ficus und Palmen standen in großen Gruppen eng gedrängt, in Stämmen, die zwei Männer nicht umfangen könnten, und ihre Blätter schwebten über unseren Häuptern gleich großen Segeln ausgebreitet, so dass kein Regen und Wind, ja selbst kein Sonnenstrahl uns treffen konnte. Es herrschte etwas wie ewige Nacht unter den enormen Bambussen, die sich Gewölben gleich über uns beugten und die Luft drückend machten. Diese wilde Kraft und Üppigkeit der Natur imponierte mir außerordentlich, obschon sie auf mir lastete. Die zarten Kinder der Natur, die Blumen, haben hier nichts zu suchen. Außer einigen bläulichen Iris waren hier auch gar keine zu sehen.

In diese blumen- und tonlose Wildnis brachten nur die Strauße einiges Leben, die hie und da unter den Palmen einherschritten, allein auch diese sind schwerfällig und träge, als fühlten auch sie sich von der gigantischen Vegetation erdrückt. So oft etwas meine Aufmerksamkeit fesselte, hielt die Kaiserin sofort still, gleichsam um Zeit zu gewähren, die Eindrücke in meine Seele aufzunehmen. Und sie hörte freundlich zu, wenn ich darüber rückhaltlos mit ihr sprach. Ich liebe die Botanik. Ich weiß nicht mehr wieso, vielleicht unter dem Einflüsse der Umgebung brachte ich die Rede darauf, doch bemerkte ich augenblicklich, dass unsere die Natur anbetende Kaiserin für diese Wissenschaft wenig Interesse hatte.

Es scheint, dass kühn sich emporschwingende künstlerische Seelen wie die ihre nicht gerne bei Details verweilen, sondern die Eindrücke in ihrer Ganzheit und Größe auf sich einwirken lassen. In dieser Wahrnehmung wurde ich durch die hohe Frau auch später immer wieder bestärkt.

Und doch besaß sie merkwürdigerweise einen starken Sinn für Genauigkeit, namentlich was die wörtliche Weitergabe ihrer Befehle betraf. Gerade hier sollte ich einen Beweis davon erhalten.

Ehe wir heimkehrten, sandte sie mich in das am Garteneingange befindliche türkische Café, um Kaffee zu bestellen, wobei sie die Zeit, wann sie ihn zu nehmen wünschte, auf die Minute genau bestimmte. Als ich zurückkehrte, fragte sie mich, wie ich ihren Auftrag übermittelt hätte. Ich wiederholte es. Sie war nicht zufrieden; ich musste zurückgehen und den Auftrag wörtlich bestellen.

Auf dem Heimwege bemerkte und erkannte die Kaiserin die beiden Detektivs, die ich schon des Öfteren auf unseren Spuren auftauchen gesehen. Diese Entdeckung bedrückte sie sichtlich und sie bemerkte unwillig: "Sie begleiten mich wie eine Gefangene."

Zu unseren afrikanischen Erlebnissen zählte ein Besuch, bei dem wir, wer würde es glauben, nicht empfangen wurden. Die Kaiserin wünschte den Besuch der Gouverneurin, Madame N., zu erwidern. Wir gingen also zur Villa hinaus und traten in den von Palmen beschatteten Garten, aus dem das kleine, im maurischen Stile erbaute Schloss freundlich hervorschimmerte. Ein Lakai übernahm die schwarzumränderte Visitkarte, auf der unter der kaiserlichen Krone nur das eine Wort stand: Elisabeth. Er entfern f e sich und wir warteten. Wir schritten die Gartenwege auf und nieder, die Zeit verstrich und wir fragten, was nun werden solle. Die Sache begann Ihre Majestät zu amüsieren, mich aber, was sollte ich es leugnen, brachte sie in Verlegenheit. Und es wollte sich noch immer kein Mensch zeigen. Endlich, nach langem Harren, erscheint der Lakai und meldet stotternd, Ihre Exzellenz sei nicht zu Hause. So entfernten wir uns denn erheitert und fest überzeugt, dass man uns hier nicht empfangen habe, und die Kaiserin meinte lachend, dass wir diese kleine Blamage gewiss der Toilettenfrage zu danken hätten. Ihre Exzellenz hatte der unverhoffte Besuch verwirrt und da sie nicht in entsprechender Pracht erscheinen konnte, ließ sie sich lieber verleugnen.

Und doch, wenn die Gouverneurin gewusst hätte, wie einfach die Kaiserin sich kleidete, sie hätte sie wohl kaum von dannen ziehen lassen, ohne sie gesehen zu haben.

Ihre Majestät trug immer Schwarz, nur an Kaisers Geburtstag machte sie eine Ausnahme und legte ein lichtes Gewand an. Auch heute war sie in einem eleganten, aber einfachen schwarzen Tuchkleide mit geradkrempigem schwarzem Tüllhut. Jedes ihrer Kleider konnte sie durch Hinaufknöpfen kürzen lassen, um im Gehen nicht gehindert zu sein. Zu dieser Toilette gehörten ein mit Leder gefütterter weißer Sonnenschirm und ein gelber Lederfächer; mit diesem schützte sie ihr Auge vor der Sonne und ihr Antlitz vor den Blicken der Neugierigen.

Wir planten einen größeren Spaziergang zur Wallfahrtskirche von Notre Dame d'Afrique und bedurften eines guten Führers.

Als der etwas behäbige, schwerfällig scheinende Mann sich vorstellte, fragten wir ihn, ob er gut zu Fuße sei. "Das wäre nicht übel," antwortete er beleidigt, "wenn ich mit Frauen nicht Schritt halten könnte."

Mehr bedurfte es nicht — gleich war die Kaiserin zum Scherze bereit. In raschem Tempo schritten wir den von Algier nach Westen und ziemlich steil ansteigenden Berg hinan. Wir genossen eine abwechslungsvolle und, je höher wir klommen, immer ausgedehntere Aussicht auf Meer und Landschaft, Unserem Führer sagte jedoch das Tempo gar nicht zu, immerhin fügte er sich darein. Nach zweieinhalb Stunden erreichten wir die Kirche, damit aber noch lange nicht den Gipfel des Berges.

Die Kirche ist kein sonderlich gelungener Bau. Umso schöner aber war die Aussicht, die sich uns von da bot. Unmittelbar vor der Kirche steht ein großes weißes Kreuz mit der Aufschrift: "Betet für die im Meere Verdorbenen", und wir beteten aus Herzensgrund und andachtsvoll angesichts des lächelnden Meeres, dieses unbegrenzten Friedhofes. Dann ging es weiter den Berg hinan. Wahrlich, es war ein mörderisches Tempo. Unser Führer pfauchte wie ein Dampfross und schnitt ein Gesicht dazu wie einer, der nun gleich genug von dem Spaß haben wird. Und so geschah es auch; er blieb stehen und erklärte, er sei des weiteren Weges unkundig. Wir mussten also Kehrt machen, um nicht ganz im Stiche gelassen zu werden. Auf dem Heimwege brachte sich der Arme nur mehr stolpernd fort und Bitterkeit und Vorwurf sprachen aus seinem bestaubten Antlitz. Um ihn einigermaßen zu trösten, traten wir, als die Stadt erreicht war, in ein türkisches Kaffeehaus. Da mochte sich der Gute ein wenig laben. Im Kaffeehause, oder vielmehr in der Küche, lagerten die Gäste durcheinander, in eine Wolke von Rauch gehüllt. So oft wir ein solches Lokal betraten, war ich voll Angst und Sorge. Doch dem Wesen der Kaiserin musste ein wunderbarer Zauber innewohnen, denn siehe da: die Lärmenden verstummten, die übrigen zogen sich ehrfurchtsvoll zurück, und solange wir da weilten, herrschte in der kleinen Kaffeeboutique eine Art feierliche Stimmung.

Und hier erteilte die Kaiserin ihre Aufträge selbst. Zu solchen Zeiten war sie die verkörperte Anmut und Herzlichkeit und die Art, wie sie für die Bedienung dankte, zwang die fremdartige Umgebung fast zur Devotion.

Trotz aller Bemühungen gelang es aber nicht vollständig, unseren Führer zu versöhnen, und als wir, in unser Hotel gelangt, ihn für den nächsten Tag engagieren wollten, verweigerte er den Dienst; "er sei kein Schnellläufer, um täglich dreißig Kilometer bergan bergab rennen zu können". Das Eingestehen seiner Blamage gefiel der Kaiserin ausnehmend.

Die Mönche von Kouba besitzen einen berühmten Weinkeller. Eines Tages sandte Ihre Majestät mich und Berzeviczy zur Weinprobe dahin. Sie selbst liebte den Wein nicht, doch pflegte sie in berühmteren Kellereien öfters Einkäufe zu machen und den Wein sodann Erzherzogin Marie Valerie zu senden.

Heimgekehrt, war ich voll des Lobes über die wunderbare Lage des Klosters, und die Folge davon war eine sechsstündige Fußwanderung. Doch es lohnte der Mühe. Ein prachtvoller schattiger Weg führte dahin, vom flachen Dache des Gebäudes aber bot sich eine unvergleichlich schöne Aussicht auf das Meer, die schöne Ebene und auf das jetzt bis zur Sohle im Schnee prangende Atlasgebirge.

Ihre Majestät genoss lange und stumm das hinreißende Bild und als der Prior, der der "Gräfin Hohenembs" und ihrer Genossin mit großer Zuvorkommenheit den Führer machte, sich für einen Moment abwandte, flüsterte sie mir zu: "Der sieht diese Herrlichkeit auch nur, wenn er Gelegenheit hat, sie anderen zu zeigen . . . Wahrlich, die frommen Väter wissen diesen Ort gar nicht zu würdigen."

Auf unserem Gange um das Kloster kamen wir zu einer Schlucht, über die ein Brett quer hingelegt war. Die Kaiserin hatte Angst und erbat sich meine Hilfe. Ich ergriff ihre Hand und führte sie, selbst rückwärts schreitend, über das Brett. Noch heute verstehe ich nicht, dass ich weder Schwindel noch Furcht empfand, während ich doch sonst an Schwindel leide und vor der Tiefe zurückschaudere. Wie froh und glücklich war ich, dass ich ihr nützlich sein konnte und es einen Augenblick gab, da sie meiner bedurfte. —

Wir hatten kein Glück mit dem Wetter. Es gab kaum einen Tag, an dem uns der Regen nicht durchnässte, trotzdem aber sollten wir nun auch das arabische Stadtviertel besichtigen. Von allen Seiten hieß es, dass dies nur in bewaffneter Begleitung ratsam sei, weil Geld und Leben dort nicht sicher wären. Wir gingen in Begleitung zweier Detektivs und die Sache lief gut ab.

Dieses unverfälschte arabische Nest mutet eigentümlich und fremdartig an, ist aber durchaus nicht schön; ein wüstes Bild in drückender Luft. Die Gassen sind eher Gässchen und die weißgetünchten, flachdachigen stockhohen Häuser, an denen nur hie und da ein Fenster angebracht ist, gleichen eher Gefängnissen als Wohnstätten. Nur wenn ab und zu eines der verschlossenen niedrigen Tore sich für einen Augenblick öffnet, verraten die vom Hofe herauslachenden Blumenbeete, dass es da drinnen doch ein wenig freundlicher aussieht.

Die auf den Schwellen lungernden Männer verleihen der Gasse einiges Leben. Sie beschäftigen sich zumeist mit einer Stickerei, oder tun wenigstens dergleichen, denn ich sah sie meist Zigaretten rauchen oder Kaffee schlürfen. Frauen sahen wir nirgends, diese werden hinter den Mauern gehütet. "Ein furchtbares Leben," bemerkte die Kaiserin, "wie bedauere ich diese armen Geschöpfe, ich kann nie genug Freiheit und Luft haben und der Gedanke, dass ich so leben müsste, erfüllt mich mit Schaudern."

Sie atmete auf, als das arabische Stadtviertel hinter uns lag und vor uns die Kasbah, die befestigte Kaserne des Regimentes Chasseurs d'Afrique. Die Reiter machten eben auf dem Platze ihre Übungen. Mit Vergnügen betrachtete die Kaiserin die mit weißen Burnussen bekleideten, auf feurigen Rossen einher sprengenden stattlichen Soldaten. Sie erkannte sofort den guten Reiter, doch gab es auch welche, die sie mitleidig betrachtete und dabei wohl auch bedauerte, dass das eine oder andere feurige Tier nicht von ihr geritten werde.

Zu Hause angekommen, führte mich Ihre Majestät in ihre Appartements, um mich wägen zu lassen. Sie fand mein damaliges Gewicht von 62 Kilogramm sehr bedeutend.

Die Kaiserin wog sich fast täglich, um so ihre Gewichtzunahme zu kontrollieren. Ich sah wiederholt das Journal, das sie darüber führte. Die eingetragenen Zahlen konnten keine bedeutenden Abweichungen aufweisen, dagegen fanden sich umso mehr Randbemerkungen. Ich glaube, dieses Wiegejournal bewahrt viele ihrer Gedanken, weil sie zu diesem durch viele Jahre benützten Buche unbedingtes Vertrauen hatte.

Der Regen fiel ununterbrochen in Strömen, trotzdem aber, oder vielleicht gerade deshalb, plante die Kaiserin einen großen Ausflug: nach Biskra, an den Rand der großen Wüste. Das wird erst das wahre Afrika sein; dieses hat die alles beleckende Kultur noch nicht verdorben und ihm, gleich Algier, halbeuropäischen Anstrich gegeben. Es wird herrlich sein: auf Kamelrücken Ausflüge in die Oasen zu machen und von den Bäumen die selbstgepflückten Datteln zu essen.

Unsere Vorbereitungen waren getroffen, der Sonderzug bestellt, ebenso das achttägige Logis in Biskra und das Nachtlager in Constantine. In der Hoffnung auf schöne Tage wurde unsere gute Laune nicht einmal durch den eben niederprasselnden Hagel gestört. Ich stellte es mir lebhaft vor, wie manche verweichlichte Dame lamentiert hätte, wenn durch den auf den Hagel folgenden Wolkenbruch ihre Wohnung so durchnässt worden wäre als damals die unsrige, und ganz besonders die der Kaiserin.

Für all das, dachten wir, entschädigt uns die Wüste und die Sonne der Wüste Afrikas. Leider war dies im Schicksalsbuche anders bestimmt und wir sahen weder die Wüste noch ihre Sonne. Die Kaiserin denkt, und Gott lenkt, und darein mussten wir uns fügen.

Der Sonderzug fuhr nicht ab, weil die Nachricht kam, dass dort, wo wir den Atlas passieren sollten, zwei Meter hoher Schnee lag und man daher unbestimmte Zeit warten müsste. Die Geduld der Kaiserin war erschöpft und sie befahl: fort von Afrika, an die Riviera.

Sonntag mittags, nach der Messe, schifften wir uns ein. Ich hielt es auf dem Verdecke nur so lange aus, bis die Ufer entschwanden, dann zwang mich meine unangenehme Reisegefährtin, die Seekrankheit, die Kabine aufzusuchen. Das Meer spielte ohne Unterlass den ganzen Tag und die ganze Nacht Fangball mit dem Schiffe und noch heute leben all die Bitternisse dieser Reise lebhaft in meiner Erinnerung fort.

Eine Stunde vor Ankunft begab ich mich wieder auf das Verdeck. Die Kaiserin befand sich schon seit frühmorgens trotz des Sturmes oben und sah vollkommen frisch und erquickt aus. Als sie merkte, dass ich mich schon wohler befand, musste ich ihr haarklein erzählen, was ich während der Krankheit empfunden und gelitten, namentlich wie der unbarmherzige Aufruhr der Natur auf meine Seele gewirkt hatte.

"Sagen Sie nur," sprach sie, "wurden Sie nicht kleinmütig? Wünschten Sie nicht zu sterben, als Ihnen so elend war?" "Nein, Majestät, daran dachte ich nicht!" "Woran dachten Sie also?" "Wie gut es sein wird, wenn der Sturm vorbei und ich die Krankheit überstanden haben werde!" Darüber lachte sie herzlich. "Ist das wirklich wahr?" "Ja, Majestät, jetzt fühle ich mich ganz wohl und bin so guter Dinge, als wenn ich Champagner getrunken hätte."

Vor dem Marseiller Hafen lavierten wir eine volle Stunde, ehe wir Einlass fanden. Während dieses unangenehmen Harrens genossen wir ein äußerst schönes Schauspiel. Vor unseren Augen spielte sich ein Schiffbruch ab. Glücklicherweise ohne tragisches Ende. Der Sturm schleuderte einen Dreimaster an den Felsen, doch bevor er festsaß, wurden die Passagiere von einem Frachtschiffe aufgenommen. Der armen Leute erbarmte sich die Madonna, die dort oben stehend, mit dem Jesuskind im Arme, von der Notre Dame de la Garde herniedersah auf das stürmende Meer. Nun sind wir wieder in Marseille. Wir stiegen im Hotel de la Paix ab, wo es Ihrer Majestät erste Sorge war, ein herrliches Diner zu bestellen.

Wir begannen mit einem Leibgericht der Kaiserin: mit französischen Austern, dann gab es treffliche Fische und Braten, zuletzt frische Walderdbeeren.

Ach, wie das nun alles schmeckte! Inzwischen tranken wir Asti spumante, den einzigen Wein, dem zuweilen auch die Kaiserin zusprach.

Ergreifend war die wirklich mütterliche Sorgfalt, mit der Ihre Majestät mich jeden Augenblick ermahnte, meine Esslust ein wenig zu mäßigen, damit es mir nicht schade. Ich war wie ein ausgehungertes Kind nach einer großen Krankheit und habe vielleicht noch niemals so viel und noch niemals so gut gegessen wie damals. Doch aller guten Dinge Ende ist das — Eis.

Wir gingen daher in eine Konditorei, und was uns noch bis zu unserer Abreise an Zeit erübrigte, füllten wir mit der Besichtigung von Schaufenstern und mit Einkäufen aus. Während ihrer Reisen kaufte die Kaiserin allerlei Dinge, namentlich Spezialitäten zusammen, um sie dann allerwegen zu verteilen. Ich musste über diese Einkäufe ein Journal führen.

Eine halbe Stunde vor der Abfahrt waren wir auf dem Bahnhofe, wo sich eine reizende, humorvolle Szene abspielte.

Unsere Durchreise musste irgendwie bekannt geworden sein und als wir den Perron betraten, sahen wir schon das Publikum in Gruppen stehen, das gekommen war, die Kaiserin von Österreich zu sehen.

Unter gewöhnlichen Umständen fühlte sich Ihre Majestät durch solches Interesse außerordentlich beengt, diesmal jedoch war sie davon ganz entzückt, weil die Neugierde der Leute vollkommene Befriedigung fand — ehe sie noch erschienen war.

Jetzt waren wir neugierig, zu erfahren, warum sich alle Blicke nach einem Punkte des Perrons richteten und wem diese ehrfurchtsvolle Stille galt. Wir näherten uns unbemerkt und fanden schon im nächsten Augenblick des Rätsels Lösung. Frau F., die Friseurin der Kaiserin, schritt in würdevollster Haltung den Perron auf und nieder, so nach besten Kräften die Kaiserin agierend.

Was hätte dies, von Künstlerhand entworfen, für eine prächtige Humoreske abgegeben!

Ihre Majestät fand dies Intermezzo sehr amüsant. "Stören wir die gute F. nicht," sagte sie und bestieg rasch und unbemerkt den Zug.

Aus den letzten Jahren der Kaiserin Elisabeth

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