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Eine ungewöhnliche Reise

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Eigentlich fuhr Tom gerne mit der Eisenbahn. All die verschiedenen Leute zu beobachten, die sich am Bahnhof und in den Zügen tummelten, fand er äußerst interessant. Tom beobachtete auch mit Freuden, wie die Landschaft draußen nur so vorbeiflog, während er gemütlich im Abteil saß und dabei Wurstbrote aß.

Doch heute war es irgendwie anders. Seine Eltern hatten ihn mit auf die Reise genommen, obwohl er eigentlich gar nicht mitkommen wollte. Warum sollte er auch dabei sein, wenn seine Eltern sich mit alten Bekannten trafen? Tom konnte schon förmlich die Geschichten über frühere Zeiten hören, und wusste, wie sehr er sich dabei langweilen würde. Doch seine Eltern ließen nicht locker. Schließlich hatte Tom sich überreden lassen, denn sein Vater versprach ihm einen Zoobesuch, wenn er mitfuhr.

Und so saß die Familie nun im Zug. Die Fahrt dauerte nun schon Stunden und Tom fragte ständig, wie weit es nun noch sei. Die Comic-Hefte, die seine Mutter am Bahnhofskiosk für ihn gekauft hatte, kannte er schon beinahe auswendig, so oft hatte er sie schon durchgeblättert. Draußen nieselte es. Die Landschaft änderte sich kaum: Felder, Wiesen, alles war grau vom Regen und Nebel. Manchmal kamen sie an kleinen Dörfern vorbei, doch die bestanden nur aus ein paar Häusern. Da gab es nicht viel zu sehen. Er versuchte, die Schilder an den Bahnhöfen zu erkennen, auf dem die Ortsnamen standen, doch der Zug rauschte meistens so schnell durch die menschenleeren Bahnsteige hindurch, dass Tom nichts lesen konnte.

Im Abteil war es still, obwohl doch einige Menschen anwesend waren. Ihm gegenüber saß ein junges Mädchen, das ziemlich dünn war und sehr große dunkle Augen hatte. Mit ganz geradem Rücken hatte sie sich aufgerichtet und blickte stumm aus dem Fenster. Daneben hockte eine alte Frau mit grauen kurzen Löckchen, die sich eng an ihren Kopf kringelten. Sie las in einem Buch. Der Mann daneben gehörte wohl zu ihr, vermutete Tom, auch wenn die beiden bisher kaum ein Wort miteinander gesprochen hatten. Er trug einen feinen schwarzen Anzug und trommelte von Zeit zu Zeit mit den Fingern auf eine Zeitschrift, die auf seinem Schoß lag.

Toms Mutter war eingeschlafen und sein Vater hielt sich wie die alte Frau ein Buch vor die Nase. Tom musste gähnen. Was sollte er nun machen? Er nahm sich vor, das Comic-Heft noch einmal durchzublättern. Als er auf der zweiten Seite angelangt war, fielen ihm fast die Augen zu, denn das Lesen machte ihn müde. Krampfhaft versuchte er, nicht einzuschlafen, doch auf Seite drei war es schon geschehen.

Er schlief tief und fest, eine ganze Weile lang, bis er plötzlich von einem Geräusch geweckt wurde. Er fühlte sich noch schläfrig, doch seine Augen öffneten sich, um nachzusehen, was da so einen Lärm machte. Es klang wie Hundegebell. Tom rieb sich die Augen, denn er vermutete, dass er sich noch in einem Traum befand. Nun war er hellwach und trotzdem hockte ihm gegenüber ein grauer Pudel, der aus Leibeskräften kläffte. An seiner Stelle war vorhin die Frau mit den grauen Löckchen gesessen. Tom musste zugeben, dass die Frisur der Frau mit dem Fell des Pudels eine gewisse Ähnlichkeit besaß.

"Ist das ihr Hund?", fragte er den Mann, der bis vor kurzem neben der Frau gesessen hatte.

Doch als er zu ihm hinüberblickte, öffnete Tom den Mund vor Staunen. Statt des feinen Herrn im Anzug hatte er nun einen Pinguin vor sich. Seine schwarz-weiße Brust und die schwarzen Flügel erinnerten ein wenig an einen vornehmen Frack. Der Pinguin blickte ihn ärgerlich an.

"Was für ein Hund? Du meinst doch nicht etwa meine Frau?"

Tom merkte, dass er besser den Mund gehalten hätte und schüttelte nur stumm den Kopf. Er wollte das sprechende Tier keinesfalls verärgern.

Der Pinguin sprach in strengem Ton auf seine Frau ein: "Ich will nur das Fenster ein wenig öffnen. Mir ist heiß. Viel zu heiß. Wie hältst du das nur aus in der Hitze?"

Der Pudel bellte wieder, doch diesmal mischten sich immer mehr Worte darunter, bis schließlich ganze Sätze daraus entstanden: "Ich kann keine Zugluft ertragen. Bestimmt bekomme ich dann wieder eine böse Erkältung. Da bin ich sehr empfindlich."

"Du bist überhaupt empfindlich", grummelte der Pinguin leise, so dass man es kaum hörte.

"Stellen Sie sich doch nicht so an!", ertönte mit einem Mal eine kreischende Stimme neben Tom.

Er blickte zur Seite und traute seinen Augen kaum. Dort, wo vorhin noch sein Vater in aller Ruhe gelesen hatte, turnte nun ein Affe auf den Sitzen herum. Mit seinen überlangen Armen griff er an die Stangen der Gepäckablage über sich und grinste dem Pinguin spöttisch zu.

"Ziehen Sie halt Ihren Anzug aus, dann müssen Sie nicht so schwitzen!"

Ein kreischendes Lachen folgte, während der Affe durchs Abteil kletterte und mit einem Satz auf die Vorhänge am Fenster hüpfte. Dort hängte er sich fest und gab wiederum ohrenbetäubende Kreischlaute von sich. Tom sah sich nach seiner Mutter um. Doch auch sie war verschwunden. An ihrer Stelle erblickte er einen kleinen, grauen Vogel, der nervös auf den Bezug der Sitzbank einpickte. Es war schon ein kleines Loch darin, aus dem der Vogel nun mit seinem Schnabel Teile der Polsterung herauszog und um sich herum verstreute.

Tom wandte sich an den Affen. "Wo sind meine Eltern?", fragte er.

"Wo sind meine Eltern?", äffte der Affe ihn nach. "Kannst du nicht einmal ohne deine Eltern sein? Fürchtest du dich etwa ohne sie?" "Nein, nein", beteuerte Tom sogleich. Er wollte nicht als Feigling dastehen.

Der Pinguin erhob sich und ging zum Fenster, um es zu öffnen. Den Affen im Vorhang beachtete er dabei gar nicht. Sofort begann der Pudel wieder mit wütendem Gekläff.

"Mir ist nicht besonders warm", flötete eine sanfte Stimme. Tom schaute nach oben und blickte in die großen dunklen Augen einer Giraffe, die direkt neben dem Fenster saß. Ihr Hals reckte sich lang und gerade zwischen den Gepäckstangen. Der Kopf der Giraffe berührte fast die Decke. Sie bog ihren Hals, und tauchte durch die Stangen hindurch nach unten. Sie warf dem Pinguin einen entschuldigenden Blick zu, klimperte ein wenig mit ihren langen Wimpern und schob dann vorsichtig mit ihrer Schnauze das Fenster wieder zu.

"Was soll das?", erboste sich der Pinguin.

"Jetzt streitet doch nicht!" Der Vogel hatte mit dem Picken aufgehört und versuchte, die Reisenden zu beruhigen. Dazu flatterte er auf die Lehne der Sitzbank und stimmte eine wunderschönes Lied an. Der Affe sank von seinem Vorhang herab, während der Pinguin zu seinem Platz zurück ging und sich wieder setzte. Die Giraffe wiegte sich sanft im Takt der Melodie. Tom wurde auf einmal wieder ganz müde. Er lehnte sich zurück und hörte dem Gesang des Vogels zu, bis er wieder eingeschlafen war.

"Tom! Tom! Wach' auf, wir müssen aussteigen!" Die Stimme seiner Mutter riss ihn aus dem Schlaf. Tom gähnte und sah sich um. Seine Eltern waren aufgestanden und holten ihr Gepäck von der Ablage herunter. Gegenüber saßen der Mann im Anzug, die grauhaarige Frau und das junge Mädchen. Keine Spur mehr von den Tieren. "Nun komm' schon!", drängte sein Vater. Tom erhob sich und verließ hinter seinen Eltern das Abteil.

Als er sich umdrehte und noch einmal zurück blickte, sah er das kleine Loch im Sitz. Daneben lag eine winzige, graue Feder.



Zwistien und Zankistan

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