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Prolog

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Dezember 2006

Brisbane, Ostküste Australien

„Dieser Urlaub darf nie zu Ende gehen!“, rief Emma und breitete die Arme aus. Sie tanzte mit den Wellen des Pazifiks. Die Dreizehnjährige sprach mit fremdländischen Akzent. Der gleichaltrige Louis grinste einfach und hielt mit ihr Schritt. Er wusste nicht, was er sagen sollte, also schwieg er. Vielleicht gab sie ihm wieder einen Kuss, wie gestern, als er den fetten Kerl zu Boden schubste, der sie an den Haaren ziehen wollte.

Louis staunte über sich. Mädchen interessierten ihn eigentlich nicht. Die kicherten. Gut, geärgert hatte er sie auch. Bis jetzt. Emma war anders.

Ihre verwundbaren Augen zogen ihn an. Ihr volles kräftiges dunkelblondes Haar, ihr Lächeln, ihre sanfte Stimme und viele andere Kleinigkeiten machten aus ihm einen anderen. Seit er hier in Brisbane mit seinen Eltern angekommen war und Emma am Strand kennengelernt hatte, war er wie befreit und ihm schien das Mädchen auch.

Seine Mutter gluckte nicht um ihn herum. So entspannt hatte er sie nie erlebt. Brisbane war toll - mit Emma.

Schade, dass sie sich nur heimlich treffen konnten. Ihre Eltern wollten ihn nicht.

Emma durfte die dreitägige Tour ins Outback nicht mitmachen, obwohl er das insgeheim hoffte, seit er Emma kannte. Seine Eltern taten deswegen bereits geheimnisvoll und bedauerten, dass Emma nicht dabei sein durfte.

Ihre gemeinsame Zeit verbrachten sie bei Sonnenaufgang, wenn alle schliefen. Emmas blöder Vater und die blödere Mutter verboten ihr alles. Nicht mal ein Handy erlaubten die ihr.

„Typisch Deutsche“, tröstete Olana White ihren Sohn am Tag vor der Abfahrt. „Die kennen nur Verbote und Pflichten.“

„Die beiden sind eine Ausnahme und unsympathisch, Schatz“, meinte ihr Ehemann Steve. „Wir haben drei Jahre in Berlin gelebt. Verbote bekam ich nicht mit, jedenfalls nicht mehr als in anderen Ländern. Vielleicht darf sie ja mit auf die Probefahrt. Aber seltsam sind die schon.“

„Dürfte sie denn mit?“, fragte Louis aufgeregt.

„Von uns aus, ja“, nickte seine Mutter. „Sie ist ein nettes starkes Mädchen und spricht schon sehr gut englisch.“

„Ich werde sie beschützen und heiraten“, versprach Louis.

Olana und Steve sahen sich an. Ihr Sohn war ein Dickkopf wie sie. Diesen Ernst allerdings kannten sie bisher nicht.

„Ein Mann, ein Wort“, meinte Steve und hielt seinem Sohn die Hand hin. Der schlug ein. Olana verdrehte die Augen.

„Zuerst solltest du sie fragen, ob sie dich will. Du bestimmst da gar nichts.“

Zu Beginn der Tour in die Wildnis langweilte sich Louis. Er akzeptierte, dass seine Eltern alles versuchten, um seine Laune zu heben. Sie liebten ihn und er sie, aber mit Emma war alles anders, heller, grüner, bunter, aufregender.

Dann geschah etwas Seltsames. In der Wildnis traf er bemalte Männer, Eingeborene, die seine Eltern umarmten. Louis erfuhr, dass er tiefere Wurzeln zu diesem Land besaß, als er geahnt hatte.

Emma fürchtete sich vor denen, die sich als ihre Eltern ausgaben. Daher schien ihr Louis wie ein Fenster in ein anderes besseres Leben. Er war der Prinz, der sie retten konnte. Er fürchtete weder den Vater noch die Frau, die sie zwangen, sie Vater und Mutter zu nennen und Dank forderten. Sie erinnerte sich nur vage an ein anderes Leben, das mit jedem Tag verblasste. Über ihre toten Eltern durfte sie nicht sprechen.

Louis Eltern waren anders. Sie wünschte, sie gehöre dazu. Dann hätte sie es gut.

Sie trafen sich wieder am Strand nach Sonnenaufgang. Das letzte Mal, nur ahnten sie das nicht.

„Ich darf nicht mit“, sagte Emma traurig.

Louis Eltern sollten ein Segelboot von Brisbane nach Perth überführen. Mehr hatte Louis nicht wissen wollen. Seine Eltern planten eine Tagesfahrt. Sie wollten prüfen, ob der Windfänger die Strecke bis nach Perth schaffte. Louis hoffte bis zum Schluss, Emma dürfe für diesen Tag mitkommen. Sogar seine Mutter sprach nach der Outbacktour mit Emmas Eltern. Als sie zurück kam, schüttelte sie nur den Kopf. Dann sprach sie leise mit ihrem Mann, damit Louis nichts mitbekam. Das war gestern.

„Die sind gemein“, entfuhr es Louis. „Wir werden in Perth wohnen, wissen aber nicht wo. Du weißt nicht, wohin Ihr geht?“

„Nein. Wir fahren von Ort zu Ort. Ich bin immer in einer anderen Schule.“

„Das kenne ich. Dad arbeitet auch überall. Er ist Reporter“, sagte Louis. „Wenn man sich an Freunde gewöhnt hat, muss man wieder fort.“ Er suchte am Boden umher, wie während jeder Treffen, um ihr dann einen besonderen Stein oder eine Muschel zu schenken. Er fand nichts.

„Du bist mein Freund“, sagte sie leise und zaghaft. Mehr sagte ein Mädchen nicht und selbst das war schon viel.

„Für immer“, sagte er. „Wenn ich dich heirate, dann wird dich niemand mehr herum schubsen.“ Ihm fiel etwas ein. Er grinste. Er griff in seine Hosentasche und zog einen kleinen schwarz funkelnden Stein hervor. „Bewahre ihn auf. Wenn du ihn mir morgen gibst, wird dir nie etwas geschehen. Ich gehöre zu dir und du zu mir. Du kannst dann machen, was du willst. Keine Verbote mehr.“

„Heiraten dürfen nur Erwachsene. Du bist doof. Aber der Stein ist schön. Wo hast du ihn her?“

Als er es ihr erklärte, wurde ihr flau im Magen. Jetzt erkannte sie, dass er jedes Wort ernst meinte.

Als der Segler ablegte, winkte sie zum Abschied am Kai und hielt in der anderen Hand seinen Stein. Er winkte zurück.

Am selben Tag packten der Mann und die Frau schnell die Koffer und zerrten die weinende verstörte Emma ins Auto. Sie versteckte den Stein, der ihr Anker auf Hoffnung war.

Als sie älter wurde, dachte sie oft an Louis, vor allem, wenn andere Jungen sie enttäuschten. Seinen Nachnamen kannte sie nicht. Mit der Zeit verwischten die Erinnerungen, machten Platz für andere. Den schwarzen Handschmeichler verwahrte sie. Er half ihr und gab ihr eine Vorstellung auf einen Mann.

Irgendwann.

Irgendwo.

Die Tote im Heidbergbad

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