Читать книгу Geschichten der Nebelwelt - Inga Kozuruba - Страница 8
Kapitel 10
ОглавлениеFeli erwachte wie gewohnt im Morgengrauen. Die minimale Änderung der Helligkeit in der größtenteils abgeschotteten, aber nicht vollkommen abgedichteten Hütte genügte ihr, um den anbrechenden Tag zu erkennen. Sie kletterte aus der Hängematte, packte diese schnell zusammen und führte Kari hinaus, damit sie wieder trinken und etwas grasen konnte, während Feli sich selbst eilig frisch machte und ein wenig Brot und Käse zum Frühstück verspeiste.
In Gedanken ging Feli bereits die Strecke durch, die sie an diesem Morgen prüfen wollte. Diesmal würde sie zunächst einmal auf die Straße zurückkehren und einige Meilen auf diese Weise hinter sich bringen. An diesem Wegabschnitt gab es tatsächlich keine nennenswerte Abkürzung, mit der sie sich Zeit herausholen konnte. Danach aber würde sie wieder eine Windung nutzen können. Die Straße würde Grünau, ein größeres Dorf passieren, und über dieses hinaus einen ziemlichen Umweg in Richtung Fluss und Brücke nehmen. Sie würde hinter Grünau jedoch eine nur wenigen Menschen bekannte Fuhrt ansteuern, die einzelne Reisende und kleine Gruppen nutzen konnten, die für einen größeren Tross oder gar einer Armee jedoch eine zu hinderliche Engstelle war.
Kari warf ihrer Reiterin einen Blick zu. Sie hatte offensichtlich genug vom Herumstehen. Feli lächelte die Stute an und legte ihr Sattel und Zaumzeug an, um sich dann mit einer schnellen, fließenden Bewegung in den Sattel zu schwingen und aufzubrechen. Die Sonne zeigte sich über den Wipfeln der Bäume und es war hell genug, dass Kari ohne Schwierigkeiten querfeldein über die Wiese preschen konnte, die zwischen der Straße und dem Waldrand lag. Das lange Gras wogte im sanften Morgenwind, und der letzte Tau flog funkelnd durch die Luft, wann immer die Grashalme durch Karis Ansturm zur Seite gepeitscht wurden. Feli sog gierig die frische Morgenluft ein, die sie so liebte. Noch war es kühl, aber darum machte sie sich keine Sorgen. Die Bewegung würde sie und Kari schnell aufwärmen.
Die Straße floss unter Karis Hufen vorbei wie ein Fluss aus Erde und Staub. Felis scharfe Augen sahen deutlich, dass ihr die Begegnung mit dem Heer des Rächerordens noch immer bevorstand. Alles, was der Wind ihr zutrug, waren die Geräusche des Waldes und der Wiese, Vögel und Insekten. In dieser Gegend war nichts zu spüren von der drohenden Gefahr, die irgendwo im Südosten lag.
Grünau war schon bald zu sehen. Gewöhnliche Reisende hätten von der Hütte aus sicherlich einen halben Tag gebraucht, aber Feli reiste schnell und mit leichtem Gepäck. Als sie sich dem Dorf näherte, sah sie bereits die Bauern auf den umliegenden Feldern, und in größerer Entfernung auch die Schafe kleinen Wolken gleich auf den grünen Wiesen. Sie fragte sich, ob das von ihr geschlagene Wolfsrudel sich an einem dieser Tiere gütlich getan hatte, oder ob die Bauern Glück gehabt hatten. Sie hatte keine Zeit, um sich dieser Angelegenheit anzunehmen, und konnte nur auf das Beste hoffen.
Die Straße führte sie schließlich mitten ins Dorf hinein, über den Marktplatz, und weiter nach Osten. Sie musste Kari etwas zügeln, um die vielen Menschen auf den Straßen nicht über den Haufen zu reiten, und ihre Anwesenheit immer wieder mit Ausrufen ankündigen. Der Markttag würde zwar erst am folgenden Tag stattfinden, doch auch an einem gewöhnlichen Tag war in einem Ort dieser Größe einiges auf den Straßen los. Die Handwerker hatten ihre Türen geöffnet und präsentierten die zum Verkauf stehende Ware in der Auslage direkt am Straßenrand. Kinder, die gerade nicht dazu verdonnert waren, im Haushalt oder auf den Feldern auszuhelfen, tobten unter der Sonne im Freien. Sie sah den einen oder anderen streunenden Hund, und Katzen, und auch ein rebellisches Huhn, das wohl vor dem Schlachtblock Reißaus genommen hatte und von einer wütend schreienden Bauernfrau verfolgt wurde. Sie sah Waschfrauen am einem großen Zuber am Brunnen, den einen oder anderen bereits rauchenden Kamin, auf dem wohl bereits das Mittagsmahl gekocht wurde, und auch die bemannten Ausgucke in hölzernen Türmchen entlang des Palisadenzauns, der das Dorf umgab und die Wachsamkeit über das offene Gelände in alle vier Himmelsrichtungen sicherte. Feli war sich sicher, dass diese Befestigung das Dorf in einem richtigen Krieg nicht retten würde, doch vor marodierenden Banditen und Wolfsrudeln bot das einen genügenden Schutz.
Die Dorfleute sahen ihr neugierig nach, doch nicht allzu lange. Es kam nicht oft vor, dass Menschen wie Feli in größter Eile durch Grünau geprescht kamen, aber es war nicht unerhört. Die Gilden waren zwar schon lange in den Hintergrund getreten, und hatten in diesen Landen bei weitem nicht mehr die Präsenz und die Macht wie sie sie in den früheren Tagen ausgeübt hatten, aber das Abzeichen der Waldläufer, das Feli deutlich sichtbar an ihrer Reisegewandung und auch am Sattel und Zaumzeug ihrer Stute trug, war den meisten Leuten noch ein Begriff. Wann immer es notwendig war, Nachrichten schnell zuzustellen, oder bedeutende Personen sicher durch die Wildnis zu geleiten, wandte man sich an ihre Zunft. Damit war diese Gilde in den Köpfen der Leute noch immer präsent, während die obskuren Geistesbegabten und verschiedenen Magierschulen schon längst zum Stoff von Geschichten und Sagen wurden, und die legendären Kampfakademien ebenfalls in Vergessenheit geraten waren. Manche Gilden waren in diesen Landen sogar ganz und gar aufgegangen im Klerus, so wie die Heilkundigen und die Geistesbegabten, die nun oftmals als Dämonenjäger oder Seher zu finden waren. Oder aber sie traten an den Höfen der höchsten Adligen als geschätzte Berater auf, da ihr tadelloses Gedächtnis und ihr herausragendes Denkvermögen sie zu unschätzbaren Verbündeten machten, von den weniger bekannten Fähigkeiten ganz zu schweigen.
Trotz der Verzögerung konnte Feli Grünau bald hinter sich lassen, und spornte Kari abermals an. Sobald sie die das Dorf umgebenden Felder hinter sich ließ, ritt sie wieder querfeldein über die Weidegründe der Kühe und Schafe, und wäre beinahe einem Sturmhauch gleich an ihnen vorbeigeschossen, doch dann kam ihr ein beunruhigender Gedanke in den Sinn und sie zügelte das Pferd neben einem ergrauten Schäfer, der sie unter der Krempe seines großen Schlapphuts aus Filz überrascht und auch etwas erschrocken ansah.
„Keine Angst, es ist nichts passiert,“ rief sie ihm hastig zu. „Ich muss gleich weiter. Ein Heer der Rächer wird bald hier über die Straße ziehen, nach Starogrâd. Warnt die Dorfbewohner vor, damit sie möglichst wenig Scherereien haben. Und haltet eure wertvollsten Tiere zurück, nicht dass man sie zum Schlachten einfordert.“
Sie wartete die Antwort des Mannes nicht ab und trieb Kari wieder zur Eile an. Ein kurzer Blick über die Schulter zeigte ihr, dass der alte Schäfer einen der jüngeren Burschen zu sich gerufen hatte und ihm wohl wild gestikulierend die Anweisung gab, ins Dorf zu laufen. Feli hoffte, dass sie den Menschen im Dorf mit dieser Vorwarnung einen Gefallen getan hatte. Auch wenn die Truppen der Rächer sich in vielerlei Hinsicht deutlich disziplinierter und zivilisierter benahmen als die Söldnerheere der Adligen, so nahmen sie sich zumindest in Bezug auf die Versorgung der Soldaten durchaus gewisse Freiheiten heraus, was das Eigentum anderer Leute betraf. Der Klerus und seine Armeen hatten schon immer ihre Sonderrechte. Also war es besser, wenn die besten Tiere, insbesondere die für die Zucht, dem Heer gar nicht erst ins Blickfeld fallen würden, ebenso wie das gelagerte Saatgut. Alles andere ließe sich verschmerzen. Die Zeit der Kälte war zwar wie immer grausam gewesen, aber das Jahr zuvor hatte sich als fruchtbar erwiesen, so dass die Menschen ein paar Verluste verkraften können würden.
Feli war inzwischen an dem kleinen Weg angekommen, den Jäger in dieser Gegend nutzten, um schnell durch die Wälder zur Fuhrt zu gelangen. Sie ließ ihre Stute so schnell vorwärts reiten wie es unter dem Blätterdach möglich war, und wandte ihre Sinne ganz und gar der Umgebung zu. Mit Raubtieren würde sie vermutlich keine großen Schwierigkeiten bekommen, aber sie wollte nicht unerwartet auf einen Trupp Wegelagerer stoßen, die solche versteckten Wege auch gern nutzten, um schnell zwischen verschiedenen Abschnitten der großen Straße zu reisen und einem ausgekundschafteten Ziel einen Hinterhalt bereiten zu können. Diesen Leuten wollte Feli nicht in die Arme laufen. Auch wenn sie den meisten Banditen durch ihre Kampfausbildung, Bewaffnung und Erfahrung überlegen war, gegen eine Überzahl mitten im Wald zu kämpfen war eine riskante Angelegenheit. Sie wollte lieber vorgewarnt sein, und selbst das Überraschungsmoment nutzen können, um so viele Gegner wie möglich mit ihrem Bogen niederzustrecken, bevor sie in den Nahkampf musste. Sie wollte Kari um keinen Preis der Gefahr aussetzen, verletzt oder gar abgestochen zu werden, nur um dann als Mahlzeit zu enden, weil solche Leute den Wert eines derart edlen Tiers nicht erkennen würden. Und wenn die Räuber halbwegs bei Verstand wären, dann würden sie zuerst versuchen, das Pferd niederzustrecken, bevor sie sich an die Reiterin machen. Dieses Szenario wollte Feli unbedingt vermeiden.
Ihre Ohren vernahmen den Ruf eines Falken weit über ihr. Feli lächelte leicht und deutete Kari, anzuhalten. Wenig später stand die Stute still und gab bis auf ein leises Schnauben kein Geräusch von sich. Feli hob ihr Gesicht 'gen Himmel und sah einen winzigen Schemen weit oben durch die wenigen Lücken zwischen den sich im Wind bewegenden Ästen, die über dem Weg nicht so dicht zusammenschlugen wie drum herum. Feli fixierte die geflügelte Gestalt mit ihrem Blick so gut sie konnte, und breitete langsam die Arme auf Schulterhöhe aus, streckte die Finger aus, und sog tief die Luft in die Lungen, während sie ihren Willen auf den Vogel weit über sich konzentrierte. Die Kunst, mit dem Bewusstsein eines Tiers zu verschmelzen, war keine einfache und forderte Kraft, aber es war die beste Möglichkeit, sich einen schnellen Überblick über die nahe Umgebung zu verschaffen. Und falls das Heer der Rächer bereits in der Nähe war, würde sie diese ebenfalls erblicken und sich auf den Rückweg machen können.
Feli spürte, wie ihr Bewusstsein immer leichter wurde und ihr Körper wie gelähmt in seiner Haltung gefror und sich taub anzufühlen begann. Sie streckte sich nach oben, dem Himmel und der Sonne entgegen und spürte dann auf einmal das Federkleid um sich herum, die kräftigen Flügel, die sie im Wind trugen und ließ einen Freudenjauchzer los aus der Falkenkehle, die nun für kurze Zeit die ihre war. Sie sah, wie die Welt sich meilenweit in jede Richtung erstreckte, sah Grünau und die Herden der Tiere, sah den Wald und den kleinen Pfad zwischen den Bäumen, der Richtung Fluss führte und auf dem außer einer einsamen Gestalt auf einem Pferd keine Menschenseele zu erblicken war. Und als ihr Blick dem Fluss folgte, da sah sie auch den Staub, den eine große Menschenmenge aufwirbelte. Ihr Inneres zog sich zusammen, weil sie nur selten so viele Menschen auf einmal sah, und noch nie so viele Bewaffnete auf einmal erblickt hatte. Beinahe hatte sie die Fassung und ihre Verbindung zu den Sinnen des Vogels verloren. Doch sie hatte sich schnell wieder im Griff und wandte ihre Aufmerksamkeit ganz und gar dem riesigen Trupp zu, der sich vergleichsweise langsam, aber unaufhaltsam in Richtung der großen Brücke bewegte.
Feli wusste, dass die Truppen des Klerus vom Brückenzoll befreit waren und daher nur insofern von der Brücke aufgehalten werden würden, als dass sie diese nicht so dicht gepackt passieren konnten, wie sie es auf der Straße taten. Sie wollte dennoch so wenig Zeit wie möglich verlieren. Wenn sie die Lage richtig einschätzte, dann hatte Starogrâd noch bestenfalls drei Tage. Wenn sie gleich umkehren und alle Abkürzungen nutzen würde, die sich ihr boten, dann könnte sie in der Nacht in die Stadt zurückkehren und den Richter in Kenntnis der Truppenstärke und Ankunftszeit setzen. Und dann wollte sie sich so schnell wie möglich aus dem Staub machen, vielleicht tatsächlich zusammen mit der jungen Gattin des wohlbetuchten Händlers, die ihre Mutter besuchen wollte und womöglich noch nicht aufgebrochen war. Feli hatte nichts übrig für die Rächer, auch wenn sie regelmäßig zur Heiligen Familie betete und einen Teil ihrer Bezahlung stets der Mutter und dem Mittler spendete.
Die scharfen Falkenaugen erkannten allen voran fünfzig Berittene. Die Hälfte von ihnen waren schwer gerüstete Ritter mit deutlich sichtbaren Symbolen des Glaubens an ihren Wappenröcken, Schilden, und den Pferdedecken. Die andere Hälfte trug robuste Reisegewandung, auf der jedoch ebenfalls deutlich die Kirchensymbolik zu erkennen war, und hatten jeder einiges an Schriftrollen und Folianten im Gepäck. Eine ungewohnte, strenge Kälte ging von diesen Männern aus, während die Ritter eine faszinierende und ehrfurchtgebietende Aura umgab, ein Glanz, dem man sich besser nicht näherte. Einer der weniger schwer gerüsteten Kleriker, der von allen der älteste zu sein schien, war etwas aufwändiger gekleidet und hatte einen Bannerträger des Klerus neben sich auf einem einfachen Pferd, ebenso einer der Ritter, der der Gruppe voran ritt.
Diesen Männern folgten weitere Berittene, die weniger schwer gerüstet waren und sowohl mit Bögen, als auch mit Nahkampfwaffen ausgestattet waren, Lanzen und Speere, die sich vom Pferd aus nutzen ließen. Ihre Rüstungen erlaubten eine größere Beweglichkeit und Feli glaubte zu erahnen, dass diese Truppen nicht zuletzt dazu eingesetzt wurden, um fliehende Gegner einholen oder mit Beschuss niederstrecken zu können. Sie zählte insgesamt an die Tausend Berittene. Diesen folgte eine halb so große Zahl an Bogenschützen, und den Rest bildeten einfache Fußtruppen, die ebenso zahlreich waren wie die Reiter. Den Abschluss bildete der Versorgungstross, der neben Proviant und Zelten noch andere Dinge transportierte.
Feli spürte wieder, wie sich ihr Inneres zusammenzog, und sie die Verbindung zum Falken verlor. Innerhalb eines Augenblicks stürzte ihr Bewusstsein zurück zu Boden, fuhr wieder in ihren tauben Körper, dessen Arme eingeschlafen waren und sich nur mühsam bewegen ließen. Feli strengte sich an, bis sie schließlich das grässliche Kribbeln spürte, erst in den Fingerspitzen und dann immer weiter über die Arme hin zum Körper. Viel zu langsam ließ die Lähmung nach, aber das tat sie. Feli war sich sicher, dass die Truppen der Rächer auch Werkzeug und Teile von Belagerungsmaschinen mit sich führten. Sie hoffte, dass diese dazu gedacht waren, das befestigte, verseuchte Kloster anzugehen, und nicht die Stadt. Dem Richter würde die Nachricht so oder so bestimmt nicht gefallen.
Feli atmete tief durch, schüttelte ihre Arme nochmals kräftig durch, streckte ihren Körper und die Gliedmaßen im Sattel und reichte Kari noch eine Möhre, während sie ihr leise zusprach: „So, mein Mädchen, heute müssen wir uns sputen. Du wirst mich sicher nicht im Stich lassen, stimmt's?“
Die Stute nickte leicht mit dem Kopf und schnaubte leise zur Antwort. Feli lächelte, streichelte dem Tier über den Hals und gab ihr den Befehl zu wenden. Dann nahm sie den Weg zurück durch den Wald, am Waldrand entlang, um dann abermals unter das Baumdach zu tauchen. Den Weg, den sie nun nahm, nutzten nur noch die Waldläufer. Jedem anderen wäre er versperrt gewesen. Feli fühlte sich zwar schon ein wenig ermüdet durch die Übernahme des Falken, doch sie war sich sicher, dass ihre Geisteskraft bis zur Rückkehr nach Starogrâd nicht versagen würde.
Diesen Pfad durch die Wälder hatten die legendären Waldläufer der früheren Zeiten angelegt, als die Welt noch voller Wunder und noch viel mehr Gefahren war als in diesen Zeiten. Damals, vor Jahrhunderten, als die Menschen noch an eine fünfgestaltete Göttin glaubten und nicht an die Heilige Familie, den Einen oder die Tausend. Damals, als die Welt noch heil war, und nicht zerrissen durch Kriege und Hass und nicht durch die Verderbnis dem Untergang geweiht, wann auch immer er kommen würde. Feli trieb ihre Stute zur höchsten Leistung an und das Tier ließ sich von ihrer brennenden Entschlossenheit anstacheln, so viel mehr als Sporen und Gerten es je zu tun vermochten. Die dicht wachsenden Bäume und Sträucher des Waldes wichen vor ihnen und gaben einen schmalen Weg frei. Nicht ein winziger Zweig und nicht ein Blatt berührte Felis Haut oder das Fell der Stute. Und kaum preschte sie durch, schloss sich die Vegetation wieder, ohne eine Spur zu hinterlassen.
Feli hörte die Bäume raunen und das Flüstern der Blätter um sie herum und spürte die Gänsehaut auf ihrem ganzen Körper. Sie wünsche, sie hätte jemals die Zeit gehabt, diese Sprache zu erlernen, die den Feen, den Elweni eigen war. Sie kannte nur die wenigen Wörter, die ihr Lehrmeister ihr auf den Reisen beigebracht hatte, bevor sie ihrer eigenen Wege ging. Sie wusste, was sie denken und fühlen, was sie flüstern oder brüllen musste, sie kannte den Sinn der Worte, doch richtig sprechen konnte sie nicht. Und so blieb das Wispern im Wind ein Geheimnis für sie, wie so oft. Ein Geheimnis, das vermutlich für immer verloren war, wie die Feen, die den Menschen den Rücken gekehrt haben wegen all dem Schmerz, den sie erleiden mussten, und dezimiert durch die Seuche Mansum, die der Fluch dieses Volkes war. Feli hatte manchmal die Ruinen ihrer Siedlungen gesehen, manchmal inmitten der Wälder an Orten, von denen Menschen aus einem alten Aberglauben heraus sich fernhielten, manchmal inmitten von Städten, die Menschen an Plätzen im ehemaligen Feenreich errichtet hatten. Selbst im schlimmsten Verfall war noch die Schönheit und die Makellosigkeit in ihnen zu erkennen, die den Orten früher innegewohnt hatten, selbst dort, wo die groben Hände der Menschen so vieles zerbrochen und verunstaltet hatten. Spuren und Erinnerungen, mehr war ihnen nicht geblieben von diesem alten Volk, das einst Seite an Seite mit den Menschen gelebt und ihnen so vieles beigebracht hatte.
Die Sonne zog über Felis Kopf ihre Bahn über den Himmel, während die Reiterin sich unaufhaltsam ihrem Ziel näherte. Sie spürte, dass ihre Kraft sie nach und nach verließ, hatte ihr Ziel jedoch noch immer klar und deutlich vor Augen und schoss durch den Wald wie ein Fisch durch das Wasser, wie ein Vogel durch die Lüfte. Die Finsternis begann sich erneut über die Welt zu senken, und die Monde erschienen am Himmel. Der große, finstere Feuermond und der mächtig strahlende Chaosmond dominierten noch immer die Konstellation, die sich zu ändern weigerte und die schwachen, hellen Aspekte des Wassers, des Äthers und der Ordnung in den Hintergrund drängte, als wären die Himmelskörper nicht bereit, den Menschen Gnade zu erweisen.
Es war völlig finster geworden, als Feli endlich auf die Straße hinausschoss, und die Stadt nur noch wenige Meilen entfernt vor ihr lag. Sie spürte die bleierne Müdigkeit in ihren Gliedern und den dumpfen Schleier, der sich immer über ihr Bewusstsein legte, wenn sie sich den ganzen Tag über so verausgabte. Den Trick würde sie in den kommenden Tagen sicherlich nicht wiederholen können. Umso wichtiger war es, dass sie dem Richter schnell Bericht erstatten und sich dann zur Ruhe zurückziehen konnte. Sie griff nach ihrer Satteltasche und gab Kari einen Apfel, während sie sich selbst eine Honigpastille in den Mund schob, die mit einem Hauch Minze und etwas scharfem Ingwer versetzt war, ihren Atem erfrischte und ihre Sinne wieder anregte. Dann nahm sie einen tiefen Schluck aus ihrem Wasserschlauch, sprach ihrer Stute noch etwas Mut zu und wenige Augenblicke später eilten Reiterin und Reittier weiter zur Stadt.