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Der Steinerne Schafskopf

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Er hatte es getan, und es fühlte sich richtig an. Ihm war, als ob er aus einem langen Schlaf erwacht war. Hugo Söder war tot. Endlich! Obwohl er kurz davor stand in Panik zu geraten, arbeitete er instinktiv weiter. Er zog den schlaffen Körper zu den noch offenen steinzeitlichen Gräbern, die bald zugeschüttet werden sollten. Ein Hochgefühl durchströmte ihn, als er daran dachte, wie Söder ihm vorhin noch erklärt hatte, dass die Archäologen das gesamte Gräberfeld wieder mit Erde bedecken würden. Und jetzt auch, ohne es zu wissen, Hugo Söder. Keine verräterischen Grabspuren und keine Plackerei. Einige Gräber waren schon gefüllt. Er stemmte den Körper hoch und stieß Söder in die fast ein Meter tiefe Grube. Dies hatte er sich soeben genau überlegt und für besser gefunden, als den Körper über die bröckelige Kante zu schieben. Das hätte Spuren hinterlassen. Nun war nichts zu sehen. Das Adrenalin, dass durch seine Adern pumpte, seit er Söder niedergeschlagen hatte, schickte weiterhin mehr Blut als sonst in sein Gehirn. Er fühlte sich jung und frei wie seit langem nicht mehr. Dass er nicht hinsah, worauf Söder fiel, war nicht das einzige Unglück. Ein lautes Knacken. Er achtete nicht darauf, nahm die mitgebrachte Schaufel und füllte das freigelegte Grab, bis er nicht mehr konnte. Niemals würde man Söder finden. Niemals würde man ihn festnehmen. Alles war gut. Dachte er, der keine Ahnung von Archäologie hatte. Er, der leider von gar nichts mehr Ahnung hatte.

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Als Student Mark Blum am Grab mit der Nummer sechsundfünfzig stand, starrte er fassungslos auf die Grube vor sich, dann zu seinen Kollegen, die sich an ihren Gräbern schon zu schaffen machten.

„Welcher Aso war das?“, schrie er. Alle schauten verständnislos. „Das ist kein Spaß mehr!“

Im Nu war die gesamte Grabungsmannschaft und Dr. Lars Eugen um ihn versammelt. Der Leiter versenkte einen strengen Blick in jedes Augenpaar.

„Mark hat Recht. Das geht über Spaß hinaus. Also, wer gibt es freiwillig zu?“

Niemand rührte sich. Eugen nickte.

„Gut! Dann soll es so sein. Alle hierher und das Grab frei schaufeln!“

Es gab Gemurre, dann Geschrei. Der Anblick von Knochen oder bleichen Schädeln mit Haaren schockt einen Archäologen nicht. Hugo Söders Leiche mit Kleidung, Fleisch und Blut rief jedoch Brechreize hervor. Dann kamen sie schnell: Polizei, Arzt, Spurensicherung und Kommissarin Agnes Sauter.

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Er hörte seinen Sohn rufen. Der arme Junge, ausgerechnet jetzt von diesem Luder verlassen zu werden.

„Hast du schon gehört? Söder ist tot, ermordet.“

„Na, endlich trifft es mal den Richtigen“, kam ihm leise über die Lippen. Dennoch schien ihm, als ob Söder noch aus dem Grab ihn auslachte.

„Du arrogantes Schwein!“, schrie er das Bild in seinem Kopf an und sah nicht mehr seinen Sohn. „Du bist tot!“, rief er dem Bild entgegen und strahlte. „Gut! Endlich!“ Jetzt war sein Junge ein gemachter Mann. Denn nach dem Gesetz war der Junge noch der Mann dieses Weibes und damit auch Erbe des Söder-Vermögens. Jetzt fiel dem Jungen auch mal was in den Schoß. Hatte er sich das nicht so gedacht? Gerne hätte er Söder den Schädel eingeschlagen. Hatte er das nicht? Nie wieder dieses süffisante Söder-Grinsen, wenn der ihm mal wieder einen prächtigen Hammel vor der Nase weg kaufte oder Land zugeteilt bekam, für das eigentlich er sich beworben hatte. Er ging stets leer aus, musste sich mit den Brosamen bekommen. Damit war es jetzt vorbei.

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„Hugo Söder lebte also noch nach dem Schlag auf den Kopf?“, fragte Kommissarin Sauter den Gerichtsmediziner. „Erst der Sturz in das Grab brach ihm das Genick, vielmehr der Sturz auf den steinernen Schafskopf. Ist das richtig?“

Das wurde bestätigt.

Sie erwähnte nicht die ermüdenden Gespräche mit den Archäologen, die ihr im besten Fachkirgisisch verständlich machen wollten, wie einzigartig und wertvoll solche steinernen Schafsköpfe wären. Sie sagte ihm ebenfalls nicht, wie die Vergangenheitsforscher in jedem zweiten Satz betonten, dass die Schafzucht eine Jahrtausende alte Tradition in der Gegend wäre. Nicht von ungefähr hatte die Grabung auf Söders Land den Toten bekannt gemacht.

Die Spurensicherung fand nur ein paar Schleifspuren und dazugehörige verwischte Abtritte.

„Dem Abstand der Tritte zufolge war der Angreifer nicht größer als 1,75m. Ein flacher gebogener Gegenstand, ich tippe auf Schaufel“, sagte der Gerichtsmediziner. „Von hinten. Söder sah den Angreifer nicht oder hat ihm den Rücken zugedreht. Der Schlag auf den Kopf muss einige Zeit vor dem tödlichen Sturz erfolgt sein.“

„Das deckt sich mit den Spuren“, meinte Sauter. „Die Schleifspuren gehen bis an einen Feldweg. Keine verwertbaren Reifenspuren. Vielleicht eine Entführung mit Todesfolge.“

„Möglich. Der Schlag war präzise ausgeführt, der Tod gewollt.“

„Ich schätze der Täter wollte töten und brachte den bewusstlosen Söder mit seinem Auto zur Grabung, um die Leiche für immer verschwinden zu lassen. Nur hat er Söder ins falsche Grab gestoßen, eins das gerade frisch ausgegraben war. Aber wir haben keine Autoreifenspuren gefunden. Überall gibt es nur Spuren diverser Schubkarren der Grabungsmannschaft.“

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Er blickte dem Jungen hinterher, wie er ins Auto stieg und fortfuhr. Gut! Komisch hatte der schon geguckt. Er würde schon noch verstehen, später. Mit dem vielen Geld konnte sich der Junge jede gute Frau leisten. Eine, die ihm Enkel schenken würde. So, wie es sich gehörte. Dieses Luder hatte dies doch nie im Sinn gehabt.

Er rieb sich die Hände. Söder hatte doppelt so viele Schafe, die jetzt alle ihm gehörten. Nun würden die anderen Züchter zu ihm kommen, würden ihm die besten Hammel verkaufen, würden ihm bestes Weideland zuteilen. Diese Archäologen würde er vertreiben. Wenn doch endlich alles wieder zugedeckt war und die Schafe grasen konnten.

Minuten später blickte er aus dem Fenster auf seinen verlassenen Hof. Was hatte der Junge vorhin gesagt? War wohl nicht so wichtig gewesen.

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Kommissarin Sauter folgte Margit Schmidt, ehemals Harms, geborene Söder ins Wohnzimmer. Söders Tochter bat die Kommissarin Platz zu nehmen.

„Hatte Ihr Vater Feinde?“

„Nur meinen Ex-Schwiegervater. Otto Harms. Beide waren Schafzüchter und Nachbarn. Während mein Vater vor sechs Jahren alles verkauft hatte, machte der alte Harms weiter. Hatte aber nie ein Händchen dafür gehabt. Hat den Hof in den Ruin getrieben und Gunnar musste in die Fabrik, nein, Gunnar wollte dort arbeiten. Er wollte nie was mit Schafen zu tun haben. Ich glaube, der alte Harms hatte immer unseren Hof haben wollen, war neidisch auf alles, was Vater aus dem Hof gemacht hatte. Der war ganz schön berechnend. Als Gunnar und ich heirateten, wollte er einen Tag nach der Trauung meinem Vater sagen, wie alles nun geführt werden müsse. Vater hat ihn weggescheucht und Gunnar war es peinlich gewesen. Otto Harms hat stets meinem Vater die Schuld an seinem eigenen Versagen gegeben. Und als Gunnar mich wegen einer Achtzehnjährigen verließ, brach für den Alten alles auseinander. Vor vier Jahren habe ich wieder geheiratet. Der Otto ist nie darüber hinweggekommen, dass Gunnar weder Schafzüchter werden wollte noch den Hof übernahm, dass er von mir oder von Gunnars neuer Frau keine Enkel bekam. Jetzt bin ich an allem Schuld. Der Arme ist alt und senil. Gunnar wird ihn ins Altersheim bringen. Seine Frau will das.“

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Er war wütend geworden. Plötzlich. Fürchterlich wütend. Archäologenpack. Diebe. Machten die ganze Wiese kaputt, die nun seinem Jungen gehörte. Die hatten nirgendwo rumzubuddeln. Am besten er erledigte die. Das war Notwehr. Die waren auf seinem Besitz. Sein Junge hatte genug um die Ohren, musste nun beide Höfe führen. Wieso musste das Söder-Luder ihn auch gerade jetzt verlassen. Wo war noch mal das Gewehr? Er hatte doch eins.

Er suchte in den Schränken, unterm Bett, in Truhen. Vergeblich. Am besten er wartete auf seinen Nachbarn Söder. Der musste doch mal wieder vorbeischauen. Der war nun schon seit Tagen nicht mehr da gewesen. Der hatte bestimmt ein Gewehr.

Minuten später hatte er wieder vergessen, was er gesucht hatte. Die Krankheit verschlimmerte sich nun von Tag zu Tag.

Als er die Polizeiwagen im Hof sah, freute er sich über den Besuch. Er, der sonst stets allein war, mit sich und seinen unerfüllten Wünschen.

Ende

Diese Kurzgeschichte können Sie gedruckt im Taschenbuch LESUMIS, Erzählband 1, erhalten:

ISBN 978-3-7467-1456-1

Auf den [Jack] Pott gesetzt & Der Steinerne Schafskopf

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