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Kapitel 03 Unser Familienleben in Cuxhaven
ОглавлениеWir lebten zu der Zeit in Cuxhaven. Vater war nach Dönitz versetzt worden, und Mutter versorgte ihn mit vielen Paketen, gefüllt mit leckeren Lebensmitteln und Süßigkeiten um ihm das Fernsein zu erleichtern. Die Trennung dauerte aber nicht lange, denn er wurde zum Wehrdienst eingezogen. Er kam aber fast täglich nach Dienstschluss wieder nach Hause, weil er in Cuxhaven beim Minen-Räumkommando stationiert war. Er trug jetzt immer seine Marineuniform und wurde von uns allen bewundert, denn er sah damit schick aus. Unsere Familie lebte sorgenfrei. Vater kümmerte sich gerne um uns Kinder. Er hatte sichtlich Spaß daran, uns etwas beizubringen. Sonntagmorgens ging er mit uns spazieren. Mutter bereitete inzwischen das Essen vor, kochte wie selbstverständlich bunte Etagenpuddinge und richtete die Wohnung her. Wir marschierten nach Cuxhaven zur Alten Liebe, suchten Miesmuscheln, gingen fast bis zur Kugelbake und wieder zurück.
Erklärung zum Bild: Die Kugelbake in Cuxhaven
Oft besuchten wir den Ritzebütteler Schlosspark mit dem historischen Schloss, in dem früher einmal der legendäre Seeräuber Störtebecker gehaust haben soll. Es waren lehrreiche Spaziergänge, denn Vater hatte Zeit und Muße, uns Kindern alles über die Gezeiten und was zur Orientierung notwendig war, beizubringen. Er zeigte und erklärte uns abends die Sternbilder und schien ein unerschöpfliches Wissen über die Tier- und Pflanzenwelt zu haben. Er klärte uns über giftige Pflanzen und Pilze auf, und wir alle sogen seine Worte begierig auf. Wir lernten in dieser Zeit viel mehr von ihm als in der Schule, was später sehr nützlich für uns war. Wir liebten diese Spaziergänge. Für unsere Mutter war das Klima in Cuxhaven ungesund, sie litt dauernd unter rheumatischen Beschwerden und konnte kaum noch etwas tragen. Das Einkaufen zum Wochenende gelang nur, wenn die vollgepackten Taschen an den Tretroller gehängt wurden, der dann von einem meiner Brüder geführt werden musste. Sie selbst stützte sich abwechselnd bei uns Kindern ab, damit sie den Fußweg durchhalten konnte. Sie war wieder schwanger. Der Weg nach Cuxhaven und zurück war für uns voll neuer Eindrücke und weit, aber hurtig gegangen zwar es kein Thema. Das Leben hatte für uns seine wundervolle Ordnung, es war harmonisch und friedlich in der Familie. Unsere Eltern genossen diese Zeit und sie bildeten eine Einheit, die niemand durchbrechen konnte, und ihre Liebe zueinander war größer, als je zuvor. Sie hatten gemeinsam viele Höhen und Tiefen gemeistert. Unsere Mutter notierte sorgfältig ihre Ausgaben Sie rechnete das Einkommen des Vaters gegen die Verbindlichkeiten auf, damit alle Verpflichtungen bedient werden konnten. Für die Familie musste natürlich genügend Geld zum Leben bleiben.Schwierig war es für unsere Eltern, die Schulden, die mit der ehemaligen Gärtnerei und dem Grundstück in Langen zu tun hatten, abzutragen. Sie hatten lange damit zu kämpfen. Von diesen Sorgen erfuhren wir Kinder allerdings nichts, denn sie hielten alles von uns fern, was uns hätte bedrücken können. Wegen der Entfernung konnte das Grundstück kaum von uns genutzt werden. Nur Opa und Anna fuhren oft mit der Straßenbahn nach Langen und bearbeiteten es, säten und ernteten soviel wie möglich. Aber wer von uns hätte damals je gedacht, dass dieses Grundstück später einmal für die ganze Familie, einschließlich Opa und Anna, eine Rettungsinsel werden würde? Ganz sicher niemand aus der Familie.Der Krieg war derzeit für uns nur dadurch existent, dass es hin und wieder einmal Fliegeralarm gab und dass die Flak schoss. Weiter passierte nichts. Wir Kinder fragten schon unwillig: „Warum sollen wir denn für nichts in den Luftschutzkeller gehen?" Aber Vater klärte uns dahingehend auf: ,,Das ist zum Schutz eurer Gesundheit notwendig. Es könnte doch mehr passieren, es könnten zum Beispiel Bomben fallen, die alles zerstören. Der dabei entstehende Luftdruck ist sehr gefährlich, auch wenn man nicht direkt betroffen ist." Er schlug vor: ,,Geht nach der Entwarnung auf die Straße und sucht nach den herunter gefallenen Granatsplittern. Die sind real und zeigen euch die ernste Wirklichkeit." Es fanden sich tatsächlich zerrissene, glänzende Metallstücke, die wir wie Schätze aufbewahrten. Am Anfang des Krieges war das noch interessant, weil wir einigermaßen sorglos und unbekümmert damit leben konnten. In der ersten Zeit nach Hitlers Überfall auf Polen wurde auf dem Schulhof der Grodener Volksschule für gefallene Flieger oder Soldaten, die als Helden der Nation bezeichnet wurden, fast täglich ein Ehrenappell abgehalten. Wir Schüler mussten uns dabei klassenweise in Reih' und Glied aufstellen und nach einer kurzen Gedenkrede mit Hitlergruß zum Schluss das Lied singen : "Ich hat' einen Kameraden". Irgendwann stellte die Schulleitung diese Feierstunden ein. Es starben bedauerlicherweise zu viele Soldaten den Heldentod.