Читать книгу Zayn & Sila - Inka Loreen Minden - Страница 4
Kapitel 1 – Der Neue im Team
ОглавлениеAn manchen Tagen vergaß Zayn, was für ein Freak er war, oder schlimmer noch: was für ein Monster. Denn sobald andere herausfinden würden, wie es in seinem Kopf aussah, würden sie ihn wohl als solches bezeichnen. Zum Glück wussten nur sehr wenige, wer oder was er wirklich war, und er tat alles, um sich anzupassen, nicht aufzufallen.
Zayn arbeitete neben Tay, Steel, Vigour und anderen Kriegern in der Kommandozentrale auf der Insel Mokupuni. Riesige Monitore hingen vor ihm an der Wand; er selbst saß vor einem Hochleistungscomputer, mit dem er sich direkt verbinden konnte. Dazu musste er nur die künstliche Kuppe seines rechten Zeigefingers wegklappen und den USB-Stecker, den er anstatt eines Knochens besaß, in den dazugehörigen Port schieben. Danach schickte er seinen Geist in das Datennetz und konnte allein durch Gedankenkraft Programme schreiben und Codes dechiffrieren.
Auf seinem Weg durch Einsen und Nullen hatte er in den letzten Wochen geheime Akten in Blitzgeschwindigkeit entschlüsselt, die Tay nun mit einer kleinen Gruppe auswertete. Der hatte Zayn darauf angesetzt, die Warrior zu finden, die im Laufe der Jahre unter dem alten Regime in andere Regionen verkauft worden waren. Auf diese Weise wollten sie auch weitere, sehr gut versteckte Kuppelstädte aufspüren, die das Aufklärungsteam oder die Satelliten bisher nicht entdeckt hatten.
Zayn könnte hier mit Leichtigkeit alle Sicherheitsvorkehrungen lahmlegen und sämtliche Firewalls innerhalb weniger Sekunden einreißen. Natürlich machte er das nicht. Tay und der Rest des Teams zählten nun zu seinen Freunden. Sie vertrauten ihm.
Zayn hatte ein paar seiner früheren Kameraden in New World City getroffen und mit ihnen gesprochen. Bloß waren sie nicht nur sehr viel älter als er, alle über sechzig, sondern auch Fremde für ihn, weil ihm an sie jede Erinnerung fehlte. In den drei Jahrzehnten, die er eingefroren in einer Kryokapsel gelegen hatte, war sein Körper auf dem Stand eines Dreißigjährigen geblieben. Dagegen gab es nichts einzuwenden. Schlimmer war, dass er nicht mehr wusste, was vor seiner Zeit als gefühlsloser Cyborg, der blind Befehle befolgt hatte, passiert war. Man hatte sein Gedächtnis gelöscht, so wie man nutzlose Daten unwiederbringlich schredderte. Einzig Cameron, der auch in seinem Alter war und ein ähnliches Schicksal besaß, fühlte er sich ein wenig verbunden. Doch der war viel mit dem Expeditionsteam unterwegs.
Sein neuer Job gefiel Zayn, auch wenn Tay immer über seine Schulter blickte. Noch befand er sich in der Probezeit. Am liebsten wollte er den ganzen Tag ununterbrochen arbeiten, irgendwie nützlich sein oder die Zeit mit seinen Kameraden verbringen, um neue Erinnerungen zu sammeln. Die Warrior boten ihm ein Zuhause, überließen ihm wichtige Aufgaben und hatten ihm ein neues Leben geschenkt. Sogar seine eigenen Augen hatte er zurückbekommen, Nanobots sei Dank. Seine Iriden schimmerten in einem mittleren Meergrün – als Hexadezimalwert war das #2E8B57 – und gingen nach außen in ein Waldgrün #228B22 über. Diese Nuancen harmonierten mit seinem kastanienbraunen, beinahe schon mahagonifarbenen Haar.
Zayn unterdrückte den Zwang, auch hierzu die hexadezimale Farbnotation herauszusuchen, und konzentrierte sich lieber auf seine Arbeit.
Wenn er mit seinem Geist tief in den Systemen surfte, bekam er nur am Rande mit, was um ihn herum passierte. Doch jetzt spürte er ein leichtes Gewicht auf seiner Schulter, und Tays Stimme drang wie aus weiter Ferne zu ihm: »Feierabend, Kumpel, unsere Schicht ist zu Ende.«
Zayn suchte den Rückweg durch die Datenbahnen, reparierte hier und da noch einen fehlerhaften Code und reiste durch die Steckverbindung des USB-Ports zurück in seinen Körper. Prompt nahm er wieder die Kommandozentrale wahr und den großen, schwarzhaarigen Krieger, der direkt neben ihm stand.
»Lass uns noch was essen«, sagte Tay. »Wer so viele Daten verarbeitet wie du, muss ordentlich Kohldampf haben.«
Tatsächlich merkte er erst jetzt, nachdem er den Zeigefinger aus der Buchse gezogen hatte, dass sein Magen knurrte. Die Zeit verging immer rasend schnell, wenn er am System hing, und er gewann die Energie, die sein modifiziertes Organ benötigte, aus gewöhnlicher Nahrung.
Zayn erhob sich aus seinem bequemen Sessel und grinste Tay an. »Ich brauche mindestens drei Kuchenstücke als Vorspeise.«
Schmunzelnd klopfte ihm der Krieger auf die Schulter, während sie mit dem Warrior Vigour zum Aufzug liefen. Dort nickten sie Seth zu. Der braunhaarige Mann war soeben eingetroffen und übernahm nun Tays Schicht. Steel, ihr Kommandeur, würde etwas später dazustoßen, er hielt im Nebenraum gerade eine Videokonferenz mit dem Warrior Jax aus Resur ab. Da es zurzeit sehr ruhig war, reichte die Mindestbesetzung zur Überwachung aus.
Seth, der ihr Gespräch mitbekommen hatte, rief ihnen hinterher, kurz bevor sich die Aufzugtüren schlossen: »Aber lasst mir noch ein Stück vom Schokoladenkuchen übrig!«
Zayn lief schon das Wasser im Mund zusammen, wenn er bloß an Silas Kuchenkreationen dachte. Sie verstand es wie keine andere Kantinenmitarbeiterin, die optimal ausgewogene Mischung aller Zutaten zu finden. Na gut, hier und da würde er die Mengenangaben ein wenig modifizieren. Dennoch waren Silas süße Köstlichkeiten nahezu perfekt – genau wie die Huntress selbst.
Als Zayn aus dem Hauptgebäude in die Nachmittagssonne trat, stopfte er schnell sein beiges T-Shirt ordentlich in die Einsatzhose und wandte sein Gesicht der Sonne zu. Selbst im Februar war es tropisch warm auf Mokupuni, genau wie während des restlichen Jahres, wobei die Temperatur aktuell mit 25,23 Grad sehr moderat war und auch nachts nur selten unter 20 Grad fiel.
Hätten ihn die Jungs nicht befreit, hätte er die Sonne wohl nie gesehen. Er bewunderte die geballte Kraft dieses Sternes und spürte regelrecht, wie die Strahlen ihm frischen Mut verliehen. Heute wollte er Sila endlich ansprechen. Bisher hatte er, außer seine Bestellung aufzugeben, kaum ein Wort mit ihr gewechselt. Dabei war er schon öfter dabei gewesen, wenn sie sich mit ihrer besten Freundin Taicoon – die Tays Gefährtin war – für ein Picknick am Wasserfall oder an einem anderen schönen Ort der Insel verabredet hatten. In Silas Nähe fehlten ihm einfach immer die perfekten Worte.
Zayn kontrollierte, ob das schwarze Tuch, das er zu einem Stirnband gefaltet täglich um den Kopf gebunden trug, noch an der korrekten Stelle saß, und schritt mit Tay und Vigour über den hellen, frisch gefegten Platz auf die Kantine zu. Früher sollten die meisten Wege auf dieser Insel recht staubig gewesen sein, doch die Hauptverbindungen waren in den letzten Jahren alle gepflastert worden.
Ihm gefiel es auf diesem kleinen Eiland. Sehr viele Familien wohnten hier, weshalb oft Kinder durch das Inselzentrum liefen und nie Ruhe einkehrte. In der Nähe gab es einen Hort sowie einen Abenteuerspielplatz, der stets gut besucht war.
Zayn liebte es, viele Eindrücke aufzusaugen. Dennoch grummelte es leicht in seinem Bauch, weil er wohl nie selbst eine Partnerin haben oder eine Familie gründen würde. Das war okay. Ihm war schon so viel geschenkt worden, und vielleicht rührte das seltsame Gefühl einfach von seinem leeren Magen her.
Als Tay die Glastür zur Kantine aufstieß und Zayn ihm mit Vigour folgte, richtete er sein Augenmerk sofort auf die Essensausgabe, in der Hoffnung, Sila zu erspähen. Meist war sie in der Küche beschäftigt, doch heute erblickte er sie bei der Kühlvitrine, in die sie gerade einen neuen Kuchen stellte. Zuerst fiel ihm immer ihr blondes Haar auf, das sie an diesem Tag zu zwei dicken Zöpfen geflochten hatte. Danach folgte ihr wunderschönes Gesicht mit den großen blauen Augen, den hohen Wangenknochen, den vollen rosigen Lippen und dem kleinen Kinn. Sie besaß porentief reine Haut, war die perfekte Schöpfung.
Sie sah aus wie ein Engel.
Zayn starrte sie wie gebannt an, während er weiter in das Gebäude hineinschritt, und ließ den Blick über ihre weiblichen Rundungen gleiten. Sie trug ein Bustier aus Leder, Shorts aus demselben Material und Riemchensandalen.
Ob sie ihre Zehennägel heute wieder farblich lackiert hatte? Leider war Sila hinter der Theke verschwunden, sodass er nur noch ihren Oberkörper erkennen konnte.
Als sie ihnen gut gelaunt winkte, donnerte sein Herz kräftig gegen seinen Brustkorb. Allein Sila zu sehen, sorgte dafür, dass sich seine Mundwinkel wie von allein zu einem Lächeln anheben wollten. Das Grummeln in seinem Magen verwandelte sich prompt in ein wildes Flattern, und seine Knie wurden ganz weich.
Zayn konnte sich diese seltsamen Reaktionen seines Körpers nicht erklären, versuchte ernst zu bleiben und überließ Tay das Winken. Hoffentlich wurde er nicht krank. Warrior wurden so gut wie nie krank! Aber er war kein normaler Warrior mehr …
Da der Schichtwechsel ihres Teams zwischen den regulären Essenszeiten lag, war nicht allzu viel los an diesem Nachmittag. Viele holten sich Kaffee und Süßspeisen ab, um sie draußen im Schatten der großen Bäume oder in der kleinen Parkanlage zu verzehren. Zayn war daher froh, dass ihre kleine Gruppe meistens drinnen aß. Draußen wäre es ihm viel zu heiß. Er hatte sich noch nicht ganz an die höheren Temperaturen gewöhnt. Obwohl die Kantine über eine Klimaanlage verfügte, war es Zayn gerade auch ein wenig zu warm in seinem T-Shirt und der Armeehose.
Leider verschwand Sila durch eine Flügeltür in der Küche, und sie wurden an der Essensausgabe von einem jungen Mann bedient. Zayn bekam gar nicht genau mit, was ihm auf den Teller geladen wurde; bloß als er vor der Auswahl des Nachtisches stand, wusste er genau, wofür er sich entschied: den Schokoladenkuchen.
Er nahm sich gleich zwei Stücke, aber nur, weil nichts los war, Sila zuvor die Vitrine aufgefüllt hatte und er bei ihrer süßen Kreation einfach nicht widerstehen konnte. Anschließend setzte er sich zu seinen Kollegen an einen Tisch am Fenster.
Während sie aßen und er Tay und Vigour lauschte, die ihm eine Anekdote aus Paradisia erzählten, spähte Zayn ständig zur Küchentür. Ob Sila noch mal auftauchte?
Ihm gefiel es, wenn sich die Huntress in seiner Nähe aufhielt. Sie war zu jedem freundlich, hatte immer ein offenes Ohr und machte den besten Schokoladenkuchen der Welt. Nicht dass er viele Vergleichsmöglichkeiten oder Erfahrungswerte besaß, schließlich fehlten ihm sämtliche Erinnerungen an sein früheres Leben – aber dank seiner KI wusste er es einfach.
Während er seinen Eintopf löffelte, der zwar gut schmeckte, aber dem drei Prozent mehr Salz nicht geschadet hätten, blickte er sich weiterhin in der Kantine um. Manchmal versuchte er noch unbewusst, einen Gegenstand heranzoomen zu wollen, doch er war froh, wieder echte Augen zu haben. Anfangs war es ungewohnt gewesen, nicht mehr alles wie durch eine Art Suchfernrohr mit Raster zu sehen und Umgebungsinformationen eingeblendet zu bekommen. Doch er musste zugeben, dass seine eigenen Augen, die nach seinem Genom gefertigt worden waren, auch nicht zu verachten waren. Dadurch fühlte er sich ein bisschen normaler oder besser gesagt: ein wenig mehr wie ein Warrior. Obwohl er noch einer der genmanipulierten Krieger der »Ersten Generation« war, verfügte sein Körper über erstaunliche Extras, die einem Normalsterblichen fehlten. Er besaß die Reflexe, das Gehör, den Geruchssinn und das Sehvermögen eines Raubtieres. Dank seiner künstlichen Intelligenz kam noch eine unfassbar schnelle Auffassungsaufgabe hinzu, leider aber auch die Eigenart, alles haargenau analysieren zu müssen.
Zayn betrachtete seinen Zeigefinger, in dem sich sein USB-Stecker befand und in dem er keinerlei Gefühl hatte. Falls man nicht sehr genau hinsah, fiel es zum Glück nicht auf, dass er keinen echten Finger mehr besaß. Ein Kabel führte durch seinen Arm, dessen Knochen mit einem speziellen Metall verstärkt worden waren, bis zu seinem modifizierten Gehirn. Ansonsten hatten ihn diese Bastarde in Paradisia – dem Universum sei Dank – nicht weiter umgewandelt, von seinen Augen abgesehen. Zayn hatte kein Kampf-Cyborg werden, sondern im Hintergrund agieren und gegnerische Sicherheits- und Waffensysteme ausschalten sollen. Da hatte es ein paar seiner damaligen Brüder wesentlich härter getroffen, zum Beispiel Koa, der ebenfalls auf dieser Insel lebte. Doch auch an ihn konnte sich Zayn nicht mehr erinnern …
Glücklicherweise waren ihre genetischen Baupläne komplett aufgeschlüsselt worden, um alle Organe des Körpers nachbilden zu können – aber das hatte bei Zayns Gehirn nicht funktioniert; er wäre in ein Fötenstadium zurückgefallen, weil die Synapsen sich erst ausbilden müssten und sich auch noch keine Dendriten und andere Verbindungen gebildet hätten.
Die irren Ärzte aus Paradisia hatten fast seine gesamte linke Gehirnhälfte entfernt und einen kleinen Teil der rechten. Den neu geschaffenen Freiraum füllten nun Platinen, Kabel, Prozessoren und Chips. Um die Reste seines echten Gehirns zu schützen, befand sich über dem Hybrid-Organ eine Halbkugel aus einem durchsichtigen Material.
Um an sein modifiziertes Organ zu kommen, konnte er den oberen Teil der Schädelplatte mitsamt Haut und Haaren abnehmen. Das bot wahrlich keinen schönen Anblick, weshalb er immer ein Stirnband trug, um den feinen Spalt zu verschleiern. Jede Frau würde wohl schreiend davonlaufen, wenn sie wüsste, wie es in seinem Kopf aussah.
Seinen Berechnungen nach würde das wohl nicht bei einer Huntress passieren, aber sie würde sich bestimmt angewidert von ihm abwenden. Zayn wollte sich gar nicht vorstellen, wie sich Silas perfektes Antlitz vor Ekel verzerrte. Ihr Augenabstand von einer Schläfe zur anderen Betrug genau 45,98 Prozent, und die Distanz von der Pupille zum Mund machte 35,89 Prozent von der Entfernung ihres Haaransatzes zum Kinn aus. Ihr Gesicht besaß einfach die perfekten Proportionen. Das hatte er bisher bei keiner anderen Frau gesehen.
»Wie findet ihr mein neues Kuchenrezept, Jungs?«, fragte Sila und riss Zayn aus seinen Gedanken. Sie stand bei ihnen am Tisch, um Tay Kaffee einzuschenken. Zayn konnte dem bitteren Getränk nichts abgewinnen.
Wie aus der Pistole geschossen erwiderte er: »Meiner Analyse zufolge wäre dein Kuchen mit acht Prozent mehr Schokolade perfekt«, und verfluchte sich sofort, weil er gerade laut gedacht hatte. So etwas wollte sicher keine Frau hören!
Sila stellte die Kanne auf den Tisch, stemmte die Hände in die Hüften und blickte ihn provokativ an. »So, deiner Analyse zufolge …« Da hoben sich ihre Brauen, ihr Gesicht wurde weicher und sie sagte süffisant: »Dann mach es doch besser, Zayn.«
Das war seine Chance, ihr endlich näherzukommen!
Er erhob sich so schnell, dass er fast den Stuhl umwarf. »Die Herausforderung nehme ich an!«
Während Tay ihn über den Rand seiner Tasse musterte und Vigour offenbar vergessen hatte, zu kauen, hob Sila ihre makellos geschwungenen Brauen. »Du willst ernsthaft einen Kuchen backen? Jetzt?«
»Wenn nichts dagegenspricht?« Er ärgerte sich über seine Stimme, die auf einmal viel zu rau klang.
Sie blinzelte. »Nein.«
Tay und Vigour grinsten. Was fanden die beiden daran amüsant?
Zayn räusperte sich leise und fragte seine Freunde und Aufpasser: »Falls das okay für euch ist?«
»Klar.« Tay schmunzelte und machte eine wegwischende Handbewegung. »Wir wollen dein Meisterwerk aber später probieren.«
»Ich werde mein Bestes geben«, erklärte er sachlich, »aber nicht, dass ihr mich danach in die Küche versetzt.«
Tay lachte. »Du entwickelst langsam Sinn für Humor.«
Humor? Er hatte das todernst gemeint. Sein Kuchen würde herausragend schmecken, das wusste er anhand seiner Berechnungen jetzt schon.
Sila streckte ihm fröhlich die Hand hin. »Na, dann komm, Krieger. Aber wehe, du hinterlässt ein Schlachtfeld in meiner Küche. Ansonsten machst du sauber.«
»Ich werde nicht einen Krümel Mehl daneben schütten.« Als er ihre Hand umschloss, durchfuhr ihn ein warmes Kribbeln, das von seinem Magen bis in die Zehenspitzen schoss. Ob seine Prozessoren irgendwie beschädigt waren? Zayn konnte sich die seltsamen Reaktionen seines Körpers nicht erklären.
Während er sich von Sila in die Küche ziehen ließ, musste er sie ständig von der Seite betrachten. Auch ihr Profil wirkte perfekt. Ihre gerade Nase, um die sich einige Sommersprossen verteilten, besaß die richtige Länge, und ihre goldbraunen Wimpern waren unglaublich lang.
Zayn würde gerne einen ihrer dicken Zöpfe in die Hand nehmen, um zu fühlen, ob ihr Haar so weich und glatt war, wie es aussah. Und wie sie erst roch! Heute anziehender denn je, nach Vanille und Zimt. Da lief ihm gleich wieder das Wasser im Mund zusammen.
Träumte er auch nicht? Er würde gleich mit Sila allein sein?
Seine Freunde blieben tatsächlich sitzen, und als sich Zayn kurz vor der Schwingtür zu ihnen umdrehte, streckte Tay verwegen grinsend beide Daumen in die Höhe. Das sollte wohl bedeuten: Viel Glück mit deinem Kuchen.
Vigour machte irgendeine seltsame Bewegung mit der Zunge. Er konnte es anscheinend kaum erwarten, das Resultat zu probieren.
Die beiden vertrauten ihm so sehr, dass sie ihn mit Sila allein ließen. Das erfüllte Zayn mit Stolz und bestärkte ihn in seinem Tun. Er fühlte sich der Gemeinschaft noch ein Stück mehr zugehörig.
Nach all den Wochen, die er bereits auf dieser Insel verbringen durfte, war es das erste Mal, dass er etwas ohne seine Kameraden unternahm – sofern er nicht allein die Zeit in seiner Kammer absaß. Im Hauptgebäude, in dessen Keller sich die Kommandozentrale befand, lagen die ehemaligen Unterkünfte der Warrior, die vor vielen Jahren hier stationiert gewesen waren. Sie dienten nun als Notunterkünfte. Das kleine Zimmer reichte ihm vollkommen, auch wenn er oft daran denken musste, dass früher diese Krieger darin gelebt hatten, die an einem perversen Fortpflanzungsprojekt mitgewirkt hatten. Die Huntress waren mit ihnen zwangsverpaart worden, und Zayn wollte sich nicht ausmalen, was die Frauen durchleben mussten. Er hatte sich in die alten Datenbanken gehackt und herausgefunden, dass auch Sila Teil dieses Zuchtprogramms gewesen war. Im Gegensatz zu einigen anderen Huntress, war bei ihrer Zwangsfortpflanzung kein Kind hervorgegangen, kein lebendes zumindest. Sie hatte mehrere Fehlgeburten erlitten … Mehr wusste er nicht, denn er hatte es bisher aus Respekt vermieden, auch noch ihre Krankenakte zu öffnen.
Den Forschern war es damals darum gegangen, Supersoldaten zu züchten, und zwar solche mit noch spezielleren Fähigkeiten. Zuerst hatten sie immer mehrere Krieger mit einer Huntress in einen Raum gesperrt, um zu sehen, welcher Warrior am meisten auf sie reagierte. Danach wurden die Samenzellen des Kandidaten, der wie ein sexgeiler Berserker über die Huntress hergefallen war, vor der künstlichen Befruchtung mit Gammastrahlen behandelt, um bewusst Zellmutationen hervorzurufen. Durch die außergewöhnlichen Selbstheilungskräfte der Krieger wurden die Schäden an der DNA und den Chromosomen während der Zellteilung repariert. Dabei konnte es zu Fehlreparaturen kommen, durch die Gene aktiviert wurden, die vorher inaktiv gewesen waren.
Das war Jahre her … Einige der fast schon erwachsenen Kinder verfügten heute über spezielle Fähigkeiten wie Telekinese, Pyrokinese oder Telepathie.
So gut wie alle Huntress hatten im Laufe der letzten Jahre einen Partner gefunden, nur Sila nicht. Zumindest hatte Zayn sie in den letzten Wochen nie mit einem Mann gesehen. Ob sie überhaupt auf Männer stand? Oder hatten die furchtbaren Ereignisse sie so sehr abgeschreckt, dass sie nie wieder einen Mann an sich heranlassen wollte?
»So, Süßer, nun zeig mal, was du kannst.« Sila ließ seine Hand los und deutete grinsend auf die lange Arbeitsfläche aus Edelstahl, die vor Sauberkeit geradezu glänzte.
Zayn schluckte. Sie hatte »Süßer« zu ihm gesagt … Fand sie ihn wirklich attraktiv? Oder war das nur ein Kosename, den sie jedem Mann geben würde? Schließlich war sie immer zu allen lieb und freundlich.
Zayn wusste nicht, wie er sich ihr gegenüber verhalten, was er mit ihr reden sollte. Ihm fehlten zu viele zwischenmenschliche Erfahrungswerte, und seine KI konnte auch nicht alles berechnen. Sie war nicht programmiert worden, um Gefühle oder Verhaltensmuster zu analysieren.
In seinem Kopf ratterte es nicht nur sprichwörtlich. Tatsächlich hörte er ganz leise ein Summen tief in seinem Schädel, was gar nicht sein konnte, denn ein Prozessor machte keine Geräusche. Zayn bemerkte normalerweise nicht, dass er modifiziert worden war, beziehungsweiße konnte er sich schließlich nicht daran erinnern, wie es sich angefühlt hatte, noch sein komplettes Gehirn zu besitzen.
Er räusperte sich und sagte mit leicht krächzender Stimme: »Ich brauche Butter, Zucker, Salz, Eier, Mehl, Kakaopulver, Natron …«
Sila zeigte ihm, wo in der Küche welche Backzutaten standen und wie der Ofen funktionierte und reichte ihm lediglich mal eine Schüssel, einen Rührbesen oder später die Form für den Kuchen. Ansonsten saß sie neben ihm auf der Arbeitsfläche und schaute ihm zu.
Irgendwie hätte er große Lust, seine Lippen auf ihren nackten Bauch zu drücken. Oder ihre süßen Zehen in den Mund zu nehmen. Heute hatte sie jeden Nagel in einer anderen Regenbogenfarbe lackiert.
»Hast du schon oft gebacken?«, fragte sie, und es klang ein wenig anerkennend. Anscheinend machte er es richtig.
»Mein erstes Mal«, murmelte er.
Sie kniff leicht die Lider zusammen. »Dann hast du aber schon oft bei jemandem zugeschaut?«
»Nur drüber gelesen.« Er hatte in der Mediathek gestöbert und Backbücher gefunden. Davon hatte er alle Rezepte, die ihm besonders schmackhaft erschienen, auf einem seiner Chips gespeichert – genau wie sämtliche Tipps für das perfekte Gelingen eines Kuchens.
Sie lachte. »Du bist wirklich ein besonderer Kerl, Zayn. Völlig anders als die meisten Krieger.«
Beinahe ließ er ein Ei fallen, das er gerade aufschlagen wollte, und starrte Sila erschrocken an. »Ist das schlecht?«
»Nein, das mag ich.«
In den nächsten Minuten machte sich wieder ein dämliches Grinsen in seinem Gesicht breit, das er einfach nicht abstellen konnte. Doch da Sila ihn ständig verschmitzt anlächelte, schien das okay zu sein.
Sie sprachen kaum etwas miteinander und das Zusammenrühren der Zutaten lenkte ihn wenigstens davon ab, etwas Dummes von sich zu geben. Fürs Erste war er glücklich, weil er in ihrer Nähe sein durfte. Für ihn war die Gesellschaft einer Frau komplett neu – von den Treffen mit Taicoons Familie abgesehen. Aber da war er niemals allein mit Sila gewesen.
Ob sich Teenager bei ihrem ersten Date auch so verwirrt und unsicher fühlten? Hatte Zayn früher genauso empfunden? Hatte es überhaupt Beziehungen zu Frauen gegeben?
Er hatte natürlich Cameron gefragt, aber der konnte sich nicht erinnern.
Also wohl eher nicht oder keine richtigen. Schließlich war er nicht erschaffen worden, um sich zu vergnügen, sondern um zu kämpfen. In Situationen wie dieser vermisste er es, dass er auf keine früheren Lebenserfahrungen zurückgreifen konnte, deshalb musste er sein Gehirn bemühen.
Scharf überlegte er, während er den rohen Teig in eine quadratische Form füllte. Sila hatte sich auf der Arbeitsplatte leicht zu ihm gedreht und schien immer näher zu rutschen. So intensiv wie sie ihn oft ansah … Bahnte sich zwischen ihnen vielleicht gerade so etwas wie eine Beziehung an? Wann wusste jemand, wenn der andere mit einem zusammen sein wollte? Wurde darüber gesprochen?
»Machst du gar keine Kostprobe?«, fragte Sila und fuhr mit ihrem Finger durch die ausgekratzte Rührschüssel, um ein paar Teigreste aufzunehmen. Danach schob sie ihm die Kuppe einfach in den Mund.
Zayn ließ fast die Kuchenform fallen, die er gerade in den Ofen stellen wollte, und saugte automatisch an ihrem Finger. Als er ihn mit der Zunge kitzelte, lachte Sila wieder, zog den Arm zurück und steckte sich denselben Finger – an dem garantiert kein einziger Krümel mehr klebte – selbst in den Mund. Dabei schloss sie die Augen und sagte: »Mmm, lecker.«
Sein Schwanz zuckte in seiner Hose und richtete sich langsam auf. Nicht ausgerechnet jetzt! Er wollte nicht, dass Sila das mitbekam. Dennoch würde er ihr zu gerne seinen Finger in den Mund schieben. Es fiel ihm ohnehin schwer, auf Abstand zu bleiben. Ihr Atem ging ein wenig schneller, ihre Wangen waren sanft gerötet und sie roch wahnsinnig gut! Nicht nur nach Zimt und Vanille, sondern auch noch nach einem anderen Duft. War das Honig? Oder ihr ureigenes, weibliches Aroma?
Zayn erinnerte sich an einen sehr interessanten Eintrag in der Datenbank über die Prägung, den Blutrausch und die Gefährtenbindung. Huntress und Warrior mussten bei der Partnerwahl nicht nach dem Äußeren gehen, denn sie konnten riechen, ob vor ihnen der perfekte Partner stand. Je unterschiedlicher die Immunsysteme der beiden waren, also je besser sie sich ergänzten, desto anziehender wirkte der Geruch des anderen. Daraufhin schüttete das Gehirn Botenstoffe aus, die zwei Menschen auf diese perfekte Wahl festlegten oder sogar einen regelrechten Blutrausch heraufbeschworen.
Sobald ein Paar zusammengefunden hatte, entwickelte das Blut beider Parteien Anomalien, sodass keiner der zwei mehr eine betörende Wirkung auf andere Personen hatte. Und wenn man den für sich perfekten Partner fand, wurde man regelrecht auf ihn geprägt.
Falls wirklich alles zu hundert Prozent passte, also man einen Partner hatte, mit dem man auch genetisch perfekten Nachwuchs zeugen konnte, schien beide eine Art Rausch zu befallen, sodass sie unbedingt das Blut des anderen kosten wollten. Die Blutsverbindung kam zwar nur selten vor, aber sie stellte die tiefste Verbindung dar, die es zwischen einem Warrior und einer Huntress geben konnte.
Zayn hatte nicht das Verlangen, Silas Blut zu kosten, obwohl er sich stark zu ihr hingezogen fühlte und sie ihn nachts in seinen Träumen besuchte. Diese Träume bescherten ihm auch immer einen Ständer! Doch der Blutrausch blieb einfach aus. Bei ihr anscheinend auch. Weil sie beide nicht gut genug zusammenpassten? Oder weil ihm Teile seines echten Gehirns und somit die speziellen Voraussetzungen fehlten?
Die Prägung funktionierte allerdings auch ohne Blutrausch, und falls Zayn Silas Reaktionen richtig deutete, fand sie ihn zumindest anziehend. Ständig berührte sie ihn wie zufällig, wischte hier und da etwas Mehl von ihm ab und lächelte ihn ununterbrochen an.
Solange sie seinem Kopf nicht zu nahe kam oder sein Stirntuch verrutschte, war alles gut. Zwar war – Naniten sei Dank – kein Metallstreifen mehr auf der Haut zu erkennen, dort, wo sich seine obere Schädelplatte mit einer leichten Schraubbewegung abnehmen ließ. Doch eine feine Rille war ihm geblieben, denn die Haut schloss nicht perfekt ab. Sila würde sicher wissen wollen, was er dort hatte. Wie würde sie reagieren? War es unfair, ihr nicht gleich die volle Wahrheit über sich zu erzählen?
Zayn brachte sie nicht über die Lippen, weil er diesen besonderen Moment mit Sila einfach zu sehr genoss. Außerdem war zwischen ihnen ja auch noch nichts passiert.