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Student am College

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Als Jim Morrison Ende 1960 zu seinen Großeltern Caroline und Paul Morrison nach Clearwater, Florida, kommt, um am St. Petersburg Junior College zu studieren, ist John F. Kennedy bereits als neuer Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt. Und auch musikalisch gibt es eine kleine Revolution. Am 31. Dezember steigt das schwarze Plattenlabel Tamla Motown_5 mit dem Song ›Stop Around‹ von den Miracles in die Top 40 der USA ein, der zum er­sten Millionenseller der Plattenfirma wird. Damit wird die unum­strittene Vorherrschaft weißer Künstler erstmals durchbrochen.

Es sieht ganz so aus, als ob in Clearwater die Wurzeln von Jims unmäßigem Alkoholkonsum und seiner späteren Drogenkarriere zu finden sind. Jim kommt mit den strenggläubigen Großeltern nicht zurecht, die überzeugte Antialkoholiker sind und ihren rebellischen Enkel mit Disziplin und Ordnung nerven. Die­ser reagiert mit Protest - und dazu gehört auch das provo­kante Verhalten, wenn es um den Streitpunkt Alkohol und Sauberkeit geht. Demonstrativ lässt er leere Weinflaschen in seinem Zimmer herumliegen, läuft verwahrlost herum, ra­siert sich nicht, wechselt nicht die Wäsche und denkt gar nicht daran, sich die Haare schneiden zu lassen oder gar mit den Großeltern die Kirche zu besuchen. Manchmal liest er den Großeltern aus seinen Notiz­büchern vor, aber nur, um sie mit seinen Gedichten zu schockie­ren. Seine Großmutter meint später, er hätte sie aus seinem Leben komplett ausgeschlossen: »Er wollte uns mit Absicht schockieren. Wir haben ihn einfach nicht verstanden, keiner von uns. Jimmy hatte so viele Seiten. Man sah die eine und spürte die andere; was in ihm vorging, wußte man nie.«

Auf dem College fällt der durchschnittliche Student nicht sonder­lich auf. Nach einem Persönlichkeitstest, dem alle neuen Studenten unterzogen werden, wird er einerseits als Frohnatur, impulsiv, abenteuerlustig, undiszipliniert, unkontrolliert beschrieben, ande­rerseits als scheu, nachdenklich, hyperkritisch gegenüber allen ge­sellschaftlichen Institutionen, mit einem Hang zum Selbstmitleid und Machoverhalten. Kommilitonen, denen er großzügig bei ihren Aufsatzthemen hilft, sind von seinen intellektuellen Fähig­keiten beeindruckt - so auch sein Bruder Andy, dem er in den Osterferien beim Schreiben eines Vortrags über ›Moralische Inte­grität - eine Voraussetzung unseres Überlebens‹ zur Seite steht, für die er ein ›Sehr gut‹ bekommt. Auf seine Belesenheit und seine umfangreiche Bibliothek ist Jim so stolz, dass er sich von seinen Mitstudenten gerne testen lässt Sie dürfen ein beliebiges Buch aus dem Regal ziehen und etwas daraus vorlesen. Und er nennt auf Anhieb den Buchtitel und Autor. Er schließt sich einer Gruppe äl­terer Studenten an, mit denen er manchmal auf Sauftour geht.

Ich wußte nicht einmal, was damit gemeint war. Schließlich nahm es mir Jim ab, schrieb das Ganze für mich neu und packte eine Menge eigener Ideen hinein. Der Vortrag war prima. Sein Schlusssatz lautete: »Wir trei­ben blind auf irgendwelchen Bahnen, ohne Hilfe, allein.«

Andy über einen Vortrag, den sein Bruder Jim für ihn verfasste

»Anscheinend hat er nur dann gesoffen, wenn er sich volllaufen lassen wollte. Ansonsten hat ihn Alkohol nicht interessiert«, meint einer seiner damaligen Kommilitonen. Doch auf diese Weise schlit­tert Jim ganz allmählich in seine lebenslange Alkoholabhängigkeit hinein. An seinem 18. Geburtstag muss er sich bei der Musterungs­behörde melden. 1961 gibt es noch keine Bewegung wie die der Kriegsdienstverweigerer. Jim, der das Militär abgrundtief hasst, wird als tauglich eingestuft und betrinkt sich danach sinnlos. An­geblich muss ihn ein ebenfalls in Clearwater lebender Onkel aus einer so hochnotpeinlichen Lage befreien, dass sich selbst 20 Jahre später die Familienmitglieder weigern, darüber zu sprechen. Jims Stammlokal wird das ›Renaissance Gallery and Coffeehouse‹ in einem heruntergekommenen Bohème-Hotel, das auf der ›schwar­zen Liste‹ von Jims College steht. Dort finden Dichterlesungen und Wettbewerbe für Folksänger statt. Der homosexuelle Besitzer erklärt Jim, dass er wie Elvis, der gerade mit seinem Album ›Blue Hawaii‹ in den Charts steht, das ›gewisse Etwas‹ besitzen würde. Und er solle niemals Unterwäsche tragen, sondern seinen Körper zur Schau stellen. Obwohl sich die eigentliche musikalische Revo­lution in England anbahnt, ist auch die Musikszene in Amerika in Bewegung. Am 28. August erobern The Marvelettes_6 mit ›Please Mr. Postman‹ als erste schwarze Gruppe Platz 1 der amerikani­schen Hitparade.

Nach einem Besuch bei sei­ner Familie, die mittlerweile in San Diego wohnt, lernt Jim auf einer Party in Clearwater die stille Mary Frances Werbelow kennen. Die 16jährige hat einen Schönheitswettbewerb gewon­nen, möchte Tänzerin beim Film werden und liebt wie er Lyrik. Sie verspricht, ihn in Tallahassee zu besuchen, wo Jim Ende September 1961 sein Studium (Hauptfach Theater) an der Florida State University beginnt. Man kann sich vorstel­len, wie erleichtert seine Großeltern über diese Entscheidung waren. Dort teilt er sich anfangs mit fünf Studenten ein Dreizimmer-Haus in der Nähe des Cam­pus. Er wiegt 60 Kilo, ist 1,73 m groß und macht täglich Streckübungen im Glauben, dadurch zu wachsen. Auch hier beginnt er, seine Mitbewohner zu schikanieren, und führt wie ein Anthroposoph penibel Buch über ihre Reaktionen. Als ihm seine Großeltern eine Heizdecke schicken, weigert er sich, seinen Anteil an den Heizkosten zu bezahlen. Er fährt den geliehenen Thunderbird ei­nes Zimmergenossen an den Laternenpfahl, trägt ungefragt die Klamotten der anderen und belästigt Mädchen. Inzwischen ist Jim ein überzeugter Elvis-Presley-Fan und dreht jedes mal das Ra­dio bis zum Anschlag, wenn dessen Songs gespielt werden. Am Ende des Trimesters im Dezember setzen ihn die anderen schließ­lich vor die Tür. Daraufhin zieht er in einen Wohnwagen, der hin­ter einem Mädchenwohnheim steht. Die Miete beträgt 50 Dollar, etwa die Hälfte dessen, was ihm seine Großeltern monatlich schicken. Wenn Jim Geld braucht, wendet er sich an seine Eltern. »Um einen Scheck zu bekommen, musste er einmal im Monat ei­nen Brief schreiben«, erinnert sich sein Bruder Andy, in diesen Briefen teilt er nichts Privates mit, sondern schildert die wahnwit­zigsten Räuberpistolen, die er sich ausdenkt, um als Superman und Held dazustehen und bei denen seine blühende Phantasie mit ihm durchgeht. »Es musste eine Geschichte sein. Etwa, wie er im Kino war, Feuer ausbrach, jedermann in Panik geriet, zu den Türen drängte und nur er die Ruhe bewahrte. Er ging auf die Bühne, setzte sich ans Klavier, sang ein Lied und beruhigte so die Leute, die daraufhin sicher aus dem Kino gelangten, in einem an­deren Brief schilderte er in allen Einzelheiten, wie er einen Bur­schen in einem Moor absaufen sah.«

Im zweiten Trimester besucht Jim zwei Kurse, die ihn nachhal­tig beeinflussen. Im ersten geht es um die sogenannten kritischen und skeptischen Denker, die gegen die traditionelle Philosophie protestierten, um Montaigne, Rousseau, Sartre, Heidegger. Viel­leicht wird Friedrich Nietzsche_7 Jims Lieblingsphilosoph, weil er unter anderem geschrieben hat, dass das Leben ohne Musik ein Irrtum wäre, aber auch den Satz »was mich nicht umbringt, macht mich stärker«. Im zweiten Seminar über ›Kollektives Ver­halten: Die Psychologie der Masse‹, das auf C.G. Jungs Arbeit ›Kollektives Unterbewusstsein‹ basiert, begeistert er seinen Profes­sor mit dem Vorschlag, die Sexualneurose einer Menschenmenge zu diagnostizieren. »Den höheren Semestern wurde eine Diskus­sion dieser Hypothese aufgegeben«, berichtete später Bryan Gates, mit dem sich Jim zu jener Zeit anfreundet und dessen Vater eben­falls bei der Armee ist. »Aber Professor Geschwender und Jim führten sie. Der Rest von uns kam nicht mit. Wir wussten gar nicht, von was sie sprachen.« Als Jim seine Theorie in die Praxis umsetzen will - »wir können sie heilen««, meint er, »wir können sie in Liebe versetzen oder in Aufruhr!« -, weigern sich allerdings seine Kommilitonen, dies auf einem College-Konzert gemeinsam zu überprüfen.

Es ist die beste, die ich je von ei­nem Studenten, der eine so be­grenzte, psychologische Vorbil­dung wie Jim hatte, gelesen habe. Sie gereichte einem Dokto­randen zur Ehre.

Jims Professor James Geschwender über ›Die Psychologie der Masse‹

An den Wochenenden trampt er oft ins 300 Kilometer entfernte Clearwater, um sich mit Mary zu treffen. Nach Bryans Abschluss an der FSU im April beschließen die beiden Freunde, quer durch Ame­rika zu trampen. Davor trifft sich Jim nochmals mit Mary, um ihr mitzuteilen, dass er auf die Filmhochschule in Los Angeles will, um seine visuellen Ideen umzusetzen. Mary verspricht, im Juni nach­zukommen, sobald sie ihren Collegeabschluss in der Tasche hat.

Auf der sechstägigen Tramptour eifern die beiden Jims großem Vorbild Kerouac und dessen Roman ›Unterwegs‹ nach. Sie gera­ten mit der Polizei in Konflikt und verbringen eine Nacht im Ge­fängnis von Mobile, Alabama, lassen sich von Frauen aufgabeln, die mal lesbisch, mal Hermaphroditen sind, treiben sich in Bars und in Bordellen herum. Als sie schließlich in Coronado ankom­men, gibt es sofort Streit mit Jims Mutter. Obwohl sein Vater, wie meist, gar nicht anwesend ist, geht es wieder um das leidige Thema Haareschneiden. Außerdem missbilligt sie, dass Jim und sein Freund durch die Spielhöllen und wüsten Marinekneipen in San Diego ziehen. Die beiden reisen nach Los Angeles weiter und ver­suchen vergeblich, einen Ferienjob zu ergattern. Statt zu arbeiten feiern sie mit Bryans Vettern Parties. Als Jims Vater einen Monat später in Long Beach eintrifft, lehnt er den Wunsch seines Sohnes, auf die UCLA_8 in Los Angeles zu gehen, um Film zu studieren, ri­goros ab. Die Eltern schicken ihren aufsässigen Sprössling per Flugzeug für sein zweites Studienjahr nach Florida zurück.

Im Sommersemester meldet sich Jim für ein Geschichtsseminar über das Mittelalter an und wählt als Thema Hieronymus Bosch_9, den an der FSU damals kaum einer kennt. Bosch, der die Welt als eine Art Hölle betrachtete, in der wir den Verdauungsapparat des Teufels passieren, ist der richtige Stoff für Jim. Ein ehemaliger Student meint: »Er war fasziniert von den blutigen Aspekten der Pest und ihren psychologischen Langzeitfolgen - ihre Wirkung auf das Denken der Europäer, auf ihre Traditionen und auf das geistige Klima, in dem Bosch aufwuchs.«

Nach einer Ferienwoche in Clearwater schreibt Jim sich Anfang September 1962 für ein Seminar über die Spätrenaissance und für diverse Theaterkurse ein. Offenbar bereitet er bereits ernsthaft seine Bewerbung für die UCLA vor, denn er bittet auch seine frühere High-School in Virginia, seine Unterlagen an die UCLA zu schicken. Er zieht in das heruntergekommene Cherokee Hotel, das früher Prostituierte bewohnten, was seinem romantischen Hang zum Kaputten durchaus entspricht. Allein der schlechte Ruf der schäbigen Bleibe macht sie für ihn interessant.

Viele seiner Mitstudenten halten ihn für einen Angeber mit exhibitionistischen Neigungen. Bereits 1962 legt er sich eine Nickelbrille zu, wie sie erst 1968 bei den College-Studenten in Mode kommt. Er schließt sich einer Clique älterer Studiosi und Professoren aus der Kunstabteilung an, die als schwere Trinker bekannt sind, und zieht mit zweien von ih­nen zusammen. Damit beginnt er auch auf der FSU ein wildes, zügellosen Leben. Manche sei­ner Kommilitonen behaupten, er sei ein notorischer Unruhe­stifter gewesen, habe sich gern zur Schau und die Leute auf die Probe gestellt. Mal uriniert er in den Springbrunnen vor ei­nem Kino, dann fasst er sich auf der Straße in den Schritt, wenn junge Mädchen vorbeikom­men. Wegen eines albernen Jungenstreichs wird er aber­mals verhaftet. Weinselig voll­führt er auf der Straße ein Scheingefecht mit seinem Re­genschirm, entwendet einem Polizisten den Helm, der bei einem anschließenden Hand­gemenge abhanden kommt. Er wird wegen Diebstahls, Ruhe­störung, Widerstands gegen die Staatsgewalt und Trunken­heit in der Öffentlichkeit fest­genommen und verbringt eine Nacht hinter Gittern. Weil sich Ralph Turner, sein Geschichts­professor, für ihn einsetzt, kommt Jim mit einer Geldstrafe von 50 Dollar davon. Kurz da­nach sorgt am 5. Oktober 1962 in England eine Band namens The Beatles mit ihrer ersten Single ›Love Me Do‹ für Aufsehen und er­obert Anfang 1963 mit ›Please Please Me‹ die englischen Charts. Die Beatlemania nimmt ihren Lauf, in Amerika verbreiten der­weil die Beach Boys mit ›Surfin' USA‹ und ihrem Strahlemann-Image der braungebrannten Strandjungs gute Laune.

Obwohl Jim die Universität nur etwa 18 Monate besucht, hat er auch dort bei allen einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Der Professor, bei dem Jim Bühnenbild studiert, war noch Jahre später von dessen selbstentworfenen Bühnenbildern beeindruckt. Für ei­ne Inszenierung von ›Die Katze auf dem heißen Blechdach‹ von Tennessee Williams_10, in der Big Daddy, eine der Hauptfiguren, an Krebs stirbt, hat Jim folgende Idee, um den langsamen Tod zu symbolisieren: Auf die Rückwand der Bühne wird ein kleiner Lichtkegel projiziert, der im Verlauf des Stücks allmählich wie der Krebs wächst.

Die Leute aus der Theatergruppe, der sich Jim anschließt, schwitzen oft Blut und Wasser, weil sie nie wissen, was ihm als Nächstes einfällt. Anfang der 60er Jahre sind Obszönitäten auf der Bühne vollkommen verpönt, und genau das reizt Jim natürlich. Mit Keith Carlson arbeitet Jim in dem absurden Zweipersonenstück ›The Dumb Waiter‹ (›Der stumme Diener‹) von Harold Pinter_11: »Wenn der Vorhang aufging, wußte ich nie, was Jim machen würde. Es war schwierig, sich auf ihn einzustellen, denn er spielte die Rolle ständig anders, hielt sich nicht an den Dialog oder an­dere Dinge. Allerdings ist es auf der Bühne nie zu obszönen Din­gen gekommen, aber es gab ein paar wundervoll unanständige Proben.« Der Regisseur des Stücks, Sam Kilman, macht Jim mit den Werken von Antonin Artaud bekannt, der seine revolu­tionären Theaterschriften in den 30er und 40er Jahren im Irren­haus verfasste. Von ihm stammt der Satz: »Wir müssen erkennen, dass das Theater wie die Pest ist, Verzückung und Kommunika­tion. Da liegt das Geheimnis seiner Faszination.«

Am 22. November 1963 wird der Traum vom amerikanischen Optimismus jäh zerstört, als Präsident John F. Kennedy_12 bei einem Attentat in Dallas erschossen wird. Jim kehrt Weihnachten 1963 zum zweiten Mal nach Hause zurück. Sein Vater ist inzwischen Kapitän der ›USS Bon Homme Richard‹, einem der modernsten und größten Flugzeugträger der US-Marine, und damit Befehls­haber über 3.000 Mann Besatzung. Wieder muss Jim sich auf Wunsch der Mutter die Haare schneiden lassen, bevor er seinem Vater am 8. Januar 1964 unter die Augen tritt. Er begleitet seinen Vater bei einem Manöver im Pazifik, der ihn als Erstes zum Bordfriseur schickt, wo man ihm einen ratzekurzen Militärschnitt verpasst. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn ist bis zum äußersten gespannt. Eine Woche später macht Jim seinen Traum wahr und schreibt sich an der ›Filmabteilung‹ des Lehrstuhls für Thea­terwissenschaften an der University of California in Los Angeles - der UCLA – ein.

Jim Morrison

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