Читать книгу Die Tote im Heidbergbad - Ingo M Schaefer - Страница 6

1

Оглавление

Die Ratte nagte an einem Finger, den ein dicker goldener Ring zierte. Der Nager schaute mich an, jederzeit bereit mit Finger und Ring abzuhauen.

Mein Urlaubstag sollte also nicht mit Fisch und Brötchen beginnen.

Der kleine Weg, den ich geradelt war, führte am verrosteten Zaun des ehemaligen Heidbergbades entlang bis zu einer scharfen Kurve. Seit ich denken konnte, roch ich hier Abwasser, hielt die Luft an und fuhr schnell weiter. In dem Moment hatte ich die Ratte gesehen, stoppte, ließ das Rad fallen und jagte dem jetzt fliehenden Flohhotel hinterher - tief atmend. Das Tier verschwand in einem der Tunnel der Ihle, dem trennenden Bach der Bremer Ortsteile Lesum und Burgdamm. Den Finger bekam ich nicht. Dafür hob ich den Ring auf.

Der Siegelring zeigte ein Wappen: Drei Türme. Ich wickelte das massive, geradezu museale Schmuckstück in mein Taschentuch.

Zurück am Fahrrad schaute ich auf das seit Jahren sich selbst überlassene Gelände, woher die Ratte anscheinend gekommen war. Ein Riss durchbrach den Maschendrahtzaun, der drei Seiten des großen Areals eingrenzte. Eine betonierte Fläche mit einem Basketballkorb dämmte den Wachstumswillen der Natur. Man ahnte zwei Plätze für Beach-Volleyball. Zerfetzte Netze hingen zwischen Pfosten. Weder eine teure Rutsche noch diese nutzlosen Investitionen hatten das Freibad vor der Schließung bewahren können. Rechts durchbrach das leere Schwimmbecken wie ein Fremdkörper die wuchernde Vegetation. Angewehter Schmutz hatte verschiedenen Pflanzen Nahrung und Halt auf dem Betonboden verschafft. Mit einer drei Meter hohen Kachelklippe schien dieser überdimensionale Tümpel in Lesum in einer anderen, einer alten unberührten Welt zu liegen. Den Grund des Beckens konnte ich von meiner Position nicht erkennen.

Ein menschlicher Finger im Maul einer Ratte, die vom verwilderten Heidbergbad kam. Ab da sollte jeder Bürger die Polizei anrufen. Verdacht auf ein Kapitalverbrechen. Sollte! Ich bekam diese Anrufe.

Das Loch im Zaun war groß genug und ich schlüpfte hindurch.

Hohes Gras, emporstrebende Bäume und kleinere Büsche durchsetzten die frühere Spielwiese. Das schmale Flüsschen trennte das steppenähnliche Gelände von Buschlandschaft mit Schwimmbecken.

Ganz früher hatte sich das Wasser der Ihle zum Klostermühlenteich angesammelt, aus dem dann nach dem Krieg das Heidbergbad entstanden war. Ich schaute mich um, suchte den Körper zu dem Finger im Rattenmaul. Ich überquerte die Wiese und ging zu einer der zwei Brücken, die beide Areale - ehemaliges Schwimmbecken und Liegewiese – verbanden. Im Norden, der vierten Seite, schirmte ein hoher Holzzaun und dichtes Buschwerk das Spekulationsgelände ab. Dahinter flitzten Autos und Busse über den Lesumer Schnellweg oder auf Straßendeutsch - die A270.

Eine tote Frau lag mit dem Kopf nach unten im Nichtschwimmerbereich. Jetzt gab es kein Aufschieben mehr. Ich rief Marga an.

„Hm, du bist gerade los. Du kannst also nicht mehr als 400 Meter Luftlinie von mir weg sein.“ Genaugenommen war ich näher. Ich konnte unser Haus wegen des hohen Blätterwaldes nicht sehen. „Und du rufst mich an? Jetzt? Das kann doch nicht wahr sein. Du hast Urlaub! Hallooo!“

Ich liebe Marga. Wir sind seit 25 Jahren zusammen. Sie war damals neunzehn, ich zwanzig. Ohne sie wüsste ich wohl nicht, was Urlaub ist.

„Ich stehe im Heidbergbad und betrachte eine Leiche im Schwimmbecken. Ich melde mich, wenn ich bei FischJäger bin. Jetzt rufe ich die Kollegen!“, sagte ich einfach. Sie ist die Frau eines Polizisten. Sie kennt das. Wir legten auf.

2

Ich bin Leiter der K007, auch Bremer Mordkommission genannt.

Während ich wartete, blickte ich hinüber zu den alten verwahrlosten Flachgebäuden. Das Badleiterhaus stand auf einer Anhöhe, daneben die Umkleiden und Toiletten. Meterhohe Eschen verwehrten mir einen Überblick. Ich sah keine Fußspuren.

Der Trubel stellte sich nach einer dreiviertel Stunde ein. Bereitschaftspolizisten sicherten den Zaun, vor dem bereits ein paar Rentner Abwechslung in ihren Trott brachten. Herein kamen nur die Leute, die nicht gaffen, sondern arbeiten wollten: Einsatzleitung, Rechtsmedizin, Fotograf, Spurensicherung oder einfach Spurg.

Ich winkte den Chef der Fadenzähler herbei.

Yannick Helmke baute sich vor mir auf. Groß, schlank und schlecht gelaunt.

Der Laborchef. Wir kannten uns seit dreißig Jahren. Wir waren damals gemeinsam zur Schule gegangen. Während er mit Chemie- und anderen Baukästen regelmäßig sein Zimmer demoliert hatte, war ich mehr daran interessiert gewesen, Handball zu spielen und vor bestimmten Mädchen eine Show hinzulegen. Als seine und meine Schwester, die, wie Yannick und ich, gleich alt waren, mal von einer Jungenbande ausgeraubt worden waren, kamen wir zusammen und wurden ein unschlagbares Team. Dann trennten sich die Wege, bis wir uns in der Polizeikantine begegneten. Ich, ein junger unerfahrener Kriminalmeister, und er, Labortechniker auf Probe. Er war nun der Albus Dumbledore der Spurensicherung und wusste das.

„Moin, Meister Helmke!“, rief ich. Yannicks Mundwinkel wurden unwiderstehlich Opfer der Schwerkraft. „Ich war gerade auf dem Weg zu FischJäger.“ Ich fasste die Begegnung mit der Ratte kurz zusammen, öffnete mein Taschentuch und zeigte ihm den Siegelring. Er schob Tuch und Ring in eine Plastikhülle und beschriftete sie nach meinen Angaben. Fundort: Gehweg Am Heidbergstift, Lesum, Bremen-Nord, 29.6.2009, Uhrzeit: 9:37, Herkunft: unbekannt, Fund: goldener Siegelring.

Er drehte sich ohne bisher zu antworten zur Pathologin und deren Helfer, die den Leichnam vorsichtig herumdrehten und später den schlaffen Körper aus dem knietiefen Wasser hieven würden.

„FischJäger? Gibt es den immer noch? Na, da wird gerade was anderes gefischt. Scheint nicht geräuchert zu sein.“ Es war seine Art mit Tragödien anderer umzugehen. Yannicks Mund bewegte sich kaum, dennoch war er gut zu hören. Er verabschiedete sich nicht, ging einfach zu einer Mitarbeiterin, die dabei war, den Boden abzusuchen. Jeden prüfen und alles zweimal, war seine Natur.

Schon wollte ich zum Leichnam gehen, da sah ich meine Leute kommen.

Sie gingen nebeneinander, als wollten sie sich gegenseitig schützen, als durfte niemand an ihnen vorbei gehen. Auf diesem weiten Gelände fand ich das deplaziert, dennoch war es allemal ein starker Auftritt gegenüber den anderen. Außen rechts ging Markus Stenhagen, mein Mann fürs Grobe, aber auch mein bester Verhörspezialist. Außen links tapste Chico Laurentis daher. Niemand konnte ihn abhängen. Er war die Klette. Warum sie außen gingen, konnte ich nicht sagen. Neben Stenhagen ging Rita Hornung und neben ihr federte Frederike Talmann heran. Sie fanden jeden dunklen Fleck eines Menschen heraus. Alle vier waren Wühlmäuse, Computerspezialisten und Psychologen in einem, die heutigen normalen Anforderungen an Kriminalbeamte.

Ich berichtete ihnen ausführlich und schickte sie los. Rita und Markus sollten Klinken putzen und die Nachbarschaft befragen. Chico und Frederike sollten hier bleiben. Wir gingen zur Gerichtsmedizinerin, der sich Mr. Fährtenleser zugesellt hatte.

3

Dr. Sonja Marker war eine sehr gründliche Pathologin und hübsch dazu. Leider. Die Kollegen hörten ihr nie richtig zu, sondern glotzten mehr. Aber sie hatte gelernt, sich vernünftig auszudrücken, und das blieb dann hängen.

Der Wasserleiche fehlten mal nicht die Augen, was wohl an mangelnden Räubern im Wasser lag. Mich wunderte, dass der Körper nicht von Vögeln zerstückelt war. Eine Frau, bestimmt mal hübsch, jung, wenn man Wasser, Schmutz und Verwesung wegdachte. Die Löcher im Oberkörper ließen mich nicht an der Todesursache zweifeln. Ich überließ Dr. Marker das Feld.

„Der Tod liegt länger zurück, vielleicht zwei bis vier Monate. Mehrere Perforationen haben sie getroffen. Zwei davon das Herz. Die waren tödlich. Am Hinterkopf ist ein Bruch. Wie immer, genaueres kann ich erst nach gründlicher Untersuchung sagen. Haben Sie bitte die Güte, die Kleidung zu untersuchen.“ Sie lächelte Yannick an.

Die Tote trug ein Sommerkleid mit Taschen, keine Strümpfe. Die Pumps trieben in der Nähe.

Yannick kniete nieder, tastete die Taschen ab. Das war sein Job. Schon wollte er den Kopf schütteln, als er innehielt. Im Kleid war innen eine Falz eingenäht. Zu klein für eine Brieftasche war sie groß genug für eine Scheckkarte.

„Maria Hogen, Burgdamm“, las mein Jugendfreund vor und hielt mir den Bildausweis hin.

Ich zog mir Handschuhe über und nahm das Plastik entgegen. Das Bild zeigte eine hübsche Frau, die mit der Toten bedingt Ähnlichkeit hatte. Nach zwei Monaten Wasser ähnelte niemand mehr seinem Bewerbungsfoto. Welche Geheimnisse verbarg sie, die zu ihrem Tod geführt hatten?

Während wir zusahen, wie Dr. Marker und ihr Mitarbeiter an dem Leichnam weitere Untersuchungen durchführten, nuschelte Helmke:

„Ich sehe zehn Finger. Woher zum Teufel kommt dann der Ring?“

Inzwischen war ich mir gar nicht mehr sicher, einen angenagten Finger gesehen zu haben. War er mehr Knochen als Fleisch gewesen? Ich zuckte die Achseln und blickte mich um. Das Gelände müsste gründlich nach der Tatwaffe abgesucht werden, wenn ich genug Leute gehabt hätte, wenn die Spurg genug Leute gehabt hätte.

„Mach erst mal das Notwendigste und vergiss den Ring fürs erste“, wies ich ihn an.

„Wo ein Finger ist, liegt mehr“, meinte Yannick, ging und suchte mit seinen Leuten die nähere Umgebung ab. Warum suchte sich der Mörder einen solchen Tatort aus?

Ich ging ihm hinterher.

„Sag mal, gibt es hier überhaupt Spuren, wenn das zwei bis vier Monate her ist?“

Er schüttelte den Kopf. Wir standen am südlichen Ende des Beckens in Richtung ehemaliger Ausgang. Er deutete dorthin.

„Von dort kann man nicht aufs Gelände gelangen. Nur wenn man weiß, dass hinter dem Bademeisterhaus ein Weg ist. Ist schwierig zu finden. Dann der Riss im Zaun. Da bleibt keine Spur über diesen Zeitraum erhalten.“

Ich nickte. Vom Durchgang zwischen Bademeisterhaus und Umkleiden wusste man, wenn man hier aufgewachsen war und das Heidbergbad im Sommer genutzt hatte.

„Jemand hat sie also hierher gelockt. Danke!“ Hier war für uns nichts mehr zu tun. Jede kleine Spur würde Yannick finden. Ich schickte Chico und Frederike ins Büro. Ich hatte Urlaub.

„Ich bin gleich bei FischJäger“, rief ich freudig ins Telefon.

„Hm, und? Frühstückszeit ist vorbei“, grummelte Marga.

„Fisch ohne Brötchen?“

„Bring Heringssalat mit, dann sind die Kartoffeln fertig“, sagte Marga, die Persephone des Herdes.

4

Chico rief mich an. Maria Hogen war verheiratet. Der Mann, Tobias Hogen, vermisste sie laut Polizei seit dem 1. Mai. Markus und Rita fanden ihn zu Hause nicht vor. Nachbarn erwähnten Herr Hogen würde morgen von einer Geschäftsreise wieder kommen. Eine Telefonnummer hatten die Nachbarn nicht. Perfekt. Der erste Tatverdächtige. Im Zweifel war es immer der Ehepartner, nicht wahr! Seit man jedenfalls den TV-Serien glaubte, und die Gärtner Artenschutz beantragen mussten.

Ich fuhr direkt in die Gerichtsmedizin. Frederike stand pflichtbewusst mit käsigem Gesicht neben Dr. Marker. Ein Polizist muss bei jeder Obduktion dabei sein. Ich schickte sie nach Hause. Obduktionen standen nicht auf ihrer Like-Liste.

Der gewaschene Leichnam lag auf dem Stahltisch zur Untersuchung bereit. Dr. Marker nickte mir nur kurz zu, während sie weiter ins hängende Mikrofon sprach.

„...außer den Eintrittswunden und der Schädelfraktur mehrere äußere sichtbare Verletzungen.“ Sie kämmte vorsichtig das Haar, wobei kleine Partikel in eine Schale fielen. Selbst ich sah, dass die Fingernägel sauber waren. Dr. Marker schnitt die Nägel ab und sammelte sie in einer beschrifteten Tüte. Jede Untersuchung läuft nach demselben Schema ab, Blutentnahmen, was in diesem Fall schwierig war, weil die Leiche mit offenen Wunden tagelang im Wasser gelegen hatte, Organe entfernen, Identifikationsmerkmale bestimmen...

„Was Spannendes zu sehen?“ versuchte ich die Stimmung zu heben. Frau Doktor reagierte nicht und arbeitete ihre Liste ab, Punkt für Punkt.

„Freitag, der 29.7.2009, Zeit 18:46 Uhr, Ende der Obduktion, Durchführung Dr. Sonja Marker. Bitte Bestätigung durch Hauptkommissar Karl Nagel - laut und deutlich.“

Sie machte das immer so. Erst wenn ich laut das Okay ins Mikrophon brüllte, gab sie mir Funde für die Spurg. Wie ich sagte, eine sehr gründliche Pathologin.

Sie hielt mir drei kleine beschriftete Dosen hin sowie Stift und Empfangsblock. Ich unterschrieb das Ende meines Urlaubs.

„Im Wundkanal lagen Späne, pflanzlich auf den ersten Blick. Ein spitzer Stab oder ein Rohr, ein Zentimeter im Durchmesser, könnte die Mordwaffe sein.“

Ich dankte ihr und verließ etwas zuversichtlicher gelaunt die kalten Kellerräume. Ich musste noch auf die einwandfreie Identifizierung durch Zähne und DNA der Vermisstenanzeige warten.

Ich fuhr ins Reich der Spurg, traf dort aber niemanden. Ich rief Yannick an.

„Es ist warm. Es ist hell. Es ist windstill. Es ist Lesumer Sommer. Wir haben nicht mal ein Viertel geschafft. Alle musste ich hierher beordern.“ Er verstand es glänzend, mir ein schlechtes Gewissen einzureden. „Bring die Dosen her. Ich muss dir was zeigen!“ Er unterbrach die Verbindung. Warum sich verabschieden, wenn man sich traf.

5

Mittlerweile hatte Yannicks Team den sonst versteckten Eingang von Gestrüpp befreit. Eine Wache stand davor und nickte mir zu. Als ich am Badleiterhaus vorbeiging, erinnerte ich mich an damals. Das Heidbergbad hatte nicht nur zwei Stadtteile, sondern mehr Generationen vereint als jeder Jahrmarkt. Früher liefen, sprangen und flanierten nackte Füße, groß und klein, auf dem samtenen Rasenteppich. Kleinkinder kletterten sandbeschmiert auf dem hölzernen Spielgerüst im überdimensionalen Sandkasten herum. Jetzt stand der Leiter der atmenden Wegwerf-Overalls - auffallend viele - auf einer Seite des ehemaligen Gerüsts. Abgebrochene Holzpfeiler zeigten, wo das Gerüst gestanden hatte. Ich blieb auf der gegenüberliegenden Seite stehen. Helmke zeigte ein Kindergesicht, das Weihnachten und Ostern gerade wiederholen ließ. Das kam selten genug vor. Yannick bemerkte meinen Blick zu den vielen Mitarbeitern.

„Das hier ist unberührtes Gebiet“, rief er begeistert, als ob ich zweihundert Meter weit weg wäre. Er zielte mit dem Zeigefinger auf den Sand. „Gerade wächst eine dünne Humusschicht heran. Beste Schulungsbedingungen. Damit du verstehst, womit wir es hier zu tun haben. Nach Schließung des Bades entstand hier eine einmalige Situation. Die Wiedereroberung der Natur wie sie vor 10.000 Jahren nach Ende der Eiszeit stattfand. Derselbe Prozess findet hier im Kleinen statt.“

Er machte eine allumfassende Geste, als ob er dafür verantwortlich war. Ein feiner, zarter Belag bedeckte den Sand. Das sah ich jetzt auch. Die Hände meines Freundes zeigten abrupt in eine Richtung, so dass ich in der hinteren Ecke den Fußabdruck sehen musste. Die Bruchkanten schienen für mich recht scharf zu sein.

„Der Abdruck ist vom Täter?“, fragte ich schnell.

Der Zeus der Spurensicherung verzog sauertöpfisch das Gesicht.

„Wenn du mich ausreden lassen würdest, könntest du dir die Frage selbst beantworten. Wir könnten den gesamten Fußabdruck mit dem Sand in einem Schutzkasten ausheben. Wir müssten die Humusschicht genau untersuchen, das Wachstum feststellen, um herauszufinden, seit wann sich eine neue Humusschicht auf dem Abdruck zu bilden beginnt. Die Untersuchung wird sehr lange dauern. Genehmigst du das?“

„Nein!“, beendete ich seine Hoffnung auf eine weitere wissenschaftliche Veröffentlichung. Das fehlte noch, dass die sich jetzt im Labor verkrochen und Wurzeln unterm Mikroskop zählten. Ich hatte aber nur die Hälfte verstanden und Halbwissen war gefährlich. „Ist dieser Fußabdruck jetzt alt oder nicht?“

Für einen Moment öffnete sich Yannicks Mund, um sofort wieder geschlossen zu werden. Dann holte er tief Luft.

„Okay, stell dir einen Sandkasten vor. Hast du das?“

Jetzt musste ich das Baby spielen. Ich nickte.

„Ständig laufen Kinder darüber. Da kann nichts wachsen. Mit diesem Bild kannst du dir vorstellen, was die Gletscher damals gemacht haben. Auf dem Grund war nur Sand, darüber lagen Gletscher. Dazwischen konnte nichts wachsen. Verstanden?“

„Begriffen.“

„Eis ist weg. In der Luft fliegen Sporen, Samen und kleine Organismen. Die siedeln auf dem Sand. Keine Füße, keine Gletscher, die etwas kaputtmachen können. Ja?“

Ich nickte.

„Schicht auf Schicht baut sich auf. Flechten, Pilze, Bakterien kommen. So entsteht ganz langsam eine lebendige Schicht, die den Sand bedeckt. Hast du das?“

„Ja!“ gab ich zu. Das hatte ich wirklich begriffen.

„Das ist, was du als Humusboden bezeichnest. Das dauert Jahrzehnte, Jahrtausende. Je dünner die Schicht, um so jünger ist sie. Die Büsche und Wiesen hier wachsen auf einer dicken fetten Humusschicht. Darunter ist auch nur blanker Sand, Lehm oder Fels. Kapiert?“ Er genoss es gar nicht, wie ich gedacht hatte.

„Ja!“

„Seit der Schließung bildete sich auf dem Sand eine Humusschicht. Ist das angekommen?“

„Ja!“

„Das sind fünf Jahre Wachstum eines Humusboden. In dieser Zeit ist jemand dort hineingetreten. Aber wir können das nicht eingrenzen. Jetzt klar?“

„Alles klar! Wenn sich auf dem Fußabdruck ebenfalls eine neue Humusschicht gebildet hätte, muss man in Jahrzehnten, nicht in Monaten rechnen. Kenn´ ich von zu Hause. Gut, also das führt zu nix, außer einem deutlichen Gipsabdruck.“ Ich fragte gar nicht erst nach der Tatwaffe. Hätte Yannick sie gefunden, hätte er sie mir als heiligen Gral verkauft. „Stülpe einen Eimer drüber und warte ab. Vielleicht findet Marker an der Leiche doch Hinweise, so dass wir dies hier nicht brauchen. Wenn nicht haben wir was in Petto.“

Mein Handy klingelte. Die Pathologin hatte das Opfer nun einwandfrei identifiziert. Sie war hochgebildet, weil sie komplizierte Sachverhalte mit einfachen Worten erklären konnte. Frau Doktor grenzte den Todeszeitpunkt auf Ende April/Anfang Mai ein. Wir konnten den Ehemann informieren.

6

Frederike und ich standen an der Haustür. Ein kleines gemütliches Haus, hinten wohl ein kleiner Garten. Hans Hogen, 31 Jahre, glattes Gesicht bot uns einen Platz im Wohnzimmer an, der mir Ausblicke auf die Terrasse und den großen langen Garten gewährte. Die Wohnung zeigte Vernachlässigung. Staubflusen, groß wie Ostereier, lagen auf dem Laminatboden. Der Garten wucherte zu wie der Tatort. Die Terrassenplatten moosten vor sich hin. Gräser in den Fugen grenzten das Moos quadratisch ein.

Hogen machte den geschockten Ehemann, der nach langer Warterei endlich Gewissheit hatte.

Chico und die anderen befragten Nachbarn. Der Kaufmann kleidete sich teuer. Boss-Jeans und Lacoste-Hemd. Schein und Sein. Der Gedanke schoss mir ohne sichtlichen Grund durch den Kopf. Fotos zeigten ihn und seine Frau. Sie war in der Registratur tätig gewesen. Modelkarriere hätte auch geklappt nach Meinung meiner natürlich völlig neidlosen Mitarbeiterin. Ich hatte drei Worte: Knochen statt Frau. Die jungen Hähne heute wollten das wohl so. Meine Marga hatte Traummaße nach 25 Ehejahren, Beruf und zwei Kindern. Meine Traummaße.

Das Gespräch mit dem Witwer brachte zu diesem Zeitpunkt wie erwartet wenig. Nie sei er nach der Schließung auf dem Gelände des Freibades gewesen. Sei ja Privatbesitz. Glücklich, toll, super, perfekt sei die Ehe gewesen. Ich hörte Werbung wie auswendig gelernt. Verpackung und wenig Inhalt. Perfekte Ehen erleben silberne, goldene oder eiserne Tage, wollte ich sagen, behielt ich dann doch für mich. Ich hätte Frederike, die ihre Trennung gerade glücklich verdaut hatte, möglicherweise gekränkt.

Jemand hatte eine junge hübsche Frau hinterrücks an einem verlassenen Ort mitten in Lesum ermordet. Sie hatte der Person vertraut. Warum ein verwilderter Treffpunkt? Ein sexuelles Abenteuer?

Perfekte Beziehung.

Marga und ich waren nicht perfekt. Wir liebten uns, hörten einander zu, waren füreinander da, arbeiteten hart an unseren Streitgesprächen. Perfektion sah nach der undefinierbaren Gesellschaftsmeinung unseres Lieblingsverdächtigen, wir hatten derzeit nur ihn, anders aus.

„ Wir müssen das leider fragen“, heuchelte Frederike weibliches Mitfühlen. „Wo waren sie Ende April und Anfang Mai, Herr Hogen?“

„Verdächtigen Sie etwa mich?“, schnappte der Witwer los. „Ich habe gute Freunde im Präsidium. Das wird ein Nachspiel haben. Das ist doch unglaublich! Raus hier!“

Bestens. Er lud uns ein, ihn zu verdächtigen. Da ich derzeit keine Aussicht auf einen Durchsuchungsbefehl hatte, bat ich Yannick bei Hogen vorsorglich Müllabfuhr zu spielen. Er kannte das. Schließlich war das vor Jahren seine Idee gewesen.

7

Am nächsten Morgen trafen wir uns im Büro. Die ersten Berichte der Rechtsmedizin und der Spurg lagen vor. Todesursache war mehrfache Perforation des Herzens und der Lungen. Die Wunden waren scharf eingeschnitten. Die Tatwaffe müsse ein runder Stab mit einer röhrenartigen Spitze sein. Möglicherweise pflanzlichen Ursprungs. Ich dachte an Bambus. Die pflanzlichen Reste aus dem Brustkorb untersuchte man noch. Besonderer Hinweis für die Staatsanwältin: Die Tatwaffe drang zuerst in den Rücken.

Maria Hogen besaß ein Cabrio. Die Suche wurde an alle Streifen durchgegeben, zudem sollten alle Parkhäuser angefragt werden. Die Nachbarn nannten Hans Hogen einen fleißiger Seitenspringer. Alle hatten mit seiner Frau Mitleid gehabt. Am Gericht erfuhr Stenhagen, dass Maria Hogen stets sehr pünktlich ging. Eine Mitarbeiterin gab ihm Namen und Telefonnummer einer Anja Lauckner, die neben dem Ehemann im Notfall zu benachrichtigen war. Rita besprach eine digitale Anrufbox.

Doktor Marker rief wieder an. Sie schien bester Laune zu sein. Sie sprach von Eile und beginnender Auktion, wolle noch schnell die Ergebnisse einiger Untersuchungen durchgeben. Frau Hogen war nicht vergewaltigt worden. Zum Ersten. Die Mordwaffe musste definitiv ein scharfes Rohr gewesen sein. Zum Zweiten. Es gab keine Abwehrverletzungen. Zum Dritten. Klick.

Yannick meldete sich. Der Tatort war gefunden. Auf dem Plattenweg am Beckenrand in der Nähe der Leiche konnten Blutspuren gefunden werden. Die Tatwaffe fand er nicht. Die Leiche hätte unbeachtet bis zur Bebauung liegen können. Der Bereich des Beckens sei durch das hohe Buschwerk aus allen Perspektiven möglicher Spaziergänger nicht einsehbar. Ich hätte die Leiche nur gefunden, weil ich auf das Gelände gegangen war. Wir hatten nichts, um einen Durchsuchungsbefehl zu erhoffen. Da Helmke noch am Telefon war, wollte ich nebenbei die Pflanzenreste aus dem Brustkorb erwähnen.

„Sag mal, altes Haus“, begann ich vorsichtig.

„Nein, ich habe die Reste noch nicht untersuchen können!“ Er legte auf.

Hogen schien geahnt zu haben, dass ich komme. Kooperativ war er nicht. Meine Fragen waren belanglos.

Wann zum letzten Mal gesehen?

„30. April.“

Welchen Eindruck machte ihre Frau auf sie?

„Wie immer.“

Probleme auf der Arbeit?

„Die und arbeiten, haha, dass ich nicht lache.“ Hogen verlor seine Maske und wurde fast sympathisch.

„Wissen Sie, wo das Cabrio ihrer Frau ist?“, wollte ich wissen.

„Vielleicht hätte man diese Frage vor zwei Monaten stellen müssen. Hat man aber nicht“, blaffte er.

„Ist der Schlüssel hier?“

„Nein.“

„Kennen Sie eine Anja Lauckner?“

„Nur dem Namen nach. Maria hat sie nie vorgestellt.“

Ich ging zur Tür. Kurz bevor meine Hand die Klinke erreichte, konnte ich mir nicht verkneifen, mich umzudrehen, und ärgerte mich ohne Zigarrenstummel dazustehen.

„Hatten Sie mal einen Gärtner?“

„Nein, das war Maria.“

8

Ich musste Druck auf Helmke machen und rief ihn an. Ich brauchte den Durchsuchungsbefehl. Bevor ich hallo sagen konnte, brüllte er:

„Ich hab es gerade unterm Mikroskop.“ Er wurde leiser. „Das ist nicht hundertprozentig zuzuordnen. Ich tendiere zwischen Sasa kurilensis, da passt das mit dem Durchmesser, dicker wird der nicht, und Sasa palmata. Das sind Bambusarten!“, fügte er belehrend hinzu.

„Welcher eignet sich am besten, so ein Loch zu machen?“

„Beide. In Asien sind Messer und Speere aus Bambus scharf wie unsere Messer. Das liegt an der Härte und Rohrstabilität der Pflanze. Ein Bambusrohr, dass scharf angeschnitten ist, kann mühelos einen menschlichen Körper durchdringen. Ein bisschen Kraft ist natürlich nötig.“

„Welcher Bambus ist häufiger?“

„Palmata, wächst wie Unkraut und schnell, auch bei ungünstigem Klima.“

„Gibt es auf dem Gelände des Bades oder in der Umgebung diesen Bambus?“

„Ich habe nichts gesehen.“

„Ist Sasa kurilensis auch so häufig?“ Ich sagte es, ohne zu stottern.

„Nein, ein seltener Bambus, wie der Name schon sagt.“ In solchen Momenten konnte ich ihn ohrfeigen. Als ob er nicht wüsste, dass er in Latein bei mir abgeschrieben hatte, und dass der Name nichts über die Seltenheit einer Art aussagte. „Durchmesser höchstens zwei Zentimeter, gehört zum Zwergzierbambus. Quasi ein Mini Bambus. Sehr aggressiv wie jeder Bambus.“

„Begründe das“, sagte ich einfach.

„Wenn man Bambus in seinen Garten pflanzen möchte, tut man gut daran, eine Eisenwand ungefähr einen Meter tief als Mantel im Erdreich zu versenken. Stahl oder Eisen, auf keinen Fall Keramik oder Beton oder noch dümmer Plastik. Ohne Eisenwand wäre der Bambus nach einem Jahr im gesamten Garten. Die Triebe aller Bambusarten wachsen schnell, durchdringen fast alles und nehmen allen anderen Wurzeln und Pflanzen das Wasser und die Nährstoffe. Übrig bleibt Bambus.“

„Hast du Sasa kurilensis in Bremen-Nord schon gesehen?“

„Nein, ich werde mich an Botaniker und an die Ökologiestation Schönebeck wenden. Zudem schicke ich die Probe an einen Bambusspezialisten im BKA. Ich kenne jedenfalls keinen öffentlichen Standort im Land. Allerdings private Gärten, wer weiß, ähem, das musst du überprüfen.“

Ich sah im Geiste, wie er die Schulter zuckte und mitleidlos grinste. ´Hehe, dein Pech, Nagel, klappere alle Gärten und Kleingärten ab, viel Spaß!´

Diesmal legte ich einfach auf.

9

Ein Eisenring hinderte aggressive Triebe in große Erdreichregionen vorzustoßen. Riss man den Bambus heraus, gab es bestimmt noch Reste. Ich rief den Staatsanwalt an. In zehn Minuten hatte ich das Fax. Ich lachte mitleidlos, als ich mir Yannicks Gesicht vorstellte, der noch mal in einen verwilderten Garten abkommandiert wurde.

Er würdigte mich keines Blickes, als er an mir vorbei in den Garten ging, um Bodenproben zu entnehmen. Chico und ich öffneten das kleine Gartenhäuschen. Die Rumpelkammer war wohl zu viel Arbeit für unseren perfekten Kaufmann gewesen. Rohre, Balken, Holzpfeiler, Werkzeug. Mir schien zuerst, niemand sei hier gewesen, seit das Ehepaar eingezogen war. Wir machten Fotos, alle möglichen Detailaufnahmen. Rita, Markus und Frederike befragten den Witwer. Während sie Schubladen durchsuchten, Schränke öffneten und schlossen, wechselten sie sich ab, ihn zu befragen und gleichzeitig genau zu beobachten. Sie würden jedes Zucken und jede Regung in seinem Gesicht erkennen. Als Yannick endlich das Signal gab, dass er durch war, warf ich einen letzten Blick in die Rumpelkammer und verschloss sie. Ich ahnte, dass erst der nächste Hausbesitzer die Tür öffnen würde.

Ich ging als letzter durch die Haustür.

„Vielleicht sollten sie mal den wahren Täter suchen und nicht Unschuldige belästigen,“ höhnte Hogen hinterher.

Ich ließ Chico Gärtnereien anrufen, ob jemand Sasa kurilensis gekauft hatte. Der Vater aller Fingerabdrücke behielt wieder recht, dass es sich um einen seltenen Bambus handeln würde.

Eine perfekte Ehe. Jemand wollte wohl auch den perfekten Mord. Beides gab es nicht.

Ich schickte Markus und Frederike noch mal in die Nachbarschaft rund ums Heidbergbad. Die beiden hatten Modellfotos des Cabrios dabei, ob der Flitzer zur Tatzeit in der Nähe geparkt hätte. Das Cabrio hatte schon einige Sommer hinter sich und würde in dieser Gegend auffallen. War Maria Hogen mit dem Cabrio zum Treffen mit ihrem Mörder gefahren, konnte nur der das Fahrzeug wieder wegfahren. Hans Hogen hatte keinen Zweitschlüssel.

Tatsächlich erinnerte sich ein älteres Ehepaar an das Cabrio. Sie wären nach dem Tanz in den Mai weit nach 1 Uhr nachts daran vorbeigegangen. Auf dem Beifahrersitz wäre eine jüngere Frau gesessen, die rauchte. Maria Hogen erkannten beide nicht.

Rita durchsuchte ohne Ergebnis die Finanzen. Die Freundin war nicht erreichbar. Bestimmt nur Urlaub.

Chico blieb auch in Baumärkten erfolglos. Die Verkäuferinnen, Chicos Gebaren nach sein Alter, versprachen ihm, sich zu melden, ob diese spezielle Bambusart im Sortiment sei. Da müssten sie länger suchen und er müsse wiederkommen. Ich verstand nicht, wie man in Zeiten einer Datenvernetzung diese Information nicht innerhalb von Minuten bekam. Vielleicht wollten sie ihn auch nur zappeln lassen. Ich schickte ihn an den Schreibtisch.

Sicher war ich mir nicht, ob Hans Hogen der Täter war. Wir hatten eine Leiche, die über Monate ausgewaschen wurde. Wir hatten die Vorstellung einer Tatwaffe aus einem Material, das die Vernichtung leicht machte. Einfach Feuer und fort. Yannick hatte uns eindrucksvoll demonstriert, dass ein angespitzter Bambus der Wirkung einer Stahlklinge in nichts nachstand. Wir kannten den Bambus, konnten aber keinen Standort in Lesum oder Bremen-Nord und darüber hinaus in Erfahrung bringen. Die Bodenproben waren negativ. In Hogens Garten wuchs zu keiner Zeit ein Bambus. Wir hatten Hogens Firmensitz überprüft, eine Import-Exportfirma im Kaffeequartier an der Lloydstraße. Im Innenhof stand Bambus in zwei großen Eisenringen eingepfercht. Allerdings war es eine andere Art, ein hoher Bambus Phyllostachys.

10

Ich fuhr zum Baumarkt in der Stader Landstraße und ließ mir Hinnerk holen. Hinnerk war der wahre Obi-wa-kenn-Obi. Er hatte mir damals Gipsplatten ohne Gips verkaufen wollen. Seitdem waren wir beste Freunde, wenn ich seinen Markt betrat. Ich will nicht sagen, dass mir ein roter Teppich vorgelegt wurde, aber wir kamen dem schon nahe. Hinnerk konnte bestens mit der Tastatur umgehen, ansonsten hatte er zwei linke Handwerkerhände, beste Voraussetzungen für einen Baumarkt. Nicht umsonst war er der erfolgreichste Verkäufer weit und breit. Wenn er sprach, glaubte man, er hätte Meisterbriefe in Tischlerei, Malerei und Sanitär sowie eine Masterurkunde in Gartenwissenschaft im Büro hängen. Er hörte mir zu und setzte sich an die Tastatur.

„Ich suche mal die letzten vier, fünf Jahre durch, ob Sasa im Programm war. Phyllostachys, das ist der typische Bambus, alles andere kannste vergessen. Bambus, da kommen alle her, denken an den Film Tiger und Dragon, wie Chun in den Bambuswäldern zwanzig, dreißig Meter hoch umherfliegt. So ein Bambus soll es sein. Keiner will einen Zwergbambus. Sieht doch mickrig aus. Da lachen dich deine Nachbarn aus. Dafür gibt es Bonsai. Die ziehen die Blicke an sich. Habe ich grade im Angebot für einen Spitzenpreis.“ Er zeigte mit dem Arm an mir vorbei.

„Nur Sasa kurilensis, bitte.“ Ich drehte mich nicht um.

„Nur ein kleiner Hinweis an meinen Lieblingspolizisten! Ein kleines Mitbringsel für die werte Gattin! Öffnet so manche T....“ Er räusperte sich, als er meinen Stahlblick sah. „So, da haben wir es schon. Da, vor zwei Jahren hatten wir Sasa kurilensis im Sortiment als Samenmischung mit anderen Bambusarten. Aufnahme ins Sortiment Anfang Februar 2007, ah, das ist interessant. Ende Februar habe ich es wieder aus dem Sortiment genommen.“

„Warum?“

„Was für eine Frage. Wir verdienen unser Geld mit Warenverkauf, nicht mit Warenlagerung. Wir hatten bis Ende Februar nur eine Packung verkauft. Ich habe den Rest an den Großhändler zurückgeschickt.“

„Ich brauche den Namen des Großhändlers, den Kaufbeleg, wenn vielleicht mit Karte bezahlt wurde.“

Hinnerk blickte demonstrativ an mir vorbei. Ich folgte seinem Blick.

„Und so einen verdammten Bonsai!“ Marga würde mir das Ding um die Ohren schlagen.

Hinnerk gratulierte, als wäre mir eine besondere Ehre zuteil geworden, dass er mich wieder übers Ohr gehauen hatte. Ich konnte ihm nie böse sein. Er machte einfach seinen Job.

Mit einer bekannten Adresse und einem Bonsai auf dem Rücksitz fuhr ich vom Parkplatz. Der Mord war lange vorbereitet worden.

11

Mit dem Pflänzchen auf dem Schreibtisch, das einem riesigen Baum ähnelte, den man wie das U-Boot in Die phantastische Reise miniaturisiert hatte, rief ich Yannick an. Diesmal war er hellauf begeistert, weil ich nicht „sofort“ oder „bis gestern“ sagte. Ich betonte, er solle sich Zeit nehmen, viel Zeit. Ich erreichte den Großhändler. Er bestätigte Hinnerks Aussage. Auch ihm, einen Mitfünfziger, hatte der Blick in den PC gereicht. Wieso bekamen die Jungen das nicht hin? Die Samenmischung wäre ein Reinfall gewesen. Sasa kurilensis wolle niemand. Für alle sei Bambus gleich Bambus und der müsse über drei, vier Meter hoch werden.

Nach Rita versuchte ich selbst die Freundin der Toten zu erreichen. Vergeblich. Jetzt mussten wir warten.

„Muss ich deswegen herkommen?“, fragte ich Yannick nach zwei Tagen. Ein neuer Mord war hereingekommen. Die anderen kümmerten sich darum und ich ließ den Leiter der Spurg das Heidbergbad umgraben, verdammt.

„Ja, es muss sein.“ Yannick war seltsam streng. „Vor Ort kann ich dir alles besser erklären.“

Ich fuhr ins ehemalige Freibad.

Yannick und ein Mitarbeiter winkten mich in einen entlegeneren Teil des Wildgeländes heran.

Ohne weitere Worte zeigte Yannick mir im Boden ein Eisenrohr mit zehn Zentimeter Durchmesser. Es war kaum sichtbar, aber der kreisrunde schwarze Erdfleck fiel auf. Frische Erde im Vergleich zur Umgebung mit dichtem Bewuchs.

Ein massiver menschlicher Eingriff.

„Wir werden das als Block herausholen und ins Labor bringen. Ich kann schon mal soviel sagen. Das Rohr ist vor zwei oder mehr Jahren hier eingegraben worden. Die Gartenerde hat der Täter mitgebracht und enthält Triebe verschiedener Bambusarten. Sasa kurilensis ist dabei. Sieht ganz nach dieser Baumarktmischung aus.“

Gut, wir kamen der Beweislage näher.

„Erinnerst du dich an den Fußabdruck in der Sandkuhle? Ich habe einen identischen gefunden.“

„Du weißt, das ist kein Beweis.“

„Wenn ich die Sohlen untersuche und Reste einer jungen Humusschicht finde, hast du den Beweis.“

„Hol das Rohr heraus, dann haben wir den zweiten echten Beweis.“

Yannick grinste mich an.

„So macht das Spaß!“

„So langsam kommen wir über den Hausfriedensbruch wegen unerlaubten Betretens hinaus.“

„Willst du mithelfen?“

Ich blickte ihn steif und kalt an. Ich blieb stehen.

Die Technik kam aus der Archäologie. Das Rohr war einen Meter tief versenkt. Yannick hatte einen mehr als ein Meter hohen Metallrahmen anfertigen lassen, den er in die Erde schlagen würde. Der Metallrahmen, wie ein quadratisches Rohr, war an den Seiten zwanzig Zentimeter lang und wurde, das runde Eisenrohr einschließend, in die Erde gedrückt. Das dauerte länger als gedacht. Anscheinend war ein Hindernis in der Erde. Nach einem Stein klang es nicht. Ich glaubte das Brechen eines Knochens zu hören, war mir aber nicht sicher. Mit Hilfe eines Gummihammers schlug Yannick den Rahmen in die Erde und war nach mehrmaligem Ruckeln und Knirschen endlich durch. Das eckige Rohr umfasste nun das runde Rohr. Jetzt grub der Mitarbeiter an einer Seite des Rahmens ein Loch. Mehr als einen Meter tief, bis die untere Kante des Metalls erreicht war. Das Loch erweiterte er zu einem kurzen Graben, damit Yannick auch hineinpasste. Yannick schlug eine zirka zwanzig Zentimeter große quadratische Eisenplatte, an einer Seite scharf wie eine Klinge, genau unterhalb der Rahmenkante waagerecht durch das Erdreich. Jetzt war die Probe unten abgeschnitten. Der Metallrahmen wurde gekippt und mit Rohr, Gartenerde und Umgebung herausgenommen. Eine ein Meter lange und zwanzig Zentimeter breite und hohe Bodenprobe, gut verpackt in einem Stahlrahmen, lag waagerecht in der Wiese.

Während Yannick und sein Mitarbeiter sich über den scharfen und glatten Schnitt freuten, sah ich im Profil an der unteren Bodenkante ein fehlendes Mosaiksteinchen aus dem Anfang dieser Geschichte. Jetzt wusste ich, woher der Ring mit den drei Türmen gekommen war. Ohne mich um die beiden zu kümmern, die sich noch aufgeregt über den erfolgreichen Abschluss unterhielten, holte ich mein Handy heraus und wählte eine Nummer, die ich nicht oft wählen musste.

12

„Dr. Scherbe, Landesarchäologie.“ Die Stimme war tief und rauchig.

„Moin Dorothee, Karl Nagel hier.“ Wenn man eine erfolgreiche Frau hat, deren Leben die Vergangenheit ist, bekommt man ein Auge für Profile und deren Bedeutung. „Ich habe eine verscharrte Billungerin vor mir. Ich stehe im Heidbergbad und warte. Ich rufe Marga an.“ Hatte ich vergessen zu erwähnen, dass meine Frau beruflich scharf auf jeden alten Knochen war. Forensische Anthropologen gab es nicht wie Sand am Meer. Sie war natürlich die Beste.

Yannick starrte zuerst mich, dann den zersplitterten Knochenstumpf im Profil an. Eine massive irreparable Beschädigung eines Fundortes verursacht durch die sonst so vorsichtige Spurg. Er war dem Heulen nahe und ich verkniff mir das Lachen, das schadenfrohe natürlich.

„Hau ab!“, sagte ich alles andere als mitfühlend. „Nimm den Kram, bevor Marga hier steht. Wenn die das sehen, haben wir beide mächtig Ärger, weil wir nicht nachgedacht haben, als das Schlagen des Metallrahmens nicht nach Stein, sondern nach Knochen zersplittern klang. Du weißt, wenn die sich jemanden vorknöpfen...“ Ich beendete nicht den Satz, sondern zeigte mit dem Finger auf ihn und den Hammer.

„Herrje, wer hätte das gedacht. Der Ring! Das hätte mich stutzig machen müssen!“, wimmerte er drauflos.

„Reg dich ab!“, herrschte ich ihn an. „Beim Eingraben des Rohrs hat der Täter die Knochenhand eines verscharrten Skeletts durchtrennt. Na und! Die Erde mit den Knochen verteilt der Mörder ringsum und damit auch den Fingerknochen mit Ring. Außerdem hast du den Rest doch da in deinem Kasten. So schlimm ist das doch nicht. Frag mich bloß nicht, was eine Ratte mit einem jahrhundertealten Fingerknochen im Maul macht oder warum der mit dem Goldring zwei Jahre lang unbehelligt hier herum lag. Der Nager sah weder nach Hund noch nach einer Elster aus. Egal, ohne den Pestverbreiter hätten wir keinen Mordfall.“ Es gab einiges zwischen Himmel und Erde, das niemand erklären konnte und immer rätselhaft blieb, warum nicht auch das Verhalten der Rattus rattus.

„Woher weißt du, dass es ein Billunger Grab ist?“, fragte Helmke unsicher. Das würde dauern, bis der sich wieder fing.

„Kein Grab, die Leiche ist einfach verscharrt worden. Das Wappen der drei Türme wurde bisher auf Münzen gefunden, die im Zusammenhang mit Grafen de Lesmon genannt werden. Die Grafen waren aber niemand geringere als die Billunger, die ab dem 9. Jahrhundert Grafen von Lesum waren. Der Siegelring ist ein Jahrhundertfund. Sollen die Pinselschwinger von mir aus die Ratte suchen und auszeichnen. Ich muss das Marga melden, sonst habe ich nur Donnerwetter zu Hause. Los, packt alles zusammen. Aus der Schusslinie! Weg!“

Yannick und sein Mitarbeiter packten schnell zusammen und verließen schleppend das Gelände.

13

Ich tippte die eins für daheim an. Bevor sie ein Wort sagen konnte, legte ich los:

„Jetzt Heidbergbad, deine volle Ausrüstung, sofort!“

Ich kappte die Verbindung und rief Markus Stenhagen an.

„Hol Hogen zum Verhör ab! Ich bin in einer Stunde da!“

Es dauerte geschlagene vierzig Minuten, bis Marga mit Dorothee im Schlepptau ankam. Na klar, die mussten natürlich telefonieren, sich verabreden, gemütlich zusammenpacken, Tee trinken und neuesten Wissenschaftstratsch austauschen: Wer wen heiratete, sich trennte, wer schon Enkel bekommen hatte. Soweit zur Definition sofort.

Hatte ich vor vierzig Minuten noch Verständnis für sie gehabt, so war das dahin.

Ich erklärte ihnen knapp den Sachverhalt. Sie bekamen Schlitzaugen, als ich ihnen die Umstände des zerstörten Knochens, wohl ein Unterarmknochen, darlegte. Aufmüpfig wollten sie schon werden, mussten aber einsehen, dass ich das Sagen hatte. Dieses Areal sei der Tatort eines Kapitalverbrechens und die Grube Beweis zur Vorbereitung eines Kapitalverbrechens. Um aber die guten Beziehungen zwischen Polizei und Archäologie nicht zu trüben, würde ich eine Grabung erlauben. Solange der Mordfall nicht abgeschlossen sei und ein Mörder frei herumliefe, könnten beide unter drei Bedingungen den Befund untersuchen: Polizeischutz, keine weiteren Mitarbeiter und kompletten Zugang zu allen Ergebnissen für mich, da sie im Zusammenhang mit einem Verbrechen stehen könnten. Der Ring deute auf einen geschichtlich-archäologischen Befund hin. Meiner Meinung nach einer verscharrten Frau. Ich hatte eine klare Vorstellung, wer da lag, sagte es und erntete Experten-Gelächter. Ich zuckte nur die Achseln und fand mich ziemlich diplomatisch.

„Wollt ihr hier graben oder nicht?“

Marga wusste, wann ein Streit unnötig war. Sie nickte Dorothee zu. Ich rief die Bereitschaft und orderte einen Streifenwagen her.

„Er wartet auf seinen Anwalt“, gab Markus an. Ich nickte und ging in mein Büro. Chico wollte sein Versagen mit den Baumarktdamen mit einer Bestleistung in Überstundenansammeln tilgen. Er hatte neben der Arbeit am neuen Fall alle Kontobewegungen der Hogens überprüft. Zappelnd wartete er auf mich. Mein Blick genügte ihm, damit er loslegte.

„Die Hogen hat vor sechs Monaten einen Schlüsselanhänger mit GPS-Ortung gekauft. Wie es scheint, wusste ihr Mann nichts davon. Beide haben getrennte Konten. Ich habe von der Firma die Log-In Daten bekommen. Dann bekommen wir ein komplettes Bewegungsprofil.“

„Die Spurg soll sich darum kümmern!“

Er nickte und tapste davon.

„Chico, warte mal!“ Ich holte ihn ein. „Was für ein Schlüsselanhänger ist das?“

„Sieht aus wie das Bremer Wappen aus Eisen, ist aber aus stoßfestem Plastik.“

„Du meinst den Schlüssel?“, fragte ich etwas verblüfft. Was es nicht alles gab: ein Schlüssel als Anhänger für einen Schlüsselbund.

Er nickte und ging zur Spurg.

Mein Telefon klingelte. Ich lief zurück in mein Büro und hob ab.

„Hier ist Anja Lauckner. Kommissar Nagel? Sie haben versucht mich zu erreichen? Wieso Mordkommission? Oh Gott, haben sie meinen Mann gefunden?“

Sie hatte sofort angerufen, als ihr Handy wieder Netzsignale empfangen konnte. Auszeit im australischen Outback waren ein hinnehmbarer Grund.

„Frau Lauckner, ich schließe daraus dass Sie ihren Mann vermissen. Nein, tut mir leid. Darüber weiß ich nichts.“ Aber ich würde mir die Akte kommen lassen, dachte ich. „Es geht um eine Freundin von Ihnen. Maria Hogen. Sie ist ermordet worden.“ Ich sagte das in eine längere Stille hinein.

„Dann hat dieses Schwein von Ehemann sie getötet. Das Motiv kann ich ihnen liefern“, sagte sie wütend.

14

„Die beiden hatten einen Ehevertrag. Maria bestand auf eine Klausel. Sollte Hans fremd gehen, würde bei einer Scheidung das gesamte Vermögen an sie fallen. Vor zwei Jahren wollte sie endlich die Scheidung, sagte sie mir jedenfalls“, gab die Freundin der Toten an.

Nachdem ich mir einige Daten der Frau in Australien notiert hatte und um eine schriftliche Bestätigung ihrer Aussage bat, die sie mir zusagte, legte ich auf.

Der Beweiszug raste mit voller Wucht auf Hogen zu. Das lief zu glatt. Hatte ich die Notbremse in der Hand?

Ich rief Yannick an. Die Schnittkante des ausgegrabenen Rohrs passte zu einem Rohr in der Hogenschen Rumpelkammer. Chico war gerade in der Spurg, um den Weg des Schlüsselanhängers aufzeichnen zu lassen. Mir kam eine Idee. Wer einen Tick mit dem Schlüsselanhänger hat, dann vielleicht auch mit dem Auto. Chico versprach nochmal die Finanzen durchzugehen. Zudem sollte er die Vermisstenanzeige für Mark Lauckner heraussuchen. Dann wurde es Zeit unserem Verdächtigen auf die Zehen zu treten.

Hans Hogen, sich keiner Schuld bewusst, saß neben seinem Anwalt. Laut meinen Informationen ein Mahnanwalt, kein Anwalt des Strafrechts. Der Anwalt verschickte Mahnschreiben an Kinder, die im Internet mal einen Comic lasen oder an Rentner, wenn die keine Lust auf Werbung hatten. Ein echter Hogen Freund.

Da niemand frei war, übernahm ich das Verhör.

Nachdem ich den ganzen Protokollkram ins Mikro gesprochen hatte, begann ich direkt:

„Herr Hogen, geben Sie zu, Ihre Frau Maria ermordet zu haben?“

„Natürlich nicht. Sie können mir nichts beweisen. Ich muss nicht meine Unschuld beweisen, sondern Sie meine Schuld.“ Hans Hogen lachte seinen Freund an.

„Wir wissen vom Ehevertrag und dass Sie diesen gebrochen haben. Im Falle einer Scheidung hätte Ihre Frau alles bekommen.“

„Woher haben Sie das denn? Die Klausel gilt für beide. Maria hat sich gehütet, die Scheidung einzureichen. Überlegen Sie mal, warum!“

Hogen grinste. Kein glattes Grinsen. Echtes Grinsen. Ich wurde nachdenklich.

„Ihre Frau wurde mit einem angespitzten Bambusrohr erstochen. Ein sehr seltener Bambus. So selten, dass es in Bremen-Nord nur einen Käufer gibt. Sie! Wir haben einen Bon, einen Kreditkartenauszug, dass Sie vor zwei Jahren im Februar diesen Bambus gekauft haben. Wir haben in der Nähe des Tatorts ein Eisenrohr im Erdreich gefunden, in dem der Bambus gepflanzt wurde. Man benutzt ein Eisenrohr, um Bambus zu hindern sich auszubreiten. Sie wollten nach zwei Jahren die perfekte Tatwaffe parat zu haben, ohne dass Rückstände blieben. Fehler, Fehler. Die Schnittkante des Eisenrohrs stimmt mit der Schnittkante eines Rohrs in Ihrem Schuppen überein. Wir haben einen Fußabdruck gefunden. Welches Ergebnis werden wir wohl bekommen, wenn die Untersuchung Ihrer Schuhe abgeschlossen ist? Sie haben jetzt die Möglichkeit ein Geständnis vorher abzulegen und können so das Strafmaß reduzieren.“

„Wann soll ich Bambus gekauft haben? Februar vor zwei Jahren? Zu dieser Zeit war ich für meine Firma ein Jahr in Asien tätig. Als ich Anfang 2008 zurück kam, steckte mir ein Bekannter, dass meine Frau einen Liebhaber hatte. Ich fand nie raus, wer das war. Als ich sie damit konfrontierte, war für mich alles klar. Wenn ich gewollt hätte, hätte sie zahlen müssen. Ich habe sie aber geliebt. Sie heuchelte in der Nachbarschaft, dass ich der Böse war. Zeigen Sie mir doch die Frauen, mit denen ich angeblich untreu war. Sie werden keine finden. Maria war die perfekte Lügnerin.“

Das lief ja bestens.

Zurück auf Los! Ziehe keine viertausend Euro ein!

15

„Sag mir, dass du was hast!“, raunzte ich Chico an. „Mach mich glücklich und ich genehmige dir Stundenabbau.“ Frühestens in zwei Jahren statt in fünf Jahren. Das sagte ich natürlich nicht. Noch nicht.

„Komplette Weihnachten und Silvester, Chef.“

„Klar!“

„Dieses Jahr!“

„-“

„War nur Spaß, Chef! Kommen Sie her, dann zeigen wir es Ihnen!“

Mein Fernseher daheim passte in Yannicks gefühlte zwanzig Mal rein. Ich schlurfte warmen Kaffee im bequemen Sessel, während die beiden mir erklärten, was ich sah. Eine Karte des gesamten Stadtgebietes leuchtete grau auf weißem Hintergrund. Dann zog sich ein roter Streifen als Spur über das Stadtgebiet. Morgendliche Fahrten von Burgdamm ins Zentrum. Zwei Punkte in Bremen-Nord, einer in Platjenwerbe, der andere in Farge, frequentierte der Streifen sehr häufig. Interessant wurde es in der Nacht vom 30. April zum 1. Mai. Der rote Streifen zog über das Heidbergbadgelände, entfernte sich vom Gelände um 2 Uhr morgens durch den Riss im Zaun, den ich auch genutzt hatte. Ab da irrte die Linie in Bremen-Nord herum, kam stets zurück zum bekannten Punkt in Farge. Der Schlüsselanhänger wechselte mit dem Tod Maria Hogens den Besitzer, der nicht ahnte, dass er einen GPS-Sender mitgenommen hatte.

„Jetzt kommt das Cabrio“, sagte Yannick.

Eine blaue Linie zog sich durch Bremen, sehr oft identisch mit der roten Linie. Am 1. Mai änderte sich das. Das Cabrio fuhr um 1:30Uhr morgens vom Bad zum Flughafen.

„Das Auto ist auf dem Weg hierher zur Untersuchung“, meinte Chico. „Wir warten auf die Videoüberwachung. Der Parkplatz war per Karte im voraus bezahlt worden für ein halbes Jahr. Konto Maria Hogen. Um 2:30 Uhr gab es einen Flug nach Frankfurt. Und von dort um 3:50 Uhr nach Sydney. Ich fand reservierte Plätze für Anja Lauckner und Maria Hogen. Nur Lauckner checkte ein. Der Punkt in Platjenwerbe ist das Haus der Lauckners. Die Adresse des anderen Punktes ist -.“

„Gute Arbeit!“, unterbrach ich ihn. Er war kurz vorm Zusammenbrechen. „Geh nach Hause und lass dich drei Tage nicht blicken! Das ist ein Befehl.“

Stenhagen und ich schauten uns an, als wir vor dem Haus parkten. Gärtnerei Torken.

Verdammtes deutsches Liedgut.

Wir rissen ihn aus dem Bett mit einer Strohwitwe. Yannick machte sich mit kompletter Mannschaft über Haus und Anwesen her. Jonas Torken schwieg stundenlang. Wir nutzten die Zeit. Den Schlüsselanhänger identifizierte Hogen als den seiner Frau. Frederike kümmerte sich um die Videoaufzeichnung bei den Dauerparkern am Flughafen, die Anja Lauckner zeigte. Am 1. Mai um 1:50 Uhr stellte sie das Cabrio ab und eilte davon. Allerdings lag zum Zeitpunkt des Abfluges Maria Hogen bereits tot im Becken.

Hinnerk ließ mir gegen zwei Strohbesen eine Videoüberwachung zukommen. Der Gärtner zahlte mit Hogens Kreditkarte die Bambusmischung.

Die Spurg fand im Komposthaufen der Gärtnerei angekohlte dünne Bambusstäbe. Nachwachsende kompostierbare Mordwaffen.

Als ich ihm sagte, dass Anja Lauckner verhaftet sei und auspackte, um ihr Strafmaß zu mindern, wollte er keinen Anwalt.

„Wie lernten Sie Maria Hogen kennen?“

„Durch die Lauckner. Die Hogen war genauso verdorben wie die. Mir kann`s nur recht sein. Die haben dann viel zu verlieren, diese Schlampen. Ein Wort von mir an den Mann. Sie wissen schon.“

„Nein.“

„Die Frauen in diesen Kreisen sind austauschbar. Muckt die Alte auf, gibt`s `ne jüngere Version. Ich knall sie alle.“ Torken war kein Adonis, aber braungebrannt, was kein Wunder bei diesem Beruf war. Er strotzte aber unverschämt vor Gesundheit. „Hogen und Lauckner wollten oft einen Dreier. Als Hogens Ehemann nach Asien versetzt wurde, ging ich da praktisch ein und aus. Die lästerte über ihren faden Ehemann, wie die Lauckner. Die Frauen mussten nämlich Eheverträge unterschreiben. Da kamen die gar nicht gut weg. Scheidung war nicht drin. Dann haben die mich bearbeitet. Hey, ich bin ein Mann, oder. Die Wünsche oder das Geld eine Frau, zweier Frauen sind mir Befehl. Ich hab nur noch in deren Glitzerwelt gelebt. Nach außen haben beide einen Job gehabt, aber nachts, da haben die das Geld ihrer Männer ausgegeben und verjubelt. Die Pfeifen haben das gar nicht gemerkt, und wenn doch, war denen das völlig egal. 40.000 Euro pro Mann sollte ich bekommen. Ich fühlte mich noch größer, weil die beiden dann bei mir bleiben würden, wenn die ihr Erbe abkassiert hätten. Ich habe den Scheiß geglaubt.“ Torken sah mich an. Ich sah weder Reue noch Bedauern. Er war sauer, dass er entdeckt worden war - wegen eines Schlüsselanhängers.

„Wie kamen Sie an die Kreditkarte von Hans Hogen? Wie konnten Sie damit bezahlen?“, fragte ich.

„Wir wollten natürlich falsche Fährten legen. Das mit dem Bambus war Lauckners Idee. Aber das fiel natürlich auf. Und dünnen Bambus gibt es nicht so häufig. Der Hogen hatte in Asien seine Kreditkarte verloren. Das CallCenter schickte die neue Karte irrtümlich nach Bremen statt nach Shanghai. Maria ließ mich unterschreiben und im Baumarkt mit Karte den Bambus kaufen. Als Hogen wegen der Kreditkarte anrief, log sie. Ich musste nur noch den Bambus an einem sicheren Ort wachsen lassen. Das ehemalige Heidbergbad war optimal, umzäunt, schwer zugänglich. Die Tatwaffen für die Männer wachsen lassen, dann kämen die Bagger und alles wäre weg. Das Stück Eisenrohr für die Barriere sägte ich in Hogens Schuppen zurecht. Mit Hogens Säge versteht sich. Hätte man das Rohr wider Erwarten im Bad gefunden, hätte man Hans Hogen verdächtigen müssen. Das fanden wir geil. Er sollte nach Anjas Mann dran sein.“

„Das haben Sie mit der Lauckner ordentlich durchgezogen.“ Ich hatte die ersten Ergebnisse, die mich schüttelten.

„Die machte mich ganz high. Jeden Tag Sex. Dazu die Hogen. Die logen und machten mich wütend auf den Mann. Die haben mich so manipuliert, dass ich ihn, naja, ihre Leute graben ja den Garten um.“

Torken besaß eine eigene Riesenhäckselmaschine. Als der Bambus im April als Waffe taugte, lockte Anja Lauckner ihren Mann zur Gärtnerei. Der wurde erstochen und mit dem Bambus zusammen zerh… und als Humus entsorgt.

„Am nächsten Tag war alles anders. Ab da gab es keinen Sex mehr. Die Lauckner war am Ziel und wollte nichts mehr von mir wissen. Ich sollte eine Woche später den Hogen kaltmachen, genauso wie den Lauckner. Die Hogen versuchte das gleiche Spiel, wie die Lauckner. Jeden Tag Sex und Alkohol. Aber nicht mit mir.“

Zu dem Zeitpunkt hatten die beiden Frauen schon ihre Flucht geplant und Flüge gebucht - ohne Torken. Am Tage des Abfluges sollte Hogen erledigt werden.

„Ich wollte zuerst Cash sehen. Die Fotzen hätte mich über den Jordan schicken können. Ich hatte gerade das Bambusrohr für ihren Mann abgeschnitten, da rief ich die Hogen vom Bad aus an, sagte ihr, sie solle jetzt das Geld mitbringen, dass beide mir schuldig seien. Sonst würde ich niemanden mehr töten. Die Fotze brauchte ihn später nur anrufen und er würde zur Gärtnerei fahren, wie der Lauckner.“

„Brachte sie das Geld mit?“ fragte ich.

„Nur die Hälfte, vierzigtausend Euro. Ich solle froh sein, überhaupt was zu bekommen, blaffte sie. Schließlich hätte ich Blut an den Händen und nicht sie. Der Rest käme nach getaner Arbeit. Die Nacht war warm und sie im Kleid. Ich war scharf auf sie. Sie lachte mich aus, und hätte sich mit mir stets nur geekelt. Sie drehte sich um und wollte gehen. Einfach so. Aber da war ich schon zu wütend und stieß zu, wieder und wieder. Die Tasche mit dem Geld habe ich in einem Bankschließfach. Darauf müssen die Fingerabdrücke dieser Schlampen sein. Die sind schuld.“

Ich verkniff mir jede Bemerkung, die vor Gericht vielleicht unglücklich ausgelegt werden könnte.

Verdächtige und Täter. Schein und Sein.

Wie wahr!

16

Weil der Mörder nun gefasst war, durften Marga und Dorothee mehr Leute holen. Als mehrere gefühlte Zeitalter vergangen waren, um die Erde Sandkorn für Sandkorn ab zu tragen, begannen sie die ersten Knochen des groß angekündigten Grafengrabes zu bergen, natürlich mit viel Blitzlichtgewitter und Reportern. Selbstverständlich kam das Skelett zu uns nach Hause. Ein alter Knochen wie ich reicht ihr nicht. Seit die Kinder draußen waren, hatte Professorin Dr. Dr. h.c. Marga Nagel ein Stockwerk beschlagnahmt. Aus aller Welt kamen die Gebeine. Ich lebte sozusagen im Lesumer Beinhaus.

Zähneknirschend musste die Gottmutter zerbröselnder Becken zugeben, dass die knöchernen Überreste einer Frau gehörten. Das Alter passte zu einer weit bekannten Lesumer Gräfin, der ersten historisch gemeldeten Bremerin, um polizeilich genau zu sein. Dafür hatte ich vor Wochen das Expertengelächter geerntet. Dorothee murmelte verbissen, dass es sich nicht um ein Grab handelte, wie beide zuvor der Presse gemeldet hatten, die ungeprüft der Öffentlichkeit das Grab eines Grafen meldete. Die Frau war heimlich verscharrt worden.

Ich schwieg darüber, wer die verscharrte Frau war, obwohl sie doch eigentlich einen festen hochherrschaftlichen Liegeplatz im Dom haben sollte, der komischerweise nie gefunden wurde. Ich zerbiss meine Lippen Marga zuliebe. Offiziell sind die Gebeine Gräfin Emmas von Lesum nie gefunden worden.

Yannick, der Schleimer, suchte freiwillig mit seinen Leuten das Gelände nach den fehlenden Finger- und Handknochen ab. Der Gärtner hatte nicht bemerkt, dass er beim Ausheben des Erdreichs für sein Eisenrohr, eine Skeletthand vom Armknochen getrennt und die Fingerknochen mit jedem Spatenwurf in der Umgebung verteilt hatte.

Yannick und seine Leute fanden tatsächlich fast alle - bis auf drei Fingerknochen. Dafür wurden sie in jeder Pressemitteilung gebührend und lobend von Dorothee und Marga erwähnt. Ablenkung nenne ich das. Da ich der Ratte nicht in die Kanalisation gefolgt war und mich nicht mit Kloake beschmutzt hatte, wurde mein Zutun geflissentlich verschwiegen.

Zwei Monate später fraßen sich Bagger mehrere Meter tief in die Erde für ein neues Wohngebiet.

Ende

Die Tote im Heidbergbad

Подняться наверх