Читать книгу Der Pfirsichkern - Ингер Фриманссон - Страница 7
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ОглавлениеSie blieb in ihrem Zimmer. Sie lag auf dem Bett, machte nichts, dachte an nichts. Aus dem Erdgeschoss hörte sie verschiedene Geräusche, solche, die zu ihrem Zuhause gehörten. Schranktüren, die geöffnet und geschlossen wurden, Mattias’ leises Plappern, Mamas Schritte. Nach einer Weile rief sie nach oben: »Sibban, bist du da?«
Sibban legte den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke. An einer Stelle löste sich die Sommerblumentapete fast. Jetzt rief ihre Mutter wieder mit dieser weichen Mamastimme, die sie immer hatte, wenn man krank war oder sich das Knie auf dem Asphalt aufgeschlagen hatte.
Sibban schloss die Augen.
Sei still, durchfuhr es sie. Lass mich in Ruhe!
Stattdessen hörte sie Schritte auf der Treppe. Sibban schnappte sich eine Zeitschrift und tat so, als würde sie lesen. Es klopfte an der Tür, aber bevor sie antworten konnte, öffnete Mama bereits und kam herein. Sie hatte Mattias auf dem Arm. Er streckte die Arme aus.
»Ibba, Ibba!«, rief er.
»Ibba liest«, sagte Sibban und versuchte wie immer zu klingen.
»Ich wollte ein bisschen einkaufen«, sagte Mama.
»Hast du Lust mitzukommen?«
»Nee, glaube ich nicht.«
Mama beugte sich über sie und strich ihr schnell übers Haar. Hör auf, durchfuhr es sie. Die Tränen schossen ihr in die Augen, alles wurde verschwommen und groß.
Eine Weile blieb Mama einfach stehen.
»Es ist noch Eis am Stiel im Gefrierschrank«, sagte sie dann. »Falls du Lust darauf hast.«
Sibban stand am Fenster und sah, wie sie das Haus verließen. Mattias trug seine kleine grüne Mütze. Er fuchtelte mit den Armen, seine winzigen Finger konnten sich an allem festsaugen, was er zu fassen kriegte. Als hätten sie Saugnäpfe.
Als der Kinderwagen hinter der Garagenwand verschwunden war, ging sie hinunter und holte zwei Schokoladeneise. Manchmal kauften sie etwas von dem Eiswagen, der jeden Donnerstagabend kam. Obwohl es eigentlich Betrug war mit dem Eis am Stiel vom Wagen. Es war viel kleiner als das Eis, was man am Kiosk bekam. Deshalb musste sie immer zwei essen.
Sie aß beide auf. Dann fing sie an zu weinen. Sie stand im Badezimmer und betrachtete sich selbst im Spiegel. Das war sie, Sibyl Malm. So sah sie aus. Rotes, glänzendes Gesicht mit kleinen, zusammengekniffenen Schweineaugen. Sie streckte sich selbst die Zunge raus.
Wie konnte jemand nur so hässlich wie sie sein?
Als sie sich das Gesicht mit eiskaltem Wasser gewaschen hatte, fühlte sie sich ein wenig besser.
»Nun hör bloß auf!«, sagte Sibban und wiederholte das mehrere Male, damit ihre Stimme wieder funktionierte.
Sie hob den Telefonhörer und wählte Lollos Nummer, aber bevor jemand antworten konnte, warf sie ihn wieder auf die Gabel.
Sie ging hinaus in den Garten. Die Reihenhäuser lagen um einen kleinen Park mit Rasenflächen und Bänken. Manchmal gab es in dem Park ein Fest. Die Erwachsenen tranken Punsch und wurden ziemlich betrunken, wenn es auf die Nacht zuging, was sie aber nie zugaben.
Jetzt war es lange her, seit sie gefeiert hatten. Die Feste gehörten zum Sommer. Eigentlich feierten nur die Leute, die hier wohnten, zusammen. Aber für Lollo hatte man eine Ausnahme gemacht. Sie gehörte ja fast zu Sibbans Familie.
Einmal probierten sie von dem Punsch, Lollo und sie. Sie warteten, bis es dunkel geworden war und die Erwachsenen auf den Asphaltwegen tanzten. Tote Mücken schwammen auf der Oberfläche. Die schoben sie zur Seite. Sie schenkten sich jeweils einen Plastikbecher voll ein, es schmeckte scharf, es brannte richtig im Hals.
»Wie können die nur so etwas trinken? Das werde ich nie im Leben tun.«
Lollo schluckte, sie schüttelte sich.
»Man verändert sich, wenn man erwachsen wird. Dann meint man wohl, dass das schmeckt.«
Mitten im Park gab es einen Sandkasten, ein paar Schaukeln und eine Rutsche. Zwei kleine Kinder gruben mit ihren Schaufeln im Sand. Es waren Mille und Lukas, sie wohnten schräg gegenüber von Sibbans Haus. Mama wollte nicht, dass Mattias in dem Sand spielte, weil es eine große schwarze Katze gab, die immer hineinschiss. Viele waren sauer auf die Katze. Aber man konnte das auch verstehen. Sie dachte sicher, dass sie ein ganz tolles Katzenklo gefunden hatte. Woher sollte sie wissen, dass ausgerechnet dieser Sand nicht für Katzen gedacht war?
Unschlüssig ging sie zu den Schaukeln. Setzte sich, nahm Schwung. Die Jungs schienen sie gar nicht zu bemerken.
»Hallo«, sagte sie. »Was macht ihr da?«
Sie antworteten nicht.
Sie stieß sich vom Boden ab und schaukelte schneller. Hinten kam Tante Lindgren mit ihrem Dackel. Beide waren uralt. Der Dackel war vierzehn. Und da ein Hundejahr sieben Menschenjahre bedeutete, war der Dackel also achtundneunzig Jahre alt! Fast hundert. Das war sein Frauchen sicher auch.
»Ich habe Hallo gesagt«, rief Sibban den Kindern zu und ihre Stimme klang schrill und wütend. »Sucht ihr nach Katzenscheiße?«
Mille schaute auf. Er hatte Rotz unter der Nase und ganz sandige Hände.
»Nee, wir spielen«, sagte er leise.
»Ja, und was spielt ihr?«
Warum machte sie das? Wie das schlimmste Polizeiverhör.
»Ach, wir spielen nur«, sagte Lukas.
»Macht das Spaß?«
»Ja.«
Sie rutschte von der Schaukel, ging zu ihnen und setzte sich auf den Sandkastenrand. Plötzlich überkam sie eine unbändige Lust, wieder klein zu sein. Im Sand mit Eimer und Schaufel zu sitzen, bis Mama auftauchte und einen hineintrug, einen fütterte und ins Bett brachte.
Mille schlug mit seiner Schaufel, dass die Sandkörner hochspritzten.
»Und was machst du?«, fragte er.
»Ich? Nichts Besonderes.«
»Wartest du auf Lollo?«
»Nein.«
Wieder schnürte sich ihr Hals zusammen.
»Ist sie nach Hause gegangen?«
Er ließ nicht locker, der Kleine. Er führte genauso ein Verhör, wie sie es gerade gemacht hatte.
Hinter ihr waren Schritte zu hören. Sie drehte sich um. Es war Teo, er ging in ihre Klasse. Manchmal spielten sie hier im Park Brennball, er hoffte wohl, dass er zwei Mannschaften zusammenbekam.
»Wo hast du Lollo gelassen?«, fragte er und starrte sie dabei durch seine Brille an.
Dieses ewige Gequatsche um Lollo.
»Na, zumindest nicht hier«, fauchte sie und das klang genau so unfreundlich, wie sie es meinte.
Er schien sich gar nicht darum zu kümmern.
»Ich habe ein neues Computerspiel«, sagte er und zupfte mit den Fingern an seinem zerzausten, kurzen Haar.
»Ja, und?«
»Wir könnten es ja mal ausprobieren.«
»Nee, ich habe keine Zeit.«
Sie stand auf und bürstete sich den Sand ab. Der Fahrradschlüssel war in ihrer Tasche, mit schnellem Schritt ging sie zum Fahrrad und schloss es auf. Bevor sie in die Straße einbog, sah sie, wie Teo zurück zu seinem Haus ging.
Er ging wie ein alter Mann.