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2.

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Leo Schwartz hatte sich auf dem Flug nach Hurghada glänzend mit seiner Sitznachbarin unterhalten. Die anfangs zickige Mittsiebzigerin entpuppte sich als charmante Gesprächspartnerin, was vermutlich auch an Leos Alkoholkonsum lag. Die freundliche Stewardess schenkte ihm gerne nach, was er dankend annahm. Die Gedanken an den letzten Fall, der zum Glück gut ausgegangen war, aber vor allem die Tatsache, dass er Viktoria endgültig verloren hatte, konnte er nur mit Alkohol und Ablenkung ertragen. Die Freude auf seinen alten Freund Georg Obermaier, der ihn in Ägypten erwartete, war momentan sein ganzer Halt. Auch Georg litt an gebrochenem Herzen, da ihn seine Frau zusammen mit der Tochter nun doch verlassen hatte, obwohl Georg alles dafür getan hatte, dies zu verhindern. Die Reise nach Ägypten war eine Spontanentscheidung, nachdem Georg hier Urlaub machte und versuchte, seinen Kummer in angenehmer Umgebung zu ertränken. Gemeinsam mit Georg würde er wieder auftanken und alles vergessen können, was ihn belastete. Das war zumindest der Plan.

Das Flugzeug war gelandet. Leo wagte einen Blick aus dem Fenster und sah nur Sand. Die Lautsprecherdurchsage war kaum zu verstehen. Fast alle Passagiere waren aufgestanden und warteten darauf, dass das Flugzeug seine Parkposition erreichte und man endlich den ersehnten Urlaub antreten konnte. Leo musste lachen und blieb sitzen, wie die Dame neben ihm auch. Sie warteten, bis sich die Massen aus dem Flugzeug drängten, dann standen auch sie auf. Leo bedankte sich lallend bei der Stewardess, auch wenn er sich nicht mehr sicher war, ob sie es war, die ihn umsorgt hatte. Ein warmer, angenehmer Wind schlug ihm entgegen, als er das Flugzeug verließ und die Gangway betrat. Der Flughafen war ziemlich klein, was ihn aber nicht sonderlich interessierte. Das Wetter war gut und Georg wartete sicher schon mit einem Cocktail auf ihn im Hotel, nur das war jetzt wichtig.

Der Typ im Sicherheitsbereich sprach ihn an, aber Leo verstand ihn nicht. Was wollte der Mann von ihm? Er hatte kein Handgepäck dabei, deshalb knallte er seine Papiere und das Portemonnaie auf den kleinen Tisch; soll der Mann sich doch nehmen, was er brauchte. Jetzt verstand Leo. Der wollte nicht nur den Reisepass, sondern auch Geld für das Visum. Woher sollte er das wissen? Die weiteren Kontrollen ließ Leo über sich ergehen. Er war für jede Art von Kontrolle; je mehr, desto besser.

Leo musste lange auf seine Reisetasche warten, mehr Gepäck hatte er nicht dabei und mehr brauchte er auch nicht. Als er seine Tasche endlich auf dem Gepäckband erblickte, musste er sich durch die Menschenmenge drängeln, die den Zugang blockierten. Leo mochte diese Menschenansammlungen mit übelgelaunten und hektischen Menschen nicht, er musste sie auch nicht mehr lange ertragen. Auf ihn warteten unbeschwerte Urlaubstage am Strand in Georgs Gesellschaft. Wie lange hatten sich die beiden nicht gesehen? Drei Jahre, vier Jahre oder mehr? Er konnte sich noch sehr gut an den dunkelhäutigen Georg mit den wilden, schwarzen Locken erinnern, der immer gut gekleidet und meist gut gelaunt war.

Leo schlenderte auf den Ausgang zu und freute sich nicht wirklich auf den Bus, der ihn zwangsläufig wieder mit vielen anderen Urlaubern zusammenpferchen würde.

„Leo! – Leo! Halloooooooo!“, rief Georg, der seinen Freund sofort entdeckt hatte, was bei dessen Körpergröße von einem Meter neunzig kein Problem war. Grau war er geworden, ebenso wie er selbst. Allerdings trug er immer noch diese schrecklich bunten T-Shirts, mit denen er überall auffiel. Konnte es sein, dass er immer noch dieselben ausgelatschten Cowboystiefel trug? Tatsächlich! Georg rief wieder und wieder. Endlich reagierte Leo, denn er blieb stehen und sah sich um. Hatte er eben seinen Namen gehört? Leo konnte es kaum glauben, als Georg direkt vor ihm stand. Er hatte sich verändert. Die wilden, dunklen Locken waren grau geworden. Auch das spitzbübische Grinsen war nicht mehr so frisch, wie er es in Erinnerung hatte. Mit ausgebreiteten Armen ging Leo auf ihn zu.

„Du bist alt geworden, mein Freund. Ich hätte dich fast nicht erkannt.“

„Charmant wie eh und je. Keine Sorge, Leo, der Zahn der Zeit hat auch an dir ordentlich genagt.“

Beide lachten. Es war, als ob es die letzten Jahre nicht gegeben hätte.

„Bitte sag mir, dass du mit einem Wagen hier bist. Ich habe keinen Bock auf eine Busfahrt voller Touristen.“

„Sei fair, Leo, du bist auch ein Tourist. Aber keine Sorge, ich bin mit einem Taxi hier und mit dem fahren wir zurück zum Hotel.“ Georg sah Leo an. „Hast du getrunken?“

„Ja.“ Sollte er sich erklären? Warum?

Die Fahrt war sehr angenehm. Der Taxifahrer Sharif sprach einige Worte englisch, die er ohne Sinn aneinanderreihte und immer wieder wiederholte. Der Typ war eine Frohnatur, was Leo sehr lustig fand. Sharif redete ununterbrochen, wobei er in verschiedene Richtungen zeigte. Es war offensichtlich, dass er seine Heimat anpries, auf die er sehr stolz zu sein schien. Dann stoppte er und drehte sich um.

„Was will er?“, fragte Leo.

„Keine Ahnung. Er hat offenbar eine Frage gestellt, auf die er eine Antwort erwartet.“

„Yes“, sagte Leo schließlich lachend und zuckte mit den Schultern, als Georg ihn anstarrte. Sharif lächelte und fuhr von der Straße ab.

„Hoffentlich kommen wir irgendwann im Hotel an“, maulte Georg, der keine Lust auf eine Tour durch die karge Landschaft hatte.

„Sei kein Spielverderber, alter Freund. Wir haben Urlaub! Was spricht dagegen, sich etwas umzusehen? Ich war noch nie in Ägypten und bin gespannt, was uns der Mann zeigen möchte.“ Leo hatte beste Laune und sah sich interessiert um. Schon wie Sharif den Wagen wendete, war lustig, denn ihn schienen die anderen Verkehrsteilnehmer nicht zu interessieren.

Georg musste schmunzeln. Leo war stockbesoffen und er musste zusehen, dass er starken Kaffee für ihn fand. Was soll’s, dann gab es eben heute eine Touristentour. Die karge Gegend wurde bewohnter, bis sie schließlich eine Stadtgrenze passierten. Welche Stadt das war, war Leo gleichgültig. Georg war klar, dass das Hurghada sein musste. Leo sog die Luft durch das offene Fenster ein und ließ sich den Fahrtwind um die Nase wehen.

„Hier riecht es fantastisch“, rief er laut. Der Fahrer verstand zwar kein Wort, lachte aber dennoch. Er fuhr geschickt durch die belebte Stadt, in der es von Einheimischen und Touristen nur so wimmelte. Dann stoppte er, drehte sich grinsend um und forderte die beiden auf, ihm zu folgen.

„Sharif ist wohl der Meinung, dass wir einen Markt besuchen möchten. Sieh dich um, Georg, das ist doch der Wahnsinn!“ Leo war begeistert und stieg aus. „Komm schon, sei kein Spielverderber und gönn mir diesen Spaß.“

„Meinetwegen! Aber zuerst gibt es Kaffee, damit du wieder nüchtern wirst. Ich habe keine Lust darauf, den ganzen Tag eine Attraktion nach der anderen ansehen zu müssen, nur weil du nicht ganz klar in der Birne bist.“

Georg machte Sharif klar, dass sie Kaffee trinken wollten. Dieser verstand und ging einfach los, Georg und Leo folgten ihm. Leo hatte noch niemals vorher solch einen vollgestopften und lebhaften Markt gesehen. Überall standen Menschen, die wild gestikulierend miteinander sprachen. Es war offensichtlich, dass man nicht den Preis bezahlte, der auf der Ware angebracht war. Leo war ein leichtes Opfer für die Händler. Er blieb überall stehen und ließ sich bequatschen. Sharif kümmerte sich um ihn und zog ihn einfach weiter, wobei er dem einen oder anderen Einheimischen der Klangfarbe der Stimme nach zu urteilen Schimpfworte an den Kopf warf. Oder ging man hier so miteinander um? Leo amüsierte sich köstlich, während Georg die Menschenmassen mehr und mehr auf die Nerven gingen.

Endlich gab es starken Kaffee, den Leo widerwillig trank. Georg bestand darauf, dass er einen weiteren herunterschluckte, auch wenn der noch widerlicher schien, als der erste. Da Leo keine Lust darauf hatte, sich jetzt schon mit Georg anzulegen, fügte er sich. Dann ging es erneut mitten ins Getümmel des Marktes.

Leo und Georg wurden immer wieder von Händlern angesprochen, aber das würgte Sharif mit kurzen Worten ab, wenn sie ihr Desinteresse zum Ausdruck brachten. Sie aßen an einem Stand, an dem es verführerisch duftete. Sharif übernahm die Bestellung und war fast beleidigt, als Leo die Rechnung übernehmen wollte. Georg kaufte ein T-Shirt für seine Tochter, mehr fand er nicht. Leo erstand ein Tuch für Tante Gerda und Honig für die Kollegen. Ob das das richtige Geschenk war? Leo musste schmunzeln und freute sich jetzt schon über die dummen Gesichter der Kollegen, wenn jeder ein Glas Honig in die Hand gedrückt bekam. Leos Laune war bestens. Gerade, als er erneut von einem Tuchhändler angesprochen wurde, lief ihm eine Frau vor die Füße. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte ihn umgerannt. Leo konnte sich selbst und die Frau gerade noch festhalten. Sie sah ihn an und Leo konnte die Angst in ihren Augen sehen.

„Sprechen Sie deutsch?“

„Ja.“

„Kann ich Ihnen helfen?“

„Ich muss hier weg, ich werde verfolgt.“

Leo musste sich konzentrieren. Was sagte die Frau da?

„Haben Sie eben gesagt, dass Sie verfolgt werden?“

„Ja.“

Leo sah sich um. Georg war mit Sharif in Verhandlungen, wobei es wohl um Gewürze ging. Dann bemerkte er zwei Männer, die sich auffällig suchend umblickten. Das mussten die Verfolger der Frau sein.

„Kommen Sie mit“, entschied Leo und betrat den Laden, vor dem sie gerade standen und in dem sie mit offenen Armen empfangen wurden. Sofort wurden Stoffe ausgebreitet.

„Den hier“, deutete Leo auf einen pinkfarbenen Stoff und zeigte auf die Fremde. Der einheimische Verkäufer strahlte und nahm den Stoff an sich, wobei er ihn wie ein rohes Ei behandelte. Durch eine Fülle von Stoffen gab es eine schmale Stelle, durch die man nach draußen sehen konnte. Leo behielt im Auge, was sich vor dem Geschäft abspielte. Er bemerkte die Verfolger, die immer näher kamen. Er nahm dem Verkäufer den Stoff aus der Hand und hielt ihn schützend vor die Frau. Das war geschafft, die beiden Männer gingen weiter. Leo wollte den Stand verlassen, aber der Verkäufer ließ nicht locker. Er redete auf Leo ein, aber der verstand kein Wort. Der bemühte sich redlich, dann endlich verstand Leo.

„Er will Ihnen ein Kleid nähen. Und so, wie ich ihn verstehe, will er das sofort machen“, sagte er zu der Frau, die ängstlich in der Ecke stand und es nicht wagte, sich zu bewegen.

Sabine war nervös. Der fremde, freundliche Mann hatte ihr geholfen und sie war ihm unendlich dankbar. Für ein neues Kleid hatte sie jetzt keine Nerven. Sie war kurz davor abzulehnen. War es nicht klug, das Äußere zu verändern? Aber wie sollte sie das bezahlen? Darüber musste sie sich später Gedanken machen, jetzt war nicht der richtige Moment dafür. Sie nickte schließlich und der Verkäufer nahm die Frau mit nach hinten. Gerade noch rechtzeitig, denn einer der Männer betrat den Laden, sah sich um und verschwand wieder. Das war knapp.

Leo wollte in den hinteren Teil des Ladens gehen, wurde aber von dem Besitzer daran gehindert. Es blieb Leo nichts anderes übrig, als laut zu rufen.

„Die Männer sind weg, Sie sind vorerst in Sicherheit. Geht es Ihnen gut?“

„Mir geht es gut, danke. Vielen Dank für Ihre Hilfe.“

Sollte Leo gehen? Ging ihn das Problem der Frau überhaupt etwas an? Er hatte Urlaub und wollte sich entspannen.

„Was machst du hier? Wir haben dich gesucht.“ Georg und Sharif standen im Laden.

„Ich habe einer Frau geholfen, die verfolgt wurde.“

„Du darfst dich nicht einmischen! Hier gelten andere Gesetze und Regeln, Leo.“

„Das weiß ich. Die Frau ist eine Deutsche. Die Verfolger sahen europäisch aus.“

„Eine Deutsche? Wo ist sie jetzt?“

„Dort hinten. Sie bekommt ein Kleid geschneidert. Ich bin unsicher, ob ich sie allein lassen kann.“

„Du hast dich nicht verändert, Leo. Kaum ist jemand in Not, fühlst du dich verantwortlich. Wie heißt sie? Woher kommt sie?“

„Wir konnten noch nicht miteinander sprechen, es musste alles sehr schnell gehen.“

„Gut, warten wir und fragen wir sie. Wenn sich die Sache als harmlos herausstellt, geht es direkt ins Hotel. Versprochen?“

„Und wenn nicht?“

„Dann sehen wir weiter.“

Sharif verstand kein Wort. Da sich die Touristen nicht bewegten und aus einem ihm unverständlichen Grund in diesem in seinen Augen völlig überteuerten Geschäft bleiben wollten, blieb ihm nichts anderes übrig, als ebenfalls zu warten.

Die Frau erschien endlich. Sie sah wunderschön aus, die Schneiderin hatte ganze Arbeit geleistet.

„Sie haben auf mich gewartet?“

„Ja. Ich möchte sichergehen, dass Sie nicht mehr belästigt werden. Das ist mein Freund Georg Obermaier und das ist unser Fahrer Sharif.“

„Ich bin Sabine. Lächeln Sie, niemand darf misstrauisch werden. Es soll so aussehen, als wären wir alte Bekannte. Wie ist Ihr Name?“

„Ich bin Leo, Leo Schwartz.“

„Gut, dass Sie geblieben sind, Leo. Haben Sie Geld dabei? Ich habe weder Ägyptische Pfund, noch Euro bei mir. Mein Plan war, einfach davonzulaufen und die Zeche zu prellen. Darauf kann ich jetzt zum Glück verzichten. Würden Sie mir das Geld auslegen? Sie bekommen es auch ganz bestimmt zurück.“

„Selbstverständlich. Betrachten Sie das Kleid als ein Geschenk.“ Leo zückte seinen Geldbeutel. Georg war überrascht, denn Leo war als Schwabe für seine Sparsamkeit bekannt. Ob es am Alkohol lag, dass er so spendabel war? Ja, das musste es sein, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass Leo sich in diesem Punkt so sehr verändert hatte.

Der Verkäufer schrieb eine Zahl auf einen Zettel. Jetzt schritt Sharif ein und diskutierte laut mit dem Mann. Das gab den dreien die Gelegenheit, miteinander zu sprechen.

„Von wem wurden Sie verfolgt?“, wollte Georg wissen, der die Frau auffällig musterte. Ja sie war hübsch, keine Frage, trotzdem blieb er misstrauisch.

„Das ist eine lange Geschichte. Und es ist meine Geschichte, in die ich Sie nicht hineinziehen möchte. Ich möchte mich nochmals herzlich bedanken, Leo. Für die Hilfe und für das Kleid. Damit kann ich hoffentlich unerkannt in der Menge untertauchen.“ Georg hatte daran seine Zweifel, denn die Frau sah aus wie ein glitzerndes, pinkfarbenes Bonbon. Für Leo war das eine landestypische Tracht, mehr nicht.

Sharif drehte sich strahlend um und übergab Leo den Zettel, auf dem eine neue Zahl stand. Sharif hatte es tatsächlich geschafft, den Betrag fast zu halbieren.

Leo bezahlte und sie gingen nach draußen. Gerade, als Sabine gehen wollte, entdeckte sie die beiden Verfolger, die von einer anderen Seite auf sie zukamen. Sie drehte sich um und hakte sich bei Leo ein.

„Würden Sie mir noch einmal helfen? Ich muss aus der Stadt raus, und zwar so schnell wie möglich.“

Jetzt sah auch Leo die beiden Männer und nickte nur. Er griff in den Plastikbeutel und zog das Tuch hervor, das er für Tante Gerda gekauft hatte. Er reichte es Sabine, die es sich sofort um den Kopf band. Georg verstand, nur Sharif schien beleidigt, dass sich die beiden Touristen entgegen seinem Vorschlag vom Markt entfernten und auf das Taxi zugingen. Sharif hatte anfangs nicht verstanden, was die Frau mit den beiden zu tun hatte, aber das ging ihn nichts an. Sie sprachen dieselbe Sprache und es war offenbar so, dass man sich irgendwie geeinigt hatte. Die Frau schien nun ebenfalls sein Fahrgast zu sein, den er extra berechnen musste; es sollte ihm recht sein.

Als Sharif endlich davonfuhr, waren die Deutschen erleichtert. Sabine war versucht, sich umzudrehen, aber Leo hielt sie davon ab.

„Bleiben Sie ganz ruhig. Wir müssen uns so normal wie möglich benehmen.“

„Um was geht es hier eigentlich? Wer sind diese Männer? Was haben Sie angestellt?“, drängelte Georg.

„Wie gesagt, möchte ich Sie nicht in die Sache hineinziehen. Sie sind beide sehr nett, vor allem Sie, Leo. Sie haben mich erneut gerettet. Lassen Sie mich irgendwo aussteigen.“

Georg hörte das gerne. Die Frau bedeutete Ärger, den konnte er riechen. Je eher sie verschwunden war, desto schneller hatten sie ihre Ruhe.

„Das kommt überhaupt nicht in Frage“, sagte Leo. „Sie sind in Gefahr und wir sehen es als unsere Pflicht an, Ihnen beizustehen.“

Georg riss die Augen auf. Hatte er richtig gehört? Was für einen Müll laberte Leo denn da?

„Seien Sie mir nicht böse, aber Sie können mir nicht helfen. Die Sache ist kompliziert. Die Leute, die hinter mir her sind, verstehen keinen Spaß.“

„Wir sind vom Fach. Darf ich mich nochmals vorstellen? Leo Schwartz, Kriminalpolizei Mühldorf am Inn. Mein Freund Georg ist ebenfalls bei der Polizei, er arbeitet beim Innenministerium in Berlin. Sie sehen, dass wir es gewohnt sind, mit gefährlichen Menschen umzugehen.“

„Kriminalpolizei? Wollen Sie mich verscheißern?“

„Nichts liegt uns ferner.“ Leo zeigte seinen Ausweis vor. Georg hörte mit offenem Mund zu. Was machte Leo da? Statt in Ruhe den Urlaub zu genießen, riss er Probleme an sich, die sie nichts angingen.

„Es ist besser, wenn Sie mich einfach rauslassen und schnell vergessen.“

„Das glaube ich nicht. Wir werden uns in Ruhe unterhalten und Sie erzählen uns Ihre Geschichte. Danach können wir immer noch entscheiden, wie wir uns verhalten. Einverstanden?“

„Gut, wie Sie wollen. Versteht Ihr Fahrer unsere Sprache?“

„Nein, kein Wort.“

„Ich bin Journalistin und war einem besonders dreisten Fall von Kunsthandel auf der Spur. Seit zwei Jahren werden europäische Museen mit vermeintlich echten ägyptischen Kunstschätzen beliefert, wobei vor allem Deutschland und England betroffen sind. Als ich davon hörte, ging ich der Sache nach, da sie mir interessant schien.“

„Das ist doch nichts Neues“, wandte Georg ein. „Der Handel mit gefälschten Kunstschätzen betrifft jedes Land auf dieser Welt.“

„Wenn Sie mir Zeit geben würden, mich zu erklären, dann wüssten Sie bereits, dass es nicht darum geht. Ich habe also bezüglich dieser gefälschten Kunstschätze recherchiert. Ich bekam einen Tipp, dem ich sofort nachging, nachdem ich mich in einer Sackgasse befand und nicht mehr weiterkam. Ich gebe zu, dass der Tipp aus einer zwielichtigen Quelle stammte. Trotzdem schien mir die Spur heiß. Der Weg führte mich in die Innenstadt Kairos zu einem herrschaftlichen Anwesen, in dem die gefälschten Kunstschätze angeblich lagern sollten. Ich habe mir Zugang verschafft…“

„Sie sind in das Haus eingebrochen?“

„Denken Sie, die Bewohner hätten mir freiwillig die Tür geöffnet und mir die Stücke präsentiert? Selbstverständlich bin ich eingebrochen! Ich habe das Haus durchsucht, ein Zimmer nach dem anderen. Im Keller des Hauses bin ich fündig geworden. Ich fand aber keine gefälschte ägyptische Kunst, sondern Raubkunst aus dem Zweiten Weltkrieg.“

„Bitte? Sie wollen uns erzählen, dass Sie rein zufällig auf Raubkunst gestoßen sind und diese sofort erkannten?“ Georg war erschrocken, mit einer solchen Geschichte hatte er nicht gerechnet.

„Ja, das habe ich. Ich interessiere mich für Kunst, habe sogar vier Semester Kunst studiert, bevor ich das Studienfach gewechselt habe. Ich kenne nicht alle Stücke, die im Dritten Reich und nach Kriegsende verschwunden sind, aber die bekanntesten erkenne ich. Ich habe Fotos gemacht. Leider wurde ich unvorsichtig, man hat mich entdeckt. Mein Verfolger hat mir die Tasche entrissen, ich habe kein Geld und keine Papiere mehr. Und jetzt ist man hinter mir her.“

„Handel mit gefälschter Kunst? Und dazu Raubkunst aus dem zweiten Weltkrieg? Darum geht es?“, rief Leo enttäuscht. Er hatte sich eine persönliche Tragödie vorgestellt, in der er als strahlender Retter auftreten konnte. Lag das am Alkohol? Er musste sich zwingen, sich zu konzentrieren, damit er den Faden nicht verlor. Wenn er ehrlich war, verstand er nicht viel von dem, was die hübsche Frau mit dem losen Mundwerk von sich gab. Seit sie Georg angeschnauzt hatte, was ihn zum Schmunzeln gebracht hatte, konnte er nicht mehr ganz folgen.

„Wenn das alles der Wahrheit entspricht, wäre das der Hammer“, sagte Georg, der jedes Wort verstand und keineswegs beleidigt war, schließlich hatte er die Frau unterbrochen. Der Begriff Raubkunst war ihm nicht fremd, ganz im Gegensatz zu Leo, der zwar schon davon gehört hatte, aber nicht genau wusste, worum es dabei ging. „Ich habe darüber gelesen, dass es im zweiten Weltkrieg an der Tagesordnung war, dass Kunstwerke einfach enteignet wurden. Es gab nicht wenige Nazi-Größen, die im Besitz einer umfangreichen Kunstsammlung waren. Zum Kriegsende wollte man diese in Sicherheit bringen. Waggonladungen voller Kunstgegenstände sind zum Kriegsende 1945 und kurz danach spurlos verschwunden. Man munkelt, dass die Alliierten viele Kunstschätze nach Hause schickten, was aber nicht bewiesen werden konnte. Es gibt viele, viele Stücke, die immer noch verschwunden sind.“ Georg sprach langsam, da er Leo ansah, dass der keine Ahnung hatte, worum es ging. Leo hörte aufmerksam zu und verstand trotzdem nicht alles.

„Es gibt umfangreiche Literatur darüber“, sagte Sabine. „Sie können sich vielleicht vorstellen, wie erschrocken ich war, als ich vor Vincent van Goghs Maler auf der Strasse zu Tarascon stand. Das Selbstbildnis des Künstlers zählt zu den berühmtesten Bildern, die aus ungeklärten Umständen seit dem zweiten Weltkrieg verschwunden sind. Man vermutet, dass es 1945 bei einem Brand zerstört wurde, aber bewiesen wurde das nie.“

„Wie viel ist das Bild wert?“, brachte sich Leo ein, der sich mit Kunst überhaupt nicht auskannte.

„Es hat einen sehr hohen Schätzwert, man kann von einer hohen zweistelligen Millionensumme ausgehen, aber das ist nur eine Vermutung meinerseits. Museen und private Sammler würden sich darum reißen und jede Summe bezahlen.“

„Und Sie sind sicher, dass es sich um das echte Gemälde handelt?“

„Ich bin, wie gesagt, Journalistin und keine Kunstkennerin. Sie hätten sehen müssen, wie die Kunstwerke im Keller des Kairoer Hauses gelagert werden. Das und die Tatsache, dass ich bis nach Hurghada verfolgt wurde, bestätigt mir die Echtheit. Was nicht heißt, dass man nicht Fachleute hinzuziehen sollte. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass ich da auf echte Raubkunst gestoßen bin. Das ist eine Sensation!“

„Die Raubkunst befindet sich in Kairo? Sie wollen mir sagen, dass Sie von dort bis nach Hurghada verfolgt wurden?“

„Endlich haben Sie verstanden! Sehen Sie jetzt auch, dass ich mit meiner Vermutung richtig liege, dass es sich um echte Raubkunst handeln muss?“

Georg nickte.

„Es ist besser, ich sage Ihnen nicht, wo genau die Kunstschätze aufbewahrt werden. Je weniger Details Sie wissen, desto besser für Sie. Außerdem kennen wir uns nicht. Ich habe mich mit der Wahrheit sowieso schon viel zu weit aus dem Fenster gelehnt. Ich wollte Ihnen lediglich meine Situation erklären. Lügen gehört nicht zu meinen größten Stärken.“ Sabine Kofler stand unter Druck, außerdem hatte sie große Angst und sie war auf die Hilfe der fremden Polizisten angewiesen. Jetzt war sie nicht mehr allein und vielleicht fand sich eine Möglichkeit, wie sie sich aus dieser Situation befreien konnte. Warum hatte sie sich nur auf die Spur der gefälschten ägyptischen Kunst gemacht? Mit großem Elan hatte sie vor knapp zwei Wochen dieses Abenteuer angetreten. Fest entschlossen, diesem Handel mit gefälschter ägyptischer Kunst ein Ende zu setzen. Die Händler gingen sehr dreist vor. Sie legten Fotos von echter Kunst vor, verschickten aber plumpe Fälschungen, die man schon von Weitem als solche erkannte. Dann tauchten die Händler unter. Einer der Museumsdirektoren in England verlor deshalb schon seinen Job. Es war nur eine Frage der Zeit, wann ihm andere nachfolgten. Obwohl das bekannt war, fielen immer wieder Museen und Privatsammler auf diese Masche herein. Sabine wollte der Sache auf den Grund gehen und versprach sich von der Aufdeckung sehr viel. Ihr Job war sehr hart und es war nicht leicht, gutes Geld damit zu verdienen. Das konnte endlich der Durchbruch sein, auf den sie schon so lange wartete. Sie hatte ihre Ersparnisse zusammengekratzt und recherchierte auf eigene Faust, nachdem Magazine und Zeitungen nicht darauf ansprachen und sie nicht unterstützen wollten. Egal, das schaffte sie auch alleine!

Seitdem war sehr viel geschehen. Sie hatte mit viel Arbeit und mit Hilfe ihrer Kontakte einige Hintermänner ausfindig gemacht, die offenbar mit dem schmutzigen Handel in Verbindung standen. Der Ire John McCarthy schien eine Rolle zu spielen, ebenso die Deutsche Karin Bergmann. Beide waren in der Kunstszene bekannt, fielen aber bisher nie negativ auf. Sowohl McCarthy, als auch Bergmann arbeiteten in berühmten Museen und wurden gerne als Kunstexperten zu Rate gezogen. Sabine war überrascht gewesen, dass gerade diese beiden in diese dreckigen Geschäfte verwickelt schienen. Noch fehlten ihr die Beweise, die ihre Annahme stützten. Wenn dem so war, dann waren die beiden lediglich die Vermittler. Wer der Kopf der ganzen Bande war, hatte sie noch nicht herausgefunden. Sie hatte Fotos gemacht. Sowohl von den echten Kunstschätzen, als auch von den gefälschten. Auch das Gebäude und die Straße hatte sie fotografiert.

Sie floh bis Hurghada, wo sie glaubte, vorerst sicher zu sein. Wie konnten diese Leute sie finden? Das war ihr immer noch ein Rätsel. Sie hatte sich den beiden fremden Deutschen anvertraut, allerdings hatte sie nicht ganz die Wahrheit gesagt. Bei dem Schmuck hatte sie zugegriffen und eine besonders schöne Kette in die Tasche gesteckt. Ob es sich um ein wertvolles Stück handelte, konnte sie nur vermuten. Die Kette mit dem Amulett war sicher sehr alt, oder war das eine Fälschung? Warum dann das Hakenkreuz neben der Gravur? Das war jetzt nicht wichtig. Sie trug diese Kette unter dem Kleid. Sollte sie den beiden Fremden davon erzählen?

„Sie sagten, Sie hätten Fotos gemacht“, riss Georg sie aus ihren Gedanken. „Wie ich sehe, haben Sie keine Tasche dabei.“

„Ich habe die Speicherkarte meiner Kamera bei mir. Wenn mir meine Tasche nicht entrissen worden wäre, hätte ich meinen Pass noch und hätte längst das Land verlassen. Ohne Pass und Geld bin ich gezwungen, hier zu bleiben.“

Beide Männer sahen die Frau an. Wo sollte sie die Speicherkarte haben? Jetzt musste Sabine lachen, was ihr sehr gut tat.

„Sie suchen nach der Speicherkarte? Sie steckt in meinem BH.“

„In meinem Hotelzimmer habe ich einen Laptop. Wenn Sie erlauben, werden wir uns die Bilder ansehen.“

„Gerne.“ Sabine willigte schnell ein. Was blieb ihr anderes übrig? Wo sollte sie allein und ohne Geld und Papiere hin? Die indirekte Einladung der Deutschen kam ihr gelegen. Damit hatte Sie Zeit gewonnen, sich eine Lösung ihres Problems zu überlegen.

Sharif war die ganze Zeit still gewesen. Wenn seine Fahrgäste auf ihn aufmerksam wurden, lächelte er nur. Er verstand nicht viel, was die Frau von sich gab. Aber das, was er hörte, reichte ganz sicher aus, um Informationen verkaufen zu können. Er hatte den Namen Vincent van Gogh verstanden, sowie John McCarthy und Karin Bergmann. Er musste die beiden Personen finden und ihnen ein Angebot machen. Dazu musste er so schnell wie möglich seinen Bruder Ahmed kontaktieren. Der war in diesem Fall genau der Richtige für den Job, denn er selbst hatte dafür keine Zeit.

Georg bezahlte Sharif und gab ihm ein üppiges Trinkgeld, was diesen jedoch nicht davon abhielt, die Deutschen zu verraten. Er rief seinen Bruder an und gab ihm die Informationen. Dann wartete er; auf den Rückruf und auf neue Fahrgäste.

Als sein Bruder sich meldete, lächelte Sharif zufrieden.

„Ich habe Karin Bergmann ausfindig machen können. Die Information hat sich gelohnt, großer Bruder. Ich bringe dir morgen deinen Anteil.“

„Wie viel ist es?“

„Ich musste nicht lange verhandeln. Die Frau hat mir sofort zwanzigtausend Pfund angeboten, ich habe sie auf dreißigtausend bringen können.“

„Das hast du sehr gut gemacht! Ich bin stolz auf dich, kleiner Bruder.“ Sharif war zufrieden. Der heutige Tag hatte sich richtig gelohnt.

Karin Bergmann war überrascht, als sich ein Einheimischer telefonisch bei ihr meldete, der seinen Namen nicht nannte. Sie brauchte nicht lange, um zu verstehen, welche brisanten Informationen er für sie hatte. Die Journalistin befand sich also in El-Gouna. Wie kam sie bis dahin? Das war jetzt nicht wichtig. Die Frau, die die Fotos gemacht hatte, war endlich gefunden worden. Sie rief John an und gab ihm die Information sofort durch.

Dreckiges Erbe

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