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Die vierundvierzigjährige Sabine Kofler hetzte durch die Straßen Hurghadas. Zwei Männer verfolgten sie. Oder waren es mehr? Bis zur Einmündung in diese Gasse waren sie ihr mit dem Wagen dicht auf den Fersen gewesen. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätten sie gehabt. Mit dem Wagen kamen sie hier nicht weiter, dafür war die Gasse viel zu eng. Für einen kurzen Moment war Sabine erleichtert und atmete tief durch. Sie ging weiter und bog in die nächste Straße, aber dort entdeckte sie den Wagen erneut. Was jetzt?

Sie rannte so schnell sie konnte. Nirgendwo gab es eine Möglichkeit, wo sie sich verstecken konnte. Dann sah sie den Markt, auf den sie zu rannte. Ob die Männer es wagen würden, sie in der riesigen Menschenmenge zu stellen? Sie musste versuchen, dort unterzutauchen und ihre Verfolger abzuschütteln. Der riesige Markt mit den unzähligen Ständen und einem Labyrinth von Wegen war ihre einzige Chance und die musste sie nutzen.

Sie rannte mitten in das Gewusel des Marktes. Hier fiel sie nicht nur wegen ihren blonden Haaren auf, sondern vor allem wegen ihrem krebsroten Gesicht und ihrem schnellen Gang. Sabine musste sich zwingen, langsam zu gehen. An einem Stand klaute sie ein Tuch, das mit vielen anderen sauber auf einem Tisch zum Verkauf angeboten wurde. Ob man sie erwischte? Das war ihr gleichgültig, sie ging einfach weiter und schlang sich das Tuch um den Kopf. Irgendwann fühlte sie sich sicher und konnte es sich erlauben, für einen kurzen Moment auszuruhen. Sie verzog sich in eine Ecke. Passanten gingen an ihr vorbei und achteten nicht auf sie, was ihr sehr guttat. Sie musste sich sammeln. Was sie in Kairo gesehen hatte, war der Wahnsinn! Auf der Suche nach gefälschter ägyptischer Kunst stieß sie auf Raubkunst aus dem zweiten Weltkrieg. Waren das echte Kunstschätze oder waren auch diese gefälscht? Sie wusste es nicht, schließlich war sie keine Kunstexpertin. Sie war als freie Journalistin der gefälschten Kunst auf der Spur und suchte nicht nur nach den Hintermännern, sondern vor allem nach Beweisen. Und dann stand sie plötzlich vor großen Meistern, die längst als verschollen galten. Meister wie van Gogh, Raffael, Bellini und viele andere. Bei einem der Gemälde war sie stutzig geworden. War das nicht einer der Kunstschätze, die der Raubkunst zugeordnet wurden und seit Kriegsende 1945 verschwunden waren? Am liebsten hätte sie danach im Internet geforscht, aber dafür hatte sie keine Zeit, schließlich hatte sie sich unrechtmäßig Zugang in das Kairoer Haus verschafft. In einem Eck stand sie vor diversen Skulpturen, die ihr nicht viel sagten. Eine davon nahm sie in die Hand und strich über die glatte Oberfläche. Wie alt diese Figur wohl sein würde? Dann entdeckte sie eine Truhe. Ob sie es wagen konnte? Sie klappte den Deckel auf und starrte auf ein ordentlich sortiertes Sammelsurium an Schmuckstücken. Sie strich darüber und griff sich eine schwere Kette, die mit bunten Steinen besetzt war. Ob die echt war? Sie konnte nicht anders und zog die Kette an, da sie sich diese später genauer ansehen wollte. Obwohl sie völlig durcheinander war, begann sie, alles zu fotografieren, was sie vorfand. Sie hatte jede Menge Bilder gemacht, als man sie entdeckte. Sie hatte den Mann nicht kommen hören, der sie anschrie und nur wenige Meter von ihr entfernt aufgetaucht war. Der Mann war Europäer. So, wie er sprach, war er entweder Engländer oder Amerikaner. Er kam auf sie zu und hatte nach ihr gegriffen, aber nur ihre Tasche erwischt. Es hätte nicht viel gefehlt und er hätte sie gehabt. Sie lief los und rannte um ihr Leben. Sie lief zu dem Fenster, in das sie eingestiegen war und das sie nur angelehnt hatte. Sie war noch nie die Sportlichste gewesen, aber heute hatte sie eine Energie und eine Kraft entwickelt, die sie sich selbst nicht zugetraut hätte. Den Weg durch den Garten nahm sie mit links, dann sprang sie über den Zaun. Der Mann blieb an ihr dran, während er ununterbrochen schrie. Es stand für Sabine außer Frage, dass er um Hilfe rief. Nicht mehr lange, und sie hatte es nicht mehr nur mit einem Verfolger zu tun. Die Distanz zwischen ihr und ihrem Verfolger vergrößerte sich, aber er blieb an ihr dran. Um ihn abzulenken, nahm sie die Speicherkarte aus der Kamera und steckte sie ein. Die Kamera ließ sie einfach fallen. Der Trick funktionierte. Der Mann blieb stehen und hob die Kamera auf, was ihr einen enormen Vorsprung verschaffte. Als sie sich zwei Straßen weiter in Sicherheit wähnte, bemerkte sie den Wagen, der viel zu schnell fuhr. Galt ihr das oder war sie schon so paranoid? Sie schlug zwei Haken und dann war es klar: Der Wagen war hinter ihr her!

Es gelang ihr, bis zum Kairoer Ramses-Bahnhof zu rennen. Hier stieg sie in den erstbesten Zug ein. Wohin die Reise ging, war ihr gleichgültig, sie wollte einfach nur weg. Der Zug war brechend voll, trotzdem fiel sie als blonde Touristin sofort auf. Außerdem hatte sie kein Geld bei sich, aber das war zweitrangig. Sie war ihren Verfolgern entkommen und nur das zählte.

Der Zug leerte sich, was ihr sehr unangenehm war, da sie befürchtete, ohne Fahrkarte aufgegriffen zu werden. Aber hier hatte sie Zeit, ihre Gedanken zu ordnen. Was war sie da auf der Spur? Konnte es tatsächlich sein, dass sie längst verschollen geglaubte Raubkunst gefunden hatte? Erst jetzt bemerkte sie, dass sie immer noch die Kette trug. Sie sah sich um, die wenigen Mitreisenden schliefen oder lasen. Nun konnte sie es wagen, sich das Amulett genauer anzusehen. Die Steine funkelten um die Wette. Irgendwelche Stempel konnte sie mit bloßem Auge nicht erkennen. Und wenn, dann könnte sie sowieso nichts damit anfangen, da sie sich mit Schmuck nicht auskannte. Auf der Rückseite befand sich eine Gravur: In ewiger Liebe, E. Das Hakenkreuz daneben war jetzt deutlich zu sehen, vorhin hatte sie es nicht bemerkt. Von wem stammte die Gravur und für wen war sie bestimmt? Seit wann hatte man damit begonnen, Schmuckstücke zu gravieren? Fragen über Fragen, die sie nicht beantworten konnte. Sie steckte das Amulett wieder unter ihre Bluse. Nach der nächsten Haltestelle leerte sich der Zug noch mehr, was ihr nicht gefiel. Sie musste dringend etwas unternehmen, bevor sie aufflog. Sie konnte sich nicht ausweisen und hatte nicht einen Cent bei sich. Dann bemerkte sie einen Mann, der offenbar Fahrgäste kontrollierte. Panik stieg in ihr auf. Was jetzt? Sie rannte zur Toilette und schloss sich ein. Hier stank es fürchterlich. Die Toilette war total verschmutzt. Sabine kämpfte mit dem Würgereiz. Hier war es zwar ekelhaft, aber dafür sicher. Am nächsten Bahnhof stieg sie aus. Sie sog die frische Luft ein und ihr Magen beruhigte sich langsam. Wo war sie hier? Sie konnte die Schilder nicht lesen. Und wenn, dann hätten sie ihr nichts gesagt. Sie stieg in einen Zug, auf den viele andere warteten. Das wiederholte sich mehrere Male, bis sie schließlich in Hurghada landete. Wie sie das geschafft hatte, war ihr ein Rätsel. Der Bahnhof war leer, Züge würden hier erst wieder in einer Stunde abfahren. Sollte sie hier einfach warten? Sie entschied sich dagegen, denn Durst und Hunger wurden übermächtig. Vielleicht fand sich irgendwie eine Möglichkeit zur Nahrungsaufnahme, aber vor allem brauchte sie etwas zu trinken.

Und dann bemerkte sie den Wagen, der ihr gefolgt war. War das so? Konnte es wirklich sein, dass man ihre Spur von Kairo nach Hurghada verfolgt hatte? Wie sollte das gehen? Es war ihr ein Rätsel. Vielleicht war sie auch nur müde und durcheinander. Sie sah Verfolger, die es nicht gab. Ja, so musste es sein.

Hier stand sie nun auf dem Markt in Hurghada, der von Einheimischen und vielen Touristen besucht wurde. Wie sie hierhergefunden hatte, war ihr erneut ein Rätsel, aber hier fühlte sie sich vorerst sicher. Außerdem gab es hier sicher etwas zu Essen. Aber was dann? Wie weit kam sie ohne Papiere und ohne Geld? Dazu musste ihr eine Lösung einfallen.

Sie reihte sich in den Strom der Marktbesucher ein. Sie beruhigte sich. An einem Brunnen trank sie gierig Wasser.

Dann entdeckte sie einen Mann, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ: Das war der, der sie in Kairo beim Fotografieren erwischt hatte! Wie war das möglich? An seiner Seite war ein anderer, den sie nicht kannte. Konnte das wahr sein? Wie hatten die beiden sie aufgespürt? Erschrocken blieb sie stehen und konnte nicht glauben, was sie sah. Die beiden Männer waren hinter ihr her, ganz sicher! Sie kamen direkt auf sie zu und standen fast vor ihr. Sie spürte, wie Panik in ihr aufstieg. Sie drehte sich um und rannte um ihr Leben.

Dreckiges Erbe

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