Читать книгу Ein Job - Irene Dische - Страница 5

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Der Killer begann seine Karriere mit Schneeballwerfen. Seine ersten Ziele waren die grünen Beine und die quietschenden Stiefel der Soldaten, die durch sein kurdisches Heimatdorf im Osten der Türkei patrouillierten. Der Killer war vorsichtig, und oft traf er daneben. Er ging noch in die erste Klasse. Eines Tages schlugen die türkischen Soldaten seinen Vater zusammen. Der Gemüsehändler hatte sich geweigert, strammzustehen, während die Polizeikapelle die Nationalhymne spielte. Danach verbesserte der Killer seine Technik. Er überzog die harten Schneekugeln mit einer Eisglasur, indem er sie mit den bloßen Händen anwärmte und dann gefrieren ließ. Seine Handflächen waren immer rot und rissig.

Je besser er traf, desto mehr Freude machte es ihm. Die Wildheit überkam ihn wie ein plötzliches Fieber in der Abenddämmerung, nach einem Tag kalter Fügsamkeit in der Schule, wo er Türkisch lernen sollte, die Geschichte der türkischen Errungenschaften und türkische Dichtung und die Geographie des türkischen Expansionismus in Europa. Seine Lehrer prügelten ihm den kurdischen Akzent aus und verschafften ihm damit einen Vorteil in seinem künftigen Beruf. Er war höflich, er war gehorsam, er war es gewöhnt, daß die Leute ihm wegen seines hübschen Gesichts Komplimente machten, und er war faul – jedenfalls in der Schule. Sein Ehrgeiz lag anderswo. Er studierte die türkischen Soldaten, ihre imposanten grünen Monturen, die Gewehre, die sie als Prügel benutzten. Aber er stellte fest, daß er die vielen Silhouetten nicht auseinanderhalten konnte. Deshalb wandte er sich von ihren Beinen ab und zielte von nun an in ihre Gesichter. Da konnte er sie identifizieren und erkennen, ob er sie verletzt hatte und wie schwer.

Eines Nachmittags im Winter, als seine Kameraden schon heimgegangen waren, beschloß der Killer, noch eine Runde zu drehen. Mit einem Beutel Schneebälle über der Schulter suchte er sich seinen Weg auf den schneebedeckten Dächern der Häuser. Er sprang von einem zum anderen und kam gut voran. Aber es war spät, es wurde dunkel, es war glatt, und einmal verschätzte er sich. Statt auf dem nächsten Dach zu landen, stürzte er kopfüber in eine Schneeverwehung zwischen zwei Häusern. Er spürte, wie er im Pulverschnee versank und wie er durch sein Gestrampel nur noch tiefer rutschte. Der Schnee glühte auf seiner Haut. Die Zeit lief schon langsamer. Er wollte noch etwas sagen und öffnete den Mund. Aber der Schnee quoll ihm in den Mund und bis in die Kehle. Aus den Wörtern wurde ein Würgen: »Auf Wiedersehen, Großmutter.«

Plötzlich spürte er, wie sich ein Schraubstock erst um das eine, dann um das andere Bein spannte. Sein glühender Körper straffte sich. Er glitt wieder nach oben, wurde gezogen. Ihm fiel ein, daß er nach seiner Großmutter gerufen hatte, und an die Stelle der Erleichterung, die er eben noch verspürt hatte, trat ein viel stärkeres Gefühl: er weinte vor Scham. Von einer neuen, anderen Panik erfüllt, rieb er sich die Augen, erblickte einen braunen Lederstiefel und darüber ein grünes Bein. »Wo wohnst du?« fragte eine Stimme.

Er hing mit dem Kopf nach unten, beide Füße von einer Soldatenfaust umklammert. Diese Schande. Obwohl er sich vorkam wie ein gefangenes Kaninchen, beantwortete er die Frage des Soldaten und deutete mit einem verfrorenen Zeigefinger auf das letzte Haus der Straße. An den Füßen, die in Stiefeln aus altem Reifengummi steckten, trug der Soldat seine Trophäe zum Dorfrand. Die Großmutter des Killers wartete ängstlich in der Tür und brach schon in erleichtertes Gejammer aus, als der Soldat mit dem Jungen noch weit weg war. Der Soldat reichte ihr das Kind über die Schwelle und sagte: »Das habe ich in einem Schneehaufen gefunden. Ich glaube, es lebt noch.«

Zur Verwunderung des Killers bat seine Großmutter den Soldaten herein, bedeckte die Handschuhe, in denen seine Hände steckten, mit Küssen und bestand darauf, daß er ein Glas Tee trank und ein Stück frisches Brot aß. Am nächsten Tag war der Killer wieder auf seinem Posten. Diesmal hatte er in jeden Schneeball, bevor er ihn festdrückte und mit Spucke einrieb, einen Stein gesteckt. Er hatte seine Berufung gefunden.

Ein Job

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